Gegen Krieg und Sozialabbau

Tradition der Leipziger Montagsdemonstrationen neu belebt

Mit über 15.000 Teilnehmern war die jüngste Montagsdemonstration in Leipzig ein weiterer Höhepunkt in der Entwicklung einer breiten Bewegung gegen den Krieg. Auffallend war, dass die Teilnehmer den Protest gegen den geplanten Krieg im Irak mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und die "soziale Kahlschlagspolitik der Bundesregierung" verbanden.

Auf Transparenten und Plakaten war zu lesen: "Bush nach Den Haag", "Massenmord für Öl? Nein. Yankees go home!" und "Keine Überflugrechte für US-Bomber", aber auch "Millionen für Arbeitsplätze statt Milliarden für den Krieg".

Erst vor wenigen Tagen war ein drastisches Ansteigen der Arbeitslosigkeit bekannt gegeben worden, die sich nun auf fünf Millionen zubewegt. Im Osten liegt die offizielle Zahl der Arbeitslosen bei 19,9 Prozent, in der Stadt Leipzig sogar noch zwei Prozent darüber. In manchen Stadtvierteln ist jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit. Der Pfarrer der Nikolaikirche, Christian Führer, der jeden Montag zum Protest gegen den Irakkrieg aufruft, veranstaltet auch wöchentliche Aktivitäten mit jungen Arbeitslosen.

Die Montagsdemonstrationen haben in Leipzig eine lange Tradition. Schon im Herbst 1989 war es Pfarrer Führer, der mit seinen Friedensgebeten in der Nikolaikirche Massen von Menschen anzog. Schließlich waren es Hunderttausende, die sich jeden Montag in der Innenstadt versammelten und gegen die SED-Regierung demonstrierten. Damals waren die Proteste mit großen Hoffnungen auf "Freiheit und Demokratie" im Westen - gerade auch in den USA verbunden. Heute richten sich die Demonstrationen gegen die amerikanische Regierung und ihre aggressive Kriegspolitik.

Die Wiederbelebung der Leipziger Montagsdemonstrationen geht mit einer weit verbreiteten Ernüchterung in den östliche Bundesländern einher. Statt Freiheit kam nach der Wende Arbeitslosigkeit. In den USA ist mittlerweile eine Regierung an der Macht, die demokratische Grundsätze mit Füßen tritt und rücksichtslos einen Krieg durchsetzt, den die Mehrheit der Weltbevölkerung nicht will.

Ähnlich wie vor zwölf Jahren nimmt die Zahl der Demonstranten in Leipzig wieder schnell zu. Seit Weihnachten, als sich 18 Menschen zu Friedensgebeten versammelten, schwollen die Proteste zu einer Massenbewegung an, der sich mittlerweile Menschen aus allen Bevölkerungs- und Altersgruppen anschließen. Am 13. Januar, dem offiziellen Auftakt, kamen einige hundert, am vorletzten Montag 6.000 Menschen.

Nach dem traditionellen 17-Uhr-Gottesdienst in der Nikolaikirche zog die Menge zum Augustusplatz Richtung Oper, wo die Abschlusskundgebung stattfand. An diesem Montag spielte die DDR-Rocklegende Peter Gläser (Cäsar) von der damaligen Gruppe Renft die Klassiker "Apfelbaum" und "Wer die Rose ehrt".

Gegenüber der Presse sagte Pfarrer Führer: "Offensichtlich lässt sich der US-Präsident durch kein Argument davon abbringen, einen Krieg gegen den Irak zu führen... Ich arbeite musikalisch viel mit Kindern. Die sind immer die größten Verlierer bei solchen Auseinandersetzungen. Ich kann nur hoffen, dass der öffentliche Druck groß genug ist, um die Kriegsmaschinerie noch zu stoppen. Großen Eindruck scheinen die weltweiten Proteste auf Mr. Bush ja nicht zu machen."

Stimmen von Teilnehmern

Reporter der WSWS sprachen mit verschiedenen Teilnehmern darüber, weshalb sie die Proteste unterstützen.

Ein 50jähriger erklärte, er habe schon vor 13 Jahren die Montagsdemonstrationen von Leipzig erlebt. Damals habe er als Major der Volkspolizei allerdings "auf der anderen Seite der Barrikaden" gestanden.

Er fuhr fort: "Obwohl ich nicht glaube, dass sich Bush von den Demonstrationen beeindrucken lässt, muss man angesichts der immer weiter zunehmenden Stärke dieser Bewegung sagen, dass schon einmal eine Regierung an einer solchen Bewegung zerbrochen ist.

Mich wundert es nicht, dass so viele Leute hier nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung demonstrieren. Gerade hier im Osten haben die Leute lange genug auf die ‚blühenden Landschaften‘ gewartet, die uns Kohl damals versprochen hat.

Dann haben wir Schröder gewählt, der im Grunde erklärt, dass wir uns nun überhaupt keine Hoffnungen mehr machen sollen: die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, überall wird gekürzt, die Jugend zieht weg usw. Trotzdem einiges zweifellos besser geworden ist, haben viele das Gefühl, dass wir in den letzten zehn Jahren eher vom Regen in die Traufe gekommen sind. Das wird Ihnen hier jeder bestätigen."

Matthias, ein 31-jähriger Programmierer aus Leipzig, erklärte, er gehe auf die Straße um zu zeigen, dass es nicht hinzunehmen sei, wenn eine kleine Clique an der Spitze der Gesellschaft an den Völkern vorbei gegen andere Völker Krieg führe. "Dieser Krieg ist wahrscheinlich nicht mehr zu verhindern, aber die Leute werden sich bewusster darüber, was passiert. Sie merken, dass sie zusammen etwas erreichen können."

Katja (28) und Axel (29), zwei Mediziner aus Leipzig, die die WSWS schon seit längerem verfolgen, wollen vor allem "ihren Protest real machen". Gegenüber der Bundesregierung haben sie einen zwiespältigen Standpunkt. Während sie ihre Haltung gegen den Krieg unterstützen, lehnen sie die unsoziale Innenpolitik ab. "Das passt nicht zusammen." Man müsse eine internationale Bewegung von unten aufbauen, betonten beide. "Wie man an der WSWS sehen kann, bietet das Internet enorme Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit und der Unabhängigkeit von den herrschenden Medien."

Ein 45jähriger Tiefbauer aus einem Leipziger Vorort erklärte, dass er in den letzten Jahren so gut wie alles versucht habe und nun wieder vom Arbeitsamt lebe. Aus dem Braunkohletagebau wurde er nach dem Ende der DDR entlassen und machte sich dann selbständig. "In den Jahren als Selbständiger habe ich eigentlich nur von der Hand in den Mund gelebt und war von der Gunst der Großen abhängig. Nachdem der Schneider-Boom vorbei war [Mitte der 90er Jahre platzten mit dem Bankrott des Baulöwen Jürgen Schneider in der Leipziger Innenstadt eine ganze Reihe von Bauvorhaben - d. Red.], ging es völlig bergab. Entweder hätte ich irgendwelche Leute schmieren oder mich zu Billigstpreisen verkaufen müssen, wie das die meisten hier tun. Mit ehrlichen Geschäften war nichts mehr zu machen."

Die neuen Leipziger Montagsdemonstrationen haben auch in anderen Städten Nachahmer gefunden. So werden bereits aus mehreren Orten ähnliche Montagsproteste mit wachsender Teilnehmerzahl gemeldet: Dresden, Halle, München (7.000 Teilnehmer am 10. März), Magdeburg, Neuruppin und Berlin.

In Regierungskreisen wird diese Entwicklung nicht ohne Sorge verfolgt, und einige Zeitungskommentatoren sind bemüht, den Unterschied zu 1989 herauszustellen. So kommentiert die Welt Pfarrer Führers Bemerkung "Wir knüpfen an die Tradition von 1989 an" mit der Feststellung, die gelte nur für die Form, nicht für den Inhalt. Dass sich die Demonstrationen nur gegen vereinzelte Missstände und nicht gegen die Regierung richten, dachten Erich Honecker und sein Chef-Demagoge vom Schwarzen Kanal, Karl Eduard von Schnitzler, 1989 auch schon.

Siehe auch:
Vor welchen Aufgaben steht die Bewegung gegen den Krieg?
(11. Februar 2003)
Berichte über Antikriegsdemonstrationen auf der ganzen Welt
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