Putin in Teheran: Die Kluft zwischen USA und Russland vergrößert sich

Der Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Teheran in der vergangenen Woche hat gezeigt, dass sich der Gegensatz zwischen Moskau und Washington in einer Reihe von Fragen vergrößert hat. Das betrifft insbesondere die Kriegsdrohung der Bush-Administration gegen den Iran wegen dessen Nuklearprogramm.

Putin ignorierte den Druck seitens der USA, die Reise abzusagen - die erste eines russischen oder sowjetischen Staatschefs seit der Kriegskonferenz von Stalin, Churchill und Roosevelt in Teheran im Jahr 1943. Die Entscheidung kam einem Schlag ins Gesicht der Bush-Administration gleich, die den UN-Sicherheitsrat drängt, eine dritte Resolution zu verabschieden, die den Iran durch strengere Sanktionen isoliert.

Putin war offiziell in Teheran, um an einem Treffen der fünf Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres - Russland, Iran, Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan - teilzunehmen. Der russische Präsident benutzte jedoch die Bühne, um sich gegen militärische Angriffe auf den Iran auszusprechen. Er sagte: "Wir sollten nicht nur die Anwendung von Gewalt ablehnen, sondern auch die Erwähnung von Gewalt als Möglichkeit. Das ist sehr wichtig. Wir dürfen uns anderen Staaten im Fall einer Aggression oder anderer militärischer Aktionen, die gegen eines der kaspischen Länder gerichtet sind, nicht beugen."

Mit seiner Ablehnung der "Erwähnung von Gewalt als Möglichkeit" bezieht sich Putin auf die wiederholten Warnungen des amerikanischen Präsidenten Bush, gegenüber dem Iran lägen "alle Optionen auf dem Tisch", d. h., auch militärische Gewalt. Angesichts des brutalen Kriegs, den Putins Regierung in Tschetschenien führt, sind seine Bemühungen, als Mann des Friedens aufzutreten, nicht glaubwürdiger als Bushs Leugnung, er bedrohe den Iran. Hinter dem verbalen Schlagabtausch stehen die ökonomischen und strategischen Interessenskonflikte zwischen dem amerikanischen und russischen Kapitalismus in Zentralasien und dem Mittleren Osten.

Auf Putins Betreiben gab die Konferenz in Teheran eine Erklärung ab, in der sie sich verpflichtete, kein Mitgliedsstaat werde "irgendeinem Land erlauben, sein Gebiet für militärische Angriffe gegen einen anderen Anrainerstaat [des Kaspischen Meeres] zu nutzen". Damit sollen die USA blockiert werden, die nicht nur den Iran bedrohen, sondern auch militärische Beziehungen zu einer Reihe zentralasiatischer Länder, insbesondere Aserbaidschan, aufgenommen haben. Unter dem Schutzmantel der NATO haben die USA geholfen, die Armee von Aserbaidschan zu bewaffnen und auszubilden, einen früheren sowjetischen Fliegerhorst auszubauen und im Kaspischen Meer eine aserbaidschanische Flottenpräsenz zu schaffen. Der Chef der CIA, General Michael Hayden, flog am 28. September zu einem unangemeldeten Besuch nach Baku und nährte damit Spekulationen, Aserbaidschan solle dazu gedrängt werden, die amerikanischen Kriegspläne gegen den Iran zu unterstützen - was die Regierung Aserbaidschans bisher abgelehnt hat.

Seit dem Zusammenbruch der früheren Sowjetunion ist Zentralasien der Schauplatz starker Rivalitäten zwischen den Großmächten geworden. Kleinere, erst in jüngerer Zeit unabhängig gewordene Staaten wie Aserbaidschan, vollführen zwischen diesen Interessen einen Balanceakt. Im Kaspischen Meer allein befinden sich schätzungsweise 49 Milliarden Barrel an Ölreserven - ungefähr die Hälfte der Reserven des bedeutenden Ölproduzenten Kuwait - und 8 Billionen Kubikmeter Erdgas. Putin versuchte auf der Konferenz in Teheran, Pläne der USA zu vereiteln, eine Pipeline durch das Kaspische Meer nach Aserbaidschan zu bauen, die das vorhandene russische Pipelinenetz umgehen und Russlands Einfluss in Zentralasien untergraben würde.

Putin hat auch pointiert das Nuklearprogramm des Iran unterstützt, indem er erklärte: "Russland ist das einzige Land, das dem Iran hilft, sein Nuklearprogramm friedlich zu realisieren." Das Treffen der kaspischen Staaten bekräftigte, dass alle Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages [ Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT)], darunter der Iran, "das Recht haben, Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln und zu nutzen". Der Iran hat alle Unterstellungen der USA zurückgewiesen, er plane den Bau von Atomwaffen, und insistiert auf seinem Recht, unter den Bestimmungen des NPT eine Fabrik zur Anreicherung von Uran zu bauen.

Putin nannte allerdings kein Datum für die Fertigstellung von Irans Atomreaktor, der von russischen Unternehmen gebaut wird. Moskau hatte kürzlich einen Streit über die Bezahlung dazu genutzt, das Projekt in die Länge zu ziehen, um den Iran zu zwingen, den UN-Resolutionen Folge zu leisten. Ohne dieses Druckmittel aufzugeben, hat Putin seine Reise nach Teheran ausgenutzt, um Washington klarzumachen, dass Moskau eine Verletzung vitaler russischer Interessen in der Region durch die USA nicht tolerieren werde. Er traf sich in aller Öffentlichkeit mit Irans Präsident Mahmud Achmadinedschad, der in den Medien der USA zunehmend verteufelt wird, und lud ihn zu einem Gegenbesuch nach Moskau ein.

Rivalität der Großmächte

Die wachsende Kluft zwischen Washington und Moskau trat in der letzten Woche bei Treffen Putins mit Vertretern der USA und europäischen Staatschefs offen zu Tage. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy flog letzte Woche nach Moskau, um Putin zu überreden, Verhandlungen über neue UN-Sanktionen gegen den Iran zu unterstützen und den russischen Widerstand gegen die Etablierung des Kosovo als unabhängigen Staat aufzugeben (ein Vorschlag der USA, der in Europa unterstützt wird). Moskau hat sich konsequent gegen den wachsenden Einfluss des Westens auf dem Balkan gewehrt und den traditionellen Verbündeten Serbien unterstützt. Es besteht darauf, dass der Kosovo eine serbische Provinz bleibt.

Sarkozys Bemühungen sind in beiden Punkten gescheitert. Putin erklärte in der gemeinsamen Pressekonferenz am 10. Oktober - was einer öffentlichen Abkanzlung gleichkam: "Wir haben keine objektiven Beweise vorliegen, dass der Iran nach Atomwaffen strebt. Das lässt uns glauben, dass das Land keine Pläne dieser Art hat." Damit wiederholte der russische Präsident lediglich die Tatsache, dass die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde [ International Atomic Energy Agency (IAEA)] keinerlei Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm gefunden haben.

Mit dieser Stellungnahme unterstrich Putin den haltlosen Charakter der Behauptungen, mit denen die Bush-Administration UN-Sanktionen gegen den Iran rechtfertigt. Ob der Iran versucht, Atomwaffen zu entwickeln oder nicht, bleibt ungeklärt. Aber das Weiße Haus nutzt diese Frage als Vorwand, um die Konfrontation mit Teheran zu eskalieren - genauso wie nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen zur Rechtfertigung der verbrecherischen, US-geführten Invasion des Irak im Jahr 2003 dienten.

Nach Putins Bemerkung stammelte Sarkozy zusammenhanglos im Bemühen, die offensichtlichen Differenzen zu verschleiern. Sarkozy und sein Außenminister Bernard Kouchner behupten, das iranische Waffenprogramm sei weit fortgeschritten und unterstützen die USA dabei, Teheran mit militärischen Aktionen zu drohen. Sarkozy fühlte sich in Moskau offensichtlich in der Defensive, als er vor einem russischen Auditorium in der Bauman-Universität [Staatliche Technische Universität Moskaus] sagte: "Ich bin ein Freund der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Freund ist kein Vasall."

Auf Putins Stellungnahme reagierte die Außenministerin der USA, Condoleezza Rice, am 11. Oktober mit der Aussage: "Es gibt eine iranische Geschichte der Verschleierung und von Lügen gegenüber der IAEA ... und Iran betreibt Nukleartechnologien, die zu atomwaffenfähigem Material führen können." Rice verwischte bewusst die Unterscheidung zwischen "Technologien, die zu Kernwaffen führen können" und tatsächlichen Waffenprogrammen. Es stimmt, dass die iranische Fabrik in Natanz, in der Uran angereichert wird, von einer Fabrik, die Material für Kernkraftwerke herstellt, in eine Fabrik umfunktioniert werden kann, die waffenfähiges Material produziert. Die Anreicherung von Uran ist indessen gemäß dem Atomwaffensperrvertrag erlaubt, und wird auch von einer Reihe anderer Länder betrieben, die keine Kernwaffen besitzen.

Rice gab diese Stellungnahme auf ihrem Flug nach Moskau ab, das sie zusammen mit dem Verteidigungsminister der USA, Robert Gates, besuchte, um eine andere höchst strittige Frage zu erörtern - die Pläne der USA, einen Raketenschutzschild in Osteuropa zu errichten. Russland widersetzt sich energisch dem Projekt, bis 2010 zehn amerikanische Raketenabfangbasen in Polen zu stationieren und ein Radarleitsystem in der Tschechischen Republik zu errichten. Moskau hat die Behauptung zurückgewiesen, das Antiraketensystem werde benötigt, um Raketen von "Schurken-Staaten" (wie dem Iran) abzufangen. Seiner Auffassung nach zielen die USA darauf ab, Russlands militärische Leistungsfähigkeit zu untergraben.

Ein Bericht bezeichnete die Gespräche in Putins Datscha als "erbittert". Nachdem er Rice und Gates 45 Minuten lang hatte warten lassen, leitete Putin das Treffen mit der Erklärung ein: "Wir hoffen, dass Sie im Verlauf derart komplexer und vielseitiger Aufgaben nicht ihre Beziehungen mit den osteuropäischen Ländern übereilt voran treiben." Die amerikanischen Delegierten machten kosmetische Vorschläge, Russland in das Projekt [des Raketenabwehrsystems] einzubinden, lehnten aber Moskaus Forderung nach einer Pause für das Projekt rundweg ab.

Als Antwort auf die amerikanischen Raketenabwehrpläne hat Russland interkontinentale Flüge mit seinen strategischen Bombern TU-95 wieder aufgenommen, die 1992 eingestellt worden waren. Putin hat ebenfalls angekündigt, dass Russland ab dem 12. Dezember den KSE-Vertrag [Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa] ruhen lassen werde - ein Abkommen aus den Zeiten des Kalten Krieges, das die Anzahl an Truppen, Panzern, Kampfflugzeugen und anderem Kriegsgerät einschränkt, die auf europäischem Boden stationiert werden dürfen.

Nach den Zusammenstößen mit Sarkozy, Rice und Gates flog Putin letztes Wochenende für Gespräche mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nach Wiesbaden. In einer gemeinsamen Pressekonferenz am Montag lagen sich die zwei Staats- bzw. Regierungschefs ersichtlich in den Haaren. Putin kritisierte offen internationale Bemühungen, den Iran "einzuschüchtern". Er warnte davor, dass Teheran auf solchen Druck nicht reagieren werde. Er erklärte: "Sie können nicht eingeschüchtert werden, glauben Sie mir." Merkel entgegnete, dass neue Sanktionen notwendig wären, wenn der Iran seine nuklearen Aktivitäten nicht unterbreche.

Die politischen Geschehnisse der letzten Woche haben eine gespenstische Ähnlichkeit mit der Rivalität der Großmächte zu r Wende des 20. Jahrhunderts, die dem ersten Weltkrieg voranging. Konflikte um Bodenschätze, strategische Einflussgebiete und koloniale Reiche wurden immer erbitterter und unauflösbarer. Differenzen über konkurrierende Interessen in Schlüsselgebieten der Erde führten zu komplexen diplomatischen Manövern und wechselnden Allianzen. Schlussendlich konsolidierten sich zwei militärische Blöcke, die sich über den Balkan stritten und einen grausamen Krieg austrugen, in dem Millionen von Menschen starben.

Es ist natürlich möglich, dass sich die Spannungen zwischen Russland und den USA wieder entschärfen. Putin hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er sehr wohl in der Lage ist, einen Handel mit der Bush-Administration zu schließen: Beispielsweise könnte er den Iran opfern, um als Gegenleistung ein Einfrieren der amerikanischen Pläne für ein Raketenabwehrsystem zu erreichen. Aber weil das Weiße Haus keine Kompromissbereitschaft in beiden Punkten zeigt und die Beweise für militärische Vorbereitungen der USA gegen den Iran zunehmen, wächst die Gefahr eines Flächenbrandes. Die rohstoffreichen Gebiete des Nahen- und Mittleren Ostens und Zentralasiens, in denen alle Großmächte ihre Interessen sichern wollen, stellen sich als Balkan des 21. Jahrhunderts heraus.

In seiner gewohnt zusammenhanglosen Art platzte Präsident Bush am 17. Oktober mit den Überlegungen heraus, welche die führenden Regierungskreise der Welt insgeheim beschäftigen. Nur Stunden nach Putins Aufforderung, die diplomatischen Bemühungen zur Lösung der iranischen Nuklearkrise zu erneuern, tat der amerikanische Präsident Bedenken wegen eines amerikanisch-russischen Bruchs ab und wiederholte die Behauptung, dass der Iran beabsichtige, Israel zu "zerstören". Er fügte dann hinzu, dass das iranische Nuklearprogramm gestoppt werden müsse, "wenn man daran interessiert ist, einen dritten Weltkrieg zu vermeiden".

Wenn es keine Gräben zwischen den USA und Russland (oder anderen Ländern wie China) gäbe - warum bringt Bush überhaupt die Möglichkeit eines Weltkriegs ins Spiel, der per Definition die Großmächte einschließt? Die sich verschärfende Krise des Weltkapitalismus ruft aber einen intensiven globalen Kampf um Rohstoffe, Märkte und billige Arbeitskräfte hervor, der die Gefahr eines neuen Weltkriegs erhöht. In diesem Zusammenhang spielt der US-Imperialismus eine ungeheuer destabilisierende Rolle, weil er versucht, seinen langfristigen ökonomischen Niedergang durch den Einsatz seiner immer noch überwältigenden Militärmacht in Afghanistan, Irak und, möglicherweise, dem Iran aufzuhalten.

Siehe auch:
USA und Russland im Streit über Kosovos Unabhängigkeit
(25. Juli 2007)
Spannungen zwischen Nato und Russland eskalieren
(18. Juli 2007)
EU-Russland Gipfel ein diplomatisches Debakel
(23. Mai 2007)
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