Französische Medien rollen für Olivier Besancenot den roten Teppich aus

Die erstaunliche Unterstützung der französischen Medien für Olivier Besancenot, den zweimaligen Präsidentschaftskandidaten (2002 und 2007) der LCR (Ligue communiste révolutionnaire) ist Ausdruck grundlegender Verschiebungen in der französischen Politik. Und sie wirft wichtige Fragen auf.

Der wohlwollende Umgang mit dem 35-jährigen Teilzeitbriefträger Besancenot ist nicht ganz neu, erreichte jedoch einen neuen Höhepunkt, als er als prominenter Gast in die populäre, dreistündige Fernsehtalkshow "Vivement dimanche" des Moderators Michel Drucker eingeladen wurde. Die im zweiten französischen Fernsehen am 11. Mai ausgestrahlte Sendung war vorher aufgezeichnet und intensiv beworben worden.

Le Monde berichtete am 9. Mai: "Die Sendung zeigte schon Wirkung, bevor sie ausgestrahlt wurde... Dutzende Reporter umschwirrten Olivier Besancenot während der Dreharbeiten. Sie schaffte es auf die erste Seite des Nouvel Observateur und erhielt eine halbe Seite in [dem Prominentenmagazin] Gala. Auch das Internet war voll davon."

Die konservative Tageszeitung Figaro, die dem rechten Industriellen Serge Dassault, einem Sarkozy-Anhänger, gehört, veröffentlichte einen langen Artikel unter der Überschrift "Roter Teppich für Besancenot". Darin wird das Portrait eines Mannes von Format gezeichnet: "Täuschen Sie sich nicht. Hinter dieser jugendlichen Erscheinung und der nach außen hin so lockeren Art verbirgt sich kein weicher Charakter. Olivier Besancenot ist kein Mann des Kompromisses."

Dann zitiert der Figaro zustimmend Druckers Bemerkung: "Olivier Besancenot hat wirkliches Charisma, er ist präsent, und das ist kein Zufall, und ich glaube, viele Menschen sind von seiner Aufrichtigkeit eingenommen."

Die pro-kapitalistische Zeitung äußerte sich auch bewundernd darüber, wie sich der LCR-Politiker in dem Interview, das Claude Sérillon gegen Ende der Sendung mit ihm führte, gehalten habe: "Olivier Besancenot hatte die Lage unter Kontrolle."

Die rechte Wochenzeitung L’Express, die Dassault kürzlich an das große belgische Verlagshaus Roulata verkauft hat, widmete Besancenot ebenfalls einen langen Artikel, der mit der Aussage endet: "Er liebt die permanente Opposition und rechnet bei den Europawahlen 2009 mit einem wirklichen Erfolg."

Die Ausgabe der Wochenzeitung Nouvel Observateur vom 8. Mai, die dem rechten Flügel der Sozialistischen Partei (PS) nahe steht, brachte auf der ersten Seite ein ganzseitiges Bild von Besancenot mit der Schlagzeile: "Das Besancenot-Geheimnis". Sie traf die folgende erstaunliche Einschätzung: "Mit 35 hat er schon einen Sonderstatus: Er ist der absolute Opponent und er ist absolut populär, lässt Sarkozy nichts durchgehen, aber auch nicht dessen Gegnern, den ‚Clowns’ der institutionellen Linken, und er verurteilt den ‚Kapitalismus’ rundheraus. Im Fernsehen erstaunt sein Talent. Auf Besuch bei streikenden Arbeitern ist er mit ihnen auf Du und Du. Die Medien behandeln ihn wie einen Prinzen. Mit der Einladung in Michel Druckers Show am Sonntag auf France 2 erhält er seine Weihen. Besancenot genießt besonderen Schutz: Sein Status als Volkstribun verbietet politische oder persönliche Kritik."

Man sollte an die Abstimmung über die europäische Verfassung 2005 erinnern. Damals stimmten die Franzosen mit Nein, und das, obwohl die Massenmedien und die Chirac-Raffarin-Sarkozy-Regierung, wie auch die "oppositionelle" Sozialistische Partei dafür waren und erheblichen Druck ausübten. Damals wurden die Organisatoren der ‚Nein’-Kampagne, insbesondere die LCR und die Kommunistische Partei (KPF), in den Zeitungen Libération, Le Monde und Nouvel Observateur heftig verurteilt. Diese warfen ihnen vor, Rückständigkeit in der Arbeiterklasse zu schüren und den Chauvinisten in die Hände zu spielen.

Der französische Kapitalismus braucht eine neue Stütze

Wie ist es möglich, dass von der Wirtschaft kontrollierte Fernsehsender und Zeitungen, deren tödlicher Hass auf Sozialismus, Kommunismus und dessen zeitgemäße Form, den Trotzkismus, notorisch ist und die das kapitalistische System immer verteidigt haben, sich auf einmal für Olivier Besancenot und die LCR-Kampagne zum Aufbau einer neuen "anti-kapitalistischen Partei" in die Bresche werfen?

Weit davon entfernt, diese Frage zu stellen, heuchelt die LCR in der Ausgabe ihrer Wochenzeitung Rouge vom 15. Mai erfreutes Erstaunen: "Mit einer solchen Flut hat wirklich niemand gerechnet."

In Wirklichkeit ist die wohlwollende Behandlung Olivier Besancenots nicht schwer zu verstehen. Der Zusammenbruch von Sarkozys Autorität und die Isolation seiner Regierung im Verein mit dem Niedergang der PS und der KPF als Oppositionsparteien beunruhigt die politische Elite. Unter dem Druck des globalen Konkurrenzkampfs, der durch die Weltfinanzkrise noch verschärft wird, muss der französische Kapitalismus seine Angriffe auf den Lebensstandard und die sozialen und demokratischen Rechte der Bevölkerungsmehrheit unbedingt beschleunigen. Aber Arbeiter und Jugendliche leisten entschieden Widerstand. Die herrschende Klasse fürchtet eine Situation, in der es auf der Linken keine Kraft gibt, die sich glaubwürdig als Opposition darstellen und damit verhindern könnte, dass eine soziale Massenbewegung außer Kontrolle gerät. Sie braucht eine neue Stütze, die die alten, verbrauchten Kräfte auf der Linken ersetzen kann, denn diese sind inzwischen als Lakaien der Kapitalistenklasse erkannt.

Die LCR ist schon seit 40 Jahren aktiv. Sie hat die herrschende Klasse Frankreichs überzeugt, dass sie trotz ihrer antikapitalistischen Rhetorik keine Gefahr für ihre Herrschaft darstellt und dass man ihr die zutrauen kann, den Platz der verbrauchten alten "Linken" einzunehmen. Für diese Aufgabe wird sie jetzt konditioniert.

In den letzten Jahren hat die LCR gemeinsam mit der Gewerkschaftsbürokratie und der SP und der KPF die Kämpfe der Schüler und Studenten, der Jugendlichen in den Vorstädten, der Sans Papier, der Eisenbahner und der Arbeiter der Energiewirtschaft und des öffentlichen Dienstes isoliert und entpolitisiert. Sie hat sich einer Revolte gegen diese Bürokratien entgegengestemmt und so die Entwicklung einer Bewegung für die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse und der Jugend verhindert.

Die Ausgabe von Le Monde vom 10. Mai ist sich über diese Frage klar. Sie gibt zu, dass "die Opposition unhörbar" ist. Stéphane Rosès von dem Umfrageinstitut CSA befürchtet in der gleichen Ausgabe den Zusammenbruch der politischen Autorität in Frankreich: "Der Sarkozyismus hat jede auch nur annähernd glaubwürdige Alternative beiseite gefegt. Die verschiedenen Kräfte des Landes fürchten, dass ein Scheitern des Sarkozyismus zu einer beispiellosen Situation führen könnte. Er hat keine Gegner mehr, und er weiß es. Seinen Beratern scheint er zu sagen: ‚Habt ihr außer mir noch jemanden?’ Die Gefahr liegt darin, dass im nationalen Bewusstsein der Eindruck eines Monopols des Sarkozyismus entstanden ist, und dass dieses Bild in dem gleichen nationalen Bewusstsein schon ziemlich am Bröckeln ist."

Die Bürokratien ersetzen

Besancenot genießt den Ruf, ein Sprecher der Revolte gegen die reaktionäre Regierungspolitik zu sein, aber tatsächlich besteht seine Rolle darin, die Arbeiterklasse an die alten Stützen des Systems zu fesseln. Das macht ihn für die französische Elite so interessant. Der Nouvel Observateur schreibt: "In diesem noch so jungen Mann glauben sich viele der Unzufriedenen wieder zu erkennen. Es passiert nicht oft, dass in diesem gemäßigten Land ein Revolutionär zum Star wird!" Weiter fügt das Magazin hinzu: "Das jugendliche Alter des LCR-Führers und auch sein Stil in Kleidung und Diktion eröffnen ihm Möglichkeiten... und ziehen die Jugend an..."

Das machen ihn und seine "antikapitalistische Partei" für die Bourgeoisie so wertvoll. Der Widerstand der Jugend, der Einwanderer und breiter Schichten von Arbeitern gegen Sarkozys arbeiterfeindliche Politik wird langsam so explosiv, dass er von der traditionellen "Linken" und den Gewerkschaften kaum noch zu kontrollieren ist.

Die Medien haben eine delikate Aufgabe: Sie sollen Besancenot hochspielen, dürfen aber seinen Ruf als Revolutionär nicht beschädigen. Die Popularität und Glaubwürdigkeit der Sarkozy-Regierung befindet sich auf einem historischen Tiefstand.

Dessen sind sich die Redakteure von Nouvel Observateur bewusst, wenn sie schreiben: "Besancenot hat von den trotzkistischen Veteranen den Kult der unendlichen Geduld gelernt: Was bedeuten schon Niederlagen, die Kämpfe werden wieder aufflammen." Auch der Figaro verbürgt sich für seinen linken Ruf: "Er ist kein Mann des Kompromisses; einige würden ihn einen Sektierer nennen. Er hat eine Annäherung an die reformistische Linke immer abgelehnt."

Kommentatoren haben darauf hingewiesen, dass Besancenot der einzige Kandidat "links der Linken" war, der bei den Präsidentschaftswahlen 2007 sein Ergebnis im Vergleich zu 2002 halten konnte. Eine jüngere Umfrage des Figaro fand heraus, dass der LCR-Kandidat seinen Stimmenanteil auf acht Prozent verdoppeln würde, wenn nächsten Sonntag Präsidentschaftswahlen wären. Er würde damit weit vor allen anderen Kandidaten der "extremen Linken" liegen.

Der Figaro erklärt: "Es gelingt ihm, sich als den entschlossensten Gegner Sarkozys und der Wirtschaftsinteressen darzustellen." L’Express drückt es so aus: "Er wird als ein etwas härterer Gegner als die andern wahrgenommen, wenn es gegen Sarkozy und die Bosse geht: ein halb politischer, halb gewerkschaftlicher Kämpfer, eine soziale Ikone."

In der Drucker-Show, wo Besancenot angeblich freie Hand hatte, das Publikum und die anderen geladenen Gäste auszuwählen, war Christiane Taubira, die Abgeordnete aus der französischen Kolonie Guyana, als einzige weitere Politikerin eingeladen. Sie hatte 2007 die rechte Kandidatur der sozialistischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal unterstützt. Taubira bewegt sich seit langem im Umfeld der bürgerlichen PRG (linksrepublikanische Partei). Das überbordende Lob, das diese Frau "für seinen Respekt vor den parlamentarischen Institutionen" über Besancenot ergoss, war diesem keineswegs peinlich.

Obwohl er sich als Internationalist gebärdet, äußerte Besancenot keine Kritik an der von UMP und PS gemeinsam getragenen Außenpolitik. Er kritisierte weder ihre Unterstützung der neokolonialen amerikanischen Besetzung des Irak und Afghanistans, noch ihre gemeinsame Drohung mit einer Militärintervention gegen den Iran, und auch nicht ihre Unterstützung für die israelische Offensive gegen die Palästinenser und den Libanon. Er erwähnte kurz die Verstärkung des französischen Kontingents in Afghanistan, aber nur, um sie den Kürzungen bei der Bildung entgegen zu stellen.

Der Figaro kommt zum Schluss, dass Besancenot trotz seiner linken Phrasen keine Bedrohung für die herrschende Klasse ist. Das politische Interview mit Claude Sérillon am Ende der Show wurde von der Zeitung so eingeschätzt: "Auf Fragen zu der neuen antikapitalistischen Partei, die er gründen möchte, und die über die LCR hinausreichen soll, blieb Besancenot vage. Das ging soweit, dass Claude Sérillon das Interview mit der Bemerkung zusammenfasste, er sei wohl eher ‚ein Super-Gewerkschafter, immer an der Spitze der Kämpfe, als ein wirklicher Parteiführer mit einer klaren politischen Analyse, zum Beispiel der Institutionen’."

Gegenüber Sérillon beteuerte er: "Ich bin Sprecher einer trotzkistischen Organisation", aber er äußerte sich bewundernd über den Anti-Trotzkisten Che Guevara und gab eine klassische Rechtfertigung des Opportunismus zum Besten. "Eine politische Zusammenarbeit lehne ich nicht generell ab: Es gibt überhaupt keine revolutionäre Tendenz, die von sich selbst behaupten könnte, alle revolutionären Erfahrungen verarbeitet zu haben. Wir werden uns von allen das Beste raussuchen."

Folglich bejahte er die Frage Sérillons, ob er mit Taubira, mit der Kommunistischen Partei, dem SP-Linken Jean-Luc Mélenchon oder anderen Teilnehmern der Kampagne gegen die EU-Verfassung im Jahr 2005 zusammenarbeiten werde: "Auf einer klaren Grundlage sind wir zur Zusammenarbeit bereit", sagte er.

Die Arbeiterklasse sollte das als Warnung verstehen. Was sie betrifft, ist die Rolle, die die französische herrschende Klasse für Besancenot und die LCR vorgesehen hat, alles andere als harmlos. Insoweit sie als Alternative zur diskreditierten offiziellen Linken und zur Gewerkschaftsbürokratie erscheinen, besteht ihre Aufgabe darin, eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend aufzufangen und zu verhindern, dass es zu einem völligen Bruch mit diesen Stützen des Kapitalismus kommt.

Ein Beispiel ist Italien, wo die italienischen Gesinnungsgenossen der LCR als Teil von Rifondazione Comunista an der Koalitionsregierung von Romano Prodi teilnahmen. Sie trieben die Strategie des kleineren Übels so weit, dass sie sogar die Entsendung italienischer Truppen nach Afghanistan, den Ausbau des amerikanischen Militärstützpunktes Vicenza und die Kürzung der Renten unterstützten. Ihre Weigerung, für die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse zu kämpfen, hat maßgeblich zum Sieg Berlusconis bei den jüngsten Wahlen beigetragen. Eine Konsequenz dieser Politik besteht darin, dass sich die Faschisten ermutigt fühlen, Pogrome gegen Einwanderer zu veranstalten, wobei sie die Billigung der Behörden haben.

Siehe auch:
Frankreich: LCR hilft CGT-Gewerkschaft gegen die Sans Papiers
(22. Mai 2008)
Frankreich: LCR beschließt Gründung einer neuen Partei
(5. März 2008)
Loading