Am Dienstagnachmittag wurde Friedrich Merz (CDU) im zweiten Wahlgang gewählt und anschließend von Bundespräsident zum neuen Bundeskanzler ernannt.
Im ersten Urnengang war Merz zunächst gescheitert - ein einmaliger Vorgang in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bei 621 anwesenden Abgeordneten fehlten Merz sechs Stimmen zur erforderlichen Kanzlermehrheit von 316 Stimmen, 310 Abgeordnete stimmten für, 307 gegen ihn, es gab drei Enthaltungen, eine Stimme war ungültig – neun Abgeordnete beteiligten sich nicht an der Abstimmung.
Merz' unerwartete Nichtwahl hatte in allen Bundestagsparteien fieberhafte Nervosität ausgelöst. Schließlich einigten sich die Bundestagsparteien darauf, noch am gleichen Tag einen zweiten Wahlgang anzusetzen.
Kurz vor der Abstimmung verkündete der notorisch rechte Unionsfraktionschef Jens Spahn, man werde im Einvernehmen der Fraktionen von Union, SPD, Grünen und Linkspartei einen neuen Wahlgang durchführen. Ganz Europa, vielleicht sogar die ganze Welt schaue auf diese Wahl. Dann bedankte er sich bei allen, die einen zweiten Wahlgang so rasch möglich gemacht hätten.
Deutlicher könnte sich die Rolle von Linkspartei und Grünen als im Kern rechte, staatstragende Regierungsparteien nicht zeigen: im Angesicht einer drohenden politischen Krise in Berlin spielten sie die Schlüsselrolle dabei, Merz zu installieren und seiner extrem rechten Regierung den Weg zu ebnen.
Die Merz-Regierung leitet ein neues Stadium der Rechtsentwicklung der herrschenden Klasse ein. Sie ist zweifellos die reaktionärste und arbeiterfeindlichste seit dem Untergang des Nazi-Regimes vor 80 Jahren. Ihr zentrales Ziel besteht darin, die letzten Schranken zu beseitigen, die dem deutschen Militarismus infolge seiner beispiellosen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg auferlegt wurden. Mit der Verabschiedung von Kriegskrediten in Höhe von einer Billion Euro am 18. März hat der Bundestag bereits den Weg für eine massive militärische Aufrüstung geebnet.
Die Koalitionsregierung aus den Unionsparteien CDU und CSU und der SPD wird nicht nur aufrüsten wie Hitler. Sie wird einen historischen sozialen Kahlschlag organisieren und einen Polizeistaat errichten, um die Aufrüstung zu finanzieren und gegen die enorme Opposition in der Bevölkerung durchzusetzen. Im Inneren wird sie zudem die Flüchtlingspolitik der faschistischen AfD übernehmen und der nationalistisch aufgeladenen „Kulturpolitik“ der Faschisten zum Durchbruch verhelfen.
Führende Regierungsmitglieder wie Innenminister Alexander Dobrindt und Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer stehen politisch weit rechts und könnten ohne Probleme auch Mitglieder der AfD sein. Kanzler Merz selbst verkörpert wie kein Zweiter die Interessen der Finanzoligarchie. Er stand vier Jahre lang an der Spitze des deutschen Ablegers von BlackRock, dem größten Vermögensverwalter der Welt.
Die SPD, die vor mehr als 150 Jahren unter dem Banner des Marxismus gegründet wurde, ist heute als rechte Staatspartei der Organisator dieses Rechtsrucks. Gestern gab sie bekannt, dass Boris Pistorius (SPD) auch unter Merz Verteidigungsminister bleiben wird. Pistorius personifiziert die außenpolitische „Zeitenwende“, die SPD-Kanzler Olaf Scholz einleitete, der am Montagabend mit einem militaristischen Spektakel verabschiedet wurde. Er hat als Ziel ausgegeben, Deutschland wieder „kriegstüchtig“ zu machen und auf einen direkten Krieg gegen die Atommacht Russland vorzubereiten.
Parteichef Lars Klingbeil übernimmt das Amt des Vizekanzlers und Finanzministers. In dieser Funktion wird er dafür sorgen, dass die Kosten der horrenden Militärausgaben und der eskalierenden globalen Handelskriege der arbeitenden Bevölkerung aufgebürdet werden. Dabei arbeitet er eng mit der neuen SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas zusammen, die als nominelle „Parteilinke“ in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften den brutalen Kürzungskurs durchsetzen wird.
Der gestern unterzeichnete Koalitionsvertrag entspricht dem reaktionären Personal der neuen Regierung. Im Zentrum steht die Kriegspolitik und die umfassende Militarisierung der Gesellschaft. Genannt werden unter anderem folgende Ziele:
- Die Dominanz über Europa und eine Weltmachtrolle des deutschen Imperialismus
Im Koalitionsvertrag definieren Union und SPD den gesamten Globus als Einflusszone des deutschen Imperialismus. So strebt die Bundesregierung laut Vertrag eine Afrikapolitik an, „die dem strategischen Stellenwert Afrikas gerecht wird“, erklärt, die „Indo-Pazifik-Region“ sei „von elementarem Interesse“, und kündigt an, „in der Region auch weiterhin Präsenz zeigen“ zu wollen. Auch der „Ausbau strategischer Partnerschaften mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik“ sei „von besonderer Bedeutung“. Insgesamt wolle man „die bilateralen Beziehungen zu den Ländern des Globalen Südens intensivieren und zu einem globalen Netzwerk ausbauen“.
Wie in der Vergangenheit bedeutet diese globale Machtpolitik deutsche Unterstützung für Völkermord und Krieg. Die Koalition erklärt die „Sicherheit Israels“ zur „deutschen Staatsräson“ – mitten im Völkermord des rechtsextremen Netanjahu-Regimes an der palästinensischen Bevölkerung. Gleichzeitig sichert sie den islamistischen Kräften in Syrien Unterstützung „bei der Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes“ zu – um geopolitischen Einfluss zu gewinnen und Flüchtlinge abzuschieben.
Zum Krieg gegen Russland kündigt der Koalitionsvertrag an, man werde die „militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine gemeinsam mit Partnern substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen“. Deutschland müsse „erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges […] in der Lage sein, seine Sicherheit deutlich umfassender selbst zu gewährleisten“. Deutschland werde bei der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) „eine Führungsrolle“ einnehmen.
- Militarisierung von Schulen und Universitäten
„Wir verankern unsere Bundeswehr noch stärker im öffentlichen Leben und setzen uns für die Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere ein, die an den Schulen einen wichtigen Bildungsauftrag erfüllen“, heißt es auf Seite 130 im Abschnitt zur „Verteidigungspolitik“. Und weiter: „Wir setzen uns dafür ein, dass Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder auch zivil-militärische Forschungskooperationen erschweren, abgebaut werden.“ Man werde „das Defizit, das es in Deutschland im Bereich der strategischen Sicherheitsforschung gibt, beseitigen und uns für deren Förderung im Sinne eines vernetzten Sicherheitsverständnisses einsetzen.“
- Wiedereinführung der Wehrpflicht
„Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“, erklären die Koalitionäre. Für die Ausgestaltung dieses Dienstes seien „die Kriterien Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Beitrag zur Aufwuchsfähigkeit leitend“. Man orientiere sich dabei „am schwedischen Wehrdienstmodell“ und werde „noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen“.
- Aufbau einer Kriegswirtschaft und massiven Rüstungsindustrie
Das Planungs- und Beschaffungswesen werde „reformiert“, für Großprojekte und Zukunftstechnologien wolle man „neue Realisierungswege implementieren“. Besonders gefördert werden sollen „Zukunftstechnologien für die Bundeswehr“, darunter „Satellitensysteme, Künstliche Intelligenz, unbemannte (auch kampffähige) Systeme, Elektronischer Kampf, Cyber, Software Defined Defense und Cloud-Anwendungen sowie Hyperschallsysteme“. Dafür sei „ein vereinfachter Zugang und verstärkter Austausch mit Forschungseinrichtungen, dem akademischen Umfeld, Start-Ups und Industrie notwendig“.
Auch das beschlossene „Sondervermögen Infrastruktur“ in Höhe von 500 Milliarden Euro dient der Kriegsvorbereitung. „Für militärische Bauvorhaben vereinfachen wir die Bedarfsdefinition und Genehmigung und schaffen mit einem Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungsgesetz Ausnahmeregelungen im Bau-, Umwelt- und Vergaberecht sowie beim Schutz und der Widmung militärischer Flächen“, heißt es auf Seite 132. Die „Belange und die Infrastrukturmaßnahmen zur Gesamtverteidigung“ sollen „als überragendes öffentliches Interesse festgeschrieben und in der Umsetzung gegenüber anderen staatlichen Aufgaben priorisiert“ werden.
Die historische Aufrüstungs- und Kriegspolitik wird durch ebenso historische Angriffe auf die Arbeiterklasse finanziert. „Wir werden in dieser Legislaturperiode einen erheblichen Konsolidierungsbeitrag erbringen“, heißt es im Abschnitt zur „Haushaltskonsolidierung“. Konkrete Maßnahmen nennt der Vertrag nur vereinzelt – etwa die Kürzung des Bürgergelds –, doch das Vorbild ist klar: die USA, wo das Trump-Regime im Interesse der Finanzoligarchie rabiat Sozialausgaben kürzt und alle noch bestehenden Errungenschaften zerstört.
Die zutiefst arbeiterfeindliche Politik der neuen Bundesregierung stützt sich auf die Unterstützung aller Bundestagsparteien. Die Grünen haben Union und SPD im Bundestag die nötige Zweidrittelmehrheit zur Verabschiedung der Kriegskredite verschafft. Die Linkspartei stimmte im Bundesrat zu. Und auch die Gewerkschaften stehen fest an der Seite der Regierung. Sie versicherten ihre Loyalität gegenüber dem Aufrüstungskurs und arbeiteten in den vergangenen Wochen systematisch daran, die Tarifkämpfe bei der Post, im öffentlichen Dienst und bei der BVG zu isolieren und einen gemeinsamen Vollstreik der Arbeiterklasse zu verhindern.
Die breite Unterstützung für Militarismus und Sozialabbau durch alle Bundestagsparteien und Gewerkschaften zeigt, dass der Kampf gegen Faschismus, Krieg und soziale Ungleichheit nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse geführt werden kann. Bereits in ihrer Erklärung zur Regierungsbildung rief die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) deshalb „zum Aufbau von Aktionskomitees in Betrieben und Nachbarschaften auf, die den Kampf gegen Massenentlassungen und Lohnkürzungen selbst in die Hand nehmen und mit dem Kampf gegen Krieg verbinden“.
Weiter heißt es in dem Statement:
Wir setzen dem wachsenden Nationalismus, dem Handelskrieg und der Aufrüstung die internationale Einheit der Arbeiter entgegen. Der Krieg kann nur gestoppt und die sozialen und demokratischen Rechte können nur verteidigt werden, wenn der Kapitalismus selbst abgeschafft und durch eine sozialistische Gesellschaft abgelöst wird, in der die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Profitinteressen im Zentrum stehen. Die großen Banken und Konzerne müssen enteignet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden.