Habecks Kriegsvisite in Kiew

Ende vergangener Woche reiste der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn nach Kiew. Die Reise unterstrich vor allem zwei Dinge: mit welcher Aggressivität Deutschland 85 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wieder auf Militarismus und Krieg setzt und dass die ehemaligen Pazifisten der Grünen dabei die zentrale Rolle spielen.

Habeck und Selenskyj während des ersten Kriegsbesuchs des deutschen Wirtschaftsministers in der Ukraine im April 2023 [AP Photo/Ukrainian Presidential Press Office ]

Vor Ort ließ Habeck keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung den Nato-Krieg gegen Russland als ihren Krieg betrachtet, der auf keinen Fall verloren werden darf. Ihm gehe es darum, für die Ukraine „die Unterstützung noch einmal hochzufahren, die sie braucht, um selbstbestimmt zu entscheiden wie lange und wie dieser Krieg geführt wird und wie er endet – erfolgreich für die Ukraine“.

Seine Visite sei ein „Zeichen, dass wir die Ukraine moralisch dauerhaft unterstützen müssen und auch werden“, verkündete der grüne Wirtschaftsminister weiter. Der Kampf der Ukraine sei ein „Kampf für die Friedensordnung in Europa“ und deshalb gebe es um den Auftrag, diesen Kampf „so zu finanzieren, dass er nicht verloren geht, dass er gewonnen wird“.

Tatsächlich können Habecks Propagandaphrasen nicht darüber hinwegtäuschen, um was es dem deutschen Imperialismus wirklich geht. Nicht etwa um „Selbstbestimmung“ und „Frieden“, sondern wie in der Vergangenheit um handfeste geostrategische und wirtschaftliche Interessen. Bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg hatte Berlin versucht, sich die Ukraine einzuverleiben und Russland militärisch zu besiegen. Unter den Nazis nahm das die Form eines geplanten Vernichtungskriegs an, der in den Holocaust führte und mindestens 27 Millionen Sowjetbürgern den Tod brachte.

Nun prescht Deutschland erneut vor und eskaliert den Konflikt zusammen mit den anderen führenden Nato-Mächten immer weiter, um den drohenden Zusammenbruch der ukrainischen Truppen an der Front zu verhindern und ihre wahnsinnigen Kriegsziele durchzusetzen: die Atommacht Russland in der Ukraine zu besiegen, um sich die Kontrolle nicht nur über das Land zu sichern, sondern auch Russland selbst zu unterwerfen und auszubeuten.

Mit Blick auf die „militärische schwierige Lage“ an der Front lobte Habeck den „dringenden Appell“ der Bundesregierung, die militärische Unterstützung für Kiew auszuweiten. Erst vor wenigen Tagen hatten Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) einen gemeinsam Brief an verbündete Regierungen weltweit geschickt. Die Botschaft laute: „Liefert mehr und wir gehen voran“, so Habeck. Es sei zentral, dass Berlin nicht abwarte, bis andere sich bewegten, sondern dass es selbst als „first mover“ voranschreite.

Und die Initiative trage bereits Früchte. „Sehr viele Länder tun jetzt sehr viel“, prahlte Habeck im Gespräch mit „RTL Aktuell“. Vor allem die Tschechische Republik habe „angefangen, jetzt im sehr großen Maßstab Munition zu sammeln und einzukaufen.“ Und andere Länder beschafften ebenfalls auf dem Weltmarkt Munition, um Kiews „Mangel an Artilleriemunition“ auszugleichen. Das werde „jetzt also nach oben gehen“.

Auch bei der Luftverteidigung und in anderen Bereichen gelte es nachzulegen. „Wir müssen der Ukraine helfen, möglichst schnell möglichst viele Waffen zu bekommen“, betonte Habeck. Erst wenige Tag vor dessen Reise hatte die Bundesregierung angekündigt, Kiew ein zusätzliches Patriot-Luftabwehrsystem zu liefern. Die offizielle Liste der Bundesregierung über „militärische Unterstützungsleistungen für die Ukraine“ listet im Abschnitt „in Vorbereitung/Durchführung“ u.a. diese Posten:

  • 50 Schützenpanzer Marder plus Munition
  • 105 Kampfpanzer LEOPARD 1 A5 plus Munition
  • 15 Flakpanzer Gepard plus 259.680 Schuss Munition
  • 20 Luftverteidigungssysteme IRIS-T
  • Flugkörper vom Typ Patriot und IRIS-T SLM/SLS
  • 36 Radhaubitzen RCH 155
  • 18 Panzerhaubitzen 2000
  • über 370.000 Schuss Artilleriemunition 122mm und 155mm

Hinzu kommen 6 Hubschrauber, 15 Bergepanzer 2, 8 Pionierpanzer Dachs, 9 Brückenlegepanzer Biber, 8 Minenräumpanzer Wisent, 16.000 Panzerabwehrhandwaffen, 4.015 Sturmgewehre MK 556, 7,75 Millionen Schuss Handwaffenmunition, 8.000 Panzerrichtabwehrminen PARM, 164.000 Schuss Munition 40mm Granatwerfer und Hunderte Fahrzeuge und Drohnen.

Und all das ist nur der Anfang. Während seines Besuchs betonte Habeck immer wieder, dass weit mehr nötig sei, um Kiew zum Sieg zu verhelfen. „Wir brauchen eine höhere Produktion, dann haben wir auch mehr Güter, die wir abgeben können“, erklärte er. „Wenn die Ukraine sie mal nicht mehr braucht, dann können wir sie selbst gut gebrauchen. Da darf es nicht bei der Theorie stehen bleiben, es muss entsprechend auch in die Tat umgesetzt werden.“ Schließlich müsse die Ukraine den Krieg so führen können, „dass er nicht verloren geht, dass er gewonnen wird“, sagte er.

Auch die Zusammensetzung der Wirtschaftsdelegation, die Habeck begleitete, unterstrich den durch und durch militaristischen Charakter der grünen Außen- und Wirtschaftspolitik. „Nicht zufällig reisen in seinem Schlepptau vor allem Männer der Rüstungsindustrie“, stellte die Süddeutsche Zeitung fest. Dem Berichte zufolge waren darunter Helmut Rauch, der Chef von Diehl Defence, das das Luftverteidigungssystem Iris-T produziert; ein Hersteller von Minenräum-Robotern; und der Produzent von Aufklärungsdrohnen, Quantum-Systems, dessen Chef Florian Seibel in der Ukraine ein neues Werk einweihte.

Laut dem US-Magazin Politico war auch ein Vertreter von Rheinmetall mit am Start. Der deutsche Rüstungsriese, der schon Hitlers Wehrmacht hochrüstete, arbeitet an der Errichtung einer ganzen Panzerfabrik in der Ukraine. Laut dem Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall, Armin Papperger, sollen direkt vor Ort der Transportpanzer Fuchs und der Schützenpanzer Lynx gebaut werden. Erst Anfang April hat Rheinmetall einer Pressemitteilung des Unternehmens zufolge weitere 20 Schützenpanzer vom Typ Marder an Kiew geliefert.

Nach einem gemeinsamen Treffen verkündeten Habeck und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dass auch die am 11. und 12. Juni in Berlin stattfindende Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine neben bilateralen Projekten in der Energiewirtschaft und dem europäischen Rohstoffhandel, vor allem auf den Bereich der Rüstungsindustrie fokussieren werde. Mit anderen Worten: unter dem Deckmantel des „Wiederaufbaus“ treibt Berlin die Ausbeutung und totale Militarisierung der Ukraine voran.

Dabei reichen die Gelüste des deutschen Imperialismus weit über die Ukraine hinaus. Die herrschende Klasse gehört zu den aggressivsten Unterstützern von Israels Genozid an den Palästinensern, da sie auch bei der imperialistischen Neuaufteilung des Nahen Ostens nicht Abseits stehen will. Und auch an dieser Kriegsfront stehen die Grünen in der ersten Reihe. Parallel zu Habecks Besuch in der Ukraine stattete die grüne Außenministerin Annalena Baerbock dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu einen Besuch ab, um dessen rechtsextremen Regime inmitten der Kriegseskalation gegen den Iran den Rücken zu stärken.

Die Kriegsreisen von Habeck und Baerbock unterstreichen die militaristische Wende der Grünen, die sich in den ersten Jahren nach ihrer offiziellen Gründung 1980 noch als „links“ und „pazifistisch“ gaben. Eine sozialistische Perspektive und die Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft lehnten sie aber von Anfang an vehement ab und verherrlichten stattdessen die anti-marxistischen Theorien der Frankfurter Schule und der Postmoderne sowie verschiedene Spielarten der Identitätspolitik. Spätestens seit sie 1999 und 2003 gemeinsam mit der SPD im Kosovo und in Afghanistan die ersten deutschen Kampfeinsätze nach Hitler auf den Weg brachten, stehen sie an der Spitze der neuen deutschen Kriegspolitik.

Der Vorsitzende der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, David North, analysiert in seinem Buch „30 Jahre Krieg“ die tieferen gesellschaftlichen und politischen Triebkräfte hinter dieser Entwicklung. Im Text „Nach dem Blutbad: Politische Lehren aus dem Balkankrieg“, schreibt er: „Seit dem Börsenboom, der Anfang der 1980er Jahre einsetzte, haben sich die gesellschaftlichen Strukturen und Klassenbeziehungen in den kapitalistischen Ländern stark verändert. Ständig steigende Aktienkurse und insbesondere deren Explosion seit 1995 haben einem bedeutenden Teil der Mittelschicht, vor allem im akademischen Milieu, einen Reichtum beschert, den sie sich zu Beginn ihrer Karriere nie hätten träumen lassen.“

Wenn Habeck und Baerbock nun die aktuellen Kriegsfronten bereisen und nach mehr Waffen und Krieg rufen, geht es um die Verteidigung dieser Reichtümer. Sie sind heute um ein Vielfaches größer als noch vor 30 Jahren und ihre Aufrechterhaltung direkt mit der Eskalation in den dritten Weltkrieg und dem Aufbau faschistischer Kräfte und der Errichtung eines autoritären Regimes im Inneren verbunden.

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