Die Beratungen über einen angeblichen „Friedensplan“ für die Ukraine, die in den vergangenen Tagen in Berlin stattfanden, haben vor allem eines deutlich gemacht: Die führenden europäischen Mächte – allen voran Deutschland – tun alles, um den Nato-Krieg gegen Russland zu verlängern und auf eine neue, noch gefährlichere Stufe zu heben.
Während Bundeskanzler Friedrich Merz die deutsche Hauptstadt zur „Drehscheibe der Friedensbemühungen“ stilisiert, handelte es sich in Wirklichkeit um einen Kriegsgipfel. Hinter verschlossenen Türen feilschten der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, Trumps Unterhändler Steve Witkoff und Jared Kushner sowie eine Reihe europäischer Staats- und Regierungschefs nicht darüber, wie der Krieg beendet, sondern wie er unter neuen Vorzeichen fortgesetzt werden kann.
Ausgangspunkt der Berliner Gespräche ist die tiefe Krise, in welcher der Nato-Krieg steckt. Nach vier Jahren blutiger Kämpfe, Hunderttausenden Gefallenen und Millionen Flüchtlingen steckt die Offensive der Nato in der Sackgasse. Trotz mehr als 400 Milliarden Euro westlicher Militär- und Finanzhilfe rücken russische Truppen langsam, aber stetig vor. In der Ukraine selbst zerfällt das Regime unter Korruptionsskandalen und der wachsenden Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung.
Die Trump-Regierung reagiert auf diese Situation mit einem Kurswechsel. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie bezeichnet Russland nicht mehr als Gegner, sondern konzentriert sich weltweit auf die Durchsetzung nackter US-Interessen und die Schwächung der Europäischen Union. Washington strebt einen Deal mit Moskau an, der Gebietsabtretungen der Ukraine mit lukrativen Wirtschaftsabkommen für amerikanische Konzerne verbindet.
Genau dagegen richten sich die europäischen Mächte. Sie werfen dem Faschisten Trump nicht vor, er sei gegen Russland zu aggressiv, sondern zu nachgiebig. In Kommentaren von Spiegel, FAZ, NZZ, der Wirtschaftspresse und der Thinktanks der Sozialdemokratie wird gefordert, Europa müsse sich von den USA „emanzipieren“, eine eigenständige militärische Großmacht werden und Russland „die Stirn bieten“. Das ist kein friedlicher Gegenentwurf zum amerikanischen Imperialismus, sondern ein Programm des hemmungslosen europäischen Militarismus und des direkten Kriegs gegen die Atommacht Russland.
Die am Montagabend verabschiedete „Berliner Erklärung“ der europäischen Staats- und Regierungschefs bringt diesen Kurs auf den Punkt. Sie sieht vor, die ukrainische Armee dauerhaft auf einem Niveau von 800.000 Soldaten zu halten – „auch in Friedenszeiten“. Die Ukraine, ein Land mit 30 bis 35 Millionen Einwohnern, soll damit die größte Armee Europas unterhalten, schwerbewaffnet, hochgerüstet und vollständig in die Strukturen der Nato integriert.
Parallel dazu beschreiben die europäische Erklärung und sie begleitende Papiere die Aufgaben einer „multinationalen Ukraine-Truppe“ unter europäischer Führung, „unterstützt von den USA“. Diese Truppe soll die ukrainischen Streitkräfte bei der „Regeneration“, bei der Sicherung des Luftraums und der „Gewährleistung sicherer Meere“ unterstützen und „innerhalb der Ukraine operieren“.
Damit bereitet Europa den Einsatz eigener Bodentruppen im ukrainischen Kriegsgebiet vor – was der Kreml immer wieder als rote Linie bezeichnet und mit militärischer Vergeltung gegen Nato-Staaten zu beantworten droht.
In den deutschen Medien wird das bereits aggressiv propagiert. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der CDU-Abgeordnete Röwekamp, fordert, Deutschland müsse sich „personell und materiell“ an einer solchen Mission beteiligen. SPD-Fraktionschef Miersch erklärt, man schließe „nichts aus“. Die vermeintlichen „Friedensverhandlungen“ in Berlin dienen also vor allem dazu, die Entsendung europäischer Truppen und eine massive, langfristige Aufrüstung der Ukraine vorzubereiten.
Herzstück des europäischen Vorpreschens sind sogenannte „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine. Nachdem selbst Selenskyj zugibt, dass ein Nato-Beitritt auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar sei, soll nun ein faktischer Ersatz geschaffen werden: ein Vertragswerk, das Artikel 5 des Nato-Vertrags – die Beistandspflicht im Kriegsfall – nachahmt, ohne sie explizit an eine formelle Nato-Mitgliedschaft zu knüpfen.
Die Berliner Erklärung spricht von einer „rechtsverbindlichen Verpflichtung“, im Fall eines zukünftigen Angriffs „Maßnahmen zu ergreifen, die den Frieden und die Sicherheit wiederherstellen“. Im nächsten Satz heißt es, diese Maßnahmen könnten militärisches Eingreifen, aber auch Geheimdienst-, Logistik-, wirtschaftliche oder diplomatische Unterstützung umfassen.
Die Hintertür ist bewusst eingebaut, um den Regierungen maximale Flexibilität zu geben. Politisch ist die Botschaft jedoch eindeutig: Ein Angriff auf die Ukraine – bzw. eine Provokation, die als solcher interpretiert werden kann –, soll als Angriff auf Europa gelten und entsprechend beantwortet werden.
Die europäischen Mächte bereiten damit etwas vor, was aus russischer Sicht völlig unannehmbar ist. Moskau ist militärisch gegen die Ukraine vorgegangen, um nach ständigen westlichen Provokationen ein weiteres Vordringen der Nato bis an seinen Grenzen zu verhindern. Nun verlangen Berlin, Paris und London nicht nur eine 800.000-Mann-Armee direkt vor Russlands Haustür, sondern auch eine europäische Truppe im Land sowie Beistandsgarantien, die einem Nato-Beitritt gleichkommen.
Die Forderungen sind bewusst so formuliert, dass sie jedes Friedensabkommen sabotieren und eine dauerhafte Kriegsfront in Osteuropa schaffen.
Wie aggressiv und rücksichtslos die herrschende Klasse Europas die Eskalation vorantreibt, zeigte Nato-Generalsekretär Mark Rutte am Wochenende in Berlin. In einer Rede im Rahmen der Ukraine-Konsultationen erklärte er, Europa müsse sich auf einen Krieg vorbereiten, wie ihn die Großväter und Urgroßväter geführt hätten – also auf einen umfassenden, lang andauernden und extrem verlustreichen Kontinentalkrieg, der unweigerlich die Gefahr eines alles vernichtenden dritten Weltkriegs mit sich bringt. Rutte erklärte:
Wir müssen bereit sein, denn am Ende dieses ersten Viertels des 21. Jahrhunderts werden Konflikte nicht mehr aus der Ferne ausgetragen. Der Konflikt steht vor unserer Haustür. Russland hat den Krieg nach Europa zurückgebracht, und wir müssen auf ein Ausmaß an Krieg vorbereitet sein, wie es unsere Großeltern oder Urgroßeltern erlebt haben. Stellen Sie sich vor: ein Konflikt, der jedes Zuhause, jeden Arbeitsplatz erreicht, Zerstörung, Massenmobilisierung, Millionen von Vertriebenen, weit verbreitetes Leid und extreme Verluste.
Gleichzeitig läuft die Militarisierung der gesamten EU auf Hochtouren. Unter dem Titel „Verteidigungsbereitschaft 2030“ hat der Europäische Rat einen Fünfjahresplan verabschiedet, der eine Blaupause für eine europäische Kriegswirtschaft und die Militarisierung des gesamten Kontinents ist.
Deutschland steht dabei an vorderster Front. Der jüngst verabschiedete Kriegshaushalt 2026 erreicht mit über 108 Milliarden Euro ein historisches Rekordniveau und soll bis 2029 über 150 Milliarden steigen. De facto gibt der deutsche Imperialismus bereits jetzt rund 5 Prozent des BIP für kriegsbezogene Ausgaben aus. Merz hat angekündigt, Deutschland werde die „stärkste konventionelle Armee in Europa“ aufbauen.
In seiner gestrigen Regierungserklärung unterstrich Merz den deutsch-europäischen Großmachtanspruch: Die Bundesregierung und er persönlich seien „fest entschlossen, dass Deutschland nicht zum Opfer, nicht zum Objekt“ des aktuell stattfindenden „Epochenbruchs“ werden dürfe. „Wir dürfen nicht dabei zusehen, wie die Welt neu geordnet wird“, erklärte er. „Wir sind kein Spielball von Großmächten… Wir wollen und wir müssen selbst ein handelnder Akteur bleiben, der für seine Interessen und seine Werte mit Entschiedenheit und Durchsetzungskraft einsteht.“
Mit anderen Worten: Deutschland schickt sich wie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs an, Europa zu organisieren, um seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen global gegen seine Widersacher durchzusetzen. Neben Russland und China zählen dazu auch die Vereinigten Staaten von Amerika.
Die deutsch-europäische Kriegseskalation vollzieht sich vor dem Hintergrund eines tiefen Bruchs im transatlantischen Bündnis. Trumps Nationale Sicherheitsstrategie greift die Europäische Union frontal an, fördert den Aufstieg rechtsextremer Parteien und verkündet, die USA würden ihre Ressourcen künftig vor allem in Lateinamerika und im indo-pazifischen Raum konzentrieren. Russland wird nicht länger als Hauptgegner bezeichnet; stattdessen soll Europa „strategische Stabilität“ mit Moskau finden, während Washington seine eigenen Interessen verfolgt.
Die Reaktion der europäischen herrschenden Klasse ist eindeutig und martialisch. Von den Kriegstreibern in Politik und Medien wird eine Art „europäischer Rütlischwur“ gefordert: der Aufbau einer eigenständigen Rüstungsindustrie, der Abbau der sicherheitspolitischen Abhängigkeit von den USA, die Stärkung „patriotischer“ Kräfte und die aggressive Ausweitung des europäischen Einflusses im Osten.
Mit anderen Worten: Die Spaltung der Nato führt nicht zu einer Abkehr vom Militarismus, sondern zu einem erbitterten Kampf rivalisierender imperialistischer Blöcke, die ihre globale Stellung mit militärischen Mitteln sichern wollen.
In der Ukraine konzentriert sich diese Entwicklung wie in einem Brennglas. Trump und seine Emissäre betrachten das Land als Handelsware, als Objekt für Deals mit Putin und künftige Sonderwirtschaftszonen. Die Europäer wiederum versuchen, die Ukraine als dauerhaften Front- und Aufmarschstaat unter ihre Kontrolle zu bringen – militärisch, politisch und wirtschaftlich.
Die Frage der eingefrorenen russischen Zentralbankguthaben – rund 210 Milliarden Euro, die überwiegend bei Euroclear in Brüssel liegen – nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein. Sowohl die Berliner Erklärung als auch die Vorbereitungen für den heute beginnenden EU-Gipfel zielen darauf ab, dieses Geld in ein „Reparationsdarlehen“ umzuwandeln und zur Finanzierung des Kriegs und des Wiederaufbaus zu nutzen. Das ist völkerrechtlich ein beispielloser Raubzug und wird laut Aussagen des Kremls mit „weitreichenden Konsequenzen“ beantwortet werden.
Gleichzeitig bereiten sich deutsche Konzerne darauf vor, aus der Zerstörung der Ukraine gewaltige Profite zu schlagen. Die Bundesregierung organisiert Investorenkonferenzen und Delegationsreisen, Rüstungs- und Baukonzerne planen Fabriken und Infrastrukturprojekte im Land. Die Ukraine wird zum Testfeld für neue Waffensysteme, digitale Kriegsführung und eine hyperausgebeutete Billiglohnökonomie.
Das ist der reale Inhalt der pathetischen Reden über „Wiederaufbau“ und „europäische Verantwortung“: Es geht um Rohstoffe, Absatzmärkte, Profite – um die imperialistische Neuaufteilung Osteuropas. Die offizielle Propaganda kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen dritten Griff des deutschen Imperialismus nach Osteuropa, Eurasien und nach der Weltmacht handelt.
Bereits im Ersten Weltkrieg zählte die Kontrolle über die rohstoffreiche und geostrategisch zentrale Ukraine – neben der Errichtung einer deutschen Hegemonie über „Mitteleuropa“ – zu den erklärten Kriegszielen des Kaiserreichs. Im Zweiten Weltkrieg knüpfte Hitler an diese Politik an. Im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, der zum Holocaust führte und mindestens 27 Millionen Sowjetbürger das Leben kostete, spielte die Eroberung der Ukraine eine zentrale Rolle.
Heute verfolgt der deutsche Imperialismus erneut das Ziel, die Ukraine und andere Staaten, die einst Teil der Sowjetunion oder des Russischen Reichs waren, aus dem Einflussbereich Moskaus zu lösen und unter die Kontrolle der von Deutschland dominierten Europäischen Union zu bringen.
Dabei werden die gigantischen Summen, die in Aufrüstung, Kriegsführung und „Verteidigungsbereitschaft“ fließen, direkt aus den sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse herausgepresst. In ganz Europa werden Renten gekürzt, Gesundheitssysteme ruiniert und öffentliche Dienste zerstört, um Panzer, Kampfflugzeuge, Raketen und Drohnen zu finanzieren. Gleichzeitig werden Hunderttausende Industriearbeitsplätze abgebaut, während Milliarden in die Taschen der Rüstungsaktionäre wandern.
Wie in den 1930er Jahren geht die Aufrüstung Hand in Hand mit einer systematischen Zerstörung demokratischer Rechte. Die Repression gegen Kriegsgegner und Gegner des Gaza-Genozids, die Hetze gegen Migranten, der Ausbau des Polizeistaats und die systematische Aufwertung faschistischer Kräfte sind Ausdruck derselben Entwicklung: Die herrschende Klasse bereitet sich nicht nur auf einen äußeren Krieg, sondern auch auf einen Bürgerkrieg gegen die Arbeiterklasse vor.
Die Vorbereitung eines dritten Weltkriegs, der mit nuklearen Waffen geführt werden und die Zivilisation selbst zerstören würde, ist der äußerste Ausdruck der historischen Krise des Kapitalismus. Die gleichen Widersprüche, die den Imperialismus in den Krieg treiben, treiben weltweit den Klassenkampf voran. Streiks und Massendemonstrationen in Frankreich, Belgien, Italien, Portugal und anderen Ländern gegen Sparpolitik und Militarismus kündigen an, was kommt.
Aber spontaner Widerstand reicht nicht aus. Die Arbeiterklasse kann weder den amerikanischen noch den europäischen Imperialismus unterstützen. Sie darf sich nicht hinter eine der rivalisierenden Großmachtcliquen stellen, die alle bereit sind, Millionen ins Verderben zu stürzen, um ihre Profite und ihren geopolitischen Einfluss zu verteidigen. Auch das aus der Restauration des Kapitalismus und Auflösung der Sowjetunion hervorgegangene Putin-Regime spielt eine reaktionäre Rolle. Es setzt selbst auf Krieg, Militarismus und Diktatur, um die Interessen der russischen Oligarchie zu verteidigen. Unter dem Druck des Imperialismus schwankt es zwischen militärischen Drohungen, bis hin zum Einsatz von Atomwaffen, und dem unterwürfigen Betteln nach einem Deal.
Notwendig ist der Aufbau einer internationalen sozialistischen Antikriegsbewegung, die den Kampf gegen Krieg und Diktatur mit dem Kampf gegen das kapitalistische System verbindet. Das bedeutet:
- die Bildung unabhängiger Aktionskomitees in Betrieben, Schulen und Wohnvierteln,
- die internationale Koordinierung des Kampfes gegen Sozialabbau, Militarismus und Repression,
- und der bewusste Aufbau einer revolutionären Führung in der Arbeiterklasse – der Sozialistischen Gleichheitsparteien als Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.
Nur wenn die Arbeiterklasse die Macht übernimmt und die Wirtschaft auf der Grundlage sozialistischer Planung reorganisiert, können die gewaltigen Ressourcen, die heute in Krieg und Zerstörung fließen, für menschliche Bedürfnisse eingesetzt und die Katastrophe eines dritten Weltkriegs verhindert werden.
