In der deutschen Auto- und Zulieferindustrie entwickelt sich ein Arbeitsplatzmassaker. Kontinuierlich werden Arbeitsplätze abgebaut, Woche für Woche werden es mehr. Während Wirtschaftsexperten und Börsen-Analysten Alarm schlagen und sich um die Dividenden ihrer reichen Kundschaft sorgen, bleibt die IG Metall stumm und setzt die Angriffe vor Ort durch.
Die großen Konzerne hatten begonnen, die Umstellung auf die Elektromobilität für eine weitere Kostenreduzierung – das heißt Profitmaximierung – zu nutzen, indem sie Arbeitsplätze abbauen und Kosten auf die Zulieferer abwälzen, die dadurch in ihrer Existenz bedroht sind.
Doch inzwischen kommen die großen Autokonzerne selbst unter Druck, weil die Nachfrage nach Elektroautos in Deutschland und ganz Europa bestenfalls stagniert, anstatt zu steigen, und zudem vor allem chinesische Hersteller gleichwertige, aber günstigere Autos auf den Markt bringen.
Der Datenspezialist Marklines hat für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) eine Auswertung zur Auslastung der deutschen Auto-Werke im Jahr 2023 erstellt. Danach waren sie im Schnitt nur zu etwas mehr als zwei Dritteln ausgelastet. Die Auslastung variiert von knapp 100 Prozent bei Porsche in Stuttgart und 90 Prozent bei Audi in Ingolstadt bis runter zu 30 Prozent der möglichen Kapazität bei Opel in Eisenach. Mehre große Standorte seien nur rund zur Hälfte ausgelastet gewesen, darunter das Stammwerk von VW in Wolfsburg und das Tesla-Werk in Grünheide bei Berlin.
Diese Entwicklung setzte sich in diesem Jahr fort. Die großen Autohersteller haben daher umgehend schärfere Angriffe auf die Beschäftigten angekündigt. Hier nur die wichtigsten Entwicklungen der letzten zwei bis drei Wochen.
Volkswagen-Chef Oliver Blume hat kürzlich die Verschärfung seines harten Sparkurses in den Werken angekündigt. „Es geht um Kosten, Kosten, Kosten“, so der Chef von weltweit fast 700.000 Beschäftigten. Der Sparzwang gelte „besonders bei der Kernmarke Volkswagen“. Die Rendite dort sank laut Blume im zweiten Quartal dieses Jahres auf 2,3 Prozent. Ziel sind aber 6,5 Prozent schon übernächstes Jahr. In Deutschland seien deshalb Maßnahmen ergriffen worden, „um die Kapazitäten um 25 Prozent zu reduzieren“, darunter z. B. die Umstellung von drei auf zwei Schichten.
Selbst die Premiummarken sind von dieser Entwicklung nicht verschont. Die Schließung des Audi-Werks in Brüssel, in dem rund 3000 Beschäftigte den Q8 e-tron produzieren, wird aktuell vorbereitet.
Der Vorstandsvorsitzende von Stellantis, Carlos Tavares, hat angekündigt, dass möglicherweise einige der 14 Marken des weltweit viertgrößten Automobilherstellers in Zukunft eingestellt werden. Reuters zitierte ihn mit den Worten: „Wenn sie kein Geld einbringen, werden wir sie stilllegen. Wir können es uns nicht leisten, Marken zu haben, die kein Geld einbringen.“
Stellantis vereint aktuell die Marken Citroën, Peugeot, DS Automobiles, Opel/Vauxhall, Ram, Dodge, Chrysler, Jeep, Fiat, Lancia, Abarth, Alfa Romeo und Maserati. Spekuliert wird, dass möglicherweise Maserati verkauft und Marken wie Chrysler, Lancia, Alfa Romeo oder DS Automobiles geschlossen werden.
Der US-Autobauer Tesla hat bekanntgegeben, die geplante Erhöhung der Produktionskapazität des Werks im brandenburgischen Grünheide bei Berlin von derzeit 250.000 auf 1 Million Fahrzeuge pro Jahr vorerst auf Eis zu legen. Werksleiter André Thierig sagte der dpa: „Wir werden nicht mehrere Milliarden für den Ausbau der Fabrik in die Hand nehmen, ohne dass die Signale ganz klar sind, dass das vom Markt auch abgefragt wird.“
Auch der weltweit größte Lkw-Hersteller, Daimler Truck, spart angesichts sinkender Umsätze vor allem in Asien und Europa. Voraussichtlich rund die Hälfte der rund 12.000 Beschäftigten am Hauptsitz in Wörth (Baden-Württemberg) werden ab September an mehreren Tagen in Kurzarbeit geschickt. Bereits jetzt werde die aktuelle Urlaubszeit genutzt, um die Produktion zu drosseln.
Der sinkende Absatz der Hersteller potenziert den ohnehin geplanten Stellenabbau bei den Zulieferern. So hat ZF den größten Stellenabbau seiner Geschichte angekündigt. Bis 2028 soll jede vierte Stelle in Deutschland wegfallen, Standorte sollen fusioniert werden. In den nächsten zwei Jahren sollen mit dem Abbau von bis zu 14.000 Stellen 6 Milliarden Euro eingespart werden.
Bei Bosch werden weltweit rund 3000 Stellen allein im Mobility Bereich gestrichen, in Deutschland fallen insgesamt 3500 Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer.
Der Autozulieferer und Reifenhersteller Continental hatte bereits den Abbau von 7150 Jobs in der Autosparte angekündigt, davon 5400 in der Verwaltung und 1750 in der Forschung und Entwicklung, um bis 2025 die jährlichen Kosten der Sparte um 400 Millionen Euro zu senken. Am Montag verkündete Conti, das Autozuliefergeschäft separat im Rahmen eines sogenannten Spin-Offs an die Börse zu bringen. Die profitable Reifensparte und Kunststofftechnik wäre dann vom Verlust schreibenden Geschäft mit Bremsen, Elektronik, Displays und sonstigen Teilen für die Autoindustrie getrennt.
Während die großen Zulieferer sparen, kämpfen viele kleinere Zulieferer ums Überleben. Jede Woche werden neue Insolvenzen gemeldet.
Zuletzt traf es den traditionsreichen Sitzhersteller Recaro in Baden-Württemberg. 215 Beschäftigte sind von der Insolvenz in Eigenverwaltung betroffen. Management, IG Metall und Betriebsrat arbeiten in den kommenden Wochen Kürzungen für die Beschäftigten aus, um dann den Betrieb weiterzuführen.
Die Firma BBS Autotechnik, bekannt durch seine Leichtmetallfelgen, ist bereits zum fünften Mal seit 2007 insolvent. BBS hatte erst Anfang Juli das insolvente Werk von Superior Industries in Werdohl (NRW) gekauft.
Für die Firma Flabeg Automotive aus Nürnberg, die sich auf Glasveredelung und -biegung spezialisiert hat, wurde nach 2020 am Montag erneut ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Entlassungen im vergangenen Jahr sind aktuell knapp 190 Beschäftigte betroffen.
Die Thyssenkrupp Automotive Body Solutions will in Deutschland wegen nachlassender Nachfrage rund 400 Stellen streichen. Betroffen ist hauptsächlich der Standort Lockweiler, der Bauteile und Maschinen zum Karosseriebau anbietet. Der Mutterkonzern Thyssenkrupp plant stattdessen, die Standorte in Indien, China, Polen, Portugal und in den USA zu erweitern.
Die Rolle der IG Metall
Die Manager und Vorstände können sich bei diesem Kahlschlag fest auf die IG Metall und ihre Betriebsräte stützen.
So sind neben der Kurzarbeit bei Daimler Truck weitere Sparmaßnahmen in Vorbereitung. Daimler-Truck Chef Martin Daum erklärte, er plane zunächst einen Einstellungsstopp, also einen Arbeitsplatzabbau auf demografischem Weg, anschließend weitere Kürzungen. Welche das sind, verriet er nicht. Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht unterstützt Daum. Er sagte dem SWR, man habe gute Regelungen mit dem Unternehmen vereinbart. Wichtig sei, dass der Hersteller diese Phase gut überstehe und bei anziehender Nachfrage wieder Gas geben könne.
Bei Flabeg hat Insolvenzverwalter Volker Böhm laut einer Pressemitteilung bereits „erste gute und konstruktive Gespräche“ mit Betriebsräten, Lieferanten und Kunden geführt. Böhm meldet, „dass es eine große Bereitschaft gibt, bei der Sanierung an einem Strang zu ziehen“. Er sehe deshalb gute Chancen für die Sanierung. Die „Sanierung“ werden die Beschäftigten mit Einschnitten bei Löhnen, Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen tragen.
Das gleiche gilt für die Arbeiterinnen und Arbeiter bei Recaro. Sie haben über mehrere Jahre hinweg durch Verzicht und Verschiebung von Entgelten die Profite abgesichert, nun werden sie im Zuge des Insolvenzverfahrens erneut zur Kasse gebeten, um die Unternehmensgewinne sicherzustellen.
Überall arbeiten die IG Metall und ihre Betriebsräte jeweils nach Standorten getrennt daran, die Kürzungen oder Schließungen umzusetzen. Die Gewerkschaft denkt nicht daran, ihre über 1,5 Millionen Mitglieder in den Betrieben (rund eine halbe Million Mitglieder sind in Rente) zu mobilisieren, um das aufziehende Jobmassaker abzuwehren. Gelegenheit dazu hätte sie in der nächsten Monat beginnenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie.
Die rund vier Millionen Beschäftigten dort, davon rund 800.000 in der Auto- und Zulieferindustrie, haben bewiesen, dass sie kampfbereit sind. Doch die IG Metall hat bereits ihre Absicht klar gemacht, erneut durch niedrige Reallöhne und den Abbau von Arbeitsplätzen die Kosten der Konzerne zu senken. Deshalb fordert sie nur 7 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Herauskommen wird ein Abschluss, der irgendwo zwischen drei und vier Prozent liegt – in zwei Stufen bei einer Laufzeit von mindestens 24 Monaten.
Um die Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und die Löhne zu verteidigen, müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, in denen die Basis entscheidet und die über die Standorts-, Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten. Sie müssen vom Grundsatz ausgehen, dass die sozialen Interessen der Arbeiter höher stehen als die Profitinteressen der Konzerne.
Wir rufen daher alle Beschäftigten der Autohersteller und -zulieferer auf, sich dazu mit uns in Verbindung zu setzen. Schreibt uns eine Whatsapp-Nachricht an folgende Nummer: +49 163 33 78 340 und registriert euch über das untenstehende Formular.