Die irakische Opposition und die US- Pläne für einen "Regimewechsel" in Bagdad

Zweiter Teil

Wir veröffentlichen heute die zweite Hälfte eines Artikels zur irakischen Opposition. Der erste Teil erschien am 4. Oktober 2002.

Das erniedrigende Debakel, dass die CIA und die irakischen Oppositionsgruppen 1996 im Nordirak erlitten, sollte Nachwirkungen in Washington haben. Der rechte Flügel der Republikaner hatte die Clinton-Regierung bereits unter Beschuss genommen, da sie ihrer Meinung nach die amerikanischen Interessen im Nahen Osten nicht aggressiv genug vertrat. Der Zusammenbruch der irakischen Opposition war nur ein weiterer Punkt in Clintons Sündenregister, und die rechte Kampagne im Kongress gipfelte schließlich 1998 in der Annahme des "Gesetzes zur Befreiung des Iraks" (Iraq Liberation Act). Der "Regimewechsel" im Irak wurde zum amerikanischen Gesetz erklärt - ein beispielloser Schritt - und Militärhilfe in Höhe von 97 Millionen Dollar wurde ausgewählten Oppositionsgruppen gewährt.

Unter denjenigen, die den Iraq Liberation Act unterstützten und später Clinton angriffen, weil er das Gesetz nicht vollständig umsetze, befanden sich die heutigen Hauptorganisatoren eines Kriegs gegen den Irak - Rumsfeld, Wolfowitz und Perle. Nachdem die Gesetzesvorlage das Parlament passiert hatte, schrieben Rumsfeld und Wolfowitz als Privatmänner an Clinton und forderten ihn auf, die Gelder für Operationen im Irak zu verwenden. 1998 erklärte Wolfowitz vor dem Kongress: "Der Kern des Problems besteht darin, dass die Vereinigten Staaten nicht willens oder fähig sind, eine ernsthafte Politik im Irak zu verfolgen."

Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2000 erklärte Perle in seiner Rolle als außenpolitischer Berater Bushs: "Gouverneur Bush hat gesagt, [...] dass er den Iraq Liberation Act vollständig umsetzen will. Wir wissen alle, was das bedeutet. Es bedeutet ernsthafte und dauerhafte Bemühungen, um die Opposition mit dem Ziel zu unterstützen, dass Saddams Regime gestürzt wird." Perle machte sich über die Clinton-Regierung lustig, weil sie der irakischen Opposition keine militärische Hilfe gewährt habe, und beschuldigte sie der "anhaltenden Heuchelei" wegen der Nichtumsetzung des Gesetzes.

Der Irak war Teil eines wesentlich umfassenderen Programms. Bushs Wahlkampf wurde zum Medium für jene Schichten der herrschenden Elite Amerikas, die entschlossen waren, das amerikanischer Militär zur Durchsetzung einer unangefochtenen globalen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten zu benutzen, vor allem in den strategisch wichtigen und ölreichen Regionen in Zentralasien und im Nahen Osten. Nachdem sie auf undemokratischen Wege an die Macht gelangt war, verfolgte die Bush-Regierung diese außenpolitischen Ziele mit Nachdruck.

Die Gelder, die nach dem Iraq Liberation Act zur Verfügung standen, flossen nun an die irakischen Oppositionellen. Die Terroranschläge vom 11. September auf das World Trade Center und das Pentagon wurden von Rumsfeld, Perle, Wolfowitz und anderen benutzt, um ihre lang gehegten Pläne für einen Regimewechsel im Irak voranzutreiben - unabhängig von der Frage, ob Saddam Hussein tatsächlich an den Anschlägen beteiligt war.

Der Hauptnutznießer der wieder einsetzenden Aktivitäten war der Irakische Nationalkongress (INC). Nach 1996 hatte er sich in London neu gegründet. Nach Angaben des amerikanischen Außenministeriums von Februar 2002 hat der INC über die Hälfte der 24 Millionen Dollar erhalten, die nach dem Iraq Liberation Act bereitgestellt wurden.

Zweifellos ist Chalabi für Perle, Rumsfeld und Co. der bevorzugte Ersatz für Hussein. Doch selbst innerhalb der Bush-Regierung ist man über diese Frage gespalten. Wie ein treuer Unterstützer Chalabis bemerkte, genießt dieser unter Vertretern der CIA und des Außenministeriums den Ruf eines "kleinen Opportunisten", der "seine Position im INC nutzt, um etwas aus sich zu machen".

Diese Beurteilung wird durch seine Verurteilung wegen Finanzbetrugs im Zuge des Zusammenbruchs der Petra Bank unterstützt. Chalabi floh 1989 aus Jordanien und obwohl er seine Unschuld beteuerte, kehrte er nicht zurück, um sich 1992 vor Gericht gegen den Vorwurf zu verteidigen, dass er die Bank um 200 Millionen Dollar geschröpft habe. Kritiker des INC weisen auch darauf hin, dass die Gruppe über keine wirkliche Unterstützung im Irak verfügt.

Es ist bezeichnend, dass die offensichtlichen Defizite Chalabis und des INC ihre Unterstützer in der Bush-Regierung anscheinend nicht beunruhigen. In einem kürzlich in der australischen Fernsehsendung Four Corners ausgestrahlten Interview lobte Perle Chalabi in den höchsten Tönen und erklärte, dieser "reflektiert in großem Maße westliche Werte". Als Danielle Plekta von der American Heritage Foundation, eine von Perles Mitarbeiterinnen, in der gleichen Sendung nach Chalabis Verurteilung in Jordanien gefragt wurde, erklärte sie: "Das spielt absolut keine Rolle."

In den Augen von Hardlinern wie Perle werden Chalabis Schwächen durch seine Loyalität gegenüber amerikanischen Interessen mehr als wettgemacht. Er tritt seit langem für eine Militärinvasion der Vereinigten Staaten im Irak ein und unterstützt die Politik der Bush-Regierung im Rest des Nahen Ostens, auch ihren Beistand für den Staat Israel. Hinsichtlich einer der wichtigsten Fragen - wer kontrolliert das irakische Öl - hat Chalabi bereits seinen Standpunkt deutlich gemacht. Er sagte kürzlich gegenüber der Washington Post, dass er für die Gründung eines Konsortium unter amerikanischer Führung eintrete, um irakische Ölfelder zu erschließen. "Amerikanische Konzerne werden beim irakischen Öl eine große Rolle spielen," erklärte er.

Die abtrünnigen Militärs

Diejenigen in der CIA und dem Außenministerium, die Perle, Rumsfeld und Wolfowitz kritisch gegenüber stehen, sind keine grundsätzlichen Gegner einer amerikanischen Invasion im Irak. Aber sie halten es für eine überaus leichtfertige Vorstellung, dass die amerikanische Armee in Bagdad einmarschieren und eine Figur wie Chalabi installieren könne, ohne den Irak oder gar die gesamte Region ernsthaft zu erschüttern.

Bob Baer, ein ehemaliger CIA-Fachmann mit 20-jähriger Erfahrung im Nahen Osten, gab diesen Standpunkt wieder, als er in der Sendung Four Corners die "Neokonservativen" mit aller Schärfe angriff. "Was jeder in Washington weiß, ist, dass es keinen Plan für die Schlussphase gibt. Wer wird Saddam ersetzen? Sie haben nicht die geringste Ahnung... Muss man dort hineingehen und das Militär zerschlagen, was ein Vakuum im Irak hervorrufen würde? Niemand beschäftigt sich damit," wetterte er.

Kritiker von Bushs "Regimewechsel" befürchten, dass das Land schnell auseinanderfallen könnte, wenn die irakische Regierung komplett zerstört würde. Sie verweisen auf die Erfahrung von Bushs Vater, der 1991 kurz vor der Absetzung Husseins halt machte, als die Revolten der Kurden und Schiiten das Land zu zerbrechen drohten. Ihre Alternative besteht darin, den abtrünnigen Militärs eine größere Rolle zu geben und eine besiegte irakische Armee zu einem Schlüsselinstrument der amerikanischen Politik zu machen.

Es gibt keinen Mangel an Kandidaten, die für einen solchen Job geeignet wären. Neben den Überresten des Irakischen Nationalen Einklangs (INA) existieren diverse Cliquen von ehemaligen irakischen Armeekommandeuren, die alle in Kontakt mit der CIA und/oder anderen Geheimdiensten stehen.

Die Liste umfasst Brigadegeneral Najib Al-Salhi, Führer der Bewegung Freier Offiziere, der Stabschef der ersten Panzergrenadierdivision des fünften Korps der irakischen Armee war, bis er vor sieben Jahren überlief. Er lebt bei Washington, behauptet 30.000 Kämpfer mobilisieren zu können und erklärt seinen detaillierten Plan für einen dreiseitigen Angriff auf Bagdad jedem, der es hören möchte. Er wird wegen des Einsatzes von chemischen Waffen während des Iran-Irak-Kriegs in Dänemark als Kriegsverbrecher gesucht.

Eine andere Gruppe ehemaliger irakischer Offiziere, die sich Irakische Nationale Koalition nennt, war an der Organisation eines Londoner Treffens von 80 Exil-Militärs im Juli beteiligt. Unter anderem beschloss die Versammlung mit großer Geste, einen Militärrat einzurichten, der ein Regime für die Zeit nach Hussein vorbereitet. General Fawzi Al-Shamari, der der Irakischen Offiziersbewegung vorsteht, nahm an dem Treffen in London nicht teil, weil er, wie er in Four Corners erklärte, bereits vor zwei Jahren seinen eigenen Militärrat eingerichtet hat. Er gibt zu, während des Iran-Irak-Kriegs chemische Kampfstoffe gegen iranische Soldaten eingesetzt zu haben.

Das amerikanische Außenministerium hat versucht, auch General Nizar Khazraji, ein weiterer abtrünniger Militär und der ehemalige Stabschef der irakischen Armee, zu gewinnen. Er wurde im vergangenen Dezember zu einem Treffen irakischer Oppositioneller bei einem amerikanischen Thinktank, dem Middle East Institute, eingeladen. In Dänemark wird untersucht, welche Rolle er bei dem Einsatz von Senf- und Nervengas gegen die kurdische Bevölkerung in Halabja 1988 spielte, der zum Tod von 3.000 Menschen führte. Khazraji führte die Armee während der monatelangen Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung im Jahre 1988, bei der nach Schätzungen 100.000 Menschen getötet wurden.

Welchen Zweck man sich von den Diensten solcher Gestalten wie Khazraji und Al-Salhi verspricht, ist allzu klar. Ihre erwiesenen militärischen Fähigkeiten können benutzt werden, um Widerstand zu zerschlagen, und gleichzeitig können ihre Kontakte zum Militär als Grundlage für einen Neuaufbau der Armee dienen, die ein Regime von Amerikas Gnaden stützen würde. So stellte Baer in Bezug auf General Al-Salhi schonungslos fest: "Er könnte zurückgehen und eine Militärregierung aufbauen, die an Saddams Stelle tritt, was die logischste Sache ist, wenn man wirklich daran interessiert ist, das Land zusammenzuhalten. Was man nicht im Irak einführen kann, ist Demokratie. Es wäre das totale Chaos."

Was die anderen irakischen Oppositionsgruppen betrifft, so betrachtet die Bush-Regierung sie als nützliche, wenn auch entbehrliche Hilfstruppen.

Weil sie bei einem Arrangement für die Zeit nach Hussein auf keinen Fall außen vor gelassen werden wollen, haben sich die beiden kurdischen Organisationen hinter eine amerikanischen Invasion gestellt. Die KDP und die PUK beendeten ihre brutalen Kämpfe der Jahre 1993-96 durch ein von Washington vermitteltes Abkommen, das den Nordirak in separate kurdische Lehen teilte. Die ehemals erbitterten Feinde sind zu dem Schluss gekommen, dass sie am Verhandlungstisch mehr Gehör finden, wenn sie sich zusammentun. Zu diesem Zweck haben sich Barzani und Talabani Anfang September getroffen und sich sowohl auf einen Plan für einen kurdische Autonomie geeinigt als auch beschlossen, das kurdische Regionalparlament einzuberufen.

KDP und PUK behaupten, dass sie gemeinsam mindestens 40.000 Kämpfer mobilisieren können. Aber die Vereinigten Staaten betrachten die kurdische Miliz mit gemischten Gefühlen. Während sie vielleicht eine Hilfe bei der Absetzung Husseins sein können, stellen die kurdischen Kämpfer doch eine Gefahr für jedes Regime dar, das Washington in Bagdad einsetzt, und zudem betrachten die Türkei, der Iran und Syrien jede kurdische Truppe mit tiefem Argwohn. Außerdem haben die Gruppen Ambitionen, ihren Einflussbereich bis nach Kirkuk und seine ertragreichen Öl- und Gasfelder auszudehnen - ein Ziel, das den Plänen der Vereinigten Staaten zuwiderläuft, die das irakische Öl von Bagdad aus kontrollieren wollen.

Washington hat - abgesehen von unmittelbar taktischen Erwägungen - noch weniger Grund, mit dem schiitischen SCIRI zusammenzuarbeiten, der nach Schätzungen über 5.000 bis 10.000 Kämpfer verfügt. Als sie bei Four Corners gefragt wurde, ob die Vereinigten Staaten "einen Führer verdauen können, der schiitisch und damit möglicherweise an Teheran orientiert" ist, fasste Danielle Pletka von der American Heritage Foundation die generelle Einstellung in Washington zu den verschiedenen schiitischen Organisationen zusammen. "Wollen wir, dass die Iraner einen maßgeblichen Einfluss ausüben?" fragte sie zurück und antwortete selbst: "Nein. Keine Frage. Wir wollen nicht, dass die Iraner einen maßgeblichen Einfluss ausüben. Im Gegenteil, wir wollen, dass der Irak das Vorbild für den Iran wird, und dann wollen wir diese Kerle loswerden."

Die letzte bedeutende irakische Oppositionsgruppe ist die Konstitutionelle Monarchie Bewegung, die eng mit der INC zusammenhängt. Der Anwärter auf den irakischen Königsthron Sharif Ali Bin Hussein mag Mut gefasst haben als Sahir Schah, der greise ehemalige Monarch Afghanistans, aus seiner italienischen Villa gezerrt wurde, um im Juni der Loya Jirga des Landes vorzusitzen. Aber Sharif Ali Bin Hussein verfügt sogar über noch weniger Legitimität als sein afghanisches Gegenstück.

Die irakische Monarchie ist eine Erfindung des britischen Imperialismus. Die Briten erfanden sie in den 1920-er Jahren als bevorzugte Herrschaftsmethode für das neue Mandatsgebiet, das ihnen vom Völkerbund übertragen worden war. Dem Haschemiten Amir Faisal wurde angeboten, zu Faisal I zu werden. Als er 1933 starb, übernahm sein Playboy-Sohn Ghazi den Job als König, starb aber bei einem Autounfall im Jahre 1939. Der dritte König, Faisal II, bestieg den Thron 1953 und wurde bei einem Militärputsch im Jahre 1958 getötet. Auf der Grundlage dieser kurzen und unrühmlichen Geschichte bietet sich Sharif Ali Bin Hussein, der beim Tod seines Onkel zwei Jahre alt war, als "einigende Kraft" für den Irak an.

Die World Socialist Web Site hält nichts von Saddam Hussein. Doch die irakischen Oppositionsgruppen, die die Gönnerschaft der Vereinigten Staaten suchen, repräsentieren die Interessen und Hoffnungen der irakischen Massen ebenso wenig wie das Regime, das sie ersetzen wollen. Ihr durch und durch korrupter Charakter ist der deutlichste Hinweis darauf, was für eine Art von "Regimewechsel" die Bush-Regierung im Sinne hat. Wie Karsai in Kabul wird jeder neue Amtsinhaber in Bagdad nichts weiter als eine neokoloniale Marionette sein und auf Gedeih und Verderb von der militärischen, finanziellen und politischen Unterstützung Washingtons abhängen.

Ende

Siehe auch:
Die irakische Opposition und die US- Pläne für einen "Regimewechsel" in Bagdad - Teil 1
(4. Oktober 2002)
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