Haftbefehl gegen Netanjahu untergräbt deutsche Kriegspropaganda

Der Antrag des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu und Joav Gallant zu erlassen, ist ein schwerer Schlag gegen die verlogene Kriegspropaganda der deutschen Regierung. Khan wirft dem israelischen Regierungschef und seinem Verteidigungsminister schwere Kriegsverbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung vor.

Karim Khan, Chefankläger des IStGH [Photo by Niederländisches Außenministerium / CC BY-SA 2.0]

Die Bundesregierung, die die Unterstützung Israels zur deutschen „Staatsräson“ erklärt hat, hat diese Verbrechen gerechtfertigt, Israel Waffen dafür geliefert und tut das auch weiterhin. Sie verleumdet jeden als Antisemiten, der die israelischen Kriegsverbrechen anprangert, und unterdrückt Proteste dagegen mit brutaler Gewalt.

Sowohl die israelische wie die US-Regierung, die die Autorität des Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen, haben die Haftbefehle aufs Übelste denunziert. Für die deutsche Regierung ist das ein Problem. Deutschland gehört zu den 123 Vertragsstaaten, die das Römische Statut des IStGH unterzeichnet haben. Es ist nach Japan der wichtigste Geldgeber des Gerichts.

Angesichts der bestialischen Verbrechen, die der deutsche Imperialismus im Zweiten Weltkrieg begangen hat, versucht er seine Rückkehr zu Militarismus und Großmachtpolitik mit einer Aura der Legalität zu bemänteln. Die Bundesregierung hat sich wiederholt auf den Strafgerichtshof berufen, um ihre Außenpolitik zu rechtfertigen. So begrüßte Bundesjustizminister Marco Buschmann noch vor einem Jahr einen internationalen Haftbefehl gegen Wladimir Putin und erklärte, man werde den russischen Präsidenten sofort festnehmen, falls er deutsches Territorium beträte.

Bestätigt das Gericht die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant, was Juristen für wahrscheinlich halten, wäre Deutschland vertraglich verpflichtet, die beiden zu verhaften, sobald sie deutsches Staatsgebiet betreten. Natürlich würde es das niemals tun. Doch missachten Regierung und Justiz die Haftbefehle, wäre der „politische Schaden“ gravierend, wie der Stern konstatiert: „Mit dieser Weigerung würde Deutschland die Autorität des Gerichts derart untergraben, dass es vermutlich künftig keine größere Relevanz mehr hätte.“

Nicht nur die Autorität des Gerichts würde Schaden nehmen, sondern auch die ohnehin lädierte Glaubwürdigkeit der Bundesregierung. Schon jetzt wachsen die Protestcamps und der Widerstand gegen den Genozid in Gaza trotz Einschüchterung und Repression. Setzt sich die Bundesregierung offen über internationales Recht hinweg und missachtet einen Haftbefehl gegen einen von ihr unterstützten Regierungschef, während sie Haftbefehle gegen politische Gegner begrüßt, würde dies ihre verlogene Propaganda weiter untergraben.

Die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant sind faktisch hervorragend fundiert. Sie wurden von international renommierten Juristen verfasst, denen selbst die israelfreundliche deutsche Presse keine Voreingenommenheit vorwerfen kann.

Der britische Jurist Karim Khan, der 2021 für neun Jahre zum Chefankläger des Strafgerichtshofs gewählt wurde, gilt als Experte für internationales Recht. Er war unter anderem als Berater der Anklage bei den UN-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda tätig und leitete zuletzt eine UN-Mission, die im Auftrag von UN-Generalsekretär António Guterres Verbrechen des Islamischen Staats (IS) untersuchte.

Bevor er die Haftbefehle beantragte, ließ Khan sie von einem Expertengremium prüfen, dem neben mehrfach ausgezeichneten britischen Juristen und der bekannten Anwältin Amal Clooney auch der jüdische Holocaustüberlebende Theodor Meron angehört, ein israelischer Staatsbürger und früherer Präsident des Internationalen Tribunals für Ex-Jugoslawien. Der Bericht der Experten, der online zugänglich ist, ist verheerend.

Sie schreiben, die Ankläger werfen Netanjahu und Gallant „das Kriegsverbrechen des ‚absichtlichen Aushungerns von Zivilisten als Methode der Kriegsführung‘“ vor, sowie „verschiedene andere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung“.

Dazu gehören die Kriegsverbrechen der „vorsätzlichen Zufügung großer Leiden oder schwerer Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit“ oder der grausamen Behandlung, der vorsätzlichen Tötung oder des Mordes und des vorsätzlichen Angriffs auf die Zivilbevölkerung. Die vorgeschlagenen Anklagen umfassen auch die Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Mord, Ausrottung und andere unmenschliche Handlungen… Das Gremium nimmt die Erklärung des Anklägers zur Kenntnis, dass andere mutmaßliche Verbrechen, auch im Zusammenhang mit der groß angelegten Bombenkampagne in Gaza, aktiv untersucht werden. ...

Die Experten gelangen einstimmig zum Schluss:

Nach Ansicht des Gremiums gibt es hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Verdächtigen diese Verbrechen begangen haben. Das Gremium ist auch der Ansicht, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass die Verbrechen im Rahmen eines weit verbreiteten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens im Rahmen der staatlichen Politik begangen wurden.

Am 20. Mai veröffentlichten die Experten einen gemeinsamen Artikel in der Financial Times, indem sie begründen, warum sie den Chefankläger des Strafgerichtshofs unterstützt haben. Darin schreiben sie:

Über Monate hinweg haben wir einen umfangreichen Prozess der Überprüfung und Analyse durchgeführt. Wir haben jeden einzelnen Antrag auf Haftbefehl sowie das von der Anklage zur Unterstützung der Anträge vorgelegte Material sorgfältig geprüft. Dazu gehören Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, offizielle Mitteilungen, Videos und Fotos. In unserem heute veröffentlichten Rechtsgutachten kommen wir einstimmig zu dem Schluss, dass die Arbeit der Anklage rigoros, fair und auf der Grundlage von Recht und Fakten erfolgte. Und wir sind einhellig der Meinung, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass die von ihr identifizierten Verdächtigen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen.

Die Experten unterstützen auch die Haftbefehle gegen drei Hamas-Führer, die Karim Khan zeitgleich mit den Haftbefehlen gegen Netanjahu und Gallant beantragt hat.

Die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant und ihre einstimmige Unterstützung durch ein hochrangiges Gremium von Völkerrechtsexperten haben großes moralisches Gewicht. Doch es wäre eine Illusion zu glauben, der Internationale Strafgerichtshof oder irgendeine andere juristische oder politische Institution werden den Völkermord in Gaza und die Kriegspolitik der Großmächte stoppen.

Diese bereiten einen dritten Weltkrieg vor, weil die tiefe Krise des kapitalistischen Systems ihnen – wie 1914 und 1939 – keinen anderen Ausweg lässt als die gewaltsame Neuaufteilung der Welt und die Unterdrückung jeder politischen und sozialen Opposition. Davon wird sie kein Haftbefehl und kein Gerichtsurteil abhalten.

Der einzige Weg, den Genozid in Gaza, den Nato-Krieg in der Ukraine und die Kriegsvorbereitungen gegen China zu stoppen, ist die Mobilisierung und Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für ein sozialistisches Programm.

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