Nato-Gipfel in Washington: Pläne für ein Ukraine-„Kommando“

Das von den USA angeführte Militärbündnis wird bei seinem Gipfeltreffen in Washington in dieser Woche ein eigenes Kommando für den Krieg gegen Russland in der Ukraine einrichten. Dies kündigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag an.

Stoltenberg erklärte, dass „die Nato die Koordinierung und Bereitstellung des größten Teils der internationalen Sicherheitshilfen [für die Ukraine] übernehmen wird“, und zwar unter einem Kommando, das von einem Drei-Sterne-General geleitet werde. Zusätzlich würden rund 700 Kräfte der Nato sowie aus Partnerländern eingebunden.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf einem Luftwaffenstützpunkt in Tallinn am 1. März 2022 [AP Photo/Leon Neal]

Zusätzlich zu den Maßnahmen, die Stoltenberg am Freitag ankündigte, deuten Berichte in der US-Presse darauf hin, dass die Nato einen hochrangigen zivilen Vertreter innerhalb der Ukraine selbst einsetzen und möglicherweise offiziell eine „Nato-Mission Ukraine“, wie sie intern genannt wird, ins Leben rufen werde.

Immer wieder propagierten US-Präsident Biden und die anderen Nato-Regierungschefs, dass die Nato in der Ukraine keine Kriegspartei sei. Die jüngsten Maßnahmen – sowohl die schon angekündigten als auch die noch nicht angekündigten – werden diesem Märchen ein Ende setzen.

Als die Biden-Regierung 2022 und 2023 die Ukraine mit Waffen überschüttet und den Konflikt mit Russland eskaliert hat, behaupteten die USA, die Ukraine werde nicht von der Nato bewaffnet, sondern von einzelnen Ländern auf individueller Basis.

Die damalige Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, erklärte im Mai 2022: „Das ist ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Die Nato ist daran nicht beteiligt.“

Doch beim Gipfeltreffen in Washington soll diese Fiktion offiziell fallengelassen werden. Das Wall Street Journal zitiert einen Vertreter der US-Regierung mit den Worten: „Da die Nato-Verbündeten mehr als 90 Prozent der gesamten Sicherheitshilfen für die Ukraine bereitgestellt haben, ist die Nato der natürliche Ort, um die Hilfen zu koordinieren und sicherzustellen, dass die Ukraine sich heute und in Zukunft besser verteidigen kann.“

Bisher wurde die Bewaffnung der Ukraine und die Koordinierung des Kriegs durch die Nato-Mächte im Rahmen der Ukraine Defense Contact Group, einer informellen Gruppe von 50 Ländern unter Führung der USA, abgewickelt.

Beim Gipfeltreffen in Washington wird die Funktion dieser Gruppe durch die direkte Koordinierung des Kriegs durch die Nato abgelöst werden.

Reuters berichtete unterdessen, dass die Ankündigung einer offizielle Nato-„Mission“ in der Ukraine im Rahmen des Gipfels aktiv diskutiert werde:

Einige Vertreter benutzten anfangs das Wort „Mission“, um die neuen Schritte zu beschreiben, die voraussichtlich unter dem Kommando eines in Deutschland stationierten Drei-Sterne-Generals der Nato stehen sollen. Sie bezogen sich darauf unter der Abkürzung NMU, d. h. „Nato-Mission Ukraine“.

Stoltenberg erklärte, die Schaffung eines Nato-Kommandos sei für die Ukraine „eine Brücke zur Nato-Mitgliedschaft“.

Auf dem Nato-Gipfel im litauischen Vilnius im letzten Jahr erklärte die Nato in ihrem Kommuniqué, die „Zukunft der Ukraine liegt in der Nato“. Das Wall Street Journal berichtete Anfang letzter Woche, dass das diesjährige Kommuniqué diese Formulierung ausweiten und „das Gesuch der Ukraine für einen Nato-Beitritt wahrscheinlich als ,unumkehrbar‘ bezeichnen“ werde.

In seiner Darstellung der militärischen Aufrüstung Europas gegen Russland erklärte Stoltenberg: „Russlands Aggression gegen die Ukraine begann bereits 2014“ und nicht mit der Invasion der Ukraine im Jahr 2022.

Stoltenberg erklärte, seit dem Jahr 2014

hat sich die Nato grundlegend verändert. Heute haben wir 500.000 Soldaten in erhöhter Alarmbereitschaft, erstmals einsatzbereite Kampfgruppen im östlichen Teil des Bündnisses, mehr High-End-Fähigkeiten, darunter Flugzeuge der fünften Generation, und mit Finnland und Schweden zwei äußerst engagierte neue Mitglieder.

Stoltenberg erklärte, dass „die Verbündeten eine Zusage zur Stärkung der transatlantischen Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie geben werden, um die Produktion anzukurbeln. Wir werden zudem unsere Fähigkeiten zur Abwehr ballistischer Raketen mit einer neuen Aegis-Ashore-Basis in Polen weiter verbessern“.

Stoltenberg verwies auf die massive Aufrüstung in der gesamten Nato hin und erklärte stolz: „Die Verteidigungsausgaben der europäischen Verbündeten und Kanadas sind alleine in diesem Jahr um 18 Prozent gestiegen, der größte Zuwachs seit Jahrzehnten.“

Das Gipfeltreffen findet vor dem Hintergrund einer massiven Erweiterung der Nato statt. In einem Artikel, der vorab in Foreign Affairs veröffentlicht wurde, erklärte Stoltenberg:

Wir haben eine halbe Million Soldaten in allen Bereichen – Land, See, Luft, Weltraum und Cyberspace – in hoher Bereitschaft, um jeden Nato-Verbündeten jederzeit zu verteidigen. Sie trainieren eine nahtlose Zusammenarbeit in großen und anspruchsvollen Übungen, wie der diesjährigen Übung Steadfast Defender, bei der nordamerikanische Truppen den Atlantik überquert und quer durch Europa vorgerückt sind. An den Übungen, die gemeinsam mit europäischen Truppen durchgeführt wurden, waren insgesamt über 90.000 Soldaten beteiligt.

Im Vorfeld des Gipfeltreffens forderten Vertreter der US-Regierung die Aufhebung aller Beschränkungen für eine direkte Beteiligung der USA am Konflikt. Der republikanische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des US-Repräsentantenhauses, Michael R. Turner, äußerte gegenüber der Washington Post: „Hört auf damit, die Ukraine, mit einem Arm am Rücken gefesselt, kämpfen zu lassen. Sie hindern die Ukraine künstlich daran, sich zu verteidigen.“

Turner forderte die ausdrückliche Zustimmung der USA zu Angriffen mit Nato-Waffen auf Ziele tiefer im Inneren Russlands: „Die Ukraine braucht Informationen über zulässige militärische Ziele im Inneren Russlands und die Erlaubnis, sie anzugreifen.“

Die demokratische Senatorin Jeanne Shaheen fügte hinzu: „Wir müssen weiterhin parteiübergreifend signalisieren, dass Russland kein Veto bei den Bestrebungen der Ukraine für eine Nato-Mitgliedschaft hat.“

Letzte Woche wurden die US-Basen in ganz Europa in höchste Alarmbereitschaft außerhalb des Kriegszustands versetzt, was laut New York Times eine Reaktion auf „Drohungen des Kremls wegen des Einsatzes von Langstreckenwaffen auf russischem Gebiet durch die Ukraine“ war.

Im April begann die Biden-Regierung, der Ukraine ATACMS-Langstreckenraketen zu liefern. Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, erklärte später, die USA hätten der Ukraine erlaubt, die von den USA gelieferten Waffen für Angriffe „überall“ auf russischem Staatsgebiet zu nutzen.

CNN berichtete letzten Monat, die Biden-Regierung sei dabei, ein Verbot der direkten Tätigkeit von privaten Militärdienstleistern in der Ukraine aufzuheben, was die direkte militärische Beteiligung der USA an dem Krieg noch weiter ausweiten würde.

Das Center for Strategic and International Studies veröffentlichte eine Vorschau auf den Nato-Gipfel unter dem Titel „Ist die Nato kriegsbereit?

Darin heißt es:

Die Nato mag kriegsbereit sein, doch bleibt die Frage, ob sie bereit ist, zu kämpfen und dadurch einen langwierigen Krieg zu verhindern. Um dieses Ziel zu erfüllen, müssen die Verbündeten noch mehr Geld ausgeben [und] ihre industriellen Kapazitäten ausbauen.

Der Nato-Gipfel in Washington findet vor dem Hintergrund einer wachsenden politischen Krise in den USA statt. In der Demokratischen Partei mehren sich die Forderungen, Biden solle sich als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei zurückziehen.

Zur Verteidigung seiner bisherigen Amtszeit wies Biden auf die Eskalation des US-Nato-Konflikts mit Russland hin und erklärte: „Ich bin derjenige, der Putin abgeschossen hat. … Ich war auch derjenige, der die Nato erweitert hat.“

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