Vereinigte Staaten wollen Atombomben zu einem normalen Mittel der Kriegsführung machen

Das Pentagon nimmt auf Bushs Anweisung sieben Nationen als Ziele ins Visier

Die Bush-Regierung hat das amerikanische Militär angewiesen, sich in viel größerem Maße auf den Einsatz von Atomwaffen in künftigen Kriegen vorzubereiten. Entsprechende Presseberichte vom Wochenende wurden vom Pentagon und dem Weißen Haus bestätigt.

Das Pentagon ist angehalten, Einsatz-Szenarien für mögliche Nuklearangriffe auf sieben verschiedene Länder vorzubereiten. Unter ihnen befinden sich mit China und Russland die beiden Mächte, die schon seit langem die Zielscheibe des amerikanischen Atomwaffenarsenals waren, mit dem Irak, dem Iran und Nordkorea die drei Länder, die von Bush in seiner Rede zur Lage der Nation als "Achse des Bösen" dämonisiert wurden, und außerdem Libyen und Syrien.

Ein erster Entwurf dieses Berichts mit dem Titel "Überblick über die nukleare Stellung" (Nuclear Posture Review) wurde dem Kongress am 8. Januar überreicht. William Arkin, der für die Los Angeles Times zu Militärfragen schreibt, erhielt eine Kopie des für geheim erklärten Materials und die Zeitung berichtete am 9. März über den Inhalt der Verschlusssache. Die New York Times bekam am darauffolgenden Tag das gleiche Material.

Neben der ausdrücklichen Nennung von bestimmten Ländern als Angriffszielen - es ist das erste Mal, dass eine solche Liste öffentlich bekannt wurde - wird in der Nuclear Posture Review ein wesentlich größerer Bereich von politischen, strategischen und taktischen Szenarios umrissen, in deren Fall die amerikanische Regierung den Einsatz von Nuklearwaffen gutheißt.

Der Bericht sagt, das Pentagon solle zum Einsatz von Atomwaffen bereit sein im Falle eines arabisch-israelischen Konflikts, eines Kriegs zwischen China und Taiwan oder eines Angriffs Nordkoreas auf Südkorea. Auch im Falle eines irakischen Angriffs auf Israel oder einen anderen Nachbarstaat könnte ihr Einsatz notwendig sein, erklärt der Bericht.

Das letztgenannte Einsatz-Szenario ist das unmittelbar bedrohlichste, bereiten die Vereinigten Staaten doch offen einen Militärschlag gegen den Irak vor. Ein Angriff der Vereinigten Staaten auf den Irak könnte zweifellos wieder den Abschuss irakischer Scud-Raketen auf Israel provozieren, wie bereits 1991, im letzten Krieg der USA gegen den Irak geschehen. Nach den Kriterien, die in dem Bericht skizziert werden, könnte das Abfeuern solcher Raketen von mobilen Abschussbasen auf Lastwagen mit einer Atombombe beantwortet werden, die auf irakische Militäreinrichtungen in den westlichen Wüstenregionen oder sogar auf Bagdad geworfen wird.

Wann können Atomwaffen zum Einsatz kommen?

Das Pentagon-Dokument spricht zum ersten Mal aus, dass amerikanische Kriegsplaner zum Einsatz von Atomwaffen in militärischen Konflikten entschlossen sind, in denen die gegnerische Seite entweder keine Atomwaffen besitzt oder ihre vorhandenen Nuklearwaffen nicht eingesetzt hat. Es tut dies in einer vagen Sprache, die die Möglichkeit noch weiter gehender Einsätze offen lässt.

So heißt es in dem Bericht, dass Atomwaffen "gegen Ziele eingesetzt werden können, die nicht-nuklearen Angriffen standhalten", d.h. immer dann, wenn ein konventioneller Angriff des amerikanischen Militärs keinen Erfolg hat. Solch ein Einsatz-Szenario könnte in Afghanistan jederzeit zustande kommen, wie die jüngsten Kämpfe bei Gardes gezeigt haben.

Noch weiter geht der Vorschlag, dass Atomwaffen "im Falle überraschender militärischer Entwicklungen" benutzt werden können. Vertreter des Pentagons sagten gegenüber der New York Times, dass diese Sprachregelung gewählt wurde, um die verschiedenartige Nutzung neuer Arten von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen abzudecken, aber sie könnte ebenso gut auf einen Terroranschlag wie den vom 11. September angewandt werden, der die Bush-Regierung angeblich vollkommen überrascht hat. Die Nuclear Posture Review scheint nukleare Vergeltungsschläge im Falle solcher Angriffe gutzuheißen.

Das Pentagon-Dokument erhebt auch die Forderung nach einer größeren Bandbreite beim taktischen Einsatz von Atomwaffen durch die Entwicklung von kleineren und schwächeren Sprengköpfen, die zur Zerstörung tief liegender und befestigter Bunker eingesetzt werden können. Das Dokument fordert die Konstruktion präziserer "Sprengköpfe, die weniger Kollateralschäden anrichten". Die Entwicklung solcher Sprengköpfe setzt die Wiederaufnahme unterirdischer Atomwaffentests durch die Vereinigten Staaten voraus.

Der Bericht erklärt: "Optionen des nuklearen Angriffs, die sich in Ausmaß, Umfang und Zweck unterscheiden, werden andere militärische Potentiale ergänzen." Die Luftwaffe soll ihre konventionellen Cruise Missiles und die F-35-Kampfflugzeuge so umrüsten, dass sie Atombomben tragen können. Sogar die Einsatzleiter amerikanischer Spezialtruppen könnten Atomschläge einfordern, indem sie die gleiche geheimdienstliche Aufklärungsarbeit und Zielauswahl für Atomwaffen vornehmen, wie sie sie jetzt schon in Afghanistan für konventionelle Bomben und Raketen geleistet haben.

Dieser Änderungen bedeuten in ihrer Gesamtheit, dass die Atomwaffen von einem "letzten Mittel" zu Waffen werden, die nach Belieben auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden können. Wie ein Atomwaffenexperte, Joseph Cirincione von der Carnegie-Friedensstiftung, feststellte: "Mit diesen Plänen werden Atomwaffen wieder eindeutig zu einem Mittel der Kriegsführung, anstatt der Abschreckung vor Kriegen."

Die Nuclear Posture Review ist trotz ihres schwerfälligen bürokratischen Titels ein hochpolitisches Dokument. Als die neu ins Amt gekommene Reagan-Regierung die in den drei Jahrzehnten des Kalten Kriegs praktizierte Eindämmungsdoktrin umzukehren versuchte, entwarf sie 1981 eine Nuclear Posture Review, in der die Doktrin der Gewissheit gegenseitiger Vernichtung zugunsten des Ziels aufgegeben wurde, eine strategische Überlegenheit im Bereich der Atomwaffen zu erreichen. Ziel war es, sicherzustellen, dass die Vereinigten Staaten einen verheerenden Nuklearkrieg mit der Sowjetunion überleben würden und danach noch genug intakte und unbenutzte Atomwaffen hätten, um in einer Welt nach der Apokalypse ihre "Vorherrschaft" zu behaupten.

Diese wahnsinnige Perspektive blieb die offizielle amerikanische Militärdoktrin bis die Clinton-Regierung 1994 eine erneute Überprüfung anordnete, die erst 1997 mit der Herausgabe eines neuen Entwurfs beendet wurde. Die Clinton-Dokumente sind bis heute geheim geblieben, aber Presseberichte vermuten, dass in ihnen erstmals die Neuausrichtung von amerikanischen Raketen, die zuvor auf Russland zielten, auf Ziele wie China, Nordkorea und verschiedene Länder im Nahen und Mittleren Osten angeordnet wurde.

Der Atomwaffenplan der Bush-Administration ist ein weiterer schamloser, gesetzwidriger Akt einer Regierung, die internationale Verpflichtungen mit Füßen tritt. Die Vereinigten Staaten sind als Unterzeichner an den Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen gebunden, nach dem keine Atomwaffen gegen Nicht-Nuklearmächte eingesetzt werden dürfen. Die Direktive von Bush verletzt zwar bislang nicht den Wortlaut des Vertrags, aber sie weist das Pentagon an, alle nötigen Vorbereitungen zu treffen, um genau dies zu tun. Sie ist eine vorweggenommene Ankündigung, dass die Vereinigten Staaten den Vertrag brechen werden, sobald es ihnen zupass kommt.

Eine Politik der Einschüchterung

Die schnelle Bestätigung des Berichts in der Los Angeles Times durch das Weiße Haus und die Bereitschaft von Pentagon-Vertretern, das Dokument zu diskutieren - das normalerweise ein streng gehütetes Geheimnis ist - lässt vermuten, dass die Bush-Regierung den Bericht vorsätzlich durchsickern ließ. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist geeignet, den militärischen und diplomatischen Vorhaben der Vereinigten Staaten im Nahen Osten Vorschub zu geben, indem es sowohl mögliche Widersacher wie auch voraussichtliche Verbündete einschüchtert.

Einen Tag nachdem der Bericht an die Öffentlichkeit gedrungen war, verließ Vizepräsident Cheney Washington für eine zehntägige Reise nach Großbritannien und in den Nahen und Mittleren Osten, um Unterstützung für die nächste Stufe der aggressiven militärischen Kampagne zu gewinnen, die mit großer Sicherheit ein massiver Angriff auf den Irak sein wird. Die Veröffentlichung erfolgte zwei Tage vor einer Rede Bushs zu den Terrorangriffen vor sechs Monaten, die im ganzen Land vom Fernsehen übertragen wird. Von der Ansprache wird erwartet, dass Bush Militärinterventionen in vielen weiteren Ländern androhen wird, zusätzlich zum derzeitigen Einsatz von Soldaten und Militärberatern in Afghanistan, Zentralasien, den Philippinen, Georgien, dem Jemen und Kolumbien.

Die britische Zeitung Observer berichtete am 10. März, dass Cheney anlässlich seines Londonbesuchs die Blair-Regierung ersuchen wird, 25.000 der insgesamt 250.000 Soldaten zu stellen, die nach amerikanischen Planungen für die Eroberung des Iraks gebraucht werden.

Der Observer erklärt, dass bereits eine beträchtliche militärische Vorbereitung für einen Bodenkrieg im Irak im Gange ist. Unter anderem sollen Exiliraker und kurdische Kräfte im Nordirak von Spezialeinheiten trainiert werden, ein Bataillon von 25 Longbow-Apache-Kampfhubschraubern in Kuwait eingesetzt sein und die insgesamt 5.000 Panzer und gepanzerten Fahrzeuge der Vereinigten Staaten instandgesetzt werden, die seit dem Krieg von 1991 in Kuwait stehen.

Die New York Times wies in ihrer Analyse des Pentagon-Berichts auf den einseitigen und tyrannischen Charakter der neuen Atomwaffen-Doktrin hin und schrieb zynisch: "Anders als die alte Formel der Gewissheit gegenseitiger Vernichtung, mit der sich die Supermächte gegenseitig durch Abschreckung in die Entspannung trieben, soll das neue Säbelrasseln des Pentagons etwas anderes signalisieren. Nämlich die Gewissheit einseitiger Vernichtung..."

Der Pentagon-Bericht erteilt den Rüstungskontrollabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die für den Kalten Krieg charakteristisch waren, eine ausdrückliche Absage. Es wird erklärt: "Dieser alte Prozess ist unvereinbar mit der Flexibilität, die die Vereinigten Staaten jetzt für ihre Planung und ihre Streitkräfte benötigen." Die neue Doktrin macht deutlich, dass nur die Existenz der Sowjetunion - trotz der verräterischen konterrevolutionären Politik der stalinistischen Bürokratie - den amerikanischen Imperialismus davon abhielt, sein Atomwaffenarsenal im letzten halben Jahrhundert mehr oder weniger nach Belieben einzusetzen.

Da die Sowjetunion nicht mehr im Weg steht, entsenden die Vereinigten Staaten ihre Militärmacht nach Zentralasien, um die ölreiche Region rund um das Kaspische Meer zu beherrschen, und bereiten den zweiten großen Krieg in einem Jahrzehnt am Persischen Golf vor. Und nun, mit der Veröffentlichung dieses kaum verhüllten nuklearen Ultimatums, wird jedes Regime in der Region - und in der ganzen Welt - davon in Kenntnis gesetzt, dass es, wenn es sich der amerikanischen Politik entgegenstellt, selbst eine Zielscheibe für die Bombardierung mit Atomwaffen werden kann.

Die Veröffentlichung dieses Dokuments über die Atomwaffenpläne muss Schockwellen über die ganze Welt verbreiten. Die Erklärung, dass zum ersten Mal seit Hiroshima und Nagasaki Atomwaffen zum Mittel der Kriegführung werden sollen, ist außerordentlich provokativ. Jedem, der nicht durch die offizielle Propaganda verblendet ist, wird dadurch deutlich, dass die Vereinigten Staaten zum rücksichtslosesten internationalen Tyrannen geworden sind, den die Welt seit dem deutschen Imperialismus der 1930-er und 1940-er Jahre erlebt hat.

Die Regierung der Vereinigten Staaten gibt öffentlich bekannt, dass sie sieben Länder - deren Bevölkerung zusammengenommen ein Viertel der Menschheit ausmacht - für Angriffe mit Atomwaffen in Betracht zieht. Diese Länder müssen notwendigerweise annehmen, dass die Vereinigten Staaten vorhaben, diese Drohungen wahr zu machen, und sie müssen entsprechend planen. Aber jede defensive Gegenmaßnahme, die sie unternehmen, darunter auch die Entwicklung eigener Massenvernichtungswaffen als Abschreckungsmaßnahme, wird von der Bush-Regierung als Handlung dargestellt werden, die einen Angriff rechtfertigt.

Die Politik der Bush-Regierung hat objektive Auswirkungen. Die neue Pentagon-Doktrin bringt die Welt viel näher an den tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen als Mittel der Kriegsführung, mit unvorhersehbaren Folgen für die Menschheit. In der Tat ist ein solcher Krieg nicht zu verhindern, solange nicht andere gesellschaftliche Kräfte eingreifen und den Imperialisten die Entscheidung abnehmen. Dies ist die Aufgabe, vor der die internationale Arbeiterklasse steht.

Siehe auch:
Gefahr einer Diktatur: Bush richtete nach dem 11. September ein geheimes Kabinett ein
(6. März 2002)
Die Rede des amerikanischen Präsidenten zur Lage der Nation - Eine Kriegserklärung an die ganze Welt
( 1. Februar 2002)
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