"Das Recht darf sich nicht vor der Macht beugen"

Ein Interview zur Strafanzeige gegen Donald Rumsfeld und andere

Generalsbundesanwalt Kay Nehm hat unmittelbar vor der Teilnahme Donald Rumsfelds an der Münchener Sicherheitskonferenz eine Strafanzeige zurückgewiesen, die den US-Verteidigungsminister sowie andere ranghohe US-Beamte wegen der in Abu Ghraib begangenen Verbrechen der Verletzungen des internationalen Kriegsvölkerrechts bezichtigt. Die World Socialist Web Site sprach mit dem Berliner Rechtsanwalt Hannes Honecker über die Strafanzeige und die Reaktion des Generalbundesanwalts.

Honecker ist Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), der die Strafanzeige unterstützt und dessen Vorsitzender Wolfgang Kaleck sie für die amerikanische Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Rights(CCR) und vier irakische Staatsbürger eingebracht hat. Honecker kümmert sich insbesondere um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die Anzeigeerstatter. Diese haben inzwischen angekündigt, gegen die Entscheidung des Generalbundesanwalts rechtlich vorzugehen.

Honecker berichtete, dass sich der Strafanzeige neben dem RAV auch weitere namhafte internationale Menschenrechtsorganisationen angeschlossen haben. So die im kanadischen Vancouver Kanada ansässigen Lawyers against War (LAW) und die in Paris ansässige Fédération des Ligues de Droits de l’Homme (FIDH). Die FIDH vereinigt als Dachverband 141 Menschenrechtsorganisationen aus 100 Mitgliedsländern und genießt offiziellen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen, der Unesco und dem Europarat.

Die Anzeige sei folgendermaßen zustande gekommen. Die vier irakischen Folteropfer hätten sich zunächst an die US-Anwälte Michael Ratner und Peter Weiss gewandt, den Präsidenten bzw. Vizepräsidenten der amerikanischen Menschenrechtsvereinigung Center for Constitutional Rights (CCR). Diese hatten 2004 vor dem Supreme Court ein Urteil gegen die Bush-Regierung erstritten, wonach auch Guantanamo-Häftlingen ein Minimum an Grundrechten zusteht, wie etwa der Zugang zu Gerichten.

Nachdem Ratner und Weiss zu dem Schluss gekommen waren, dass eine Strafverfolgung der für die Folter Verantwortlichen "up the chain of command" in den USA nicht möglich sei, stießen sie auf das 2002 in Kraft getretene deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Das VStGB begründet eine "universelle Jurisdiktion" bei schweren Menschenrechtsverletzungen.

Auf die Frage, wie er die Strafbarkeit von Donald Rumsfeld selbst begründe, meinte Honecker: "Zumindest war er über die Foltervorwürfe informiert, hat aber nichts getan, um die Praktiken abzustellen. Allein das begründet schon seine strafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit im Sinne des VStGB. Tatsächlich hat er von seinen Leuten im Irak ‚mehr verwertbare Informationen’ verlangt, und diese haben ihn offenbar so verstanden, wie es aus den Folterbildern von Abu Ghraib ersichtlich wird. Außerdem gibt es auch aus seinem Ministerium Memoranden über die Nicht-Anwendung der Genfer Konventionen und anderes mehr."

Dass sich nach den Wahlen vom Januar an der Misshandlung der irakischen Bevölkerung durch die Besatzer etwas ändern wird, glaubt Honecker nicht: "Die amerikanische Regierung hat sogar in Belgien eine Gesetzesänderung erzwungen und selbst theoretische Versuche zur Strafverfolgung verhindert. Man kann also unmöglich davon ausgehen, dass die führenden Verantwortlichen von irakischer Seite verfolgt werden, die unteren Chargen aber auch nicht, da sie der US-Militärgerichtsbarkeit unterstellt sind."

Auch die USA selbst unternähmen nichts, um die Vorwürfe umfassend aufzuklären, im Gegenteil. Das zeige die Untersuchung des Sachverständigen Professor Scott Horton. Dieser habe Soldaten von Abu Ghraib über den Fay/Jones-Bericht, die offizielle Untersuchung der Armee befragt und herausgefunden, dass die Soldaten Sanktionen bis hin zu "friendly fire" [Beschuss durch eigene Truppen im Gefecht] befürchteten, falls sie eine Zeugenaussage machten.

Deshalb sei die Anzeige in Deutschland eingebracht worden. Die Wahl sei nicht zufällig auf Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck gefallen. Kaleck hatte in anderen Verfahren bereits erreicht, dass die Staatsanwaltschaft Nürnberg Haftbefehle gegen Mitglieder der früheren argentinischer Militärjunta erwirkte, wie den ehemaligen argentinischen Staatspräsidenten und Chef der argentinischen Militärjunta Jorge Videla (78), den früheren Oberbefehlshaber der Marine Emilio Massera (78) und den Chef des 1. Heerescorps der Zone 1 Carlos Guillermo Suarez Mason (79).

Die Reaktion auf die Anzeige sei in den USA wesentlich "breiter" als in Deutschland, das Interesse in Medien und Öffentlichkeit sei groß gewesen, sagte Honecker. Grund dafür sei, dass die amerikanische Bevölkerung in ihrer Haltung zur Politik der Bush-Regierung gespalten sei und es eine heftige Auseinandersetzung über die Anwendbarkeit von Folter gebe. Rumsfeld, der sich im Afghanistan- und Irakkrieg gegen die Anwendung der Genfer Konventionen ausgesprochen hatte, habe deswegen sogar Streit mit Militärs bekommen, die befürchten, dass dann die Genfer Konventionen auch auf die eigenen Soldaten nicht angewendet würden.

Auf die Frage, ob es offizielle Reaktionen aus den USA gebe, antwortete Honecker mit "jein".

Meldungen, dass Rumsfeld wegen der Anzeige möglicherweise nicht an der Münchener Sicherheitskonferenz teilnehmen werde, seien zunächst von einer Agentur unter Berufung auf deutsche Regierungsquellen verbreitet worden. Dann habe Horst Teltschik, der Organisator der Konferenz, sein Bedauern geäußert, dass Rumsfeld womöglich nicht komme. Schließlich habe ein Pentagon-Sprecher am 3. Februar erklärt, wenn Rumsfeld nicht komme, sei dies die Konsequenz aus der Strafanzeige. Es gehe, so der Pentagon-Sprecher, nicht nur um die Frage, ob Rumsfeld zur Konferenz reise, sondern auch um die vielen Tausend Soldaten, darunter auch einige der Angezeigten, die in Deutschland stationiert seien. Dies, so Honecker, sei als Versuch der USA zu werten, Druck auszuüben.

Anfang Januar habe der Generalsbundesanwalt auf eine Ankündigung von Rechtsanwalt Kaleck, dass neues belastendes Material gegen die Beschuldigten und weitere Verdächtigte eingetroffen sei, mit der Bitte um Zusendung bis zum 31. Januar reagiert. Dieser Bitte sei man fristgerecht nachgekommen. Es habe sich um "wahnwitzig viel Material" mit mehreren Tausend Seiten Umfang gehandelt, dessen Freigabe teilweise die ACLU (Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung) erstritten habe. Auch Material über den neuen Justizminister Gonzales und aus dem Prozess gegen den Soldaten Charles Graner sei darunter gewesen.

Die Bundesanwaltschaft habe eine Prüfung des Materials zugesagt. Obwohl mehrere der Beschuldigten - die Offiziere Wojdakowski, Pappas und Sanchez - ihren ständigen Aufenthalt in Deutschland hätten und in Heidelberg zahlreiche Soldaten stationiert seien, habe die Bundesanwaltschaft aber offenbar keine eigenen Vernehmungen durchgeführt.

Und dies obwohl möglicherweise auch ein deutscher Staatsbürger von der Praxis betroffen war, Gefangene zum Zweck der Folterung durch amerikanische Sicherheitsdienste in andere Länder zu verbringen, die Bestandteil der Strafanzeige bildet. Khaled el-Masri, ein Deutscher libanesischer Herkunft, war auf dem Weg von Ulm nach Mazedonien Ende 2003 in Ex-Jugoslawien festgehalten und an einen unbekannten Ort verschleppt, dort mehrere Monate lang gefoltert und im Mai letzten Jahres wieder freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft München habe deshalb ein Ermittlungsersuchen an das FBI in Washington gestellt.

Dass die Bundesanwaltschaft noch nicht einmal zwei Wochen, nachdem sie Dokumente mit Tausenden Seiten neuem Belastungsmaterial erhalten hatte, die Aufnahme von Ermittlungen ablehnte, bewertete Honecker folgendermaßen: "Der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung des Generalsbundesanwalts (GBA) - kurz vor der Münchner Sicherheitskonferenz und dem Bush-Besuch in Deutschland - ist mehr als unglücklich und lässt auf eine Einflussnahme politischer Stellen schließen. Der GBA berücksichtigte die erst kürzlich von uns überreichten wichtigen Dokumente und Rechtsgutachten gar nicht.

Ich sehe drei verschiedene hochrangige Reiseaktivitäten im zeitlichen Zusammenhang mit der Entscheidung des GBA: Rice bei Schröder, Rumsfeld bei Teltschik [auf der Sicherheitskonferenz] und Bush in Mainz. Die Begründung der Entscheidung des GBA ist jedenfalls nicht geeignet, den durch diesen Zusammenhang entstehenden Argwohn auszuräumen. Denn der GBA setzt sich nicht mit rechtlichen Argumenten auseinander. Er greift auf eine Norm zurück, die ihm ein Ermessen einräumt. Hier hat der GBA aber gar nicht abgewogen. Er hat schlicht gesagt, er prüfe nicht, weil die eigentliche Zuständigkeit in den USA läge. Nun ja; ein wenig überzeugendes Argument, nicht wahr?"

Die Äußerungen von Gernot Erler, dem außenpolitischen Sprecher der SPD, der gesagt hatte, die Entscheidung des GBA komme zu spät, weil sie bei den USA "Irritationen" ausgelöst habe, verurteilte Honecker: "Herr Erler hält offensichtlich die transatlantischen Beziehungen unabhängig von ihrer Qualität für ein Gut an sich. Ich meine, man muss diese Beziehungen auch daran messen, ob es eine gemeinsame rechtliche und demokratische Kultur gibt. Das beinhaltet selbstredend auch die Frage, wie mit Kriegsgefangenen umgegangen wird. Dass diese nicht einfach nur als Träger von Informationen angesehen werden können, die man mit blutigen Methoden rausquetschen darf, gehört nach meiner Auffassung zu einem der ehernen Grundverständnisse eines Rechtsstaats. Mit einem Freund, der dies anders sieht, würde ich mich fetzen."

Er betonte, dass "der GBA mit seiner aktuellen Entscheidung das Problem nur für einen kurzen historischen Moment, nämlich den Februar 2005, erledigt hat. In absehbarer Zeit werden keine Ermittlungen gegen maßgebliche militärische und zivile US-Entscheidungsträger stattfinden. Die Bundesanwaltschaft wird daher in Bälde erneut mit dem Problem konfrontiert werden."

Honecker sagte, dass die Anzeigesteller Rechtsmittel einlegen werden. "Die Angelegenheit ist nicht abgeschlossen. Die Bundesanwaltschaft versucht sich durch unlautere Mittel ihrer Aufgabe zu entledigen. Das gilt es deutlich zu machen. Wir werden versuchen, die Bundesanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen zu zwingen. Das Recht darf sich nicht vor der Macht beugen."

Abschließend bemerkte er, der Sinn der Strafanzeige bestehe darin, die strafrechtliche Verantwortung für Folter und Misshandlungen zu klären. "Menschenrechtsverletzern", meinte er, "soll es schwer gemacht werden, und sei es nur, dass sie in ihrer Reisefreiheit eingeschränkt werden." Er gab zu bedenken, dass es auch in anderen Fällen - wie bei Pinochet, den argentinischen Generälen Masson und Videla oder Henry Kissinger, der mittlerweile in mehreren Staaten gesucht wird - Jahre oder gar Jahrzehnte gedauert habe, bis Ermittlungen aufgenommen wurden.

Siehe auch:
Bundesanwaltschaft lehnt Ermittlungen gegen Rumsfeld ab
(12. Februar 2005)
Amerikanische Menschenrechtsgruppe erstattet in Deutschland Strafanzeige gegen Rumsfeld wegen Kriegsverbrechen
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