Menschenverachtende Zustände im Ankunftszentrum Tegel, Deutschlands größtem Flüchtlingslager

Im Berliner „Ukraine Ankunftszentrum TXL“ (UA TXL) herrschen unerträgliche Bedingungen. Sie zeigen, in welchem Ausmaß die Abschottungspolitik der SPD-geführten Ampel-Koalition an den europäischen Außengrenzen auch im Landesinnern fortgesetzt wird. Es ist die Kehrseite der Kriegspolitik, Militarisierung und Spaltung der Gesellschaft.

Anfangs überschlugen sich Politiker und Medien vor Willkommensgrüßen für die Geflüchteten mit ukrainischem Pass. Volle Züge von Ukrainern auf der Flucht nach Deutschland ließen sich hervorragend für die Kriegshetze gegen Russland ausschlachten und dienten der politischen und militärischen Unterstützung für die rechtsextreme Selenskjy-Regierung. Aber das medienwirksame Willkommen für Ukrainer ist längst einer Realität der rechten Hetze, Kasernierung und zielstrebigen Ausgrenzung gewichen.

Das sogenannte „Ankunftszentrum“ auf dem ehemaligen Flughafengelände Berlin-Tegel (TXL) zeigt besonders deutlich, was mittlerweile alle Landesregierungen, unabhängig von der jeweiligen politischen Färbung, unterstützen und umsetzen: eine rechtsextreme, rassistische Migrationspolitik, die abschrecken und spalten soll.

Das Flüchtlingslager in Tegel brennt, 12. März 2024 [Photo by screenshot Pro Asyl / tiktok]

Das Lager wurde vor zwei Jahren in Berlin als Knotenpunkt für die Menschen eröffnet, die vor dem Ukrainekrieg geflohen waren. Hier sollten sie kurzfristig untergebracht, registriert und dann auf das gesamte Bundesgebiet verteilt werden. Rund 10.000 Menschen haben das Lager in den vergangenen zwei Jahren durchlaufen.

Die bis April 2023 verantwortliche Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) hatte 2022 ihre Ankündigung, eine Zeltstadt auf dem Gelände zu errichten, mit mangelnden Unterbringungsmöglichkeiten in den bestehenden Unterkünften rechtfertigt. Angesichts der neuen Flüchtlingsströme behauptete sie: „Wir müssen Platz schaffen. Jedes Obdach, das wir geben, ist eine Verurteilung von Putins Krieg.“

Tatsächlich hat sich das größte Flüchtlingslager Deutschlands mit rund 5.000 Plätzen in 40 Leichtbauhallen als Internierungslager für geflüchtete Menschen jeglichen Alters und Gesundheitszustands entpuppt. Es beraubt die Menschen sämtlicher Rechte und verwehrt kritischen Journalisten, Anwälten und unabhängigen Hilfsorganisationen den freien Zugang.

Was ursprünglich als Unterkunft für Tage, beziehungsweise wenige Wochen konzipiert war, wurde für viele Menschen zur Falle, der sie teilweise seit über einem Jahr nicht entkommen. Im März 2024 waren es mehr als 4.500, die hier auf engstem Raum zusammengepfercht lebten.

Strikt von den Ukrainern getrennt, werden längst auch Asylsuchende aus der Türkei, aus Syrien, Moldau, Georgien und Afghanistan hier untergebracht. Der Flüchtlingsrat stellte fest, dass „von Oktober 2022 bis Ende Januar 2023 sowie seit Oktober 2023“ im Tegeler Lager Asylsuchende über längere Zeit „geparkt“ werden, ohne Anspruch auf Sozialleistungen, Bargeld, medizinische Versorgung oder Erfassung ihres Asylgesuchs.

In einem Brandbrief an Kippings Nachfolgerin, Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD), prangerten rund 130 ukrainische Frauen im September 2023 die „Beleidigungen, Belästigungen, Willkür, Gewalt – auch gegen Kinder“ durch zuständige Security-Mitarbeiter an. Im Dezember 2023 wurden die unerträglichen Lagerbedingungen erneut öffentlich, weil Massenschlägereien mit der übergriffigen und teils rassistischen Security zu polizeilichen Ermittlungen und zur sofortigen Suspendierung von 55 Security-Mitarbeitern führten.

Im Lager müssen sich 14 bis 16 Personen ein Bettenabteil teilen. Obwohl das Lager aktuell nicht voll ausgelastet ist, werden die freien Bereiche nicht etwa genutzt, um die unerträgliche Enge der Unterbringung zu mildern. Laut Presseberechnungen ergeben sich bei dieser Belegung auf engstem Raum 2,63 Quadratmeter pro Person, die Gänge eingerechnet. Die vorgesehenen Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte mit sechs bis neun Quadratmeter pro Person werden in Tegel dramatisch unterlaufen.

„Fünf Etagenbetten pro Abteil, die Kunststoffwände gerade mal zwei Meter hoch, Vorhänge statt Türen“, verhindern jegliche Privatsphäre, berichtete eine Betreuerin in einem Interview mit dem Neuen Deutschland (nd). Geschlechtertrennung gibt es nicht. Menschen im Rollstuhl werden hier ebenso eingepfercht wie Minderjährige und Menschen mit offenen Kriegsverletzungen und psychischen Problemen.

Lagerbewohner haben berichtet, dass Familien und Partner getrennt werden. Alleinstehende Frauen, Frauen mit Säuglingen oder auch Schwangere müssen sich das Abteil mit fremden Männern teilen. Solche und ähnliche Berichte hat der Flüchtlingsrat Berlin bestätigt. Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat erklärte: „Es gibt auch die Extremform, dass Mütter mit ihren drei Tage alten Babys in gemischte Parzellen mit sechs anderen Männern gelegt werden.“

Die Pflicht zum ständigen Tragen einer Chipkarte um den Hals zwecks maschinellen Einlesens der persönlichen Namen und Daten verstärken das Gefühl von Rechtlosigkeit und Eingesperrtsein. Jederzeit können und werden Gepäck und persönliche Dinge kontrolliert und durchsucht.

In den Leichtbauhallen sind im Winter immer wieder die Heizungen ausgefallen. Katastrophale hygienische Bedingungen führen zu Massenausbrüchen von hoch ansteckenden Krankheiten, wie der Windpockenausbruch letztes Jahr und der Masernausbruch in diesem Jahr. Die Corona-Gefahr ist dauerhaft hoch.

Aber wie der Berliner Flüchtlingsrat alarmierend bemerkte, hat das Lager keine Quarantäne-Station mehr. Der Lagerarzt und der Kinderarzt stellen keine Rezepte oder Überweisungen aus, sondern versorgen Kranke nur aus vorhandenen Medikamentenbeständen, unterstützt von Sanitätern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Eine angemessene medizinische Versorgung – auch für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Schwangere – „existiert quasi nicht“. Für nicht-ukrainische Flüchtlinge ist der Zugang zur rudimentären medizinischen Versorgung des Lagers noch stärker eingeschränkt.

In den Essbereichen gibt es keinen regelmäßigen Reinigungsdienst, und die Geflüchteten, die selbst putzen wollen, erhalten weder Reinigungsmittel noch Geld dafür, so eine Mitarbeiterin des Betreibers. Auf den Toiletten gibt es „selten Seife, keine Trockentücher und kein Desinfektionsmittel“. Defekte Toiletten und Duschen werden nicht repariert. Die Mitarbeiterin spricht im nd-Interview davon, dass in dem von ihr zu betreuenden Zeltareal zuletzt „nur drei Frauenduschen“ funktionierten und von 40 Toiletten „die Hälfte gesperrt“ war.

„Wenn man nicht schon traumatisiert war, wird man dort traumatisiert“, berichteten Mitarbeiter vor Ort dem nd. Das gilt auch für die Betreuer selbst. „Es ist ein sehr toxischer Ort für uns Mitarbeiter.“ Eigentlich müsse das Lager geschlossen werden. „Es ist eine Katastrophe, von oben bis unten“, und die Leitung trage die Hauptverantwortung dafür.

Im Berliner Senat liegt die Verantwortung bei der SPD-Sozialsenatorin, Cansel Kiziltepe, und dem Präsidenten des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Mark Seibert. Dieser musste angesichts der polizeilichen Ermittlungen und Berichte der Betroffenen im Dezember 2023 selbst zugeben, dass es kein Ort sei, „den sich irgendjemand hier wünscht“. Die Betreuung des Lagers obliegt dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), das die Vorwürfe als „unzutreffend“ oder nur vorübergehende Missstände zurückgewiesen hat. Unterstützt wird das DRK durch den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), die Johanniter-Unfall-Hilfe und den Malteser Hilfsdienst.

Für Minderjährige ist die Kasernierung zusätzlich im Hinblick auf ihr Recht auf Bildung und freie Entwicklung unerträglich. Im Lager wurde ihnen bis Mitte Februar ein adäquates Schulangebot bzw. der Zugang zu öffentlichen Schulen vorenthalten. Lediglich mit Computern ausgerüstete Container standen den im November rund 560 ukrainischen Schulpflichtigen zur Verfügung, wo sie „eigenständig am Online-Homeschooling ihrer Lehrer*innen in der UKR [Ukrainische Republik] teilnehmen“ konnten, stellte der Flüchtlingsrat Berlin in seinem Bericht über die Zustände im UA TXL fest.

Zwar brüstete sich Mitte Februar 2024 Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) mit der Inbetriebnahme der „Willkommensschule TXL“, wo rund 130 minderjährige Ukrainer die deutsche Sprache erlernen und Fachunterricht erhalten. Weitere 300 Plätze sollten im März 2024 und perspektivisch bis zu 700 derartige Schulplätze geschaffen werden.

Tatsächlich verkörpert die Lagerschule „Willkommensschule TXL“ den zutiefst rassistischen Charakter der schwarz-roten Migrationspolitik.

Ibrahim Kalanan, ehemaliger Staatssekretär für Justiz, stellt auf verfassungsblog.de klar, dass die separaten Schulen in Not- und Sammelunterkünften eine „neue Segregationsstrategie“ mit dem Ziel verfolge, mit „parallelen“ Bildungsinstitutionen die „gleichberechtigte Inanspruchnahme von Rechten“ durch Schulpflichtige mit Fluchthintergrund auszuschließen, wie sie nicht-geflüchteten Schulpflichtigen zustehen würden. Diese Strategie erinnere an die US-amerikanische Doktrin: separate but equal, die rassistisch motivierte Beschulung von schwarzen und weißen Schülern in getrennten Schulen bis 1954.

Statt die Kapazitäten der öffentlichen Schulen zu erweitern, längst überfällige Sanierungen und Neubau von Schulen sowie bezahlbaren Wohnraum für alle zu finanzieren, steckt die Landesregierung Millionen in die Finanzierung von Tempo Homes, Massenunterkünften und „Lagerschulen“.

Die „Segregationsstrategie“ der CDU-Bildungssenatorin und die Kasernierungspolitik der SPD-Sozialsenatorin decken sich völlig mit der Bundespolitik der hermetischen Abschottung der EU-Außengrenzen.

Anfang März 2024 ist die Massenunterkunft erneut in die Schlagzeilen geraten: Ein Großbrand auf dem Gelände brachte erneut ins Bewusstsein, dass mitten in der deutschen Hauptstadt Geflüchtete unmenschlichen Zuständen ausgesetzt sind. Eine der 1.000 Quadratmeter großen Zelthallen stand in Flammen. Laut Betreiber soll es zu keinen schweren gesundheitlichen Schäden gekommen sein, aber die rund 300 Bewohner aus der Ukraine haben ihre wenigen persönlichen Sachen verloren.

Der Fall ruft unweigerlich die Erinnerung an die berüchtigte Massenunterkunft Moria auf der griechischen Insel Lesbos wach. Dass es nicht zu einer vergleichbaren Katastrophe wie 2020 in Moria kam, lag einerseits daran, dass der Brand tagsüber ausbrach, vor allem aber, dass die Lagerkapazität derzeit nicht ausgelastet ist.

Tareq Alaow, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, betonte: „Immer wieder haben wir in der Vergangenheit gewarnt, dass das Zusammenpferchen so vieler Menschen in prekären Unterkünften höchst gefährlich ist.“ Von den Bedenken und Warnungen der Hilfsorganisationen wie Ärzten lassen sich weder die Linkspartei (als sie in Regierungsverantwortung saß) noch SPD und CDU beeindrucken.

Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister der schwarz-roten Landesregierung, kündigte umgehend den Aufbau eines neues Großzeltes auf der Fläche der abgebrannten Zelthalle an. Darüber hinaus beschloss die Landesregierung Ende März – also keine zwei Wochen nach dem Großbrand –, die Aufnahmekapazität des Lagers auf 7.100 Plätze zu erweitern und den Lagerbetrieb bis einschließlich 2025 zu verlängern. Auch der Bau weiterer temporärer Unterkünfte und Containerdörfer sei in Planung.

Massenunterkünfte im Inland und Stacheldraht, Push Backs und Internierungslager an den europäischen Außengrenzen – das ist die rechtsextreme Asylpolitik der SPD-geführten Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz, die von den Landesregierungen unterstützt wird.

Angela Niklaus kandidiert für die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) bei den Wahlen zum Europaparlament. Verbreitet die Wahlerklärung der SGP und unterstützt unseren Wahlkampf.

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