Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
8. Juni 1986
1. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ruft die Arbeiter und Bauern des Iran und des Irak auf, den schrecklichen Krieg, in den ihre beiden Nationen seit September 1980 gestürzt wurden, zu beenden und die reaktionären bürgerlichen Regimes, die diesen Krieg betreiben, zu stürzen.
Die Berge von Toten – die Zahlen der Gefallenen auf beiden Seiten gehen in die Hunderttausende – und die verwüsteten Gebiete – ganze Städte wie Khorramschahr sind zerstört worden – sind ein blutiges Zeugnis für den Bankrott der iranischen wie der irakischen nationalen Bourgeoisie.
Durch die rücksichtslose Vergeudung der menschlichen und finanziellen Hilfsquellen ihrer jeweiligen Länder haben das Chomeini- und das Hussein-Regime die wirtschaftliche Entwicklung des Iran und des Irak um Jahre, wenn nicht um Jahrzehnte, zurückgeworfen.
Und wozu? Keine der beiden Regierungen hat ihre Kriegsziele klar ausgesprochen, weil sie auf Raub aus sind. Keine der beiden Seiten kämpft für ihre Konsolidierung als Nation (d.h. für ihre nationale Befreiung) oder widersetzt sich einem Bollwerk der internationalen Reaktion (wie es der Iran vor der Revolution vom Februar 1979 war oder Israel heute ist).
Weil sie den irakischen Angriff inmitten der „Geiselkrise“ als Angriff auf die iranische Revolution auffassten, folgten beim Ausbruch der ersten Feindseligkeiten Massen von Iranern dem Aufruf ihrer Regierung zur Unterstützung des Krieges. Aber spätestens seit Mai 1982, der Rückeroberung Khorramschahrs durch den Iran, hat die Fortsetzung des Krieges nichts mehr mit der Verteidigung der Revolution zu tun gehabt. Die iranische Bourgeoisie führt den Krieg, nicht weniger als die irakische, um Raubgut und Gebietsgewinne. Sie versucht ihre organischen Schwächen – ihre Unfähigkeit, die imperialistische Vorherrschaft zu überwinden und die Wirtschaft ihres Landes zu entwickeln – durch militärische Eroberungen wettzumachen.
2. Der Kampf wütet nun schon nahezu sechs Jahre. Schlachten in einer seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr dagewesenen Größenordnung sind geschlagen worden. Aber keiner der beiden Bourgeoisien gelang es zu erreichen, was sie begehrt, einen entscheidenden militärischen Sieg, der sie in die Schlüsselmacht in der strategischen Region des Persischen Golfes verwandeln würde.
Der Imperialismus hat dagegen durch den Krieg enorm gewonnen.
Das Hussein- und das Chomeini-Regime tragen eine sträfliche Verantwortung für die zionistische Invasion in den Libanon im Sommer 1982. „Iraks militärische Entkräftung hat die östliche Front gegen Israel geschwächt und nachteilige Auswirkungen auf das arabisch-israelische Machtverhältnis gehabt,“ schreibt Jasim Abdulghani in Irak und Iran, die Jahre der Krise (Iraq and Iran, The Years of Crisis). „Dieses militärische Ungleichgewicht gereichte zu Israels militärischem Vorteil und war einer der Faktoren, die es dazu bewog, eine volle Invasion in den Libanon durchzuführen. ...“
Die zionistische Invasion brachte enorme Leiden über das libanesische Volk und die Palästinenser, die in seinem Land Zuflucht gesucht hatten. Die meisten PLO-Kämpfer wurden zum Rückzug aus dem Libanon gezwungen, aus dem einzigen „Frontstaat“, dessen Bourgeoisie es nicht gelungen war, die PLO an der Durchführung des bewaffneten Kampfs gegen Israel von „ihrem“ Territorium aus zu hindern.
Der Irak selbst ist ein Opfer der immer dreisteren militärischeren Aggressionspolitik geworden, die Israel dank dem iranisch-irakischen Krieg verfolgen kann. Am 7. Juni 1981 bombardierte und zerstörte die israelische Luftwaffe eine nukleare Versuchsanstalt des Irak bei Osirak. Das Hussein-Regime – das einst die Führungsrolle in der arabischen Standhaftigkeitsfront beanspruchte und nach der Kapitulation der ägyptischen Bourgeoisie die ernsthafteste militärische Bedrohung für Israel darstellte – konnte darauf nur mit einem wertlosen diplomatischen Protest antworten.
Der Sturz des Schah hatte dem Imperialismus einen mächtigen Schlag versetzt. US-Präsident Jimmy Carter hatte das Pahlevi-Regime nur 13 Monate vor seinem Sturz durch eine revolutionäre Flutwelle als eine „Insel der Ruhe in einer stürmischen See“ bezeichnet. Aber jetzt verpuffen die enormen, von der iranischen Revolution entfesselten gesellschaftlichen Kräfte in einem Bruderkrieg gegen den Irak.
Die relative ökonomische Unabhängigkeit, die der Iran und der Irak dem Imperialismus während der siebziger Jahre durch die Erhöhung des Ölpreises abringen konnten, wird ebenso verspielt. Der Irak zum Beispiel hatte zu Beginn des Krieges Währungsreserven von über 30 Milliarden Dollar; heute hat er Auslandsschulden von mindestens 20 Milliarden Dollar. Im verzweifelten Versuch, neue Waffen zu kaufen, fördern Iran wie Irak immer mehr Öl und drücken damit noch zusätzlich den Preis der Ware, auf die sich ihre Volkswirtschaft stützt.
Der Fall des Ölpreises ist heute sogar einer der Hauptgründe, weshalb sich der Krieg weiter in die Länge zieht. Nach einem Angriff auf die irakischen Ölfelder in Kirkuk brüstete sich kürzlich der iranische Premierminister Mir Hussein Mousavi, damit sei der „Ölverschwörung“ ein Schlag versetzt worden. Als „Ölverschwörung“ bezeichnet die iranische Bourgeoisie den Versuch der arabischen Golfstaaten, durch eine Überflutung des Marktes den Ölpreis wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen.
Der barbarische Krieg ist der klarste Beweis für die Unfähigkeit der iranischen und der irakischen Bourgeoisie, wirkliche Unabhängigkeit vom Imperialismus zu erlangen. Stattdessen wetteifern sie um den Titel des starken Mannes am Golf, um so die beste Ausgangsstellung für einen Deal mit dem Imperialismus zu haben. Jede versucht ein paar Zentimeter größer zu erscheinen, indem sie ihren Stiefel auf die Kehle der anderen setzt.
3. Sollten die USA oder irgendein Bündnis imperialistischer Mächte den Versuch unternehmen, durch ein direktes Eingreifen in den Krieg eine Regelung zu erzwingen, würde das IKVI als Erstes für die Verteidigung der Souveränität des Iran und des Irak eintreten. Wir würden uns sofort bemühen, die Arbeiterklasse in Nordamerika, Europa und auf der ganzen Welt gegen eine imperialistische Intervention und für deren Niederlage zu mobilisieren.
Bisher haben sich die imperialistischen Mächte aber damit begnügt, beide Seiten zu bewaffnen. Sie sind der Auffassung, dass ihren Interessen am besten gedient werde, wenn sich die Gegner auf dem Schlachtfeld gegenseitig erschöpfen. Frankreich hat Irak mit Waffen versorgt und Saudiarabien und die anderen Golfstaaten, die enge Verbindungen zum US-Imperialismus unterhalten, stellen Hussein das Geld zur Verfügung, um sie zu bezahlen. Auf der anderen Seite hat Israel mitgeholfen, den Iran zu bewaffnen. Und die israelische Luftwaffe hat routinemäßig irakische Militärflughäfen im Nordwesten des Landes überflogen, um die irakische Armee abzulenken.
Um sowohl in Baghdad als auch in Teheran einigen Einfluss zu behalten, hat auch die stalinistische Bürokratie in der Sowjetunion, entweder direkt oder über andere stalinistische Regimes, wie Nord-Korea und die DDR, Waffen an beide Seiten verkauft. Was kümmert es sie, dass diese Waffen benutzt werden, um iranische und irakische Arbeiter und Jugendliche abzuschlachten; was kümmert es sie, dass die Kommunistischen Parteien in beiden Ländern rücksichtslos verfolgt wurden und werden – für die zynischen Bürokraten im Kreml bedeuten solche Dinge wenig.
Die Regimes im Iran und Irak fürchten die sozialen Auswirkungen dieses Krieges. Auf beiden Seiten sind an die Familien der Soldaten, die im Kampf gefallen sind, ansehnliche Summen bezahlt worden. Aber der Zusammenbruch des Ölpreises gefährdet jetzt selbst diese Beruhigungspille für die Massen. Laut Presseberichten hat die Angst vor Unruhen im Lande Saddam Hussein zur Anweisung an seine militärischen Befehlshaber bewogen, die irakischen Verluste auf 5.000 Mann pro Monat einzuschränken.
Noch mehr jedoch fürchten die Kriegsführenden den Frieden. Endete der Krieg, würde sich die Aufmerksamkeit der Massen einmal mehr auf die großen sozialen Probleme konzentrieren, für die weder die iranische noch die irakische Bourgeoisie eine Lösung haben, und die durch den Krieg noch verschärft wurden.
4. Nur die iranische und irakische Arbeiterklasse können einen Ausweg aus diesem Krieg weisen, der weder die Hand des Imperialismus stärkt, noch durch die Verletzung der nationalen Rechte eines der Kriegsführenden (d.h. durch das Erzwingen von Annexionen oder, wie es Chomeini vorgeschlagen hat, sträflichen Schadenersatzzahlungen) den Keim für einen weiteren blutigen Konflikt legt.
Den iranischen und irakischen Arbeitern sagen wir: Weist den arabischen und persischen Chauvinismus zurück. Stoppt den Krieg; gebietet dem barbarischen und brudermörderischen Blutbad jetzt Einhalt. Vereint Euch im Kampf gegen Eure jeweilige Bourgeoisie und den Imperialismus und nehmt den Kampf für eine Sozialistische Föderation des Nahen Ostens auf.
Das Chomeini- und das Hussein-Regime haben den überzeugendsten Beweis für die Unfähigkeit der nationalen Bourgeoisie geliefert, die Aufgaben der demokratischen Revolution zu vollenden. Stattdessen haben sie Eure Länder in eine Sackgasse geführt und unterwerfen sich immer mehr dem Imperialismus.
Ihr, Arbeiter von Baghdad und Basra, Teheran und Abadan, müsst die wahren Führer Eurer jeweiligen Nation werden. Stellt Euch unter das Banner der Vierten Internationale und kämpft für die Perspektive der Permanenten Revolution. Sammelt im Kampf für eine Arbeiter- und Bauernregierung die Bauernschaft und alle Schichten der Unterdrückten hinter Euch. Nur durch die Errichtung der Diktatur des Proletariats kann die Agrarrevolution vollendet und eine wirkliche Unabhängigkeit gewonnen werden. Hat sie einmal die Macht erobert, wird die Arbeiterklasse jedoch zu sozialistischen Maßnahmen übergehen und so ihr Schicksal mit dem der Weltarbeiterklasse und der sozialistischen Weltrevolution verbinden müssen.
5. Die Rivalität zwischen den Herrschern des Iran und des Irak reicht Jahrhunderte zurück. Persien und das Ottomanische Reich wetteiferten seit Beginn des 16. Jahrhunderts um den Besitz des Irak, bis das Ottomanische Reich schließlich als Ergebnis des Ersten Weltkriegs aufgeteilt wurde.
„Die ottomanisch-persischen Beziehungen waren durch periodische Kriege und eine ständige Rivalität über die Kontrolle des Irak, der zu einem richtiggehenden Schlachtfeld wurde, gekennzeichnet.“ (Iraq and Iran; The Years of Crisis).
Einige Historiker behaupten, dass das Gebiet des heutigen Irak nur deshalb vorwiegend arabisch sei, weil die ottomanischen Heere verhinderten, dass es unter persische Vorherrschaft fiel.
Im 19. Jahrhundert griffen das britische Imperium und das zaristische Russland, die um die Vorrangstellung in der Region wetteiferten, in den Konflikt ein. 1851 erklärte der britische Premierminister Palmerston: „Die Grenze zwischen der Türkei und Persien kann niemals endgültig festgelegt werden, es sei denn durch eine willkürliche Entscheidung Großbritanniens und Russlands.“ Es braucht nicht gesagt zu werden, dass die Intervention der „Großmächte“ nicht nur den Konflikt nicht löste, sondern eine neue, explosive Dimension hinzufügte. Trotz mehreren Verträgen und unzähligen Verhandlungsrunden gab es weiterhin regelmäßige militärische Zusammenstöße. Die ottomanisch-persische Grenze war immer noch nicht endgültig festgelegt, als der Erste Weltkrieg ausbrach.
Der Irak wurde 1921 gegründet. Ein nationalistischer Aufstand hatte die Briten, die das Gebiet während des Ersten Weltkriegs den Ottomanen abgenommen hatten, überzeugt, dass die Schaffung eines abhängigen Staates zweckmäßiger sei, als der Versuch, durch eine militärische Besetzung die direkte Kontrolle über den Irak aufrecht zu erhalten. Persien weigerte sich neun Jahre lang, den neuen Staat anzuerkennen. Es vertrat den Standpunkt, dass die Vereinbarungen und Verträge über die persisch-irakische Grenze ungerecht und ihm von Großbritannien und Russland aufgezwungen worden seien. Die Regierung in Bagdad beharrte dagegen auf dem Status Quo.
Nach Grenzwischenfällen anfangs der dreißiger Jahre wurde die Streitfrage dem Völkerbund vorgelegt, für den Lenin die passende Bezeichnung „Diebesküche“ geprägt hatte. Die „Vermittlung“ des Völkerbunds schlug fehl, aber unter dem Eindruck der Invasion des faschistischen Italien in Äthiopien entschieden die beiden Seiten, ihre Meinungsverschiedenheiten zu begraben, und ein weiterer Vertrag wurde unterzeichnet. Später beklagte sich der Irak, er habe im Grenzvertrag von 1937 nur deshalb Zugeständnisse an den Iran gemacht, weil sich das Land nach einem Militärputsch im Aufruhr befunden habe. Aber schließlich war es das Schah-Regime, das 1969 den Grenzvertrag von 1937 widerrief, nachdem der Grenzkonflikt jahrelang weiter geschwelt hatte.
Den Kernpunkt des uralten Grenzkonflikts bildet die Frage der Souveränität über den Schatt-el-Arab, den Wasserlauf, der durch den Zusammenfluss der Flüsse Tigris, Euphrat und Karun gebildet wird, bevor sie in den Persischen Golf münden. Weil es der einzige Zugang des Irak zum Meer ist, haben irakische Regierungen immer auf ihre volle Souveränität über den Schatt-el-Arab gepocht – im Gegensatz zum „Thalweg“-Prinzip, wonach die Grenze in der Mitte des Wasserlaufs verlaufen würde.
Mit dem Ansteigen des Preises und dem wachsenden strategischen Gewicht des Erdöls erhöhte sich die Bedeutung des Schatt-el-Arab noch dramatisch. Einige irakische und iranische Ölfelder werden sogar durch eine gemeinsame unterirdische Quelle gespeist. Plötzlich ging es nicht mehr nur um Jahrhunderte alte legale Forderungen und Gegenforderungen und um die Kontrolle über einen wichtigen Wasserlauf, sondern um Öl, das Milliarden von Dollars wert ist.
Mit Hilfe einer Kriegsdrohung gegen den Irak setzte das Schah-Regime schließlich 1975 wichtige Zugeständnisse durch, darunter auch das Thalweg-Prinzip.
6. Der Schah widerrief den Vertrag von 1937 neun Monate nach der Machtübernahme der Baathisten im Irak. Das war Teil einer gezielten Anstrengung, den Iran zum „Polizisten am Golf“ zu machen.
1968 hatte der britische Imperialismus den Rückzug seiner restlichen Truppen aus der Region angekündigt und damit seine Rolle als oberste politische und Seemacht in der Region, die er 150 Jahre lang eingenommen hatte, aufgegeben. Die letzten britischen „Protektorate“ in der Region, Bahrain, Katar und die Trucial-Fürstentümer (heute die Vereinigten Arabischen Emirate) sollten unabhängig werden und sich zu einer Föderation zusammenschließen.
Der Schah war erpicht darauf, die Stelle der sich zurückziehenden Briten einzunehmen. „Ich glaube, der persische Golf muss – unter iranischem Schutz – immer offen gehalten werden, um nicht nur mein Land, sondern auch die anderen Golfstaaten und die Welt zu schützen,“ erklärte er 1971. Der Iran stürzte sich in eine massive militärische Aufrüstung und schuf nahezu über Nacht eine Flotte.
Der Schah bemühte sich, die geplante Föderation der arabischen Scheichtümer zu hintertreiben, um die Zersplitterung der anderen Golfstaaten zu verewigen, und erhob sogar wieder einen iranischen Anspruch auf Bahrain.
Kurz bevor die alten britischen „Schutz“-Garantien für die Trucial-Staaten Ende November 1971 ausliefen, besetzte die iranische Armee Abu Musa und die beiden Tunbs, drei Inselchen in der Nähe der Straße von Hormuz. Das iranische Vorgehen rief in der gesamten arabischen Welt Bestürzung hervor. Der Irak brach die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Libyen verstaatlichte seinerseits das Eigentum von British Petroleum, weil es Großbritannien „unterlassen hatte, die Golf-Inseln gegen die Besetzer zu verteidigen.“
Der US-Imperialismus, entkräftet durch die machtvolle vietnamesische Revolution, betrachtete die Versuche des Iran, „Polizist am Golf“ zu werden, mit Wohlwollen. Der Iran wurde zum klassischen Beispiel für die „Nixon-Doktrin“, die Bewaffnung und Finanzierung einer lokalen Macht oder Mächtegruppe, die in strategisch wichtigen Regionen nach den imperialistischen Interessen schauen kann, durch die USA. Washington war so der Mühe enthoben, amerikanische Truppen einzusetzen.
Als Nixon und Kissinger im Mai 1972 auf dem Rückweg vom Moskauer Gipfel dem Schah einen Besuch abstatteten, waren sie bereit, ihm die Lieferung aller gewünschten konventionellen Waffen oder Waffensysteme durch die USA zu versprechen. Eine Kongress-Studie bezeichnete später Nixons Verpflichtung als „beispiellos gegenüber einem nicht-industriellen (d.h. nicht-imperialistischen) Land.“ Aber bald folgte ihr eine noch bedeutsamere Entscheidung. Die Nixon-Administration ordnete an, die amerikanischen Waffenverkäufe an den Iran sollten „von den normalen Entscheidungsprozessen bei Waffenverkäufen im Außen- und Verteidigungsministerium ausgenommen“ werden.
Zwischen 1972 und 1976 beliefen sich die amerikanischen Waffenverkäufe an den Iran auf phantastische 10,4 Milliarden Dollar. Im letztgenannten Jahr erreichten die iranischen Verteidigungsausgaben 9 Milliarden Dollar, mehr als 15 % des Bruttosozialprodukts des Landes.
Die militärische Aufrüstung des Iran war derart grandios, dass sie sogar die CIA beunruhigte. In einem geheimen Memorandum, das 1982 von der Washington Post veröffentlicht wurde, stellte der stellvertretende Direktor der Geheimoperationen der CIA die Frage: „Wenn 1985 der Höhepunkt der iranischen Öleinnahmen überschritten sein wird und sich auf der anderen Golfseite die ölreichen Nachbarn befinden, was wird der Schah dann mit den angesammelten Waffen tun? Wird er sich nach wie vor um die Stabilität der Region sorgen? Oder wird er destabilisierende Ziele haben?“
Der Schah griff begierig nach der neuen Rolle, die ihm vom US-Imperialismus zugestanden worden war. Als die reaktionäre Regierung von Sultan Qabus ibn Said in Oman von der „Dhofari“-Rebellion bedroht wurde, eilten iranische Truppen zu ihrer Verteidigung. 1974 unterzeichneten der Iran und Oman ein Abkommen über eine gemeinsame Kontrolle der Straße von Hormuz durch ihre Flotten. Angesichts des gigantischen Übergewichts der iranischen Flotte, bedeutete dies eine De Facto-Kontrolle des Iran über sämtliche Schiffe, die die Straße durchquerten.
Gleichzeitig versuchte der Schah die legitimen nationalen Bestrebungen der unterdrückten kurdischen Minderheit im Irak zur Förderung seiner eigenen expansionistischen Ziele auszunutzen. Mit israelischer und US-imperialistischer Unterstützung erhöhte der Iran seine Waffenlieferungen an die gegen Baghdad rebellierende Kurdische Demokratische Partei Mustafa Barzanis beträchtlich. Die USA waren über die Verstaatlichung der irakischen Ölindustrie im Juni 1972 verärgert.
Als der Irak Ende 1974 eine Gegenoffensive gegen die kurdischen Rebellen startete, mischten sich iranische Streitkräfte offen in den Konflikt ein. Im Dezember jenes Jahres wurden zwei irakische Flugzeuge im irakischen Luftraum durch iranische Hawk-Boden-Luft-Raketen abgeschossen. Einen Monat später zogen zwei uniformierte iranische Regimenter innerhalb der irakischen Grenzen auf, und iranische Einheiten gaben den kurdischen Rebellen mit 130mm-Artillerie und Hawk-Raketen Deckung. Das führte zu direkten Zusammenstößen zwischen iranischen und irakischen Truppen.
Diese militärischen Aggressionen, die der Schah mit Rückendeckung des US-Imperialismus durchführt, zwangen die Irakis an den Verhandlungstisch und führten zur Unterzeichnung des Algier-Abkommens vom März 1975. Im Austausch dafür, dass die irakische Regierung das Thalweg-Prinzip im Schatt-el-Arab zugestand und sich verbal verpflichtete, den Status Quo in der Region nicht zu unterhöhlen (der Irak stellte bald darauf seine Unterstützung für die Dhofari-Re-bellen ein), beendete der Schah seine Unterstützung der kurdischen Revolte.
Weil die Kurden bis heute unter feudalen und bürgerlichen Führungen stehen, ist ihre legitime Forderung nach nationaler Befreiung immer wieder in ein Instrument der „Großmacht“-Politik verwandelt worden. So versuchten die Ottomanen während der Jahrhundertwende die Kurden gegen die Armenier aufzuhetzen und in den siebziger Jahren benutzten sie der Schah und der US-Imperialismus gegen den Irak.
7. Als Saddam Hussein am 17. September 1980 das Algier-Abkommen widerrief, konnte er deshalb mit einiger Rechtfertigung argumentieren, dass der Vertrag dem Irak 1975 durch den Imperialismus aufgezwungen worden war. Aber damit wiederholte er nur die Klagen der Teheraner Regierung über jeden anderen Vertrag zur „Lösung“ des irakisch-iranischen Grenzkonflikts.
Doch unabhängig davon wie legitim die irakische Forderung nach Souveränität über den Schatt-el-Arab ist, diente sie nur als Vorwand für den Versuch, ein ansehnliches und wertvolles Stück iranischen Gebiets zu erbeuten. Innerhalb weniger Stunden nach Kriegsausbruch waren die irakischen Truppen tief in den Iran eingedrungen, weit über jede Grenze hinaus, die der Irak traditionell jemals beansprucht hatte.
Dokumente, die irakischen Kriegsgefangenen abgenommen wurden ... enthielten einen Zeitplan, wonach innerhalb von 10 bis 14 Tagen neben Khorramschahr, Abadan, Ahvaz, Dezful und Masjed Soleyman die Hauptzentren des ölreichen Chusistan erobert werden sollten. Bis zum Ende der dritten Woche sollte ein Drittel des benachbarten Kurdistan (des iranischen Teils), eingeschlossen der Regionen von Ilam und Kermanschah, unter irakischer Kontrolle sein. (Iran seit der Revolution [Iran Since the Revolution], Sepehr Zabih).
Obwohl das Hussein-Regime seine Kriegsziele nie offen erklärt hat, ist es klar, dass der Krieg in der Hoffnung begonnen wurde, Baghdad könne Teheran als Sitz der Macht am Golf ersetzen und die irakische Bourgeoisie könne zumindest einen beträchtlichen Teil von Chusistan in die Hände bekommen. Außerdem wollten die Baathisten auch die Unruhen im iranischen Kurdistan stoppen, weil sie befürchteten, sie könnten Auswirkungen auf die kurdische Minderheit im Irak haben.
Auch der Zeitpunkt der irakischen Invasion ist für die Bestimmung ihres Klassencharakters wichtig. Dass der Angriff mitten in der „Geiselkrise“ begonnen wurde, macht klar, dass das Baathisten-Regime die Unterstützung des US-Imperialismus und der reaktionären Saudi- und Golf-Regimes suchte, die nach dem Sturz des Pfauenthrons allesamt vor Angst gelähmt waren. Hussein bot so die irakische Militärmacht, die gegen die israelische Aggression aufgebaut worden war, dem Meistbietenden an.
Der Kriegsbeginn war die Fortsetzung, ja der Höhepunkt einer stetigen Rechtsentwicklung des Baathisten-Regimes. Als sie 1972 die Ölindustrie des Landes verstaatlichten, suchten die Baathisten Unterstützung bei der Sowjetunion und der irakischen Kommunistischen Partei, um den imperialistischen Druck auszugleichen.
Aber nach dem Algier-Abkommen wandten sich die Baathisten scharf nach rechts. Die Beziehungen zum Regime und der saudischen Königsfamilie verbesserten sich ständig; der Handel mit den USA ging in die Höhe; die irakische KP wurde ab 1978 scharfen Repressionen unterworfen; und im März 1980 kündigten die Baathisten an, dass sie eine Einheitsfront von Gegnern der prosowjetischen, südjemenitischen bürgerlich nationalistischen Regierung bilden würden.
Nach dem Camp David-Abkommen von 1978 behaupteten die irakischen Baathisten anmaßend, die Führung der Arabischen Revolution liege nun bei ihrer Partei. Aber bei all ihrem revolutionären Geschrei fürchteten die Baathisten einen wirklichen Massen- und Volksaufstand, als sie im Iran damit konfrontiert waren, und schätzten seine Macht völlig falsch ein. Zur dauernden Bestürzung Saddam Husseins, der 1975 am Abschluss des Abkommens mit dem „allmächtigen“ Schahregime beteiligt war, war der Iran nach seiner antiimperialistischen Revolution nicht „reif zur Ernte“.
8. Die irakische Invasion rief den wütenden Widerstand der iranischen Massen hervor. Wie während den letzten Tagen des Schah-Regimes gab es keinen Mangel an Jugendlichen, die bereit waren, für die Revolution zu kämpfen und zu sterben.
Aber diese berechtigten Gefühle sind von der iranischen Bourgeoisie für die reaktionärsten Ziele ausgebeutet worden. Mit der Rückeroberung von Khorramschahr (von den Iranern in Khuninschahr oder „Blutstadt umgetauft) im Mai 1982 hörte der Krieg auf, in irgend einem Sinne „defensiv“ zu sein. Das Chomeini-Regime ließ sich nun auf eine militärische Eroberungskampagne ein, wie sie der Schah immer erträumt, aber aus Angst, sie sei zu unpopulär, nicht durchzuführen gewagt hatte.
Die Fortsetzung des Kriegs war eine scharfe Rechtswendung und ein Verrat an der Revolution von 1979. Sie lag jedoch auf der politischen Linie, die Chomeini und die Islamische Republikanische Partei seit dem Sturz des Schahs verfolgt hatten.
Die Rolle des Islam in der iranischen Revolution kann nur verstanden werden, wenn man die lange zurückgehende Beziehung zwischen dem Schiitentum und dem persischen Nationalismus in Betracht zieht. „Zu Beginn des 16. Jahrhunderts machte der erste Safavid Schah, Ismail, das Schiitentum zur offiziellen Religion Persiens,“ schreibt Mohammad Heikal in Die Rückkehr des Ayatollah (The Return of the Ayatollah). „Auf diese Weise wurden Kirche und Staat gegen das sunnitische Ottomanische Reich verbunden, die Hauptbedrohung des Landes.“
Die Revolution von 1979 war ein machtvoller nationalistischer Aufstand. Unter den Ärmsten trat dieser Nationalismus im Gewand der schiitischen Theologie auf. Trotzdem hatte er einen mächtigen, fortschrittlichen Inhalt.
Wie Trotzki 1930 in seiner Antwort auf ein von der vietnamesischen Linken Opposition verfasstes Dokument erklärte:
Der Nationalismus war nicht immer eine reaktionäre Ideologie, bei weitem nicht, und selbst heute ist er es nicht immer ...
Gegenwärtig ist der gegen den französischen Imperialismus gerichtete Nationalismus des zurückgebliebensten indochinesischen Bauern ein revolutionäres Element ... der Nationalismus der Volksmasse ist die elementare Form ihres gerechten und fortschrittlichen Hasses auf ihre geschicktesten, fähigsten und rücksichtslosesten Unterdrücker, auf die ausländischen Imperialisten. Das Proletariat hat kein Recht, dieser Art von Nationalismus seinen Rücken zuzuwenden.
Aufgrund des Fehlens einer revolutionären proletarischen Führung war das Chomeini-Regime in der Lage, die nationalistische Opposition gegen den Imperialismus, die 1979 die Welt schockierte, in die Sackgasse des persischen Chauvinismus zu lenken. Aber das ging nicht ohne einen grausamen Kampf ab, in dem es jede politische Organisation der Linken und der Arbeiterklasse im Iran erbarmungslos unterdrücken musste.
Dass die islamischen Fundamentalisten in der Lage waren, im Iran die Führung der Revolution gegen den Schah zu übernehmen, ist eines der großen Verbrechen des Stalinismus. Der Iran hat eine der ältesten Arbeiterbewegungen im Nahen Osten und eine lange säkulare revolutionäre Geschichte, die mindestens bis zu der – in weitem Maße durch die Ereignisse in St. Petersburg und Moskau beschleunigten – persischen Revolution von 1905 zurückgeht.
Die „Revolutionsregierung“ des Iran ist und war immer ein bürgerliches Regime, obwohl sie viele bedeutende Reformen eingeführt hat. Der bürgerliche Staat ist im Iran nie zerschlagen worden. Im Gegenteil, als einige Generale hingerichtet wurden, griff Chomeini persönlich ein, um sicherzustellen, dass die Armee intakt blieb.
Als die unterdrückten Nationalitäten im Iran (wie die Kurden und die Balutschis) mehr Rechte forderten, stützte sich die neue Regierung, entschlossen, nicht nachzugeben, immer mehr auf die Armee. Ohne Zweifel war der US-Imperialismus erpicht darauf, jedes Zeichen von Opposition gegen die neue Regierung auszunutzen. Aber es war keine Überraschung, dass diese Gruppen ebenso wie die unterdrückten Nationalitäten in Russland nach der Revolution von 1917 oder in der Türkei nach der Revolution von 1908-1909 ihre Forderungen vorbrachten.
Die im Dezember 1979 verkündete islamische Verfassung benachteiligt nicht-schiitische Gruppen wie die Kurden in zweierlei Hinsicht. Ihnen wird nicht nur die Selbstverwaltung oder die Autonomie verweigert, sie dürfen als sunnitische Moslems auch keine hohen Posten in der Republik bekleiden.
Die neue Verfassung bestimmt auch, dass die iranische Regierung den Panislamismus verfechten muss, d.h. die utopische Auffassung, dass alle moslemischen Nationen politisch, wirtschaftlich und kulturell vereinigt werden müssen. „Für den Imam (Chomeini) gibt es keine geografische Grenze,“ erklärte der iranische Präsident Ali Akbar Chameini. Die iranische Verpflichtung zum Panislamismus wurde im Irak, dem einzigen anderen Land mit einer schiitischen Mehrheit, mit beträchtlicher Besorgnis aufgenommen. Die Befürchtungen Bagdads verstärkten sich noch, als der Iran Ayatollah Mohammed Baqir al-Hakeem, einen bekannten irakischen Theologen, der im iranischen Exil lebt, zum Oberhaupt des „Obersten Rats der Islamischen Revolution im Irak“ ernannte.
In der ersten Hälfte des Jahres 1980 entwickelten sich die Beziehungen zwischen dem Chomeini- und dem Hussein-Regime immer feindseliger. Der Iran weigerte sich, die arabischen Inseln an die Vereinigten Arabischen Emirate zurückzugeben oder auch nur einige Landstreifen an den Irak abzutreten, die diesem nach dem Algier-Abkommen zustanden. Erklärungen wie die des iranischen Außenministers Gotbzadeh, dass alle Golfstaaten historisch Teil des Iran seien, und Chomeinis wiederholte Aufrufe, das „atheistische“ Baathisten-Regime zu stürzen, trugen zur Anheizung des Konflikts bei.
Der Wettkampf um die Vorherrschaft am Golf kam auch in der kindischen Auseinandersetzung zwischen Chomeini und Hussein über die Frage zum Ausdruck, ob er Persischer, Arabischer oder Islamischer Golf genannt werden solle.
Am Anfang führte der Kriegsausbruch zu einer verstärkten Unterstützung für die iranische Regierung, und diese nutzte ihn als blutiges Mittel zur Ablenkung der revolutionären Bewegung der iranischen Massen aus. Nach dem Abschluss der Geiselkrise im Januar 1981 führte das Chomeini-Regime dann immer offenere und kühnere Schläge gegen die linken iranischen Parteien durch, gegen Gruppen wie die Mojaheddin, Fedayin und schließlich die Tudeh-Partei. Die Fortsetzung des Kriegs seit Mai 1982 wurde durch eine Politik der blutigen Unterdrückung der Linken begleitet. Gleichzeitig ist das Ausmaß und das Gewicht der Armee, der wichtigsten Säule der bürgerlichen Herrschaft im Iran, notwendigerweise enorm gewachsen.
Obwohl sich die iranische Armee nunmehr seit vier Jahren in der Offensive befindet, war sie ebenso wenig wie die irakische im Anfangsstadium des Krieges in der Lage, Unterstützung in der örtlichen Bevölkerung zu bekommen. Die große schiitische Bevölkerung des Irak hat sich nicht um Chomeinis panislamisches Banner geschart. Wenn es überhaupt eine Reaktion gab, so eine Stärkung des irakischen Nationalismus angesichts einer ausländischen Aggression.
Unfähig, die gemeinsamen Probleme der Massen in ihren Ländern zu lösen, sind die irakische und die iranische Bourgeoisie in ein Programm der gegenseitigen Vernichtung getaumelt. Die Arbeiterklasse kann weder an einem iranischen noch an einem irakischen Sieg ein Interesse haben, noch an einer durch den Imperialismus diktierten Lösung, ein Ergebnis, das immer wahrscheinlicher wird, je länger sich der Krieg dahinzieht. Sie muss ihre eigene Lösung vorbringen: der Weg zum Frieden geht über die sozialistische Föderation des Nahen Ostens.
9. Wir geben diese Erklärung in erster Linie mit dem Ziel heraus, die Haltung zu bestimmen, die die internationale Arbeiterklasse zum irakisch-iranischen Krieg einnehmen muss, und die Aufgaben zu beleuchten, die er vor die trotzkistische Weltbewegung stellt. Aber notwendigerweise ist diese Erklärung gleichzeitig Teil des Kampfs des Internationalen Komitees der Vierten Internationale gegen die antitrotzkistischen Renegaten – G. Healy, M. Banda und C. Slaughter.
Die wichtigsten Führer der ältesten Sektion des IKs (der britischen Workers Revolutionary Party), Healy, Banda und Slaughter, haben vor dem Imperialismus kapituliert und den Marxismus verraten. Seit Mitte der siebziger Jahre haben sie ihre politische Autorität dazu benutzt, der Vierten Internationale eine zusehends rechte und pablistische Linie aufzuzwingen. Einer der schädlichsten Standpunkte, die sie dem IK unterschoben, war eine völlig prinzipienlose Haltung gegenüber dem iranisch-irakischen Krieg.
Man muss es offen sagen: Healy, Banda und Slaughter tragen eine direkte Verantwortung für das Gemetzel, das jetzt am Persischen Golf stattfindet. In der entscheidenden Periode vor Kriegsausbruch, als das Baathisten-Regime scharf nach rechts ging, versorgte es die WRP mit einem dringend benötigten politischen Deckmantel.
Am 16. und 17. Dezember traf sich das IK in London und entschied nach der Anhörung des vorläufigen Berichts einer internationalen Kontrollkommission über die Degeneration der WRP unter der Führung von Healy, Banda und Slaughter, die britische Sektion zu suspendieren. Die Kontrollkommission hatte in wenigen Wochen Arbeit einen Berg von Beweisen aufgedeckt, die deutlich machten, dass die WRP-Führung einen historischen Klassenverrat begangen hatte. Hinter dem Rücken des IK hatte sie gegen Geldzuwendungen von der arabischen kolonialen Bourgeoisie trotzkistische Prinzipien verkauft – vor allem die Theorie und Perspektive der Permanenten Revolution.
Nachdem sie 1974 in Großbritannien durch die neuen Probleme, mit denen sie die Rückkehr einer Labour-Regierung an die Macht konfrontierte, überrascht worden war, setzte die WRP-Führung eine ”Wende zum Nahen Osten“ in die Gänge. Dem IK gegenüber wurde das als eine Wende zur „Revolution“ dargestellt, in Wirklichkeit war es ein pragmatisches Manöver. Healy, Banda und Slaughter gaben, konfrontiert mit komplexen Problemen, die ihre Ursache in den immer noch mächtigen reformistischen Illusionen der britischen Arbeiterklasse hatten, die proletarische Orientierung auf und schauten sich nach anderen Kräften um, um die unmittelbaren praktischen Schwierigkeiten ihrer Sektion zu lösen.
Es wurde kein Versuch unternommen, die Perspektive der Permanenten Revolution zu entwickeln und zu konkretisieren, und keine einzige ernsthafte Analyse über die Entwicklung des Klassenkampfs im Nahen Osten, einem für die sozialistische Weltrevolution zweifellos entscheidenden Kampffeld, erstellt. Stattdessen dienten die Seiten des täglich erscheinenden Parteiorgans News Line der übelsten Speichelleckerei für bürgerlich nationalistische Führer und Regimes.
Im Sommer 1980, nur wenige Wochen bevor die irakische Armee ihre Invasion des Iran begann, veröffentlichte die News Line eine sechsteilige Serie – die später noch als Hochglanzbroschüre nachgedruckt wurde – die die „Irakische Revolution“ und deren ”Führer“, Saddam Hussein, lobpries. 18 Monate zuvor hatten Healy, Banda und Slaughter mit jeder trotzkistischen Tradition, eingeschlossen ihrer eigenen Schriften gegen die Pablisten, gebrochen, als sie die Exekution von 21 Führern der irakischen Kommunistischen Partei durch die Baathisten unterstützten. Die WRP ging sogar soweit, mit dem von den Baathisten kontrollierten irakischen Studentenverband in Großbritannien gemeinsame öffentliche Versammlungen zur Verteidigung der staatlichen Unterdrückung gegen die irakische KP durchzuführen.
Die WRP-Führer rechtfertigten Husseins Angriff auf die irakischen Stalinisten damit, dass diese eine 1972 abgeschlossene Vereinbarung über eine Nationale Front mit der baathistischen Regierung gebrochen hätten. Tatsächlich bestand das wirkliche Verbrechen der irakischen Stalinisten darin, dass sie je in eine solche Vereinbarung eingetreten waren.
Die Vereinbarung über die Nationale Front war kurz nach der Unterzeichnung eines „Freundschaftsvertrags“ zwischen der Regierung in Baghdad und der Kremlbürokratie geschlossen worden und legte fest, dass die KP nichts weiter als das fünfte Rad am Wagen des Baathisten-Regimes sein konnte. Unter anderem unterzeichnete die KP folgende Bedingungen: „1) Die Da seinsberechtigung der Front sollte der Schutz der Baath-Revolution von 1968 und die Festigung ihrer Errungenschaften sein. 2) Die führende Rolle der Baath-Partei muss in der Front anerkannt werden. 3) Jede Einschätzung der Baath-Partei durch die anderen fortschrittlichen Kräfte sollte eine wissenschaftliche sein, wobei sie als revolutionäre, sozialistische, unitarische Partei aufgefasst werden sollte.“ (Iraq and Iran: The Years of Crisis).
Die Entscheidung Husseins, diesen Block mit den irakischen Stalinisten aufzugeben, war ein sicheres Zeichen, dass er sich schnell einer Anpassung an den Imperialismus zubewegte. Die Baathisten verfügen über eine lange Geschichte von blutigen Gewalttaten gegen die irakische KP. Es gibt Schätzungen, dass sie während ihrer kurzen Regierungszeit 1963 3.000 KP-Mitglieder töteten. Aber Healy bemerkte diese Dinge überhaupt nicht, obwohl er immer mit seinen Fähigkeiten prahlte, durch seine Pseudo-Dialektik Veränderungen in der „Mikro-Welt“ wahrzunehmen. Noch wenige Stunden bevor die Baathisten ihren feigen Angriff auf die iranische Revolution starteten, saß er in Baghdad mit ihnen zusammen.
Die WRP-Führer unterließen es ebenso, eine Klassenanalyse der Entwicklung der iranischen Revolution zu machen. Am 12. Februar 1979 gab das IK eine klare und unmissverständliche Erklärung über die iranische Revolution heraus:
Die Wahrheit ist, dass die Massen durch Klassenfragen und nicht durch religiöse Fragen in Bewegung gebracht wurden. Durch das Fehlen einer organisierten revolutionären Führung und aufgrund der feigen Klassenkollaborationspolitik des iranischen Stalinismus in der Tudeh-Partei jedoch konnten der Ayatollah Chomeini und andere religiöse Führer der schiitischen Sekte ein regelrechtes politisches Monopol über die Oppositionskräfte aufbauen. ...
Die Politik Chomeinis spiegelt den widersprüchlichen und doppeldeutigen Charakter der Basarhändler und anderer Elemente der iranischen Kapitalistenklasse und Kleinbourgeoisie wieder. ... Aber sie können und werden die kapitalistische Staatsmacht im Iran nicht antasten. ...
Die Stalinisten und Zentristen aller Sorten werden sich gegen die Strategie des Vorwärtsgehens zur sozialistischen Revolution im Iran stellen. ...Sie werden sagen, es sei ‚sektiererisch‘, eine Politik für die Arbeiterklasse zu befürworten, die unabhängig von der Bourgeoisie und deren Politik entgegengesetzt ist. ...
Nur die Strategie und Taktik der permanenten Revolution im Kampf gegen den Imperialismus, die einheimische Bourgeoisie und gegen den Verrat der stalinistischen Bürokratie in Peking wie in Moskau können einen Weg vorwärts zeigen. (veröffentlicht in Revolution im Iran, Gervinus Verlag)
Aber nachdem diese korrekte Erklärung veröffentlicht worden war, kehrte die WRP nie wieder darauf zurück. Im Gegenteil, durch eine unkritische Haltung gegenüber dem iranischen Regime stellte sich die News Line direkt in Gegensatz dazu. Chomeini wurde einfach mit den „Massen“ gleichgesetzt – einer klassenlosen Kategorie, die nur dazu diente, die wirklichen Gegensätze im Iran zu verschleiern. Die WRP-Führer wurden zu den übelsten Verehrern vollendeter Tatsachen. Mit der Begründung, die Stalinisten hätten verraten, erklärten sie sich schlicht damit einverstanden, dass die Fundamentalisten die Führung der Revolution übernommen hatten. So wurde beispielsweise das Referendum über die Errichtung einer islamischen Republik einfach als ein weiterer Triumph für die Massen gepriesen.
Diese feige Anschauung fand ihren rohesten Ausdruck in einer von Savas Michael verfassten Artikelserie. Michael ist Führer der griechischen Internationalistischen Arbeiterliga (inzwischen in Revolutionäre Arbeiterpartei umbenannt) und ist kürzlich von Healy auf den Posten eines Sekretärs seines falschen „Internationalen Komitees (1953)“ befördert worden. Michael schrieb nach einem Besuch in Teheran im Februar 1983 einen „Augenzeugenbericht“ der iranischen Revolution. Dieser Besuch fiel zeitlich mit der Verhaftung und den abgekarteten Prozessen gegen die Führer der Tudeh-Partei zusammen.
„Der erste wichtige Trend“ in der iranischen Revolution, schrieb er, „zielte darauf ab, eine bürgerlich-demokratische Regierung zu errichten. ... Der zweite wichtige Trend hatte die Errichtung einer revolutionären ,islamischen Regierung‘ der Unterdrückten, der Mustazafin zum Ziel. Imam Chomeini wurde zur Führung der islamischen Bewegung erhoben. Gesellschaftlich stützte sich diese auf die Arbeiter, Bauern, die proletarisierten Armen, die vom Land kamen und sich in den Slums der großen Städte sammelten, und die volkstümliche islamische Geistlichkeit.“
Dieser unerschrockene Impressionismus ist das Gegenteil der marxistischen Methode des historischen Materialismus, die danach strebt, die materielle Grundlage aller politischen Entwicklungen aufzudecken.
Als sich die Beziehungen zwischen dem Iran und dem Irak 1980 zusehends feindlicher gestalteten, redigierte Alex Mitchell mit Hilfe der Techniken, die er an der Fleet Street gelernt hatte, einfach jede Erwähnung der Drohungen und Gegendrohungen von Chomeini und Hussein aus den Seiten der News Line hinaus.
Mit dem Ausbruch des iranisch-irakischen Kriegs begann die bankrotte, opportunistische Politik der WRP-Führung völlig flach zu fallen. Der Krieg brachte Healy, Banda und Slaughter in enorme Verlegenheit und, was für sie noch schlimmer war, er durchkreuzte ihre Versuche, Geld von Regierungen im Nahen Osten zu bekommen.
10. Als der Irak im September 1980 in den Iran einmarschierte, rief die WRP zur sofortigen Einstellung der Feindseligkeiten auf und machte, nach einigem Zögern, korrekterweise das Baathistenregime für den Krieg verantwortlich. Aber als sich der Krieg in die Länge zog und es klar wurde, dass es sich um einen größeren militärischen Konflikt handelte, verfiel die WRP in Schweigen.
Sie widerrief ihre frühere Lobhudelei für Saddam Hussein nicht und war nicht bereit, sie kritisch zu überprüfen. Alle Erklärungen, die die WRP veröffentlichte, richteten sich an die bürgerlich nationalistischen Herrscher des Iran und des Irak, denen vorgeworfen wurde, sie hätten die „antiimperialistische Front“ gebrochen, niemals aber an die Massen, und vor allem niemals an die Arbeiterklasse im Iran oder im Irak.
Die Entscheidung des Iran im Sommer 1982, in den Irak einzudringen, wurde von der News Line verurteilt. Sie bezeichnete den Angriff als „einen schlechten Dienst für die belagerten palästinensischen und libanesischen Kämpfer in Beirut und für die iranische Revolution selbst.“
Aber die WRP sah sich nicht genötigt, die Ursachen des Konflikts tiefer zu untersuchen. Und das, obwohl die Entscheidung der iranischen Regierung zur Fortsetzung des Kriegs, wie wir oben gezeigt haben, sowohl ein Ergebnis der Politik, die die islamischen Fundamentalisten seit dem Sturz des Schah verfolgten, als auch Bestandteil ihrer scharfen Rechtswendung war. Eine derartige Untersuchung hätte eine Kritik der Entwicklung der iranischen Revolution und eine Analyse der Klassenwidersprüche im Iran und im Irak erfordert.
Stattdessen fuhr die WRP fort ohne eine ernsthafte politische Position zu dem Krieg. Dann änderte sie, nachdem sich die iranische Bourgeoisie seit geraumer Zeit unmissverständlich für die Fortsetzung des Kriegs entschieden hatte und vom früheren Verteidigungs- zum Eroberungskrieg übergegangen war, plötzlich vollständig ihre Linie. Im September 1983 trat die WRP ohne jegliche Diskussion mit ihren Genossen im IK mit einer vollen Unterstützung der Kriegsziele des iranischen Regimes an die Öffentlichkeit.
Die irakische Regierung wurde jetzt als „Werkzeug des Imperialismus“ verurteilt, was ebenso wenig begründet wurde, wie ihre frühere Lobpreisung als Bollwerk im Kampf gegen den US-Imperialismus.
Später rechtfertigte ein Leitartikel der News Line die Veränderung der Linie der WRP zum Krieg damit, dass die Franzosen Exocet-Raketen an den Irak geliefert hätten. Die Mitterand-Regierung wurde als „Stellvertreter des US-Imperialismus“ verurteilt. Später verteidigte die News Line jedoch das Recht des Iran, Waffen von Israel zu beziehen, das viel mehr als der französische Imperialismus ein „Stellvertreter“ Washingtons ist. In Wirklichkeit ist die Auffassung eines Stellvertreterkriegs völlig falsch und unmarxistisch. Diese impressionistische Herangehensweise diente den WRP-Führern als Ersatz dafür, den Krieg vom Standpunkt des Klassencharakters der beteiligten Staaten und der inneren Widersprüche, die sich aus ihrer verspäteten kapitalistischen Entwicklung ergaben, zu untersuchen.
Die prinzipienlose Linie, die die WRP gegenüber dem iranisch-irakischen Krieg und den Regimes von Hussein und Chomeini einschlug, rief im IK Widerstand hervor. Eine Delegation der Workers League aus den Vereinigten Staaten griff diese Positionen – zusammen mit einer ganzen Reihe anderer, ebenso antimarxistischen, die Healy, Banda und Slaughter dem IK aufgezwungen hatten – auf dem IK-Treffen im Februar 1984 an. (Die Workers League kann wegen dem reaktionären Voorhis-Gesetz nicht Mitglied des IK sein, steht aber in politischer Sympathie zu diesem).
Healy, Banda und Slaughter reagierten auf die Forderung der Workers League nach einer politischen Diskussion über ihre Positionen mit der Drohung, diese sofort aus dem IK auszuschließen. Kennzeichnenderweise griffen sie in ihrer fraktionellen Tirade eine Erklärung an, die die Unterdrückung der Tudeh-Partei durch die iranische Regierung verurteilte. Die Workers League hatte sie am 7. Februar 1984 in ihrer zweimal wöchentlich erscheinenden Zeitung Bulletinveröffentlicht. Healy zog es vor, sich ganz aus der Diskussion herauszuhalten.
Die australische Sektion des IK, die Socialist Labour League, wurde im Mai 1984 angegriffen, weil sie eine Erklärung veröffentlicht hatte, die zur Beendigung des iranisch-irakischen Kriegs aufrief und das Chomeini-Regime kritisierte, weil es den Krieg fortsetzte. Im Auftrag der WRP-Führung schrieb Professor Geoff Pilling an die SLL, um sie zu informieren, dass es in der marxistischen Bewegung keinen Präzedenzfall dafür gebe, dass die Einschätzung eines Krieges geändert wurde, weil die Armee einer Seite ins Territorium der anderen eingedrungen sei. Während es natürlich stimmt, dass Marxisten einen Krieg nicht danach einschätzen, wer den ersten Schuss abgefeuert hat oder wer im Moment militärisch im Vorteil ist, gibt es dennoch Fälle, in denen sich der Charakter eines Krieges ändern kann, wie das im iranisch-irakischen Krieg der Fall war.
Genau das geschah im Deutsch-Französischen Krieg, auf den sich Lenin immer als „klassisches“ Beispiel für einen gerechten oder Verteidigungskrieg bezog. ”Der Krieg von 1870/1871 war von Seiten Deutschlands historisch fortschrittlich, solange Napoleon III. nicht besiegt war, denn dieser hatte zusammen mit dem Zaren lange Jahre hindurch Deutschland bedrückt, indem er dessen feudale Zersplitterung unterstützte,“ erklärte Lenin in seiner Broschüre Sozialismus und Krieg. „Sobald dann der Krieg zu einer Beraubung Frankreichs entartete (Annexion von Elsass-Lothringen) verurteilten Marx und Engels die Deutschen ganz entschieden.“
Die WRP-Führer und vor allem Healy, Banda und Slaughter hatten an solchen prinzipiellen Fragen kein Interesse mehr.
Bei einer anderen Gelegenheit antwortete Banda auf die Frage, weshalb die WRP das Chomeini-Regime nicht wegen seiner Fortsetzung des Krieges verurteile, dies wäre „unzweckmäßig“. Er hat nie erklärt, weshalb es für die britische Sektion des IK „unzweckmäßig“ gewesen wäre, sich auf Prinzipien zu stützen. Die Söldnerbeziehungen, die die WRP erwiesenermaßen mit bürgerlichen Regimes im Nahen Osten angeknüpft hat, lassen aber darauf schließen, dass sich dahinter Überlegungen reaktionärster und prinzipienlosester Natur verbargen.
Für Banda und Slaughter standen die unmittelbaren Bedürfnisse ihrer eigenen Partei höher als die der Weltarbeiterklasse. Banda hatte mit den elementarsten Regeln des proletarischen Internationalismus gebrochen und befand sich bereits ein gutes Stück auf dem Weg, den er heute beschreitet – er führt Diskussionen mit der LSSP in Sri Lanka, der ersten Partei, die vorgab, trotzkistisch zu sein, und in eine bürgerliche Regierung eintrat.
„Ein Individuum, eine Gruppe, eine Partei oder Klasse, die in der Lage ist ,objektiv‘ zuzuschauen, wie Männer trunken von Blut und von oben aufgehetzt wehrlose Leute niedermetzeln, ist von der Geschichte verdammt zu verrotten und von den Würmern gefressen zu werden,“ schrieb Trotzki in einer beißenden Verurteilung der russischen Liberalen, die die Gräueltaten der bulgarischen, serbischen und griechischen Armeen während des ersten Balkankriegs deckten.
Andererseits ist eine Partei oder Klasse, die sich gegen jede verabscheuenswürdige Handlung, wo immer sie stattfindet, ebenso energisch und bereitwillig erhebt, wie ein lebendiger Organismus auf eine drohende Verletzung seiner Augen reagiert, von Grund auf gesund.
Das Internationale Komitee reagierte. Es hat mit Healy, Banda und Slaughter und ihren kleinbürgerlichen Anhängern gebrochen. Durch den Sieg über diese gehässige antitrotzkistische Tendenz hat das IK in der Geschichte der Vierten Internationale ein neues Kapitel eröffnet. Das IK hat durch diesen Kampf die Theorie der Permanenten Revolution nicht nur verteidigt, es kann und muss sie auch weiterentwickeln. Jetzt ist eine wirkliche Hinwendung zur Revolution im Nahen Osten und der Aufbau von neuen Sektionen des IKVI, auch im Iran und Irak, möglich.
• Mobilisiert die iranische und die irakische Arbeiterklasse, um den Krieg zu stoppen! Nieder mit dem Chomeini- und dem Hussein-Regime, die die Tür für eine direkte imperialistische Intervention in der Region des Persischen Golfs geöffnet haben!
• Vorwärts zur sozialistischen Revolution und zur Errichtung einer Sozialistischen Föderation des Nahen Ostens!
• Baut trotzkistische Parteien, Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale im Iran und Irak auf!
