Die Turbulenzen an der Wall Street und auf den Weltmärkten unterstreichen die extreme Fragilität des Weltfinanzsystems. Grund sind Spekulationen und ein Finanzparasitismus, den die US-Notenbank und andere Zentralbanken durch das Bereitstellen billigen Geldes zusätzlich anheizen.
Der Montag begann mit einem weiteren Ausverkauf in Japan, wo die Tokioter Börse Rekordhöhen verzeichnete. Der Nikkei-225-Index, der am letzten Freitag seinen schlimmsten Tag seit dem Crash im Oktober 1987 erlebt hatte, fiel um weitere 5,9 Prozent. Er lag damit mehr als 20 Prozent unter seinem Allzeithoch im letzten Monat. Der Rückgang vom Freitag um mehr als 4.451 Punkte war der größte in seiner Geschichte.
Der Kurssturz war eine Reaktion auf die Entscheidung der japanischen Notenbank von letzter Woche, den Leitzins in den positiven Bereich anzuheben und damit das seit mehr als anderthalb Jahrzehnten bestehende Nullzinsregime zu beenden.
An der Wall Street kam es darauf am Freitag zu einem deutlichen Ausverkauf, gefolgt von einem Absturz bei Handelsbeginn am Montagmorgen, der sich am stärksten im High-Tech-Sektor ausdrückte. Noch im Juli hatte dieser Sektor die Börse zu Rekordhöhen geführt. Am Nachmittag erholten sich die Aktien etwas, waren aber auf breiter Front im Minus. Der Dow verlor mehr als 1.000 Punkte und beendete den Tag mit einem Minus von 2,6 Prozent. Die NASDAQ fiel um 3,43 Prozent, und der S&P 500 um 3 Prozent. Für den Dow und den S&P 500 war es der größte Rückgang seit September 2022.
Die Kursverluste konzentrierten sich auf die Hightech-Aktien, die Gegenstand starker Spekulationen sind. Von Anfang des Jahres bis Juli entfielen 52 Prozent des Anstiegs im S&P 500 Index auf die Handvoll Unternehmen, die als die „glorreichen Sieben“ bekannt sind: Apple, Microsoft, Alphabet (Muttergesellschaft von Google), Tesla, Meta (Muttergesellschaft von Facebook) und Nvidia.
Die Aktien von Intel brachen am Freitag, nach der Entscheidung des Konzerns, 15.000 Stellen zu streichen, um 26 Prozent ein. Hart getroffen wurde auch Nvidia, das Chips herstellt, die häufig bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) eingesetzt werden. Die Aktien dieses Unternehmens fielen zu Handelsbeginn um 15 Prozent, erholten sich im Laufe des Tages wieder ein wenig und beendeten den Tag mit einem Minus von 6 Prozent. Seit ihrem Höchststand im Juni sind die Nvidia-Aktien um rund 30 Prozent eingebrochen.
Auch Apple musste einen Rückschlag einstecken, nachdem Warren Buffett, Chef des Fonds Berkshire Hathaway, bekannt gegeben hatte, dass er im zweiten Quartal die Hälfte seiner Apple–Aktien im Wert von 76 Milliarden Dollar verkauft und das Geld in Staatsanleihen investiert habe.
Die Erwartung anhaltender Turbulenzen spiegelt sich im Volatilitätsindex Vix wider, der an der Wall Street als „Angstbarometer“ gilt. Am Montagmorgen stieg er auf bis zu 65 Punkte, nachdem er in den letzten Wochen noch im einstelligen Bereich gelegen hatte.
Der Ausverkauf ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Dazu gehören das Platzen der KI-Blase, ein Rückschlag für den so genannten „Carry-Trade“ (eine auf dem Yen basierende Strategie im Devisenhandel) und die Befürchtung, dass die US-Wirtschaft in eine Rezession abrutschen könnte.
Die Entwicklung künstlicher Intelligenz stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Technologie und der Entwicklung der Produktivkräfte dar. Aber wie alle derartigen Fortschritte – man erinnere sich nur an die Internetblase der frühen 2000er Jahre, die zum so genannten „Tech-Crash“ führte – weckte auch dieser Fortschritt eine zügellose Spekulation, die auf übertriebenen Erwartungen über die Bedeutung der KI für das Wirtschaftswachstum beruhte. Eine Flut von Geldern floss in den Erwerb von Aktien des Hightech-Sektors, denn die Angst war groß, man könnte Spekulationsgewinne verpassen.
Die Entscheidung der japanischen Notenbank, die Zinssätze anzuheben, um die Talfahrt des Yen auf den Devisenmärkten zu stoppen, hat die globale Vernetzung des Finanzsystems deutlich gemacht. Sie hat sich unmittelbar auf die Wall Street ausgewirkt. Der daraus resultierende Wertanstieg des Yen gegenüber dem Dollar um mehr als 11 Prozent in den letzten Tagen hat dem Carry-Trade einen Schlag versetzt. Über den Carry-Trade in Japan leihen Anleger Geld, um es an den US-Märkten anzulegen und von der Zinsdifferenz zwischen Yen und Dollar zu profitieren. Doch nun ist der Yen von Anfang Juli bis Montag im Vergleich zum Dollar von 1:161,96 auf 1:143,46 gestiegen.
Eine von Reuters publizierte Analyse legt nahe, dass ein Großteil der Investitionen in die High-Tech-Aktien, die diese auf Rekordhöhen trieben, durch Carry-Trades finanziert worden waren. Die Analyse legt zwar keine genauen Zahlen vor, aber die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schätzt, dass die grenzüberschreitende Kreditaufnahme in Yen seit Ende 2021 um 742 Milliarden Dollar gestiegen ist.
Auf diesen Prozess wies Kit Juckes, Chef-Devisenstratege der Société Générale, in einer Mitteilung hin. Er schrieb: „Man kann den größten Carry-Trade, den die Welt je gesehen hat, nicht auflösen, ohne ein paar Köpfe einzuschlagen.“
Ein weiterer Faktor ist die immer größere Angst vor einer Rezession in den USA. Ein Bericht über den amerikanischen Arbeitsmarkt, der am Freitag veröffentlicht wurde, hat diese Angst angeheizt. Daraus geht hervor, dass im Juli 2024 nur 114.000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, was deutlich unter den Erwartungen von 175.000 Arbeitsplätzen lag. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosenquote auf 4,3 Prozent. Es ist ein Anstieg von dem vorherigen Tiefstand der Quote um 0,6 Prozent. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die so genannte Sahm-Regel, die besagt, dass eine Rezession droht, wenn der gleitende Dreimonatsdurchschnitt um mindestens einen halben Prozentpunkt über dem Tiefstand der vorangegangenen zwölf Monate liegt.
Der Ausverkauf am Markt kommt einem Appell des Finanzkapitals gleich, die Federal Reserve solle die Zinssätze senken, um das Geld billiger zu machen. Es ist ein Ausdruck großer Unzufriedenheit mit der Entscheidung der Fed vom vergangenen Mittwoch, die Zinssätze beizubehalten. An der Börse ist die klare Ankündigung der Fed, die Zinsen im September zu senken, zunächst begrüßt worden, doch inzwischen wird sie als unzureichend bezeichnet.
Der allgemeine Ruf lautet: Gebt uns mehr Geld.
Zusätzlich zu den unmittelbaren Problemen, die den Sturz ausgelöst haben, sind noch andere starke Kräfte am Werk. Mit den von Israel letzte Woche verübten Morden an Führern der Hamas und der Hisbollah ist die Wahrscheinlichkeit eines umfassenden Krieges im Nahen Osten deutlich gestiegen.
Was die Finanzmärkte ganz allgemein belastet, ist die Eskalation der US-Staatsverschuldung, die sich inzwischen auf rund 35 Billionen Dollar beläuft. Sie steigt in einem Tempo, das sowohl das US-Finanzministerium als auch die Fed als „unhaltbar“ bezeichnen.
Es ist nicht möglich, den genauen Verlauf der Ereignisse vorherzusagen, aber die Tendenzen sind klar erkennbar. Aus dem amerikanischen und dem globalen Finanzsystem ist ein Kartenhaus geworden, das schon durch scheinbar geringfügige Entwicklungen destabilisiert und zum Einsturz gebracht werden kann.
Es steht außer Frage, auf welche Weise die herrschende Klasse auf diese Krise reagieren wird. Wie die bitteren Erfahrungen von 2008 und 2020 zeigen, wird sie die Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärfen.
Im Jahr 2008 verloren Millionen Arbeiter ihren Arbeitsplatz oder ihren guten Lohn oder selbst ihr Haus. Viele Häuser wurden beschlagnahmt, während die Konzerne und Banken, die die Krise ausgelöst hatten, mit Milliarden von Dollar an Bailouts und billigem Geld von der Fed belohnt wurden. Und im Jahr 2020, als Corona ausbrach, floss die staatliche Hilfe erneut an die Unternehmen, und die Fed stellte ultrabilliges Geld bereit, das den Treibstoff für weitere Spekulationen lieferte, während die Regierung sich weigerte, sinnvolle Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen, um das Virus zu stoppen.
Wie auch immer sich die jüngsten Turbulenzen entwickeln, sie sind ein Gradmesser der Todeskrise des kapitalistischen Systems. Diese schwebt wie ein Damoklesschwert über der Arbeiterklasse und bedroht sie mit sozialer Verwüstung. Dies unterstreicht, dass es objektiv notwendig ist, einen politischen Kampf für den Sozialismus aufzunehmen.
