Wahlwiederholung in Berlin: Der Niedergang der SPD

Das Auffallendste am Ergebnis der teilweisen Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin am vergangenen Sonntag sind die hohen Verluste der Kanzlerpartei. Die SPD verlor 7,8 Prozentpunkte und erhielt nur noch 14,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Gegenüber der ursprünglichen Bundestagswahl im September 2021, bei der sie mit 23,5 Prozent bereits ein schlechtes Ergebnis erzielt hatten, verloren die Sozialdemokraten erneut mehr als ein Drittel ihrer Stimmen.

Die Wahlwiederholung war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht Ende letzten Jahres festgestellt hatte, dass die gravierenden Mängel bei der Durchführung der ursprünglichen Wahl eine Nachwahl in 455 von 2256 Wahlbezirken erforderlich machten.

Werbung für AfD-Politik: Spiegel-Titel 43/2023

Ein Jahr zuvor hatte das Landesverfassungsgericht Berlin entschieden, dass die Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit der Wahl bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl, die am selben Tag in denselben Wahllokalen stattfand, so schwer verletzt worden seien, dass die ganze Wahl wiederholt werden müsse. Das geschah dann vor genau einem Jahr.

Mit der Entscheidung, die Bundestagswahl nur in 455 Wahlbezirken zu wiederholen, versuchte das BVerfG die Bundesregierung zu schützen und ein politisches Erdbeben zu verhindern. Trotzdem ist das Wahlergebnis sehr aufschlussreich, es macht deutlich, wie stark die Opposition gegen die Regierung ist.

Rund 550.000 Berlinerinnen und Berliner waren wahlberechtigt, aber nur die Hälfte ging zur Wahl. Die Wahlbeteiligung sank von 75,4 auf 51 Prozent. Das mag bei einer Wiederholungswahl nicht überraschen, ist aber auch Ausdruck der Ablehnung aller Regierungsparteien.

Aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung verloren in den 455 Wahlbezirken mit einer Ausnahme alle Parteien Wählerstimmen, selbst jene, die prozentual zulegten. Die SPD erhielt 54.000 weniger Stimmen als im September 2021, die Grünen 38.000 und die FDP 29.000. Für die Liberalen stimmten nur noch 3,3 Prozent, sie lagen weit unter der Fünfprozenthürde. Auch die CDU, die 6,9 Punkte zulegte und auf 20,6 Prozent kam, verlor 552 Stimmen. Und Die Linke, die in ihrer Berliner Hochburg 12,6 Prozent erhielt (plus 0,7), büßte mehr als 15.000 Wähler ein.

Nur die AfD gewann trotz niedriger Wahlbeteiligung 5.300 Wähler hinzu und erzielte mit 12,6 Prozent ein Plus von 5,6 Prozent.

Das Wachstum der Faschisten ist das direkte Ergebnis der Politik sämtlicher Bundestagsparteien, die ihr reaktionäres und rassistisches Programm übernehmen und sie in die Parlamentsarbeit und alle Ausschüsse integrieren. Der Spiegel-Titel vom Oktober 2023, auf dem sich der Kanzler mit der Parole „Wir müssen endlich mehr abschieben!“ abbilden ließ, ist noch gut in Erinnerung, und Mitte Januar verabschiedete der Bundestag unter dem Applaus der AfD ein Gesetz zur beschleunigten Abschiebung.

Der Stimmenzuwachs der AfD zeigt, dass die Massenbewegung gegen die faschistische Partei nur erfolgreich sein kann, wenn sie sich unversöhnlich gegen die rechte Politik der Ampel-Regierung wendet und zum Ausgangspunkt einer politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System gemacht wird.

Die massiven Stimmenverluste der SPD sind die Quittung für ihre rechte Politik der militärischen Aufrüstung, der Kriegsvorbereitung, der Ausländerhetze und des Sozialabbaus seit der Regierungsübernahme der Ampelkoalition.

Vor zwei Jahren, am 27. Februar 2022, hielt Kanzler Scholz seine berüchtigte „Zeitenwende“-Rede. Er nutzte den Einmarsch Russlands in die Ukraine, den die Nato mit ihrer ständigen Osterweiterung provoziert hatte, für einen Stellvertreterkrieg gegen Russland, die größte Aufrüstungsoffensive seit Hitler und die Stationierung von Bundeswehreinheiten in Osteuropa.

Mit 22 Milliarden Euro Direkthilfe und einem Anteil von 19 Milliarden an den EU-Hilfen seit Kriegsbeginn ist Deutschland nach den USA zum größten Finanzier des Krieges und Geldgeber der Ukraine geworden. Die offizielle Liste der militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine wird immer länger und zeigt, in welchem Ausmaß Deutschland im Ukraine-Krieg gegen Russland involviert ist. Die Liste umfasst jetzt bereits 105 Kampfpanzer, 30 Schützenpanzer, 42 gepanzerte Mannschaftswagen, 15 Flakpanzer und 9 Luftverteidigungssysteme. Dazu kommen Bergepanzer, Brückenlegepanzer, Minenräumpanzer und eine halbe Million Schuss Munition aller Waffengattungen.

Wenige Tage vor der Berlin-Wahl drohte der sozialdemokratische Verteidigungsminister Boris Pistorius Russland offen mit Krieg. In mehreren Interviews erklärte er, Deutschland müsse sich in „einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren“ auf einen Krieg mit der Atommacht Russland vorbereiten. Seit Wochen fordert er, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden und seine Führungsrolle in der Nato ausbauen.

Gleichzeitig haben die Nato-Mächte eine zweite Front im Nahen Osten eröffnet. Die Bundesregierung unterstützt den israelischen Genozid an den Palästinensern bedingungslos und denunziert und unterdrückt jede Opposition dagegen als antisemitisch.

Falls jemand dachte, die massiven Stimmenverluste bei der „kleinen Bundestagswahl“ – wie die Berliner Wahlwiederholung oft genannt wurde – würden die SPD dazu bewegen, weniger kriegslüstern aufzutreten und ihre Aufrüstungspropaganda zurückzufahren, wurde er am Montag eines Besseren belehrt.

Vor laufenden Fernsehkameras legte Kanzler Scholz am Morgen nach der Wahl den Grundstein für eine Erweiterung der Rheinmetall-Munitionsfabrik in Niedersachsen, der zweitgrößten deutschen Waffenschmiede. Das Handelsblatt zitierte ihn mit den Worten, „Wir leben nicht in Friedenszeiten“, und berichtete genüsslich, wie der SPD-Kanzler die Bedeutung der Rüstungsindustrie pries und sich „mehr als eine Stunde lang“ zum Fotoshooting vor Panzer und Munitionskiste stellte.

Am Dienstag brachte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl Katarina Barley die atomare Bewaffnung Deutschlands ins Spiel. Nachdem Donald Trump die Nato-Beistandspflicht infrage gestellt habe, müsse über „eigene Atombomben“ nachgedacht werden, so Barley. Am Mittwoch legte der SPD-Außenexperte Michael Roth nach und forderte: „Wir müssen den russischen Imperialismus stoppen – notfalls auch ohne die USA.“

Das Kriegsgeschrei aus dem Willy-Brandt-Haus wird immer aggressiver und irrationaler. 110 Jahre nachdem sie im August 1914 den Kriegskrediten des Kaisers zustimmte und Millionen Arbeiter auf die Schlachtbank des Ersten Weltkriegs führte, spielt sie heute erneut die Schlüsselrolle dabei, die räuberischen Interessen des deutschen Imperialismus gegen den Widerstand der Arbeiterklasse durchzusetzen.

Aber anders als damals hat die SPD ihren Einfluss in der Arbeiterklasse längst verloren. Nach den ungeheuren Verbrechen des deutschen Militarismus in zwei Weltkriegen stößt das Kriegsgeschrei aus der SPD-Zentrale und dem Kanzleramt auf Abscheu, Empörung und wachsenden Widerstand.

Der Niedergang der SPD kommt nicht überraschend und ist zu begrüßen. Die Wegwendung von der Partei, die Rosa Luxemburg schon 1914 als stinkenden Leichnam bezeichnet hatte, muss zum Auftakt für eine bewusste Hinwendung zu einem sozialistischen Programm gemacht werden.

Darin besteht die Bedeutung des Europa-Wahlkampfs der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), die gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in ganz Europa und international für die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen Krieg und Faschismus kämpft.

In der Wahlerklärung der SGP heißt es:

Die einzige legitime Schlussfolgerung, die aus dem Vernichtungskrieg und dem Holocaust, den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, gezogen werden kann, ist diese: die Arbeiterklasse darf Krieg und Faschismus nie wieder zulassen und muss die Wurzel dieses Grauens, den Kapitalismus, ein für alle Mal beseitigen… Wir fordern:

- Stoppt den Nato-Krieg in der Ukraine! Keine Sanktionen und Waffenlieferungen!

- Zwei Weltkriege sind genug! Stoppt die Kriegstreiber!

- 100 Milliarden für Kitas, Schulen und Krankenhäuser statt für Rüstung und Krieg!

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