Der deutsche Ruf nach der Bombe

Die Ankündigung Donald Trumps, im Falle seiner erneuten Präsidentschaft europäische Nato-Staaten nicht länger zu unterstützen, wenn sie nicht massiv genug aufrüsten, nutzt die herrschende Klasse in Deutschland für eine aggressive Kampagne für eigene Nuklearwaffen. Es vergeht aktuell kaum ein Tag, an dem nicht ein führender Politiker oder ein zentrales Medienorgan nach einer deutschen oder europäischen Atombombe schreit.

Spiegel-Cover der Ausgabe vom 17. Februar 2024

Die aktuelle Ausgabe des auflagenstärksten deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel zeigt einen bedrohlich dreinschauenden Trump auf dem Cover. Darunter prangt der Titel: „Ich würde euch nicht beschützen! Braucht Deutschland jetzt die Bombe?“ Die unmissverständliche Antwort des Magazins lautet Ja.

Unter anderem echauffieren sich die Autoren darüber, dass der „Aufruhr groß“ gewesen sei, als die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley, „im Berliner Tagesspiegel das Offenkundige aussprach und das Nachdenken über eine europäische Atomwaffe einforderte“. Die notwendige „Diskussion über den Aufbau eines europäischen Atomschirms“ dürfe vom Kanzler und seinen Beratern nicht länger „als Glasperlenspiel abgetan“ werden.

Tatsächlich arbeitet die Regierung hinter den Kulissen längst fieberhaft an Alternativen zum US-amerikanischen Nuklearschirm, an dem Deutschland durch die sogenannte „nukleare Teilhabe“ beteiligt ist. Auch wenn Scholz öffentlich jede Debatte lieber vermeide, würden „in vertraulichen Runden im Kanzleramt, im Außen- und Verteidigungsministerium Trump-Szenarien durchgespielt“, berichtet der Spiegel. Mit den „Atommächten Großbritannien und Frankreich“ fänden bereits „vertrauliche Gespräche statt. Auch auf Betreiben des Kanzleramts.“

Auch in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz sprach Scholz indirekt über die Verwandlung der EU in eine Nuklearmacht. „Wir müssen uns mehr denn je darum kümmern, dass unsere Abschreckung modernen Anforderungen gerecht wird“, erklärte er. Deutschland habe deshalb in seiner bereits im vergangenen Sommer verabschiedeten ersten Nationalen Sicherheitsstrategie unter anderem festgelegt, „die Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähige Präzisionswaffen“ zu fördern. Darüber spreche man aktuell mit Frankreich und Großbritannien. Offensichtlich geht es um die Ausstattung dieser „abstandsfähigen Präzisionswaffen“ mit nuklearen Sprengköpfen.

Die aggressive Medienkampagne dient dazu, diese wahnwitzigen Pläne durchzusetzen und die Bevölkerung auf eine noch viel umfassendere Kriegsaufrüstung bis hin zur Atombombe vorzubereiten.

So mahnt der FAZ-Herausgeber Berthold Kohler in einem Leitartikel, Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus „würde Folgen auch für Europa haben, die man sich nicht ausmalen will, aber muss“. Und er fügt provokativ hinzu: „Malen genügt freilich nicht. Deutschland muss sich endlich mit aller Konsequenz darauf vorbereiten, dass das Rückgrat seiner Sicherheit vor militärischen Angriffen und politischer Erpressung wegbrechen könnte.“

„Mit aller Konsequenz“ bedeutet nukleare Aufrüstung. Die Regierung Scholz dürfe „nicht länger den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass der Albtraum Trump vorbei ist, wenn sie ihn wieder herauszieht“. Die Europäer müssten „ohne jeden weiteren Verzug massiv konventionell aufrüsten“, aber „auch über Nuklearstreitkräfte verfügen, die das Gleichgewicht des Schreckens in Europa wiederherstellen können, das von Amerika aus so gestört wird, wie Moskau sich es nie zu hoffen gewagt hatte.“

Das Hausblatt der Grünen taz ruft nach Atomwaffen

Zu den aggressivsten Atomkriegshetzern gehören bezeichnenderweise auch die ehemaligen Pazifisten der Grünen. Der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer, der in seiner Amtszeit den ersten deutschen Kampfeinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg auf den Weg gebracht hatte, forderte bereits im Dezember in der Zeit „eine eigene atomare Abschreckung“. In der vergangenen Woche legte dann die den Grünen nahestehende taz mit einem Kommentar unter der Überschrift „Ja zur Atombombe“ nach. Darin preist die Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann Atomwaffen zynisch als „paradoxe Waffen“, die man brauche, „damit es nicht zu einem Atomkrieg kommt“.

Das stellt die Realität auf den Kopf. Tatsächlich nehmen die führenden Nato-Mächte – darunter führend auch Deutschland – mit der ständigen Eskalation des von ihnen selbst provozierten Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine einen alles vernichtenden nuklearen dritten Weltkrieg nicht nur in Kauf, sondern bereiten ihn aktiv vor. Der Inspekteur der Luftwaffe Ingo Gerhartz drohte Russland bereits im Juni 2022 mit dem Einsatz von Atomwaffen. „Für eine glaubhafte Abschreckung brauchen wir sowohl die Mittel als auch den politischen Willen, die nukleare Abschreckung nötigenfalls umzusetzen,“ erklärte er.

Die World Socialist Web Site kommentierte damals: „Dass ein deutscher General offen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gegen Russland droht, ist eine ernsthafte Warnung. 77 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs macht sich in der herrschenden Klasse wieder eine faschistoide Geisteshaltung breit. Für die Durchsetzung ihrer imperialistischen Interessen ist sie bereit, erneut die schlimmsten Verbrechen zu begehen.“

Einen besonders drastischen Eindruck davon gibt ein Doppelinterview, das die Süddeutsche Zeitung kürzlich mit den berüchtigten Politikwissenschaftlern Carlo Masala und Herfried Münkler führte. Darin überbieten sich die beiden Kriegsprofessoren mit Forderungen nach nuklearer Aufrüstung und möglichen Atomschlägen gegen Russland. „Nuklearwaffen verhindern inzwischen also nicht mehr den konventionellen Krieg, sie sind eine Möglichkeit zu seiner Erweiterung“, erklärt Münkler. Darauf gelte es, „eine andere Antwort zu finden als die, einfach davor zurückzuweichen.“

Masala fordert eine Rückkehr „zum Prinzip der ‚massiven Vergeltung‘“ und „zur alten Nato-Maxime, jeden Angriff mit einem großen nuklearen Gegenangriff zu beantworten“. Das Grundproblem sei „nun mal, dass wir Verteidigung so schnell und hart organisieren müssen, dass Russland seine Vorteile nicht ausspielen kann.“ Notwendig seien „deep strike capabilities“, d.h. „die Fähigkeit, über Mittelstreckenraketen oder konventionell bestückte Interkontinentalraketen sofort strategisch relevante Ziele in Russland angreifen zu können“.

Das ist nichts weniger als ein Plädoyer für einen dritten atomaren Weltkrieg. Die russische Militärdoktrin erlaubt den Einsatz von Atomwaffen, um russisches und von Russland beanspruchtes Gebiet zu verteidigen. Und führende russische Politiker haben wiederholt damit gedroht, bei einem umfassenden Angriff der Nato mit Atomschlägen zu reagieren. Weder Münkler noch Masala und die anderen Kriegstreiber in Politik und Medien haben jemals erklärt, was ihr Szenario ist und wie viele Millionen Menschenleben sie zu opfern bereit sind. Fakt ist, dass ein Atomkrieg mit Russland nicht nur Europa komplett zerstören, sondern potentiell den gesamten Planeten in eine nukleare Wüste verwandeln würde.

Trotz dieser Gefahr eskaliert die Regierung den Konflikt mit Russland immer weiter. Ein am Donnerstag im Bundestag verabschiedeter Antrag der Ampelparteien fordert eine weitere massive Ausweitung der militärischen Unterstützung für die Ukraine mit dem erklärten Ziel, den Krieg bis tief ins russische Kernland auszuweiten. Die seit langem von der Ukraine geforderten Taurus-Marschflugkörper werden zwar nicht explizit genannt, aber es besteht kein Zweifel daran, dass es auch um diese geht.

Notwendig sei die „Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition, um die Ukraine einerseits in die Lage zu versetzen, völkerrechtskonforme, gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors zu ermöglichen und andererseits die Landstreitkräfte mit der Lieferung von gepanzerten Kampfsystemen und geschützten Fahrzeugen weiter zu stärken“, heißt es im Antrag. Dabei sei „bei Abgabe aus den Beständen der Bundeswehr eine sofortige Nachbeschaffung einzuleiten“.

Dieser Wahnsinn, der mit massiven Angriffen auf die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse im Inneren einhergeht, hat tiefe objektive Ursachen. Ähnlich wie in den 1930er Jahren reagiert die herrschende Klasse auf den Zusammenbruch des Kapitalismus mit einer Hinwendung zu Militarismus, Faschismus und Weltkrieg. Dabei geht es um die alten imperialistischen Ziele und Gelüste: sich zur Weltmacht aufzuschwingen und sich dabei sowohl die Ukraine als auch Russland einzuverleiben.

Die handfesten Interessen, um die es geht, werden immer deutlicher artikuliert. Einer der führenden Außenpolitiker Roderich Kiesewetter (CDU) wies vor wenigen Wochen in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin darauf hin, dass ein militärischer Sieg über Russland in der Ukraine „auch eine extrem wirtschaftliche Frage“ sei. „Wenn die Ukraine zerfällt, sind die Folgekosten viel größer als wenn wir jetzt viel stärker reingehen“, erklärte er. „Und wenn Europa die Energiewende vollziehen will, braucht sie eigene Lithiumvorkommen. Die größten Lithium-Vorkommen in Europa liegen im Donezk-Luhansk-Gebiet.“

Die Arbeiterklasse muss dieser imperialistischen Raubpolitik, die im Nahen Osten bereits in einen neuen Völkermord an den Palästinensern mündet und zunehmend das Überleben der gesamten Menschheit in Frage stellt, ihre eigene Strategie der sozialistischen Weltrevolution entgegensetzen. Dafür kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei zusammen mit ihren Schwesterparteien in der Vierten Internationale. In unserem Wahlstatement heißt es:

„Die einzige legitime Schlussfolgerung, die aus dem Vernichtungskrieg und dem Holocaust, den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, gezogen werden kann, ist diese: die Arbeiterklasse darf Krieg und Faschismus nie wieder zulassen und muss die Wurzel dieses Grauens, den Kapitalismus, ein für alle Mal beseitigen.“

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