Israel verstärkt Kontrolle über das Westjordanland

Während Israel seine ethnische Säuberung von 2,3 Millionen Palästinensern in Gaza fortsetzt, hat es im Hintergrund auch seine Kontrolle über das Westjordanland verstärkt. Das Ziel ist, ganz Palästina in ein „Großisrael“ einzugliedern, das mittlerweile auch Teile Syriens und des Libanons umfasst.

Letzte Woche führte die israelische Armee (IDF) ihren größten Militäreinsatz im Westjordanland seit Beginn des angeblichen Waffenstillstands in Gaza, der im Oktober ausgehandelt wurde, durch. Hunderte Soldaten stürmten mit Unterstützung durch gepanzerte Fahrzeuge die Stadt Tubas in der Nähe von Nablus. Ein Sprecher des Militärs erklärte, die „großangelegte Anti-Terror-Operation“ werde über mehrere Tage andauern. Das Militär verhängte in der Stadt und einigen benachbarten Gemeinden eine Ausgangssperre, sperrte Straßen ab und vertrieb einen Teil der Bewohner aus ihren Häusern, um Platz für die israelischen Soldaten zu schaffen.

Palästinenser und Aktivisten auf der Flucht vor Tränengas, das von israelischen Sicherheitskräften verschossen wurde. Aufgenommen bei einer Protestveranstaltung gegen die Landnahme im Dorf Tarkumiya im Westjordanland am 28. November 2025 [AP Photo/Mahmoud illean]

In einer Erklärung behauptete die Armee, Tubas sei ein „Zufluchtsort für Terrorismus“ geworden, und verbreitete Flugblätter, auf denen sie drohte: „Wenn Sie daran nichts ändern, werden wir so vorgehen wie in Dschenin und Tulkarm.“ Das ist eine Anspielung auf die Angriffe der IDF auf die genannten Städte Anfang des Jahres, die zu umfassender Zerstörung und zur dauerhaften Vertreibung von 40.000 Palästinensern führten. Die israelischen Behörden stellten den Vertriebenen weder alternative Unterkünfte noch humanitäre Hilfe zur Verfügung und verweigerten ihnen das Recht auf Rückkehr in ihre Häuser.

Auf X veröffentlichten die IDF eine Erklärung, laut der sie „die Kontrolle über das Gebiet verstärken“ und die Neubildung bewaffneter Widerstandsgruppen verhindern wollen. In Wirklichkeit geht es jedoch um den Aufbau einer neuen „Sicherheitsstraße“ und eines militärischen Kontrollpunkts. Wie die Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt haben, handelt es sich dabei vermutlich um die ersten Schritte für eine neue zionistische Siedlung, indem die Bewohner aus dem Gebiet vertrieben werden.

Darüber hinaus bauen die IDF eine neue 22 Kilometer lange und 50 Meter breite Trennmauer im Jordantal, mindestens zwölf Kilometer westlich der Grenze zu Jordanien. Zur Verwirklichung dieses Projekts werden Häuser und Gewächshäuser, Wassersysteme und Weide-Infrastruktur zerstört. Auch das Josefsgrab bei Nablus, das formell von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) kontrolliert wird, ist Ziel von Angriffen der Siedler und des Militärs. Die Siedler unternehmen immer größere und häufigere Übergriffe.

Im Oktober hatte das israelische Parlament (Knesset) über einen Gesetzentwurf abgestimmt, laut dem „die Gesetze, das Justizsystem, die Verwaltung und die Souveränität des Staates Israel in allen Siedlungsgebieten in Judäa und Samaria gelten soll“. Israel hat das Westjordanland so stark zersplittert, dass der Verkehr zwischen den Städten und Gemeinden immer schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wird. Gleichzeitig lebt eine beträchtliche und wachsende Zahl von Palästinensern im Westjordanland bereits unter der Kontrolle des israelischen Staates, aber ohne die Rechte israelischer Staatsbürger.

Im September kündigte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen Plan zur Ausweitung der israelischen Siedlungen im Westjordanland an, der die Palästinensergebiete praktisch in zwei Hälften teilen würde. Der Plan für das sogenannte Gebiet E1, das zwischen Ost-Jerusalem und der Siedlung Ma’ale Adumim liegt, sieht den Bau von 7.600 Wohneinheiten für fast 900 Millionen Dollar in dieser Siedlung vor. Dieses strategisch wichtige Gebiet trennt die nördliche von der südlichen Hälfte des Westjordanlands.

Der Plan soll Jerusalem mit der Siedlung Ma’ale Adumim östlich der Stadt verbinden. Das betroffene Land wurde den Städten Anata, al-Tour, Issawiyya, Aizariyeh und Abu Dis genommen. Die E1-Siedlungen im Zentrum des Westjordanlands würden Jerusalem mit den Siedlungen im Jordantal bis zur jordanischen Grenze verbinden. Sie würden die zentralen Hügellandschaften von Ramallah und Nablus sowie die südlichen Regionen umschließen, in denen auch Bethlehem und Hebron liegen.

Der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich, der die Zivilverwaltung des Westjordanlands kontrolliert, erklärte im letzten August, das Projekt würde „die Idee eines palästinensischen Staats begraben“. Es sei „Zionismus in Bestform“. Smotrich fügte hinzu: „Der palästinensische Staat wird vom Tisch gewischt, nicht durch Reden, sondern durch Taten. Jede Siedlung, jedes Viertel, jede Wohneinheit ist ein weiterer Sargnagel für diese gefährliche Idee.“

Netanjahu erklärte im September bei der Zeremonie zur Genehmigung des Projekts: „Es wird mehr Städte wie Ma’ale Adumim geben.“ Anschließend kündigte er an, er wolle den Allon-Plan umsetzen, der kurz nach dem Sechstagekrieg 1967 entworfen wurde: „Israels östliche Front ist nicht Ma’ale Adumim, sondern das Jordantal.“ Das bedeutet, dass Israel beabsichtigt, den gesamten Nord-Süd-Streifen des Westjordanlands entlang des Jordantals zu annektieren. Dies soll als ultimative Garantie für das dienen, was der israelische Militärgeheimdienst als „strategische Tiefe“ des Staats beschreibt.

In Kombination werden der Allon-Plan und das E1-Projekt die Palästinenser aus dem Gebiet herausdrücken.

Eine israelische Regierung nach der anderen hat die Ausweitung der Siedlungen im Westjordanland und Ost-Jerusalem bewilligt, in denen mittlerweile mehr als 700.000 Juden leben. Doch Netanjahu hat den Siedlungsbau nach seiner Rückkehr an die Macht im Dezember 2022 massiv ausgeweitet. Mit der rechtsextremsten, siedlerfreundlichsten Koalition, die das Land je gesehen hat, begann er im Oktober 2023 dann mit seiner „Endlösung der Palästinenserfrage“.

Der Bau der Siedlungen im Gebiet E1 lag aufgrund von erbittertem internationalem Widerstand seit mehr als zwei Jahrzehnten auf Eis, da er jede Möglichkeit eines zusammenhängenden palästinensischen Staates zunichtemachen würde. Dass Netanjahu eben jene Siedlungen nun bewilligt hat, ist kein Zufall. Er reagierte damit auf die Ankündigung mehrerer Länder, dass sie einen palästinensischen Staat anerkennen wollen. Diese bedeutungslose Geste wurde von Israel verurteilt.

Netanjahu kann den Bau dieser Siedlungen nur deshalb vorantreiben, weil die USA und die europäischen Großmächte ihn uneingeschränkt unterstützten. Ihre Politik gegenüber Israel ist Teil der umfassenderen Strategie, den rohstoffreichen Nahen Osten unter ihre Kontrolle zu bringen und sich auf einen Krieg gegen China vorzubereiten.

Die Vereinten Nationen und der Internationale Gerichtshof (IGH) haben eindeutig erklärt, dass die israelischen Siedlungen im Westjordanland völkerrechtswidrig sind. Letztes Jahr hatte der IGH geurteilt, dass die Ausweitung der Siedlungen so weit fortgeschritten ist, dass sie inzwischen als Annexion eines beträchtlichen Teils des Westjordanlands anzusehen ist. Infolge des Urteils veröffentlichte der IGH ein Gutachten, laut dem Israel rechtswidrig Teile des Westjordanlands annektiert habe. Doch weder die UN noch der IGH haben irgendetwas unternommen, um sicherzustellen, dass die Siedlungen aufgelöst werden, oder um ihre Ausbreitung zu verhindern.

Israels Maßnahmen, um seine Kontrolle über das Westjordanland zu festigen, gingen einher mit einer Welle von Gewalttaten von Siedlern gegen die Palästinenser. Sie randalierten, zündeten Autos an, entweihten Moscheen und zerstörten Industrieanlagen sowie Ackerland. Laut dem UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) hat die Zahl der Angriffe stark zugenommen. Im Oktober griffen Siedler rund achtmal täglich die Olivenernte an, im November gingen die Angriffe weiter.

In diesem Jahr haben Siedler bereits mehr als 1.000 Palästinenser verletzt, doppelt so viele wie im letzten Jahr, und 21 getötet. Diese kommen zu den mindestens 1.000 Palästinensern hinzu, die das Militär getötet hat. Laut den Vereinten Nationen haben Siedler mindestens 2.200 Palästinenser zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen und die israelischen Behörden haben die Häuser von mehr als 6.000 Menschen zerstört.

Das alles geschah unter dem Schutz der IDF sowie der Polizei, lautstark ermutigt durch die rechtsextreme israelische Regierungskoalition. Laut einem Bericht von Channel 12, der sich auf Daten der Polizei stützt, ist die Zahl der polizeilichen Ermittlungen bei Gewalttaten von Siedlern drastisch zurückgegangen, seit Itamar Ben-Gvir, der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke, Anfang 2023 nationaler Sicherheitsminister wurde – von 235 Ermittlungsverfahren im Jahr 2022 auf 150 im Jahr 2023 und 60 im Jahr 2024.

Auch diese wenigen Untersuchungen der Polizei führen selten zu einer Anklage oder Verurteilung. Laut der israelischen Menschenrechtsgruppe Yesh Din führten weniger als sechs Prozent aller Ermittlungen gegen Siedler in den 20 Jahren vor dem Jahr 2024 zu einer Anklage. Nur drei Prozent dieser Ermittlungen endeten mit einer Verurteilung.

Präsident Mahmoud Abbas von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die von der Fatah dominiert wird und ebenso wie Abbas von den Palästinensern zutiefst verachtet wird, hat nichts gegen Israels Expansionspolitik unternommen. In seiner Funktion als Erfüllungsgehilfe Israels bei der Unterdrückung der Palästinenser verstärkte Abbas seine Zusammenarbeit mit Israel und seine Unterwürfigkeit gegenüber den USA, um seine Macht und die der Fatah zu festigen.

Abbas verurteilte die Angriffe vom 7. Oktober und beharrt auf seiner Forderung nach einem „unbewaffneten“ palästinensischen Staat. Seine Sicherheitskräfte gingen gegen palästinensische Kämpfer vor, die sich Israel widersetzten, töteten dabei mehr als ein Dutzend Palästinenser und verhafteten Hunderte. Damit räumten sie den Massenrazzien der IDF im Norden des Westjordanlands Anfang des Jahres den Weg frei. Abbas schaltete auch den Sender Al Jazeera ab, der über die Belagerung von Dschenin berichtet hatte, und warf ihm vor, er würde die Bevölkerung aufwiegeln. Nur wenige Monate zuvor hatte Israel das gleiche getan.

Um Tel Aviv und Washington zu beschwichtigen, strich Abbas im Februar die Zahlung von Sozialleistungen an die Familien von palästinensischen Gefangenen und Opfern, die bei israelischen Angriffen getötet oder verwundet wurden. Dieser Schritt folgte auf eine Entscheidung der USA aus dem Jahr 2018, die Finanzhilfen für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) solange einzustellen, bis diese Zahlungen beendet werden.

Im April ernannte der 90-jährige Abbas Hussein al-Scheich, einen langjähriges Mitglied der Fatah, der für seine engen Beziehungen zu Israel berüchtigt ist und allgemein als Wunschkandidat Israels gilt, zum Vizepräsidenten der PA und zu seinem Nachfolger. Letzten Monat traf al-Scheich in Ramallah den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair, der entsprechend den Andeutungen von US-Präsident Donald Trump Gaza in dessen Auftrag regieren wird, und einen Vertreter der US-Regierung, um über Trumps Plan für Gaza zu beraten.

Vor kurzem traf sich Abbas in Paris mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, um den Entwurf einer neuen Verfassung und eines institutionellen Rahmens für einen „Staat Palästina“ vorzulegen. Dies deutet auf Bemühungen hin, eine „reformierte“ PA aufzubauen, die sich gemäß dem Friedensplan von US-Präsident Donald Trump letzten Endes dafür qualifizieren könnte, Gaza zu verwalten. Abbas hat den Entwurf bisher nicht veröffentlicht.

Während eines Treffens mit dem deutschen Außenminister Johann Wadephul in Ramallah im August betonte Abbas, dass an künftigen Wahlen in Palästina „keine Fraktionen oder Einzelpersonen“ teilnehmen würden, „die sich nicht an das Programm und die Verpflichtungen halten“, welche die Palästinensische Befreiungsorganisation und die PA abgegeben haben. Vor einigen Wochen erließ er ein „Dekret-Gesetz“, das diese Regeln auch für Kommunalwahlen festschreibt, sodass die Hamas nicht daran teilnehmen kann, obwohl sie die populärste Partei ist. Die Hamas wiederum erklärte, sie werde ihre Herrschaft in Gaza aufgeben und eine Übergangsverwaltung für Gaza unter der Autorität der PA unterstützen.

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