Der Staat und seine Armee

Politiker aller Parteien planen Einsatz der Bundeswehr im Inneren

In den letzten Jahren werden in systematischer Form rechtsstaatliche Grundsätze in Frage gestellt. Sei das die Trennung von Polizei und Geheimdiensten, der Datenschutz oder das Verbot von Folter. Von rechten Kreisen schon immer gefordert steht jetzt der Einsatz der Armee im Inland zur Debatte und wird von allen im Bundestag vertretenen Parteien forciert. Wie üblich wird nur über vermeintliche Ausnahmen diskutiert und werden grundsätzliche Fragen bewusst außen vor gelassen.

Wie hat sich die Debatte entwickelt?

Politiker der Union fordern schon seit einigen Jahren den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Konkreter wurde das erstmals nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber forderte damals eine Grundgesetzänderung, um die Bundeswehr bei der Terrorismusbekämpfung innerhalb der Grenzen Deutschlands einsetzen zu können. Die Armee sollte hierbei unter den Befehl der Polizei gestellt werden, also den Ländern unterstehen.

Auch im Bundestagswahlkampf forderte die Union eine Grundgesetzänderung. Stoiber, nunmehr Kanzlerkandidat, äußerte gegenüber der Bild am Sonntag, dass er bei einem Wahlsieg vor habe, die Bundeswehr zur Verstärkung der inneren Sicherheit einzusetzen. Deutschland müsse "künftig ergänzend zur Polizei auch die Bundeswehr im Inneren einsetzen, etwa zum Schutz von Flughäfen vor Anschlägen".

Auf der Innenministerkonferenz Anfang Dezember 2002 in Bremen haben Bayerns Innenminister Günther Beckstein und sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Fritz Behrens ebenfalls eine Gesetzesinitiative zu diesem Thema eingebracht. Von den übrigen SPD-geführten Ländern wurde sie aber abgelehnt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten SPD und Grüne für die Gesetzesvorschläge insgesamt wenig übrig. Zumeist wurden die genannten Vorstöße der Union damit abgetan, dass die Gesetzeslage ausreiche, um in entsprechenden Fällen die Bundeswehr im Inland einzusetzen. Ebenfalls Ende letzten Jahres sicherte die rot-grüne Bundesregierung den USA den Schutz ihrer militärischen und teilweise auch zivilen Einrichtungen durch deutsche Soldaten zu.

Der Frankfurter Segelflieger

Als Anlass zu einer erneuten Debatte diente ein eher belangloses Ereignis. Anfang des Jahres kreiste ein verwirrter 31-jähriger Student zwei Stunden lang mit einem Motorsegelflieger über Frankfurt und drohte zeitweise damit, sich in einen der Bankentürme zu stürzen. Augenzeugen hatten in Leserbriefen an lokale Zeitungen deutlich gemacht, dass sie sich durch die zwei Bundeswehrtornados, die geschickt worden waren, um den Motorsegler zu beobachten und gegebenenfalls abzuschießen, wesentlich mehr bedroht fühlten, als durch das kleine Flugzeug.

Eigentlich bestreitet niemand, dass schon heute die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, um die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe von den zuständigen Landesbehörden zur Unterstützung gegen z.B. einen echten terroristischen Angriff rufen zu können. Dennoch wurde dieses Ereignis von einigen Politikern genutzt, um die Forderung nach einer Grundgesetzänderung zu unterstreichen.

Bemerkenswert ist dabei vor allem die Wendung von Teilen der Regierungskoalition. Neben Angela Merkel, Friedrich Merz und Edmund Stoiber von der Union meldete sich auch Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) zu Wort. Für den etwaige Abschuss des Flugzeuges fehle eine "geeignete Rechtsgrundlage". Dem Spiegel zufolge hat Struck seinen Planungsstab beauftragt, bei der Neufassung der "Verteidigungspolitischen Richtlinien" zur Weiterentwicklung der Bundeswehr auch Einsätze im Innern sowie eine "Klarstellung" im Grundgesetz zu berücksichtigen.

Im Anschluss entwickelte sich eine rege Diskussion über diese Forderung. Zwar lehnten sowohl Innen- und Justizministerium als auch Bundeskanzler Schröder eine Grundgesetzänderung ab, doch blieben die Auseinandersetzungen auf einem bemerkenswert förmlichen Niveau. Nicht die Gefahr einer Verschmelzung von Polizei und Bundeswehr wurde diskutiert, sondern nur die Frage, ob die momentane Gesetzeslage ausreiche, um die Armee im Inland einsetzen zu können.

So hält SPD-Generalsekretär Olaf Scholz eine Grundgesetzänderung nicht für zwingend. Die juristische Prüfung dieser Frage sei ein "ganz offener Prozess", sagte Scholz. Die SPD hoffe eher auf ein Ergebnis, nach dem eine Verfassungsänderung nicht notwendig wird. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, erklärte in der Passauer Neuen Presse, dass das Grundgesetz ohnehin den Einsatz der Streitkräfte gegen terroristische Anschläge erlaube, wenn polizeiliche Mittel nicht ausreichten.

Die Grünen reagierten insgesamt weniger ablehnend. Grünen-Chefin Angelika Beer sagte, grundsätzlich halte ihre Partei nichts von Grundgesetzänderungen. Allerdings brauche man für den Einsatz der Bundeswehr gegen Flugzeuge, die von deutschem Boden aus starteten und Ziele in Deutschland bedrohten, eine "juristisch saubere Situation".

Auf der Grundlage dieser juristischen Auseinandersetzungen ließ Innenminister Otto Schily (SPD) Ende Januar verlauten, er plane eine Änderung des Luftpolizeigesetzes, um die Unterstützung der Polizeiarbeit durch die Armee gesetzlich zu regeln. Am 1. März meldete die dpa, dass über dieses Gesetz in Regierungskreisen weitgehend Einigkeit herrsche.

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz dagegen sprach sich der Welt zufolge für ein Ausführungsgesetz zum Artikel 35 des Grundgesetzes aus, der den Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Rahmen der Amtshilfe regelt. "Ein Luftpolizeigesetz würde Lücken hinterlassen", sagte er. Der Verteidigungsexperte der Unionsbundestagsfraktion, Christian Schmidt (CSU), sagte, die Union werde dem Schily-Entwurf im Bundesrat nicht zustimmen: "Ohne Verfassungsänderung geht es nicht." Die Pläne von Schily "greifen zu kurz, weil es dann wieder keine Regelungen für die Hilfe der Bundeswehr bei Gefahrenabwehr am Boden und auf See gibt."

Ob eine mögliche Novellierung des Luftpolizeigesetzes den Bundesrat passieren könnte, ist also ausgesprochen fraglich. Fest steht, dass der Einsatz der Bundeswehr im Inneren bald gesetzlich ausgeweitet wird. Wie eigentlich in allen Fällen der Einschränkung rechtsstaatlicher Grundprinzipien und demokratischer Rechte, wird damit argumentiert, dass es nur um Ausnahmen gehe und die eigentlichen Grundsätze unangetastet blieben.

Es gehe um den Kampf gegen Terrorismus, hört man als Begründung aus allen offiziellen Parteien. Tatsächlich hätten weder die Anschläge vom 11. September 2001 noch ein möglicher Anschlag in Frankfurt von der Armee verhindert werden können. Heute schon wird der kasernierte Bundesgrenzschutz im ganzen Bundesgebiet eingesetzt. Wie genau soll die Bundeswehr diese Kräfte unterstützen? Das sind Fragen, die gar nicht diskutiert werden. Wie in der amerikanischen Rhetorik dient der Terrorismus auch in Deutschland als hohles Schlagwort, um die heftigsten Angriffe gegen die Bevölkerung durchzusetzen.

Das ganze Schauspiel erinnert unwillkürlich an die Diskussion über Auslandseinsätze der Bundeswehr in den 90er Jahren. Damals gab es endlose Debatten darüber, ob das Grundgesetz geändert werden müsse, um die deutsche Armee außerhalb des Nato-Gebiets einsetzen zu können. Mittlerweile ist die Bundesrepublik nach den USA das Land, das die meisten Soldaten außerhalb des eigenen Staatsgebiets stationiert hat. Das Grundgesetz wurde hierzu nicht geändert.

Was bedeutet der Einsatz der Armee im Inland?

Der Einsatz der Armee im Inland unterliegt aus guten Gründen strikten Einschränkungen.

Im Wilhelminischen Kaiserreich war das Heer nicht nur gegen streikende Arbeiter eingesetzt worden, die Militärkaste, die sich größtenteils aus dem preußischen Junkertum rekrutierte, spielte auch in der Innen- und Außenpolitik eine maßgebliche und verheerende Rolle.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde deshalb der Umfang der deutschen Armee von den Siegermächten massiv eingeschränkt. Dennoch spielten die verbliebenen militärischen Strukturen und die aus der zerfallenden Reichswehr hervorgegangenen paramilitärischen Einheiten, die Freikorps, eine zentrale Rolle bei der Niederschlagung revolutionärer Aufstände, dem Terror gegen Arbeiterorganisationen und Putschversuchen gegen die gewählte Regierung.

Hitlers SA und SS gingen direkt auf die Freikorps zurück und verfügten über enge Beziehungen zum Militärapparat. Durch Terror, Einschüchterung und Gewalt sollten sie das gesamte öffentliche Leben unter Kontrolle halten. Als schließlich auch die Wehrmacht am 2. August 1934 auf Hitler persönlich vereidigt wurde, war Deutschland vollständig militarisiert. Der faschistische Staat konnte seine Macht nur festigen und die Arbeiterbewegung nur zerschlagen, indem er sich auf den Einsatz militärischer Gewalt im Inneren stützte.

Während der Diskussion über die Wiederbewaffnung der BRD in den 50er Jahren, wurden aufgrund dieser Erfahrungen, die sich in dem verbreiteten Widerstand innerhalb der deutschen Bevölkerung selbst ausdrückten, enge Grenzen für die Einsatzgebiete der Armee gezogen. Die Bundeswehr dürfe nur im Verteidigungsfall und niemals gegen das eigene Volk, also im Inland, eingesetzt werden. Zuvor gab es schon heftige Proteste gegen den Aufbau des Bundesgrenzschutzes, der als kasernierte Polizei eine paramilitärische Einheit darstellt.

Seit 1960 wurde versucht, die gesetzten Grenzen durch ein Notstandsgesetz aufzuweichen, um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu ermöglichen. Die Notstandsgesetze wurden schließlich 1968, mitten in den Studentenprotesten, von der Großen Koalition von Union und SPD verabschiedet. Mit diesen Gesetzen wurde die Grundlage geschaffen, die Armee z.B. bei Massenstreiks gegen die Bevölkerung einzusetzen.

Wenn heute in der Diskussion über den rechtsstaatlichen Grundsatz der Trennung von Polizei und Militär diese Fragen nicht einmal angeschnitten werden, sondern stattdessen über einen verwirrten Segelflieger schwadroniert wird, sollte man aufhorchen. Während die Regierung immer heftigere Angriffe auf die sozialen Errungenschaften breiter Schichten der Gesellschaft durchführt und den Verteidigungshaushalt kräftig aufstocken will, werden die demokratischen Rechte der Bevölkerung zunehmend eingeschränkt. Der Staat bereitet sich auf kommende Auseinandersetzungen mit der eigenen Bevölkerung vor.

Genauso wenig wie 1968 ist es kein Zufall, dass solche Gesetzesinitiativen genau in dem Momenten breite Unterstützung in allen Parteien finden, in dem die Massen beginnen, aktiv in die Politik einzugreifen, wie anhand der Massendemonstrationen gegen den Irakkrieg sichtbar wurde.

Siehe auch:
Der Staat rüstet auf - Vier Jahre rot-grüne Innenpolitik
(21. September 2002)
Buchbesprechung: Starker Staat und deutscher Liberalismus
( 27. Februar 2003)
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