Sozialistische Partei Frankreichs in der Krise

Der Vorstand der Sozialistischen Partei hat Martine Aubry, die Bürgermeisterin von Lille, als Parteivorsitzende bestätigt. Damit sind vier Tage heftiger Auseinandersetzungen zu Ende gegangen, die in Frankreich die Schlagzeilen beherrscht haben.

Die Sozialistische Partei (Parti Socialiste, PS) ist die wichtigste linke bürgerliche Partei Frankreichs und führt die parlamentarische Opposition gegen den konservativen Präsidenten Nicoals Sarkozy an. Die Auseinandersetzung über die Frage, wer für die Außenwirkung der Partei am besten geeignet sei, hat sie an den Rand der Spaltung gebracht.

Auf dem Parteitag in Reims vom 14. bis 16. November schaffte es keine Fraktion, eine Mehrheit zu erringen. Deswegen mussten die Mitglieder den Vorsitzenden wählen. In der ersten Runde am 20. November gab es drei Kandidaten: Aubry, die rechtsorientierte Präsidentschaftskandidatin von 2007 Ségolène Royal und Benoît Hamon, Mitglied des Europaparlaments und der "linken" Parteifraktion Nouveau Parti Socialiste. Aubry erhielt 35 Prozent der Stimmen, Royal 43 Prozent und Hamon 23 Prozent. Hamon forderte seine Anhänger daraufhin auf, am nächsten Tag für Aubry zu stimmen.

Die Stichwahl endete praktisch in einem Patt. Aubry hatte bei 137.000 abgegebenen Stimmen lediglich 42 Stimmen mehr erhalten als Royal. Beide Kandidatinnen nahmen den Sieg für sich in Anspruch, und alsbald setzten gegenseitige Vorwürfe von Wahlbetrug ein.

Anhänger Royals wie ihr Vertrauter Manuel Valls und der Nationale Sekretär der PS, François Rebsamen, beschuldigten das Aubry-Lager, Royal den Sieg gestohlen zu haben, und riefen zu einer "Mitgliederrevolte" auf, bis hin zu Demonstrationen vor der Parteizentrale in Paris.

Claude Bartolone drohte für das Aubry-Lager im Gegenzug mit einer Verleumdungsklage. Er fügte hinzu, die einzigen "Unregelmäßigkeiten" habe es bei dem PS-Verband im Überseegebiet Guadeloupe gegeben, der für Royal gestimmt habe.

Die Sache wurde vor den Parteivorstand gebracht, in dem Aubry-Anhänger die Mehrheit haben. Am 25. November erklärte der Vorstand Aubry mit 159 zu 76 Stimmen zur Siegerin.

Die Sozialistische Partei präsentiert der Öffentlichkeit jetzt ein bizarres Spektakel: Nur ein paar Tage nach gegenseitigen Beschuldigungen von Wahlbetrug versuchen ihre führenden Mitglieder jetzt gemeinsam, die PS als die beste Partei anzupreisen, um Frankreich auf parlamentarisch-demokratischem Weg zu regieren. Die Spaltungen in der Parteiführung werden unvermeidlich erneut aufbrechen, spätestens, wenn sie ihren Präsidentschaftskandidaten für 2012 bestimmen muss.

Die Öffentlichkeit irritiert vor allem die Tatsache, dass es zwischen den beiden Seiten kaum prinzipielle Differenzen gibt. Die britische Financial Times stimmte PS-Insidern zu, dass es bei der Führungswahl "mehr um Persönlichkeiten als um Politik" gegangen sei. Aber natürlich haben solche persönliche Auseinandersetzungen einen politischen Inhalt.

Wenn man versucht, aus dem Morast kleinlicher Ambitionen und wucherndem Opportunismus im Kampf um die Führung der PS politische Fragen herauszuschälen, ergibt sich in etwa folgendes Bild: Royal versucht, jede formelle Verbindung zur Arbeiterklasse zu kappen und sich wie im Wahlkampf von 2007 auf ein Bündnis mit rechten bürgerlichen Parteien wie François Bayrou’s Demokratischer Bewegung (MoDem) zu orientieren. Aubry lehnt solche Bündnisse zwar nicht aus Prinzip ab - in der Kommunalregierung von Lille arbeitet sie selbst mit MoDem zusammen -, aber auf nationaler Ebene hält sie einen solchen Kurs für nicht ratsam, weil er auf der Linken ein großes politisches Vakuum schaffen würde.

Aubry will die PS "links verankern". Sie ist vor allem für die Einführung der 35-Stunden-Woche unter dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin bekannt, die inzwischen von Präsident Sarkozy weitgehend wieder abgeschafft worden ist.

Die Referenz, die Aubry der Arbeiterklasse erweist, ist nicht weniger unehrlich und heuchlerisch als Royals Haltung. Ihre linke Rhetorik spiegelt die Furcht der PS-Führung vor einer Bedrohung von links wider. Das führende PS-Mitglied Jean-Luc Mélenchon trat kürzlich aus der PS aus und gründete eine Linkspartei. Er berief sich dabei auf das Beispiel von Oskar Lafontaine und der Linkspartei in Deutschland. Außerdem wird befürchtet, Olivier Besancenot und die Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR) könnten von einer Rechtsentwicklung der PS profitieren. Die Presse bezeichnete Hamon während des Führungskampfs in der PS mehrfach als "Anti-Besancenot-Waffe".

Man muss diese Entwicklung auf dem Hintergrund der Krise des Weltkapitalismus betrachten, die das Vertrauen in die freie Marktwirtschaft unterhöhlt hat. Sarkozy hat seine Politik der neuen Lage angepasst. Er hat den Banken 360 Mrd. Euro zur Rettung zur Verfügung gestellt. Weil in zahlreichen Industrien Massenentlassungen und Arbeitskämpfe drohen, verkündet er jetzt eine nationale Industriepolitik und Investitionsstrategie. Noch vor kurzer Zeit stellte sich Sarkozy als Vorreiter eines Marktwirtschaftskapitalismus à la USA dar. Aber jetzt erklärt er vor dem Europäischen Parlament mit einer Chuzpe, die selbst die abgebrühten französischen Medien erstaunte, dass er vielleicht "Sozialist" sei!

In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, dass Aubry die Unterstützung praktisch der gesamten obersten PS-Führung erhielt, darunter von den ehemaligen Premierministern Laurant Fabius und Michel Rocard und von Dominique Strauss-Kahn, dem amtierenden Chef des Internationalen Währungsfonds. Royal, die letztes Jahr noch versuchte, die PS auf einen rein marktwirtschaftlichen Kurs zu steuern, ist nicht mehr "en vogue". Diese versierten Verteidiger des französischen Kapitalismus sehen in Aubry einen besseren Schutz gegen die Gefahr von links.

Die Lage ist für eine wirklich sozialistische Bewegung außerordentlich günstig. Es gibt eine tief sitzende Opposition gegen die etablierte Politik, und Millionen suchen nach neuen politischen Antworten.

Genau in diesem Moment haben die LCR und Besancenot, von einer Welle von Medienpopularität getragen, entschieden, alle Brücken zu ihrer vergangenen Verbindung zum revolutionären Sozialismus formell abzubrechen. Sie wollen die LCR in der so genannten "Neuen Antikapitalistischen Partei" (NPA) auflösen. In der Debatte der LCR-Führung über diese Veränderung wurde klar, dass die NPA ein reformistisches Programm haben wird. Alain Krivine, Francois Sabado und andere LCR-Führer betonen, ihre neue Partei habe nichts mit dem Trotzkismus zu tun, d.h. mit der Perspektive der sozialistischen Revolution.

Die LCR hofft, ihre Popularität ausnutzen zu können, um auf der linken Flanke der PS Einfluss zu gewinnen. Für sie ist die tiefe Krise der PS eine unangenehme Überraschung. Besancenot sagte, die Krise der PS sei "ein sehr trauriger Anblick....Davon könnten nur die Rechten profitieren".

Sozialisten in Frankreich und Europa müssen sorgfältig prüfen, was die Krise der PS bedeutet. Die Situation erinnert an Trotzkis Worte in "Wohin geht Frankreich": "Die allgemeine Entwicklung der arbeitenden Massen und des Kleinbürgertums geht offensichtlich nach links. Genauso offensichtlich gehen die Arbeiterparteien nach rechts." Das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpft wie Trotzki für den Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei in Frankreich.

Siehe auch:
Frankreich: Sozialistische Partei tiefer gespalten denn je
(25. November 2008)
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