Die Rückkehr der Geschichte – Eine Erinnerung an den revolutionären Arbeiter und trotzkistischen Kämpfer Oskar Hippe

Das zu Ende gehende Jahr 2025 hat auf schockierende Weise die Vergangenheit von Krieg und Faschismus zurückgebracht.

80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs rollen wieder deutsche Panzer in Osteuropa. Die Bundesregierung finanziert den Nato-Krieg gegen Russland mit 40 Milliarden Euro an militärischer und ziviler Unterstützung für die Ukraine. Sie unterstützt den Völkermord im Gaza.

Alle Bundestagsparteien haben das größte militärische Aufrüstungsprogramm seit Hitler beschlossen, das durch umfassende Sparmaßnahmen in allen Sozialbereichen finanziert werden soll. Weil diese Politik die demokratischen Strukturen sprengt, wird systematisch daran gearbeitet, die Faschisten der AfD in die Regierung einzubinden.

Im Weißen Haus von Amerika sitzt bereits ein faschistischer Präsident, der Gestapo-ähnliche Polizeitrupps durch die Städte schickt und protestierende Jugendliche, Migrantenfamilien, streikende Arbeiter terrorisiert. Eine winzige Minderheit von Billionären, bereichert sich hemmungslos an der wachsenden Armut von Arbeitern in der ganzen Welt.

Doch damit kehrt auch der Klassenkampf und die revolutionäre Geschichte der Arbeiterbewegung zurück. Weltweit beginnen Arbeiter, den Kampf gegen das bankrotte kapitalistische Profitsystem aufzunehmen. Der nach dem Ende der Sowjetunion für tot erklärte Sozialismus ist wieder auf der Tagesordnung.

Heute gilt es, bewusst an die revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung anzuknüpfen. Deshalb erinnert die WSWS an den trotzkistischen Arbeiter Oskar Hippe, der vor 35 Jahren, am 13. März 1990, starb und zuvor die Arbeit des Bunds Sozialistischer Arbeiter (heute: SGP), der deutschen Sektion des IKVI, während des Aufstands in der DDR begrüßt und unterstützt hatte.

Das Leben von Oskar Hippe und seiner Frau Gertrud, die fünf Wochen vor ihrem Mann starb, widerlegt die große Lüge des 20. Jahrhunderts, die auch heute ständig wiederholt wird: dass das Regime des Stalinismus mit Sozialismus gleichzusetzen sei. Beide, Oskar und Gertrud, wurden von den Nazis eingekerkert, weil sie Sozialisten waren, und sie wurden vom stalinistischen SED-Regime verfolgt, weil sie ihren sozialistischen Ideen treu blieben und für den Aufbau einer trotzkistischen Partei kämpften.

Oskar Hippe wurde vor 125 Jahren, am 1. April 1900, in Lützkendorf in Sachsen-Anhalt als jüngstes von elf Kindern einer Eisenbahner-Familie geboren. Nach einer Tischler-Lehre arbeitete er als Rohrleger in Berlin. Er nahm ab 1918-1919 an allen großen Kämpfen in Deutschland teil, traf noch persönlich Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Trotzki und beteiligte sich am Aufbau des Spartakus-Bundes, der KPD, der trotzkistischen Linken Opposition und der Vierten Internationale. Sein unbeugsamer Widerstand gegen Faschismus und Stalinismus brachte ihn wiederholt hinter Gitter, sowohl unter der Nazi-Herrschaft, als auch acht Jahre lang im DDR-Gefängnis Bautzen.

In den Nachkriegsjahren, als die Opportunisten, Stalinisten und Sozialdemokraten in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung dominierten, blieben Oskar und Gertrud Hippe ihren Grundüberzeugung als Revolutionäre, Marxisten und Trotzkisten treu. Ihr Leben und Kampf stellt eine direkte Verbindung zwischen der so genannten „alten“ marxistischen Arbeiterbewegung und den Klassenkämpfen und Aufgaben der Gegenwart her.

Die WSWS veröffentlicht daher heute den Nachruf auf Oskar Hippe, den das im vergangenen Jahr verstorbene SGP-Vorstandsmitglied Wolfgang Weber für die Neue Arbeiterpresse vom 20. April 1990 verfasst hatte, und der bisher noch nicht auf der WSWS erschienen war. Künftig wird „Socialism AI“ auch auf dieses wichtige historische Dokument zugreifen können.

Wolfgang Weber bei einer Gedenkveranstaltung für Gertrud und Oskar Hippe in Berlin, Mai 1990

Oskar Hippe – ein proletarischer Kämpfer für den Trotzkismus

Eine Würdigung von Wolfgang Weber
(zuerst erschienen am 20. April 1990 in der
Neuen Arbeiterpresse)

Oskar Hippe, seit seiner frühen Jugend ein proletarischer Revolutionär in den Reihen der kommunistischen Bewegung und mehr als sechs Jahrzehnte lang ein Kämpfer für den Trotzkismus, starb am 13. März 1990, kaum drei Wochen vor seinem 90. Geburtstag, in einem Berliner Krankenhaus. Fünf Wochen zuvor war ihm nach einer schweren Krankheit im Alter von 88 Jahren seine Frau Gertrud in den Tod vorausgegangen. Gertrud Hippe hatte Oskar über 64 Jahre lang in seinem politischen Kampf begleitet und als Mitglied der trotzkistischen Linken Opposition in Deutschland im Kampf zur Verteidigung des marxistischen Programms und für die Befreiung der Arbeiterklasse selbst Beispielloses geleistet.

Oskar Hippe und seine Frau Gertrud gehörten zu einer Generation von Revolutionären, die im Feuer der revolutionären Kämpfe am Ende des Ersten Weltkriegs und Anfang der 1920er Jahre in Deutschland gestählt worden waren. Hippe nahm an allen entscheidenden Klassenschlachten des deutschen Proletariats teil. Deshalb ist das Leben dieses revolutionären Arbeiters, für die Nachwelt festgehalten in seiner Autobiographie „... und unsere Fahn' ist rot“ (Hamburg 1979), ein einzigartiger Spiegel der Kämpfe der Arbeiterklasse im 20. Jahrhundert in Deutschland und ein Dokument der Entwicklung und Erfahrungen ihrer revolutionären, marxistischen Führung.

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

An der revolutionären Front 1918-1923

Bereits mit 12 Jahren nahm Hippe unter dem Einfluss seines älteren Bruders im Jahre 1912 an einer Demonstration gegen den drohenden imperialistischen Krieg teil. Am 1. Mai 1916 schloss er sich, inzwischen politisch bewusst und selbständig, der ersten großen Demonstration gegen den Krieg in Berlin an, auf der Karl Liebknecht zu 10.000 Arbeitern sprach. Wenig später wurde er Mitglied des Spartakusbundes, der revolutionären Organisation von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die sich während der Revolution 1918–1919 endgültig von der zentristischen USPD trennen und die KPD gründen sollte. Noch unter der Führung dieser großen Marxisten – Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Leo Jogiches – erhielt Hippe seine Grundausbildung im Marxismus. Seine programmatische Orientierung auf die sozialistische Weltrevolution, sein proletarischer Internationalismus, dem er sich unter dem Eindruck des imperialistischen Krieges wie selbstverständlich angeschlossen hatte, erhielt eine wissenschaftliche Fundierung, die ihn sein Leben lang daran festhalten ließ.

Während der revolutionären Erhebung des Proletariats, die im November/Dezember 1918 zum Sturz des Kaisers und der Errichtung von Arbeiter- und Soldatenräten führte, kämpfte Oskar Hippe für die Machteroberung der Arbeiterklasse durch eine sozialistische Revolution, wie sie im Oktober 1917 in Russland stattgefunden hatte. Zu jener Zeit war er in Berlin im Zentrum der revolutionären Auseinandersetzungen aktiv, bis Noskes konterrevolutionäre Freikorps Anfang 1919 die Kämpfe um das Berliner Zeitungsviertel blutig niederschlugen. Er musste Berlin verlassen und zog nach Halle, um fortan in diesem Gebiet den Kommunistischen Jugendverband (KJV) aufzubauen.

Dort arbeitete er im Braunkohlebergbau und agitierte zusammen mit seinem Bruder: tagsüber, während der harten Arbeit unter den Kollegen, abends im Gewerkschaftshaus. Zusammen mit anderen Parteimitgliedern rekrutierte er bald mehrere hundert junge Arbeiter in die KPD bzw. den KJV. Er wurde in die Unterbezirksleitung Merseburg des KJV gewählt.

Und Oskar Hippe gab sich nicht mit organisatorischen Erfolgen im Aufbau der Partei zufrieden, sondern legte auch großen Wert auf die ideologische Ausbildung. So wurden für die neu gewonnenen Mitglieder Schulungen über die Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus und die Lehren der russischen Revolutionen von 1905 und 1917 organisiert.

Massendemonstration gegen den Kapp-Putsch in Berlin, März 1920

Im März 1920 stand er im mitteldeutschen Industriegebiet um Halle und Leuna an vorderster Front des revolutionären Aufstands, mit dem die Arbeiterklasse in ganz Deutschland auf den Kapp-Putsch reagierte. Obwohl Millionen von Arbeitern damals den Kampf aufnahmen und insbesondere in Mitteldeutschland und im Ruhrgebiet zu den Waffen griffen, um den Putsch der konterrevolutionären Generale zum Scheitern zu bringen, konnte sich am Ende mit Hilfe der SPD- und USPD-Führung die Reaktion durchsetzen. Oskar Hippe zog damals zusammen mit seinen Parteigenossen aus dieser neuerlichen Niederlage der deutschen Revolution eine entscheidende strategische Lehre, an der er bis zu seinem Tode festhielt:

Alle diejenigen, die meinten, dass im März 1920 die Voraussetzungen für eine siegreiche Revolution nicht gegeben gewesen wären – weil sie nicht in der Lage waren, aus ihren Büros heraus die Bewegung der Massen richtig einzuschätzen –, täuschten sich gewaltig. Die Millionenmassen, die der 13. März in Bewegung gebracht hatte, brauchten die Bürokraten nicht, um sich die Kampfmittel zu schaffen und den Putsch der reaktionären Kräfte abzuwehren. Was ihnen abging, war die politische Erfahrung, auch das Morgen zu gestalten. Die kleine Kommunistische Partei hatte nicht den Einfluss auf die Massen, um sie in die sozialistische Republik zu führen. (…) Über die Ursachen der Niederlage trotz erfolgreichen Einsatzes im Abwehrkampf wurde in unserer Partei, aber besonders im Jugendverband, viel diskutiert. Fast einmütig kam man im Laufe der Diskussionen zu der Auffassung, dass Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht früh genug den Trennungsstrich zur sozialdemokratischen Politik gezogen hatten, wie das der linke Flügel der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands im Jahre 1903 [der bolschewistische Flügel unter Führung von Lenin, W.W.] getan hatte. Spätestens in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch, als der Reformismus immer offensichtlicher wurde, hätte die Linke innerhalb der SPD den Kurs auf Spaltung nehmen müssen. Wenn es auch nicht möglich gewesen wäre, den Krieg zu verhindern, der Ausgang der Novemberrevolution wäre ein anderer gewesen. (Oskar Hippe, „... und unsere Fahn' ist rot“, Hamburg 1979, S. 48-49)

Noch kurz vor seinem Tode erläuterte Oskar Hippe angesichts des erneuten Beginns revolutionärer Kämpfe der deutschen Arbeiterklasse, die das Honecker-Regime in der DDR zu Fall brachten, diese wichtige Lehre: „Es genügt nicht, ein klares, marxistisches Programm für die Arbeiterklasse zu haben! Es bedarf einer ausgebildeten, klar abgegrenzten Organisation von Kadern in der Arbeiterklasse, d.h. einer bolschewistischen Partei, die in der Lage ist, dieses Programm in die Arbeiterklasse zu tragen und dort für sozialistisches Bewusstsein zu kämpfen“, betonte er immer wieder.

Die Märzereignisse 1921 fanden ihn wiederum an vorderster Front, nämlich beim Kampf um die von bewaffneten Arbeitern besetzten Leuna-Werke, welche von Polizeitruppen umstellt waren. Die Reichsregierung hatte durch die Entsendung von mehreren Hundertschaften Polizei in das Mansfelder Kupferbergbaurevier eine Streikwelle im gesamten mitteldeutschen Industriegebiet provoziert. Vor allem auf Betreiben der syndikalistischen KAPD, welche den Bolschewismus ablehnte und eine ultralinke Politik verfolgte, mündete diese Bewegung in bewaffnete Kämpfe mit der Polizei.

Die KPD war zwar inzwischen durch den Zusammenschluss mit dem revolutionären Flügel der USPD zahlenmäßig auf rund 400.000 Mitglieder angewachsen, doch war sie politisch auf diese Entwicklung nicht vorbereitet, sondern wurde von ihr förmlich überrollt und mitgerissen, so dass die Arbeiterklasse als Ganzes ohne bewusste politische Führung und Strategie blieb. Die Aufstände, welche sich in Mitteldeutschland und Hamburg konzentrierten, blieben isoliert und zum Scheitern verurteilt.

Einen neuen Höhepunkt und vorläufigen Abschluss fanden die revolutionären Erhebungen des Proletariats in Deutschland schließlich im Herbst 1923. Zwar hatte die KPD unter den Bedingungen einer rasch sich vertiefenden Wirtschaftskrise und galoppierenden Inflation beträchtlich an Einfluss gewonnen, und eine radikalisierte Arbeiterklasse ging stark nach links und wartete nur noch auf das Signal zum Aufstand. Aber dieses Signal von Seiten der KPD-Führung blieb aus, und ein bereits vorbereiteter Generalstreik wurde wieder abgeblasen. Ein daraufhin isolierter Aufstand der Arbeiter in Hamburg wurde blutig niedergeschlagen, die KPD wenig später illegalisiert. Die Verantwortung dafür lag vor allem bei Stalin und Sinowjew, die als Führer der Komintern der KPD und ihrem Vorsitzenden Brandler den Rat gegeben hatten, alle revolutionären Kämpfe abzublasen und auf keinen Fall die Machteroberung zu wagen, da sie keine Aussicht auf Erfolg haben würde.

Diese Niederlage des Proletariats 1923 bedeutete einen Wendepunkt nicht nur für die deutsche, sondern für die gesamte internationale Arbeiterklasse. In der Sowjetunion sahen sich dadurch diejenigen sozialen Kräfte gestärkt, die der internationalen Arbeiterklasse und ihrer Befreiung feindlich gegenüberstanden: die Schmarotzerschicht der Bürokraten im Staats- und Parteiapparat und die Oberschichten im städtischen und ländlichen Kleinbürgertum. Für sie formulierte Stalin das Programm, das eine Absage an die sozialistische Weltrevolution bedeutete, den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“. Die weitere Entwicklung der KPD wie die der gesamten Kommunistischen Internationale wurde nun vor allem vom Aufstieg der Bürokratie unter Stalin in der Sowjetunion und deren wachsenden zerstörerischen Einfluss auf die Komintern bestimmt.

Trotzki spricht im November 1932 in Kopenhagen

An der Seite Leo Trotzkis im Kampf gegen den Stalinismus

Oskar Hippe, inzwischen im ganzen Industriegebiet von Sachsen und Anhalt als Kommunist bekannt, wurde nach dem Sieg der Konterrevolution im Oktober 1923 von keinem Unternehmer mehr dort eingestellt und zog deshalb wieder nach Berlin. Dort schloss er sich sehr früh der Internationalen Linken Opposition an, die von Leo Trotzki angeführt wurde. Die Linke Opposition kämpfte gegen die bürokratische Entartung der Sowjetunion und der Komintern und verteidigte den Marxismus und sein Programm der sozialistischen Weltrevolution gegen den Stalinismus.

In Berlin stand die Mehrheit der Mitglieder in den wichtigsten Unterbezirken der KPD hinter den oppositionellen Kräften, die sich der Stalin-Fraktion und ihren Erfüllungsgehilfen im Zentralkomitee der KPD entgegenstellten. Am 1.September 1926 wandte sich diese Opposition mit einer Erklärung an das Zentralkomitee, die sich offen mit der damals vereinigten Opposition unter Trotzki und Sinowjew in der Sowjetunion solidarisierte. In dieser „Erklärung der 700“, die nebst der Unterschrift Oskar Hippes diejenigen von 700 Funktionären der KPD trug, wurde zu der „russischen Frage“ unter anderem folgendes erklärt:

Parteigenossen! Die Unterzeichneten haben mit dieser Erklärung die Initiative zu einer Solidaritätsaktion für die russische Opposition ergriffen. Wir sind fest überzeugt davon, dass die Mehrheit der kommunistischen Arbeiter sich für die Leningrader Opposition erklären würde, wenn sie die Möglichkeit hätte, die wirklichen Gegensätze in unserer russischen Bruderpartei auf Grund einwandfreier Information und einer allseitigen Diskussion kennen zu lernen. (…) Die neuen organisatorischen Maßnahmen gegen die verschiedensten Oppositionsführer, die die bedeutendste Sektion der Komintern, die KPdSU, an den Rand der Spaltung gebracht haben, müssen auch dem letzten Genossen die ungeheure Verantwortung zum Bewusstsein bringen, die auf ihm lastet, wenn er gezwungen ist, sein Urteil in der russischen Frage zu fällen. (…) In diesem Kampfe wendet sich die Leningrader Opposition gegen die Bejahung der Möglichkeit des Sozialismus in einem Lande, für die unverminderte Vorwärtstreibung der revolutionären Bewegung in den übrigen Ländern, in engster Verbindung mit dem sozialistischen Aufbau in Russland bis zum Triumph des Sozialismus durch den Sieg der Weltrevolution,
gegen die Idealisierung des gegenwärtigen Zustands der russischen Staatsindustrie als konsequent sozialistische Industrie, (…)
gegen die Übertreibung der NEP, wie sie besonders krass durch das geflügelte Wort „Bereichert Euch!“ signalisiert wurde und in der Praxis, z.B. durch die neue Landgesetzgebung, im Warenaustausch und Freihandel usw. ihren Ausdruck findet, (…)
gegen jegliche Lockerung der Diktatur des Proletariats gegenüber der Stadt- und Dorfbourgeoisie durch Ausdehnung der Sowjetdemokratie usw., (…)
gegen die Überwucherung nichtproletarischer Elemente in der KPdSU, für die schleunigste Auffüllung des russischen Parteikaders mit Industrie-Arbeitern und Dorfarmen als die natürlichsten Feinde der kapitalistischen Offensivkräfte in Stadt und Land,
gegen den falschen innerparteilichen Kurs, durch Anwendung mechanischer Unterdrückungsmassnahmen (Beschränkung der Diskussionsfreiheit, Maßregelungen usw.),
für die Ausgestaltung der innerparteilichen Demokratie und die Heranziehung aller Genossen ohne Unterschied ihrer parteilichen Stellung zur verantwortlichen Mitarbeit (…).

Wir fordern wirkliche Parteidemokratie in der Komintern und in der KPdSU und KPD. Wir weisen jede Revision des Leninismus auf das Entschiedenste zurück. Zurück zu Lenin, zum wirklichen, echten, unverfälschten Leninismus! Das muss die Losung der Diskussion sein. (zitiert bei Hippe, op. cit., S. 91 ff., Hervorhebungen im Original)

Die Opposition in der KPD konnte mit dieser Offensive tatsächlich eine umfangreiche Diskussion in der Partei sowohl über die „russische Frage“ als auch über den Kurs der von Stalin eingesetzten Parteiführung in Deutschland und ihre immer zahlreicher werdenden Fehler durchsetzen. An Ostern 1928 gab sich die Linke Opposition eine organisatorische Form und gründete den Leninbund als Fraktion innerhalb der KPD.

Die Stalin-Thälmann–Führung reagierte mit massenhaften Parteiausschlüssen, Einschüchterung und bewusster Irreführung der verbliebenen Mitgliedschaft bezüglich der Kritik Leo Trotzkis und seiner Anhänger an der Politik der Komintern-Führung. Doch Thälmann, Neumann, Ulbricht und Konsorten benötigten drei Jahre, um mit diesen Methoden jede marxistische Diskussion zu ersticken und sich mit Stalins Programm in der KPD durchzusetzen.

Oskar Hippe gehörte innerhalb des Leninbundes zur Gruppe um Anton Grylewicz, Seipold, Joko und Schoeler, die auch Ende 1929, als Hugo Urbahns, der Führer des Leninbundes, den vollständigen Sieg der Konterrevolution in der UdSSR verkündete, an den Auffassungen Leo Trotzkis und der Internationalisten in der Komintern festhielt, nämlich dass die Sowjetunion immer noch ein Arbeiterstaat sei, wenn als solcher auch degeneriert und von einer bürokratischen Schmarotzerschicht beherrscht. Die Aufgabe der marxistischen Fraktion in der Komintern sei es, so Trotzki, nicht vorzeitig zu spalten und die Komintern der Kreml-Bürokratie zu überlassen, sondern gegen den von Stalin diktierten Kurs der Parteiführungen zu kämpfen, die Kommunistischen Parteien wieder mit einem proletarischen Programm zu bewaffnen und so künftige Siege der Arbeiterklasse vorzubereiten.

Hugo Urbahns hingegen verwarf die wichtigste Lehre aus dem Sieg der Oktoberrevolution in Russland 1917 und der Niederlage der Novemberrevolution in Deutschland 1918, nämlich dass die Arbeiterklasse in einer Revolution nur zum Sieg gelangen kann, wenn sie sich zuvor eine marxistische Partei wie Lenins Bolschewistische Partei in Russland als revolutionäre Führung geschaffen hat.

Während Urbahns mit der Mehrheit im Leninbund den Kampf innerhalb der Komintern zu ihrer Reform aufgab und in der Folgezeit immer weiter nach rechts ging, gründete die Gruppe Grylewicz im Februar 1930 die „Vereinigte Linke Opposition, Bolschewiki- Leninisten“. Ab Juli 1931 war die Linke Opposition in der Lage, die Zeitschrift Permanente Revolution  herauszugeben, mit der sie den Kampf für eine marxistische Erneuerung der KPD führte.

Auf der ersten Seite der ersten Ausgabe dieser Zeitschrift machte die Linke Opposition klar, dass es ihr in diesem Kampf nicht um diese oder jene Differenzen mit der nationalen Politik der KPD-Führung ging, sondern um die grundlegende strategische Orientierung der gesamten Kommunistischen Internationale, um die Verteidigung und Wiederbelebung des proletarischen Internationalismus als programmatische Grundlage des Kampfs der Kommunisten in jedem Land. Sie schrieb:

Der Titel dieser Zeitschrift ist die Parole jener Bewegung, die seit einer Reihe von Jahren im Gegensatz zu den offiziellen Führern der Kommunistischen Bewegung steht: ‚Permanente Revolution‘ ist die strategische Linie, auf der der Befreiungskampf der Arbeiterklasse vor sich gehen wird.

Weiter heißt es dort:

Die unter dem Stalinismus aufgekommene Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ ist das Kernstück jener falschen Politik, an der heute die revolutionäre Arbeiterbewegung der ganzen Welt krankt. Die Behauptung, den „Sozialismus in einem Lande“ verwirklichen zu können, bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Negierung des internationalen Charakters der sozialen Revolution.

In Deutschland wirkt sich die Verfälschung des Marxismus-Leninismus aus in einer immer deutlicher werdenden Vernachlässigung der internationalen Perspektiven und in einer immer unverhüllteren Betonung des nationalen Standpunktes. Die Parole von der „nationalen und sozialen Befreiung“, die Ersetzung des marxistischen Begriffs der sozialen Revolution durch den unmarxistischen Begriff der „Volksrevolution“ sind die untrüglichen Kennzeichen der ideologischen Verwirrung der Führung unserer Partei. Dieser Verwirrung muss ein klar umrissenes marxistisches Programm gegenübergestellt werden, dessen Kernstück die Theorie der „Permanenten Revolution“ ist. „Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinn des Wortes zu einer permanenten Revolution: Sie findet ihren Abschluss nicht vor dem endgültigen Siege der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten“ (Trotzki). Permanente Revolution bedeutet für uns also sozialistische Revolution mit eindeutiger internationaler Perspektive unter bedingungsloser Ablehnung aller der aus dem Arsenal des Reformismus und Nationalismus entlehnten Parolen von dem national begrenzten Sozialismus und nationaler Befreiung.

In der Periode des geistigen Verfalls in den Reihen der heutigen Führung der Komintern wird die Theorie der permanenten Revolution zur Fahne des internationalen Marxismus.

Oskar Hippe nahm in der Linken Opposition bald eine führende Stellung ein; ab dem Sommer 1931 war er in der Reichsleitung und arbeitete dort eng mit Trotzkis Sohn Leo Sedow zusammen, der erst nach der Machtergreifung der Nazis, im Frühjahr 1933, Berlin verließ und nach Paris übersiedelte. 1932 nahm Hippe an der Konferenz der Internationalen Linken Opposition in Kopenhagen teil, auf der er mehrere persönliche Diskussionen mit Leo Trotzki führte. Vor der unabhängigen Dewey-Kommission, welche die Anklagen in Stalins Moskauer Prozessen gegen Trotzki und Trotzkis Sohn Leo Sedow untersuchte und schließlich als völlig haltlos, auf Lügen und gefälschten „Beweisen“ beruhend nachwies, erwähnte Leo Trotzki „Hippe, einen deutschen Arbeiter“, ausdrücklich als Teilnehmer der Kopenhagener Konferenz und Anhänger der Internationalen Linken Opposition in Deutschland.

Angesichts der wachsenden Gefahr einer faschistischen Diktatur konzentrierte sich die Arbeit Leo Trotzkis und der Linken Opposition in Deutschland auf den Kampf für eine Einheitsfront von KPD und SPD gegen den Hitlerfaschismus. Die KPD-Führung unter Thälmann dagegen lehnte auf Anweisung von Stalin eine solche Einheitsfront ebenso ab wie die SPD. Die Stalinisten erklärten nicht den Faschismus der Nazis, sondern den „Sozialfaschismus“, d.h. die SPD, zum „Hauptfeind“ der Arbeiterklasse. Anstatt in den Massenorganisationen, den Gewerkschaften, durch gemeinsame Kampfaktionen mit den sozialdemokratischen Arbeitern diese von ihren Führern zu brechen, gründeten sie eigene Gewerkschaften, die sogenannte RGO, isolierten sich dadurch mehr und mehr von den Betriebsarbeitern und trieben diese immer wieder in die Arme ihrer verräterischen Führer zurück.

Anschaulich beschreibt Hippe in seiner Autobiographie, wie die KPD auf diese Weise ihren eigenen Einfluss in der Arbeiterklasse untergrub, der antikommunistischen Propaganda der rechten SPD-Führer Munition lieferte und den Nazis und ihren Terrorbanden in die Hände spielte. In Gebieten, wo die Linke Opposition/Bolschewiki-Leninisten stark war und über einigen Einfluss verfügte (z.B. in Oranienburg bei Berlin, Birkenwerder, Sachsenhausen, in Bruchsal/Baden oder Erkenschwick/Ruhrgebiet), konnten die Trotzkisten, indem sie sich direkt an die Arbeiter in den Betrieben wandten, große Massenversammlungen organisieren und zumindest auf regionaler Ebene die Errichtung von Einheitsfrontkomitees durchsetzen, an denen sich unter dem Druck der Arbeiter die SPD und die KPD als Parteien beteiligen mussten.

Doch die KPD-Führung gab trotz aller Appelle und trotz der immer näher rückenden Gefahr der faschistischen Machtübernahme ihre verderbliche Politik nicht auf. Statt sozialdemokratische Arbeiter zu überzeugen und für ein gemeinsames proletarisches Programm zu gewinnen, konkurrierte sie mit den Nazis in der Propaganda mit nationalistischen Parolen und versuchte – natürlich vergeblich –, auf diese Weise antikommunistisch aufgehetzte kleinbürgerliche Schichten an sich zu ziehen. KPD-Funktionäre und Mitglieder dagegen, die sich an Einheitsfrontaktionen beteiligten, schloss sie aus.

In Wirklichkeit versteckte die stalinistische Führung hinter ihren ultralinken Phrasen eine völlig rechte, opportunistische Linie: dass es nämlich aussichtslos sei, die Arbeiterklasse in Deutschland für ein revolutionäres Programm zu mobilisieren und die Mehrheit der Arbeiter von ihrer traditionellen sozialdemokratischen Führung zu brechen.

Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg am 21. März 1933 in Potsdam [Photo by Bundesarchiv, Bild 183-S38324 / CC BY-SA 3.0]

Im Kampf für ein proletarisches Programm gegen den Faschismus

Der Trotzkist Oskar Hippe dagegen gab niemals die wissenschaftlich begründete Überzeugung der Marxisten von den revolutionären Fähigkeiten und Aufgaben der Arbeiterklasse auf. Als die Nazis im Jahr 1933 aufgrund der von der KPD- wie von der SPD-Führung organisierten Lähmung und Spaltung der Arbeiterklasse an die Macht gekommen waren, blieb Hippe in Deutschland, um die revolutionäre Arbeit der trotzkistischen Bewegung im Untergrund und den Widerstand gegen die Nazis aufrechtzuerhalten. Er sah seine Aufgabe darin, selbst unter diesen schwierigen Bedingungen einen marxistischen Kader zu sammeln und im Sinne der 1938 von Leo Trotzki gegründeten Vierten Internationale zu erziehen.

In seiner Autobiographie schreibt Hippe dazu:

Die Linke Opposition hatte sich weitgehend auf die konspirative Arbeit umgestellt. Wir hatten uns bei unserer Arbeit gegen den Faschismus die Aufgabe gestellt, kommunistische Kader heranzubilden, die in der Lage sein sollten, in der kommenden Krise des Faschismus sich das Vertrauen der Arbeiter zu erwerben, um mit ihnen gemeinsam die Nazis zu stürzen. Unsere Genossen sollten sowohl mit den Mitgliedern der KPD, zu denen schon zahlreiche Kontakte bestanden, als auch zu den Genossen der SPD, SAP und des Leninbundes Beziehungen mit dem Ziel aufnehmen, sie durch intensive Aufklärungsarbeit zu überzeugen, dass der Faschismus nur durch die Einheit der Arbeiterklasse zu überwinden sei.

In dieser Hinsicht war Unser Wort [das Zentralorgan der Linken Opposition in Deutschland, das von der Exilführung in Paris herausgegeben wurde; W.W.] eine große Hilfe. In unseren Zusammenkünften diskutierten wir immer wieder das Problem der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Partei, die neu geschaffen werden musste, weil weder die KPD noch die SPD sich in der Lage gezeigt hatten, die Arbeitermassen zum Sozialismus zu führen. Nach dem Sieg Hitlers hielten wir eine Reform der KPD nicht mehr für möglich und änderten unseren Kurs...“ (Hippe, op. cit., S. 146)

Die leichtfertige Unterschätzung des Nazi-Regimes, dem nach Auffassung von Stalin und Thälmann nur ein paar Monate beschieden sein würden, worauf dann sogleich „die Machtübernahme durch die KPD folgen“ würde, spiegelte sich bei der KPD auch in dem völligen Fehlen jeglicher Vorbereitung auf die Illegalität und in der Vernachlässigung von Schutz und Sicherheit für die Parteimitglieder vor der Gestapo wider. Die Linke Opposition dagegen, die ihre Arbeit rasch auf Fünfer-Gruppen umgestellt hatte und strikte Sicherheitsregeln einhielt, war in der Lage, ihre Kader lange zusammenzuhalten.

Erst zum Jahreswechsel 1933–1934 gelang der Gestapo ein erster größerer Schlag gegen die trotzkistische Bewegung in Berlin, ohne sie freilich vernichten zu können. 1935–1936 gelang ihr die Zerschlagung der meisten funktionierenden trotzkistischen Widerstandsgruppen außerhalb Berlins, und dies auch nur, weil sie sich dabei auf stalinistische Kollaborateure und Verräter stützen konnte, welche die Mitglieder der Linken Opposition noch aus der Zeit vor der Machtergreifung Hitlers persönlich kannten. Oskar Hippe wurde im Januar 1934 verhaftet, gefoltert und schließlich als „politischer Verbrecher“ unter besonders schweren Bedingungen zwei Jahre im Zuchthaus gefangen gehalten. Seine Frau Gertrud, die der zentrale Kurier der Linken Opposition war und daher alle Namen und Adressen der Genossen wusste, wurde ebenfalls verhaftet und sogar zum Krüppel gefoltert. Doch beide gaben in keinem Moment auf, verrieten keinen einzigen Namen.

Im Gefängnis setzte Hippe seine Propaganda-Arbeit für den Trotzkismus und sein revolutionäres Programm fort. Heimlich konnte er Diskussionen mit anderen Anhängern Leo Trotzkis, aber auch mit Mitgliedern der KPD, die er dort traf, führen. Während der Verhandlung vor Gericht distanzierten er und seine trotzkistischen Genossen sich im Gegensatz zu den ebenfalls angeklagten KPD-Mitgliedern nicht von ihren Überzeugungen und Taten. Hippe und sein Mitangeklagter und Genosse Oskar Großmann richteten beide ihr Wort an die Zuhörer im Saal, ungefähr 200 Leute, meist Genossen, Verwandte und Freunde, und ermutigten sie, ihren revolutionären Kampf fortzuführen und an ihren Prinzipien festzuhalten. (Großmann sollte später wegen seiner sowjetischen Staatsangehörigkeit aus Deutschland ausgewiesen werden und verschwand daraufhin – sehr wahrscheinlich in den Todeszellen von Stalins Geheimpolizei.)

Im Gericht klagten Hippe und Großmann das kapitalistische System an, das den Faschismus gezüchtet habe; nicht sie und ihre Organisation gehörten auf die Anklagebank, sondern der Kapitalismus. Hippe erklärte in seiner Rede, dass er auf der Grundlage der wissenschaftlichen Theorie des Marxismus und auf Grund all‘ der Erfahrungen, die er in seiner Jugend, während des Ersten Weltkriegs und während der Weimarer Republik gemacht habe, fest davon überzeugt sei, dass auch der Nationalsozialismus nicht in der Lage sei, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Kapitalismus zu lösen.

„Wir Kommunisten“, erklärte er, „stehen auf dem Standpunkt, dass schon längst alle Voraussetzungen vorhanden sind, die Gesellschaft auf eine höhere – die sozialistische – Stufe zu heben. Wenn es in der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit nicht möglich gewesen ist, im Jahre 1933 diese neue Gesellschaft im Interesse der gesamten Menschheit zu erkämpfen, so tragen dafür die beiden Arbeiterparteien SPD und KPD die Schuld.“ Und er schloss: „Meine Herren Richter, Sie mögen uns verurteilen, das ändert aber nichts daran, dass dieses System stürzen wird, stürzen wird durch einen verlorenen Krieg. Ob wir ihn überleben oder nicht, das ist nicht das Wichtigste; wichtig ist, dass früher oder später der Sozialismus siegen wird und damit ein Gesellschaftssystem eingeleitet wird, welches allen Menschen dient.“ (zitiert in Hippe, op. cit., S. 156-157)

Zwangsarbeiter im KZ Buchenwald nach seiner Befreieung im April 1945

Im Zuchthaus musste Hippe mit ansehen, wie viele seiner Genossen zur Hinrichtung geführt oder in ein KZ deportiert wurden. Nach seiner Freilassung nahm Hippe die politische Arbeit wieder auf, sobald die Polizeiüberwachung etwas nachgelassen hatte. Doch nun wurden die Schwierigkeiten der mutigen Arbeit der Trotzkisten in Deutschland durch die materiellen und politischen Bedingungen des imperialistischen Krieges erschwert: Es fehlten viele junge Genossen, die an die Front mussten, und nach den ersten Erfolgen der Nazis an der Kriegsfront schwappte eine Welle des Chauvinismus über Deutschland, die nun, nach der Zerschlagung all‘ ihrer eigenen Klassenorganisationen, auch große Teile der Arbeiterklasse erfasste.

Und dennoch, trotz des fast völligen Abbruchs der Verbindung nach draußen, zum Internationalen Sekretariat der Vierten Internationale, gaben Oskar und Gertrud Hippe und die Gruppe von Trotzkisten um sie herum ihre politischen Überzeugungen und Prinzipien nicht auf. Dies wurde besonders in der Auseinandersetzung innerhalb der Vierten Internationale deutlich, als in den USA der Konflikt mit der Burnham-Shachtmann-Gruppe über die Frage des Klassencharakters der UdSSR aufbrach.

Unter dem Eindruck des Hitler-Stalin-Paktes und des darauffolgenden Kriegsausbruchs vertraten Burnham und Shachtman die These, die Sowjetunion sei nicht länger ein entarteter Arbeiterstaat. Daher lehnten sie auch die Verteidigung der Sowjetunion gegen einen imperialistischen Angriff ab. In diesem Kampf verteidigte noch Trotzki selbst den Marxismus gegen diese revisionistische Tendenz. Er wies nach, dass sie damit nur den Bedürfnissen des amerikanischen Imperialismus entsprach, der ein Interesse daran hatte, die Niederschlagung des deutschen Rivalen mit dem Ausbluten und der völligen Zerstörung des ersten Arbeiterstaates und der dort immer noch existierenden Errungenschaften der Oktoberrevolution zu verbinden.

Von dieser Auseinandersetzung erhielten die Trotzkisten in Berlin nur einen verspäteten und völlig verdrehten Bericht, dem zufolge sich Trotzki am Ende Burnhams und Shachtmans Auffassungen angeschlossen habe. Aber Hippe und seine Genossen hielten dennoch an ihrer Überzeugung fest, dass die Sowjetunion zwar unter Stalin bürokratisch entartet, aber immer noch ein Arbeiterstaat sei, der gegen einen imperialistischen Überfall verteidigt und durch den Sturz der stalinistischen Bürokratie regeneriert werden müsse, in erster Linie durch die Mobilisierung des internationalen Proletariats für das Programm der sozialistischen Weltrevolution, in einem dadurch ermöglichten Sieg über den Imperialismus.

Wenig später erreichte Oskar Hippe und seine Genossen die niederschmetternde Nachricht von der Ermordung Leo Trotzkis im August 1940 durch einen Agenten Stalins. Als sie im Januar 1941 die Bestätigung dieser Nachricht durch die Zeitung Unser Wort  erhielten, kam es zu jener denkwürdigen Szene, als sich mitten unter der faschistischen Diktatur mehrere Trotzkisten versammelten, die Faust erhoben und die Internationale sangen, um des neben Lenin bedeutendsten marxistischen Führers in diesem Jahrhundert zu gedenken. Oskar Hippe bezeichnete dies später als den bewegendsten Augenblick in seinem Leben:

Als wir über Unser Wort  die endgültige Bestätigung vom Tode Trotzkis in Händen hielten, traten wir zum ersten Mal aus unserer strengen Illegalität heraus, beziehungsweise lockerten sie. Im Hause des Genossen Trigojess in Charlottenburg, Knobelsdorffstraße 1, versammelten sich alle alten Berliner Genossen, zusammen mit den Leitern der Fünfergruppen, darunter auch einige aus der näheren Umgebung Berlins, um der großen Persönlichkeit Trotzkis zu gedenken und nicht nachzulassen, im Kampf gegen den Faschismus die Grundlagen des Marxismus-Leninismus zu verteidigen. (Hippe, op. cit., S.174-175)

Im Gegensatz zu diesen proletarischen Kämpfern hatten sich jene Führer der Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), der deutschen Sektion der Vierten Internationale, die sich in Paris und dann in New York im Exil befanden, bald nach Trotzkis Tod den Anschauungen Burnhams und Shachtmans angeschlossen und mit dem Trotzkismus gebrochen. So schrieben Johre und Oskar Fischer (Otto Schüssler) vom Auslandskomitee der IKD 1941 ein Dokument, „Drei Thesen über die Lage in Europa und die politischen Aufgaben“, in dem sie unter dem Eindruck des vorübergehenden Siegeszugs der faschistischen Armeen in Europa die Perspektive der proletarischen Revolution als „utopisch“ verwarfen und an ihre Stelle die „Aufgaben der nationalen Befreiung“ mittels einer breiten, auch die bürgerlichen Klassen umfassenden Widerstandsbewegung setzten. Damit forderten sie praktisch, die Trotzkisten sollten sich der bürgerlichen Volksfront-Politik der Stalinisten anschließen, welche zum Ziel hatte, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gegen revolutionäre Erhebungen des Proletariats am Ende des Weltkriegs zu verteidigen. 1946 schließlich brachen sie offen und vollständig mit der Vierten Internationale.

Das nach dem Krieg zerstörte Brandenburger Tor [Photo by Bundesarchiv, B 145 Bild-P054320 / Weinrother, Carl / CC BY-SA 1.0]

Unter dem stalinistischen Terror in der DDR

Sofort nach dem Zusammenbruch des Faschismus 1945 begann Oskar Hippe, die trotzkistische Partei in Deutschland wieder aufzubauen. In Berlin hatte er bald wieder eine starke Gruppe von über 50 Mitgliedern beisammen, die sich vor allem auf Agitationsarbeit in den Gewerkschaften konzentrierte. Bald ging Hippe daran, auch in der sowjetisch besetzten Zone Mitteldeutschlands eine trotzkistische Gruppe aufzubauen, und 1947 gelang ihm dies im Gebiet seiner politischen Arbeit nach dem Ersten Weltkrieg, in Weißenfels und Merseburg. Von dort aus wurden Arbeiter in den Leuna-Werken gewonnen. Weitere Gruppen wurden in Halle und im Mansfeldischen Kupferschieferbergbau gebildet.

Inzwischen hatte er sich in der Gewerkschaftsbewegung von Berlin große Anerkennung und einigen politischen Einfluss erkämpft. Am 9. September 1948 sprach er in einer großen Funktionärskonferenz der Berliner ÖTV, die im Ostberliner Bezirk Friedrichshain stattfand. Unter den Augen der anwesenden sowjetischen Kontrolloffiziere griff Hippe vor den versammelten Gewerkschaftern die Kollektivschuld-Theorie an, nach der „das gesamte deutsche Volk“, also auch die Arbeiterklasse, für den Hitler-Faschismus verantwortlich sei. Die Stalinisten vertraten diese arbeiterfeindliche Theorie am lautesten, um ihre eigene Verantwortung für die Machtergreifung Hitlers 1933 zu verschleiern. Sie behaupteten, die Arbeiterklasse sei „nicht reif für den Sozialismus“, sondern müsse erst durch die Schule der bürgerlichen Demokratie gehen.

Mit dieser Behauptung versuchten sie auch, das üble Verhalten der sowjetischen Armee als Besatzungstruppen, die Demontagen der Industrieanlagen und Ausplünderung der besetzten Gebiete, die Vertreibung aus den heute polnischen Provinzen und die fortgesetzte Inhaftierung der deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion zu rechtfertigen. Hippe vertrat dagegen die Notwendigkeit eines sozialistischen, proletarischen Klassenprogramms, die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, sich unabhängig von den Besatzungsmächten zu organisieren, und den Anspruch, sie zum Sturz des Kapitalismus zu mobilisieren. Hippe erklärte:

Die blutleere Demokratie der Weimarer Zeit, die dem Faschismus zum Siege verhalf, darf in ihrer alten Form nicht wieder entstehen. Auf der Tagesordnung steht der Kampf um den Sozialismus, weil eine Demokratie ohne Sozialismus nicht in der Lage ist, erfolgreich den Kampf gegen den Kapitalismus zu führen. (zitiert in Hippe, op. cit., S. 208)

Und Oskar Hippe fand für seine Position eine so große Unterstützung, dass seine Redezeit auf Antrag der Versammlung gegen den Willen der von der SED gestellten Versammlungsleitung um das Doppelte verlängert wurde.

Doch zwei Tage später wurde er während einer Fahrt zu politischen Besprechungen in Halle von der stalinistischen Militärpolizei verhaftet. Auch andere führende Trotzkisten aus der Berliner Gegend wurden ebenfalls verhaftet und verschleppt. Hippe wurde nach monatelangen Verhören, Folterungen und Misshandlungen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren schwerer Haft verurteilt, was in den stalinistischen Gefängnissen leicht ein Todesurteil oder zumindest lebenslänglich bedeuten konnte.

Hippe verbrachte acht Jahre in den Kerkern der Stalinisten, die meiste Zeit davon in Bautzen unter den schlimmsten Bedingungen. Seine Frau Gertrud bekam keine Besuchserlaubnis; erst zwei Jahre nach seiner Verhaftung erhielt sie den ersten Brief von ihm. Erst im Jahr 1956, als die stalinistische Bürokratie ganz Osteuropas im Zusammenhang mit Chruschtschows Enthüllungen über Stalins Verbrechen auf dem XX. Parteitag der KPdSU in eine tiefe Krise geriet, wurde Hippe im Rahmen einer Amnestie freigelassen.

Sowjetische Panzer in Ostberlin, Juni 1953 [Photo by Bundesarchiv, B 145 Bild-F005191-0040 / via Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0]

Unterstützung des IKVI im Kampf gegen den Pablismus

Nach seiner Heimkehr nach Charlottenburg in Westberlin musste Oskar Hippe feststellen, dass die gesamte trotzkistische Organisation in Westdeutschland liquidiert worden war. Die Ursache dafür war, dass nach seiner Verhaftung 1948 die Führung der trotzkistischen Partei in Deutschland vollständig in die Hände derjenigen opportunistischen Tendenz gefallen war, die auf internationaler Ebene von Michel Pablo und Ernest Mandel und in Deutschland von Georg Jungclas geführt wurde. Diese Tendenz, nach ihrem Führer „Pablismus“ genannt, hatte mit der trotzkistischen Einschätzung des Stalinismus als durch und durch konterrevolutionär gebrochen. Die Verstaatlichungen, welche die stalinistische Bürokratie in Osteuropa durchführte, wurden dabei als Beweis für die Behauptung angeführt, die stalinistische Bürokratie könne sich „unter dem Druck der Massen selbst reformieren“ und zum Träger geschichtlichen Fortschritts werden.

Damals rief James P. Cannon, Führer der US-amerikanischen Socialist Workers Party (SWP), im November 1953 zur Gründung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) auf, um den Trotzkismus und die Vierte Internationale zu verteidigen. Diesem Aufruf schlossen sich in Europa unter anderem die französische und britische Sektion an, während die deutsche Sektion unter Jungclas sich für die Pablisten entschied.

Die sowjetischen Behörden hatten Oskar Hippe zu Recht als „die Seele der Trotzkisten in Deutschland“ betrachtet. Als er 1948 verhaftet wurde und in den Kerkern der stalinistischen Bürokratie verschwand, begrüßten dies nicht nur die sozialdemokratischen Bürokraten in Berlin und reagierten mit seiner fristlosen Entlassung aus dem Öffentlichen Dienst „wegen unerlaubter Entfernung vom Arbeitsplatz“. Auch Georg Jungclas und das Internationale Sekretariat rührten keinen Finger zur Befreiung Hippes und der anderen eingekerkerten trotzkistischen Kader. Weder organisierten sie eine Kampagne in der internationalen Arbeiterbewegung für seine Freilassung, noch besuchten sie in den acht Jahren auch nur ein einziges Mal seine Frau, geschweige denn, dass sie ihr politische, moralische und finanzielle Hilfe hätten zukommen lassen.

Im Sommer 1953 schließlich, als Oskar Hippe mit ansah, wie sich die Zellen in seinem Kerker mit Arbeitern füllten, die am Aufstand des 17. Juni gegen die stalinistische Bürokratie teilgenommen hatten – da priesen Jungclas und die Pablisten den „unumkehrbaren Prozess der Entstalinisierung“, der „Selbstreform der Bürokratie“, und weigerten sich, den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR zu fordern. Sie ordneten die Arbeiterklasse gerade in dem Moment der konterrevolutionären Bürokratie unter, als letztere drauf und dran war, die Kontrolle zu verlieren.

Mit der politischen Kapitulation vor dem Stalinismus ging die organisatorische Liquidation der Partei einher, denn nach Auffassung der Pablisten war der Kampf für wissenschaftliches, sozialistisches Bewusstsein durch den Aufbau einer leninistischen Partei angesichts der angeblich fortschrittlichen, ja gar revolutionären Rolle der stalinistischen Bürokratie völlig überflüssig geworden. An die Stelle einer geduldigen Erziehung marxistischer Kader in der Arbeiterklasse trat der Versuch, durch opportunistische Manöver rasch zentristische Massenorganisationen aufzubauen, die auf die jeweils vorherrschende, sozialdemokratische oder stalinistische Bürokratie in der Arbeiterbewegung Druck ausüben sollten.

Im März 1951 liquidierte sich nach diesem Rezept die deutsche Sektion der Vierten Internationale unter Anleitung von Jungclas, Pablo und Mandel in die „Unabhängige Arbeiterpartei“ (UAP), eine zentristische Vereinigung von „fortschrittlichen Stalinisten“ (hauptsächlich Tito-Anhängern), „linken Sozialdemokraten“ und Pablisten. Obwohl diese Operation nur wenige Monate Bestand hatte, leistete sie der Bourgeoisie in einer für sie kritischen Situation nach Ausbruch des Koreakriegs einen entscheidenden Dienst: Sie schuf der sozialdemokratischen Bürokratie und ihrer korporatistischen Politik der Mitbestimmung einen linken Deckmantel.

Diese Politik war darauf ausgerichtet, die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten und den Bedingungen brutaler Arbeitshetze und niedriger Löhne unterzuordnen, um den deutschen Kohle- und Stahlbaronen wieder das Eindringen auf dem Weltmarkt zu ermöglichen, die verarbeitende Industrie mit billigen Grundstoffen zu versorgen und so das „deutsche Wirtschaftswunder“ herbeizuführen. Jungclas und die UAP unterstützten, wie sie erklärten, „uneingeschränkt die Forderung nach dem Mitbestimmungsrecht“ als einen Schritt auf dem Weg der Arbeiterklasse, „ihre demokratischen Rechte in Betrieb und Wirtschaft durchzusetzen“.

Nach dem Zusammenbruch der UAP noch im selben Jahr drängten Pablo und Mandel auf den Eintritt ihrer Anhänger in die SPD, der bis 1953 abgeschlossen war und nicht die Spur einer unabhängigen trotzkistischen Organisation mehr übrigließ.

Doch was Oskar Hippe betraf, konnten auch acht Jahre Haft in Bautzen seine marxistischen Überzeugungen nicht unterhöhlen und seinen revolutionären Kampfgeist nicht brechen. Als er festgestellt hatte, dass nicht nur seine Gruppe in Berlin, sondern die Organisation in ganz Westdeutschland in die Sozialdemokratie liquidiert worden war, reiste er nach Köln zu Jungclas, um den Kampf dagegen aufzunehmen und sich über die Ursachen der Spaltung der Vierten Internationale und über die Gründung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale 1953, von der er erst jetzt erfahren hatte, zu informieren.

Oskar Hippes Erinnerungen: "... und unsere Fahn' ist rot", und die Würdigung Wolfgang Webers in der Neuen Arbeiterpresse (605), 20. April 1990

In dieser Situation enthüllte Georg Jungclas seine völlige Prinzipienlosigkeit und den durch und durch opportunistischen, hinterhältigen Charakter der pablistischen Tendenz, als er sich weigerte, die von Oskar Hippe erbetenen Dokumente zur Verfügung zu stellen. Erst als Oskar Hippe über Freunde doch noch an die Spaltungsdokumente der Vierten Internationale gelangte, konnte er sich selbst ein Urteil bilden. Und auf der Grundlage dieses Studiums der Dokumente entschied sich Hippe sofort, den pablistischen Opportunismus zurückzuweisen und sich dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) anzuschließen. In seiner Autobiographie schreibt er dazu:

Später hatte ich Gelegenheit, über meine Zürcher Freunde alle Dokumente einzusehen und sie zu Hause zu studieren. Besonders problematisch fand ich eine Broschüre von Pablo, die den Titel trug: ‚Wohin gehen wir?‘. Diese Broschüre mit ihrer Perspektive ‚zweihundert Jahre Stalinismus‘ war für mich ausschlaggebend dafür, nicht mehr mit dem Internationalen Sekretariat zusammenzuarbeiten, sondern in das Internationale Komitee einzutreten. Ich hielt es für falsch, dass Pablo und das Sekretariat mit noch zweihundert Jahren Herrschaft des Stalinismus rechneten und die Organisation entsprechend orientierten. (Hippe, op. cit., S. 241).

Auch wenn die Pablisten im internationalen Maßstab und erst recht in Deutschland zahlenmäßig gegenüber dem Internationalen Komitee die Mehrheit hatten, hatte die Tatsache, dass Oskar Hippe mit seiner reichen Erfahrung als Marxist und seiner ganzen Vergangenheit als Revolutionär, als Schüler von Rosa Luxemburg und Weggefährte Leo Trotzkis, sich dem IKVI angeschlossen hatte, eine große Bedeutung. Es war die geschichtliche Bestätigung des Kampfs des Internationalen Komitees gegen den Opportunismus in der Vierten Internationale. Er stärkte damit die Autorität des IKVI in der Arbeiterklasse. In den Augen klassenbewusster Arbeiter kam Hippes Entscheidung einer vernichtenden Verurteilung des Pablismus gleich.

Oskar Hippe nahm bis 1963 an den Sitzungen des IKVI teil. 1959 sprach er auf der Gründungskonferenz der Socialist Labour League in Großbritannien, mit der die britische Sektion des IKVI ihre Taktik des Entrismus gegenüber der Labour Party beendete und sich offen als unabhängige Partei konstituierte.

Die Bedeutung von Hippes Schritt, sich dem IKVI anzuschließen und damit den Kampf für den Trotzkismus auch gegen die Angriffe aus den Reihen der Vierten Internationale selbst fortzusetzen, wird durch die Tatsache, dass er später den Kontakt zum IKVI verlor, nicht herabgemindert. Dies geschah, nachdem die SWP schließlich mit dem Internationalen Komitee gebrochen, sich 1963 völlig prinzipienlos mit den Pablisten wiedervereinigt und das sogenannte „Vereinigte Sekretariat“ gebildet hatte.

In den späten 1960er und den 1970er Jahren beschränkte sich Hippe auf das Propagieren trotzkistischer Ansichten innerhalb der Gewerkschaft und der Jugendorganisationen der SPD. Sein Versuch in jenen Jahren, unabhängig und isoliert vom Aufbau und der Erziehung der Internationale eine revolutionäre Gruppe in Berlin aufzubauen, erwies sich als Fehlschlag, und die Organisation (KJO Spartacus), die daraus hervorging, war nicht lebensfähig.

Damals lag die Führung des Internationalen Komitees in Händen der Führer der britischen Sektion (SLL), Gerry Healy, Cliff Slaughter und Mike Banda. Doch auch sie unternahmen ihrerseits keinen Versuch, Oskar Hippe und seine Arbeit in Deutschland in das IKVI zu integrieren, geschweige denn, mögliche politische Differenzen zu klären.

Ende der 1960er Jahre wandte sich eine Anzahl junger Arbeiter, Lehrlinge und Studenten in Deutschland dem Trotzkismus zu, und sie wurden vom IKVI gewonnen. Sie nahmen den Kampf gegen den Pablismus auf und gründeten 1971 den Bund Sozialistischen Arbeiter als deutsche Sektion des IKVI [den Vorläufer der heutigen Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP)]. Doch die SLL-Führer berichteten ihnen mit keinem einzigen Wort von Oskar Hippe, seiner Geschichte in der trotzkistischen Bewegung und seiner Rolle im Internationalen Komitee. Dies war selbst Teil der zunehmenden Wegwendung der SLL-Führung von ihrer internationaler Verantwortung, weltweit einen trotzkistischen Kader auszubilden. Ihre zunehmende Anpassung an genau die sozialen Kräfte, die der Pablismus verkörperte, sollten schließlich, 1985-1986, mit ihrem völligen Verrat am Trotzkismus enden.

Nur zufällig lernte der BSA im Jahre 1979 Oskar Hippe kennen. Ein Reporter der Neuen Arbeiterpresse  hatte ihn als schon fast Achtzigjährigen auf einer sozialdemokratischen Versammlung gegen die Gefahr des Neofaschismus eine kraftvolle Rede halten hören, in der er die Lehren Leo Trotzkis aus 1933 darlegte.

Oskar Hipper, Wolfgang Weber, die amerikanische Trotzkistin Jean Brust und Gertrud Hippe

Nachdem das Internationale Komitee der Vierten Internationale mit der Spaltung von den Renegaten Healy, Banda und Slaughter in den Jahren 1985 und 1986 den Kampf gegen den Pablismus wiederbelebt hatte, kam es erneut zu einer starken Annäherung des Internationalen Komitees an Oskar Hippe. Nun war der Bund Sozialistischer Arbeiter in der Lage, in einer Reihe langer Gespräche zu entdecken, was für einen unermesslich reichen Erfahrungsschatz dieses lange Leben eines Revolutionärs zu bieten hatte, und diesen einer heutigen Generation trotzkistischer Kämpfer zugänglich zu machen.

Nach Beginn der Massenerhebungen gegen die stalinistischen Bürokratien in Osteuropa gestaltete sich diese Zusammenarbeit besonders eng. Hippe begrüßte den neuen Aufschwung revolutionärer Kämpfe der Arbeiterklasse, warnte jedoch von Anfang an vor der Gefahr, dass die Bourgeoisie die Krise des Stalinismus für sich ausnutzen könnte.

Buchstäblich bis zum letzten Tag seines Lebens, selbst als er schon schwer krank und durch den Tod seiner Lebensgefährtin und Mitkämpferin Gertrud schwer getroffen war, verfolgte Hippe aufmerksam die politische Entwicklung und die Probleme, vor denen die internationale Arbeiterklasse stand. Er unterstützte begeistert die Arbeit des Bund Sozialistischer Arbeiter in der DDR, die Arbeiterklasse dort gegen die kapitalistische Restauration zu mobilisieren, die westdeutsche und internationale Arbeiterklasse zu vereinen und mit dem Programm der Vierten Internationale, dem Programm der sozialistischen Weltrevolution zu bewaffnen.

Noch im Krankenbett lauschte er voll Interesse den Berichten von den Versammlungen und Aktivitäten des BSA und gab seine Ratschläge dazu. Er, der in den letzten Jahren seine Isolation, seine durch Alter und Krankheit erzwungene Inaktivität schmerzlich empfunden hatte, freute sich, nun in der Arbeit des BSA die Fortsetzung des politischen Kampfs zu sehen, den er selbst bis 1948 geführt hatte, und der durch seine Kerkerhaft in Bautzen unterbrochen worden war.

„Die wichtigste Aufgabe ist nun“, betonte er in Gesprächen immer wieder, „die revolutionäre Partei im Osten wie im Westen aufzubauen und einen Kader im Marxismus zu erziehen, mit dem in der Arbeiterklasse sozialistisches Bewusstsein geschaffen und so die Grundlage für den Sieg in den kommenden Klassenkämpfen gelegt werden kann. Diese revolutionären Klassenkämpfe“, erklärte Oskar Hippe, „kommen unausweichlich mit der Krise des Kapitalismus! Doch nur mit einer marxistischen, trotzkistischen Partei, mit der Vierten Internationale kann die Arbeiterklasse siegen!“

Der Bund Sozialistischer Arbeiter und das Internationale Komitee der Vierten Internationale werden dafür sorgen, dass Genosse Oskar Hippe der internationalen Arbeiterklasse unvergessen bleiben wird – unvergessen als selbstloser, proletarischer Revolutionär, als Mitbegründer und Führer der trotzkistischen Linken Opposition in Deutschland, als unermüdlicher Kämpfer für den Aufbau einer proletarischen, marxistischen Partei selbst unter faschistischer Diktatur, Krieg und stalinistischem Terror, als aufrechter, gegenüber jeglichem Opportunismus feindlicher Vorkämpfer des Trotzkismus und der Vierten Internationale!

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