Am Samstag demonstrierten hunderttausende Menschen gegen die Entscheidung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Michel Barnier zum Oberhaupt einer rechten, vom neofaschistischen Rassemblement National (RN) unterstützten Regierung zu ernennen. In Paris protestierten zehntausende, und weitere tausende in Dutzenden französischer Städte. Der Aufruf stammte von Jean-Luc Mélenchons Partei Unbeugsames Frankreich, der stärksten Kraft des Wahlbündnisses Neue Volksfront, das die Wahl am 7. Juli gewonnen hatte.
In den von WSWS-Reportern geführten Interviews mit Demonstranten zeigt sich die Opposition unter Jugendlichen und Arbeitern gegenüber der neuen Regierung zeigt, die sich als erste nach dem Vichy-Kollaborationsregime offen auf den Rückhalt der extremen Rechten stützt. Die Regierung von Macron und Barnier hat ein faschistoides Programm vorgelegt, das weitere Angriffe auf Immigranten, verschärfte Sparpolitik, weitere Rentenkürzungen und Unterstützung für die Nato vorsieht. Sie plant außerdem die Entsendung von Truppen in den Ukrainekrieg gegen Russland und unterstützt Israels Völkermord im Gazastreifen.
Obwohl die Demonstranten größtenteils mit LFI sympathisierten, kritisierten sie auch Mélenchon. Er hatte die NFP mit sozialdemokratischen, grünen und stalinistischen Kräften aufgebaut und ging dann mit Macron ein Bündnis zur Wahl am 7. Juli ein, angeblich um einen Sieg des RN zu verhindern. Diese Strategie hat sich als völlig falsch erwiesen. Nach mehrwöchigen Verhandlungen und Hinterzimmergesprächen mit dem RN hat sich Macron über das Wahlergebnis hinweggesetzt, die Ernennung eines NFP-Premierministers verweigert und stattdessen eine Regierung eingesetzt, die vom RN unterstützt wird.
Jordi, der in Paris studiert, erklärte gegenüber der WSWS, er wolle „zeigen, dass in der Bevölkerung in manchen Fragen großer Widerstand herrscht. Macrons Entscheidung für diesen Premierminister und sein Verhalten während der letzten Monate nach der Wahl dürfen wir nicht hinnehmen. Es passt zu dem Klima, den geopolitischen und sozialen Problemen, die wir in Frankreich haben.“
Zu den palästinensischen Flaggen, die viele Demonstranten trugen, um gegen den Völkermord des israelischen Regimes im Gazastreifen zu protestieren, erklärte Jordi: „Wir erleben, wie sich Dinge wiederholen. Manches kann man mit dem Vichy-Regime vergleichen, es erinnert einiges an die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg, nationalistische und rechtsextreme Ansichten und die Ablehnung von allen, die anders sind.“
Romand und Jasmine, ebenfalls Studierende, sprachen über ihre Wut auf Macron und ihre Bedenken gegenüber der NFP. Romand erklärte: „Macron hat einen rechten Premierminister ernannt, dessen Ansichten denen der extremen Rechten sehr nahekommen. Im Wahlkampf hatte er so getan, als würde er sich an einer demokratischen Front beteiligen, um die Neofaschisten aufzuhalten. Das war meiner Meinung nach von Macron die schlimmste Heuchelei.“
Auf die Frage, ob man Faschismus durch ein Bündnis mit Macron und der kapitalistischen Sozialistischen Partei (PS) bekämpfen kann, wie es Mélenchon vorschlägt, antwortete Romand: „Das ist eine sehr ernste Frage. Barniers Programm deckt sich mit dem von [RN-Führerin] Marine Le Pen. Ja, das sind eindeutig Ansichten, die von Marine Le Pen stammen.“
Jasmine erklärte: „Was die NFP angeht, da war ich wirklich sehr froh, dass sie es geschafft haben, vereint aufzutreten. ... Nachdem [die NFP] die Wahl gewonnen hatte, waren Leute wie ich sehr glücklich. Und jetzt kann man sagen, dass große Desillusionierung herrscht.“
Edith, eine ehemalige Lehrerin und früheres Mitglied der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreich (KPF), bezeichnete Macron als „völlig korrupt, verkommen.“ Sie fügte hinzu, sie habe die Politik der NFP nicht unterstützt, Kandidaten zurückzuziehen und stattdessen Kandidaten von Macrons Partei zu unterstützen, angeblich um die Machtübernahme des RN zu verhindern. Mélenchon und die NFP haben dabei geholfen, Abgeordneten den Sieg zu verschaffen, die jetzt für eine vom RN unterstützte Regierung stimmen.
Sie erklärte: „Das fand ich überhaupt nicht richtig, deshalb ist mir jetzt unbehaglich. Obwohl LFI meine politische Heimat ist, gibt es dort Dinge, die mir nicht gefallen. Ich wollte eine demokratische Front [gegen den RN], und jetzt stecken wir in der Sackgasse. Die Kandidaten, die wir aufgestellt haben, hätten bis zum Schluss kandidieren sollen. Wir sollten nicht überrascht sein, dass uns das jetzt auf die Füße fällt.“
Edith gab zu, dass die Gewerkschaftsbürokratien aus dem Umfeld der NFP eine zentrale Rolle dabei gespielt haben, die Massenproteste gegen Macrons illegitime Rentenkürzungen letztes Jahr abzuwürgen. Sie erklärte: „Ich stimme euch zu, dass die Gewerkschaften der Aufgabe nicht gewachsen waren. Sie haben gedacht, zwei oder drei Protestveranstaltungen – selbst mit Millionen von Teilnehmern – wären genug... Die Gewerkschaftsfunktionäre auf den obersten Rängen sind in gewisser Weise Teil des Establishments.“
Auf die Frage der WSWS nach dem Rückhalt der NFP für Macrons hochgradig unpopuläre Forderung, das ukrainische Regime in seinem Krieg gegen Russland mit Truppen zu unterstützen, erklärte Edith, Frankreich „hat für Geld für die Ukraine gestimmt, aber das hätten wir nie tun dürfen. Wir hätten viel entschlossener sein müssen. Die Ukrainer haben, mit Unterstützung durch die Amerikaner, alles getan, um die Region zu destabilisieren... Die Linke hätte viel energischer auftreten sollen, sie hat nichts gesagt und nicht offen erklärt, welche Kräfte aktiv waren.“
Ediths Äußerungen weisen darauf hin, dass Arbeiter und Jugendliche über Mélenchon und seine ganze pseudolinke Peripherie aus kleinbürgerlichen Parteien und Gewerkschaftsbürokratien desillusioniert sind. Diese Kräfte haben es abgelehnt, die Millionen Arbeiter zu mobilisieren, die für sie gestimmt haben, weil 90 Prozent der französischen Bevölkerung Macrons Politik – Krieg gegen Russland, Völkermord im Gazastreifen und Rentenkürzungen im Inland – ablehnen. Während Macron den ganzen Sommer über daran arbeitete, das Wahlergebnis zu kippen, rief Mélenchon die Arbeiter nicht einmal zu einem Streik zu seiner Unterstützung auf.
Es gibt zwei grundlegend unterschiedliche Perspektiven, wie Arbeiter und Jugendliche das Hindernis überwinden können, das der Bankrott Mélenchons und seiner politischen Peripherie darstellt.
Dass sich unter Führung Macrons und des RN ein Polizeistaat herausbildet, den Mélenchon mit heraufbeschworen hat, verdeutlicht, dass die Demokratie auf kapitalistischer Grundlage unmöglich verteidigt werden kann. Die Verteidigung grundlegender sozialer und demokratischer Rechte erfordert einen Kampf für den Sozialismus, in dem die Arbeiterklasse im Kampf gegen imperialistischen Krieg, Völkermord und Kapitalismus mobilisiert wird. Ein solcher Kampf ist notwendigerweise international und erfordert einen vereinten revolutionären Kampf der Arbeiter in Frankreich und anderen Ländern.
Edith, die sich an der Geschichte und den Perspektiven der KPF orientiert, bezeichnete sich als skeptisch gegenüber dem Internationalismus. Stattdessen äußerte sie aus Desillusionierung mit Mélenchon gewisse Sympathien für Florian Philippot, einen ehemaligen hochrangigen Berater von RN-Führerin Marine Le Pen.
Sie erklärte: „Es stimmt, dass ich LFI noch immer nahestehe, aber ich habe auch an mehreren Protestveranstaltungen teilgenommen, die von Philippot angeführt wurden.“ Sie erklärte, sie unterstütze einige von Philippots Ansichten, weil sie glaube, Mélenchon würde an Immigranten appellieren, aber nicht an gebürtig französische Arbeiter. Um erfolgreich zu sein, müsse Mélenchon „sowohl mit Immigranten in Frankreich sprechen, aber sich auch für Souveränität aussprechen.“
Mehrere Demonstranten wiesen auf die politischen Herausforderungen hin, die sich durch das Entstehen solcher neofaschistischer Einflüsse unter Arbeitern ergeben, die desillusioniert gegenüber Mélenchon und der PS sind.
Anas, ein Student, erklärte der WSWS: „Die Ernennung eines rechten Premierministers hat mich wirklich dazu gebracht, auf die Straße zu gehen. Was hier passiert, ist lächerlich... Ich habe, ehrlich gesagt, Zweifel an der Neuen Volksfront. In der NFP sind die PS und Teile der Grünen. Und von der PS wissen wir ja, wie die Wort halten... Die PS hat keinen Rückhalt mehr in der Arbeiterklasse, weil sie eine spalterische bürgerliche Partei ist. Sie sind sehr gut mit dreckigen Deals.“
Über den RN erklärte Anas, er biete den Arbeitern „einen rassistischen Pakt, d.h. die Vereinigung unter der Flagge der Nation, unter einem französischen Banner... Tatsächlich ist das Problem, dass die Arbeiter eine Rolle spielen müssen. Und ich sage nicht, dass alle Arbeiter RN wählen, aber es muss sich was ändern.“
Arbeiter und Jugendliche müssen dem RN und Macron mit ebenso unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehen wie ihren pseudolinken Unterstützern wie Mélenchon. Die Grundlage eines Kampfes für Sozialismus und Arbeitermacht gegen Mélenchon ist die Verteidigung des Trotzkismus durch das Internationale Komitee der Vierten Internationale, das in Frankreich von der Parti de l’égalité socialiste repräsentiert wird.