Mittelmeerunion soll Frankreichs Einfluss stärken

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy leitete am Sonntag eine Konferenz von 44 Mittelmeeranrainerstaaten und europäischen Ländern, auf der die "Mittelmeerunion" gegründet wurde. Die meisten anwesenden Staatschefs wurden eingeladen, am folgenden Tag an der traditionellen Militärparade zum 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, teilzunehmen, der an den Sturm auf die Bastille im Jahre 1789 erinnert.

Die neue Union ist als wirtschaftliche und politische Brücke zwischen Westeuropa und den nordafrikanischen, arabischen und Balkanstaaten gedacht. Ursprünglich plante Sarkozy das Bündnis unter ausschließlich französischer Führung und nur Staaten, die am Mittelmeer liegen, sollten ihm angehören. Wegen heftiger Opposition vor allem der deutschen Regierung akzeptierte Sarkozy schließlich einen Kompromiss, der es allen 27 Staaten der Europäischen Union erlaubt, in der Mittelmeerunion mitzuarbeiten.

Das einzige wichtige Mittelmeerland, das nicht teilnahm, war Libyen. Der libysche Staatschef Muammar Gaddafi hatte eine Einladung zur Konferenz nicht angenommen. Die Könige von Marokko und Jordanien waren auch nicht persönlich anwesend und gaben dafür Termingründe an. Sie schickten jedoch hochrangige Vertreter.

Nach der Konferenz begrüßten mehrere Teilnehmer die Initiative zur Gründung der Union. Obwohl Kanzlerin Angela Merkel Sarkozys ursprüngliche Pläne noch im April heftig bekämpft hatte, nannte sie das dreistündige Treffen "einen sehr guten Start für eine neue Phase der Zusammenarbeit" zwischen Europa und dem Süden.

Die Entscheidungen der Konferenz, die Länder mit einer Bevölkerung von insgesamt 800 Millionen Menschen betreffen, waren ausgesprochen dünn. Es gab keine Einigung über wichtige politische Ziele. Lediglich bescheidene Pläne für die Bereiche Umwelt, Klima, Verkehr und Bildung wurden verabredet. Die Delegationen kamen überein, alle zwei Jahre einen Gipfel abzuhalten, um eine politische Erklärung zu verfassen und eine kurze Liste konkreter regionaler Projekte vorzulegen. Zusätzlich werden sich die Außenminister jedes Jahr treffen, um den Fortschritt der vereinbarten Arbeit zu überprüfen, weitere Gipfeltreffen vorzubereiten und neue Projekte zu beschließen.

Einwanderungs- und Sicherheitsfragen stehen ganz oben auf der Liste der Union. Es vergeht kaum ein Tag ohne schlimme Berichte über verzweifelte Gruppen afrikanischer Migranten, die bei dem Versuch, Europa zu erreichen, Schiffbruch erleiden oder ertrinken. Strengere Einwanderungs- und Grenzkontrollen haben für Sarkozy oberste Priorität. So sollen Einwanderer daran gehindert werden, ihre Ursprungsländer überhaupt zu verlassen.

Obwohl es bisher kaum wichtige politische Projekte gibt, blieb Sarkozys Initiative nicht ohne internationale Folgen.

Die Pariser Konferenz beendete praktisch die politische Isolation des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, der von den Vereinigten Staaten lange als politischer Paria behandelt wurde. Medienwirksam nahmen Assad und der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert am gleichen Verhandlungstisch Platz.

Obwohl Assad jeden persönlichen Kontakt mit Olmert während des Treffens im Elysée-Palast peinlich vermied, wird hervorgehoben, dass dies das erste Mal sei, dass die Staats- bzw- Regierungschefs dieser beiden Länder sich gleichzeitig im selben Raum aufgehalten hätten. Diesem Ereignis gingen in den letzten Monaten drei Verhandlungsrunden zwischen den beiden Seiten unter türkischer Vermittlung voraus.

Am Samstag konnte Sarkozy einen weiteren Erfolg verbuchen, als Assad und der neue libanesische Präsident Michel Suleiman übereinkamen, Botschaften in der jeweils anderen Hauptstadt zu eröffnen. Einem Phototermin nie abgeneigt, posierte Sarkozy am Eingang zum Konferenzgebäude auch gemeinsam mit Olmert und dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas.

Seit seiner Amtsübernahme vor einem Jahr war Sarkozys Amtsführung von bemerkenswertem Aktivismus auf internationaler Ebene geprägt. Erst vor einer Woche übernahm er turnusgemäß den Vorsitz im Ministerrat der EU und verkündete ein ambitioniertes Programm für die nächsten sechs Monate, mit dem er den wackelnden EU-Vertrag retten will. Weitere Schwerpunkte seiner Ratspräsidentschaft sind eine repressivere Einwanderungs- und Sicherheitspolitik.

Vor der Konferenz am Sonntag hatten der französische Außenminister Bernard Kouchner und Sarkozy selbst zahlreiche Verhandlungen mit vielen der teilnehmenden Länder geführt, besonders mit Israel, Syrien und dem Libanon.

Sarkozys Motive sind alles andere als uneigennützig. Obwohl er gezwungen war, von seiner ursprünglichen Vision eines französischen Monopols in der Mittelmeerunion Abstand zu nehmen, verfolgt Sarkozy weiter das Ziel, die am Wochenende gegründete Organisation unter starker französischer Führung zu halten. Für die konservative französische Presse bedeutet die Gründung der Union die Rückkehr Frankreichs als führende Kraft auf die politische Bühne im Nahen Osten. Triumphierend schrieb Le Figaro :

"Der Start der Mittelmeerunion in Paris an diesem Wochenende betont mit viel Pomp die Rückkehr Frankreichs in den Nahen Osten. Dass sich der Israeli Ehud Olmert, der Syrer Bashar el-Assad und der Libanese Michel Suleiman an den selben Tisch setzen, ist ein Etappensieg für ein Projekt, das vor seiner Entstehung mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert war.... Nicolas Sarkozy ist eine Art Pate für eine neue Beziehung zwischen Damaskus und Beirut."

Weiter wies die Zeitung auf die Risiken hin, die mit der Rolle des "Paten" verbunden sind, meinte dann aber: "Doch die große Verantwortung, die der Präsident auf sich nimmt, entspricht den Ambitionen, die unser Land hinsichtlich des Libanons und der Region schon immer verfolgt hat." (12. Juli 2008)

Die Süddeutsche Zeitung betonte in einem Kommentar zur Gründung der neuen Union, dass Sarkozy versuche, den schwindenden Einfluss der Vereinigten Staaten im Nahen Osten zu nutzen, um erneut eine führende Rolle Frankreichs zu etablieren:

"Er sieht in der Mittelmeerunion, wie auch in Frankreichs soeben begonnenem EU-Vorsitz, eine doppelte Chance, in das Vakuum zu stoßen, das im Nahen Osten durch den Präsidentenwechsel in Washington entsteht......Sarkozy hofft, für Paris wieder eine Rolle in der Region zu erlangen, die jene der anderen EU-Staaten überragt."

In der letzten Ausgabe von Le Monde Diplomatique benannte der außenpolitische Experte Alain Gresh mehrere Punkte, in denen Sarkozy einen deutlichen Bruch mit den Grundzügen der Außenpolitik gaullistischer Regierungen seit den 1950er Jahren vollzieht.

Gresh schreibt: "Seit seiner Wahl zum Präsidenten im Mai vergangenen Jahres hat Sarkozy die völlige Kontrolle über die Außenpolitik und lenkt sie um in Richtung von Annäherungen und Allianzen, die sich von denen Jacques Chiracs deutlich unterscheiden. Sie ist jetzt pro-israelisch, pro-amerikanisch und pro-NATO, während sie vorher allen dreien gegenüber kritisch ablehnend war."

Wie sehr sich die außenpolitischen Prioritäten unter Sarkozy verändert haben, unterstreicht die Tatsache, dass Ex-Präsident Jacques Chirac entgegen traditionellem Protokoll nicht an den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sturmes auf die Bastille teilnahm. Chirac war ein enger Freund des ermordeten libanesischen Premierministers Rafiq Hariri und war entschieden gegen die Einladung Assads zu den Pariser Feierlichkeiten.

Sarkozys Hinwendung zu den USA und Israel markiert einen scharfen Bruch mit der bisherigen Politik der Gaullisten und hat ihm den Vorwurf seiner politischen Gegner von der Sozialistischen Partei eingebracht, ein "amerikanischer Neokonservativer mit französischem Pass" zu sein.

Auch andere Stimmen warnen den französischen Präsidenten vor den Folgen einer zu engen Anlehnung an Washington. Auf der Web Site Rue89 schrieb der Publizist Thierry Fabre: "Der Schulterschluss mit der NATO und den USA zu diesem Zeitpunkt, der die militärische Intervention im Irak und ihre katastrophalen Folgen völlig unbeachtet lässt, belastet die Glaubwürdigkeit Frankreichs erheblich."

Allerdings handelt Sarkozy offensichtlich nicht einfach als Handlanger Washingtons. Die Bush-Regierung ist gegenüber Syrien immer noch feindselig eingestellt, aber der syrische Präsident konnte seinen Besuch in Paris für Interviews mit der französischen Presse nutzen, in denen er die amerikanische Politik im Nahen Osten kritisierte und vor den Folgen eines Krieges gegen den Iran warnte.

Weil die Nahostpolitik vor allem infolge des Irakkriegs sehr in Bewegung geraten ist, versucht Sarkozy einen Kurs zu fahren, der den wirtschaftlichen und politischen Einfluss Frankreichs in der Region erhöht. Gleichzeitig möchte er einen offenen Konflikt mit den USA vermeiden.

Die Folgen des Irakkriegs, die noch durch wirtschaftliche Probleme verstärkt werden, haben zu zunehmender Instabilität im Nahen Osten geführt. Kommentatoren haben festgestellt, dass die Versuche des krisengeschüttelten israelischen Ministerpräsidenten völlig gescheitert sind, mit der Pariser Konferenz von seiner eigenen politischen Krise abzulenken und seine innenpolitischen Kritiker zum Schweigen zu bringen. Wegen zahlreicher gegen ihn erhobener Korruptionsvorwürfe steht Olmert selbst in seiner eigenen Partei unter Beschuss und wird inzwischen als so genannte "lahme Ente" ohne jede politische Glaubwürdigkeit gehandelt.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gab vor seiner Abreise nach Paris eine Erklärung heraus, in der er Frankreich wegen seiner ablehnenden Haltung zu einem EU-Beitritt der Türkei scharf kritisierte. Politische Experten sagen, der einzige Grund für Erdogans Teilnahme an der Konferenz sei seine Hoffnung, von den Führern europäischer und nahöstlicher Staaten Unterstützung in seinem Kampf gegen das türkische Verfassungsgericht mobilisieren zu können, das seine Partei zu verbieten versucht.

Sarkozys Mitvorsitzender der Konferenz, der ägyptische Präsident Hosni Mubarak, regiert ein zunehmend instabiles Land, in dem in den letzten Monaten mehrere Lebensmittelaufstände ausgebrochen sind.

Wenn Sarkozy das Vakuum im Nahen Osten und in der Mittelmeerregion tatsächlich füllen will, dann braucht er dafür feste Verbündete bei den anderen großen europäischen Staaten. Sarkozy hat in Großbritannien und Deutschland mehrere Anläufe in diese Richtung unternommen, aber die Reaktion war bisher zurückhaltend. Zwischen Deutschland und Frankreich sind in den letzten Monaten in mehreren ökonomischen Fragen Differenzen aufgebrochen, zuletzt über die Finanzpolitik der Europäischen Zentralbank.

Unter deutschem Druck revidierte Sarkozy seine Pläne für die Mittelmeerunion. Im Gegenzug billigte die deutsche Kanzlerin das Verfahren in Paris, aber die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind weiter wackelig.

Zusammenfassend erklärte die französische Zeitung Les Echoes : "In dieser Riesenparty wird nicht er der Sieger sein, sondern Angela Merkel." Der Artikel fährt fort: "Die deutsche Kanzlerin hat durchgesetzt, dass die Mittelmeer-Union streng zurechtgestutzt wird.... Angela Merkel wollte keine Mittelmeer-Union, die die 27 spaltet. Ihr wurde Recht gegeben: Nicolas Sarkozy musste zurückstecken, um die Ehe der beiden zu retten.... Nach den Streitigkeiten und Seitensprüngen zeigt sich das Paar erneut vereint. Und harmonisch.... Neue Entgleisungen werden aber nicht toleriert. Angela Merkel hat Vergebung gewährt. Aber sie will nicht, dass die Union noch einmal beeinträchtigt wird. Nicolas Sarkozy steht unter Beobachtung." (10. Juli 2008)

Merkel billigte letztlich die Pariser Konferenz, weil die außenpolitischen Initiativen des französischen Präsidenten gegenwärtig der Berliner Linie weitgehend entsprechen. Aber die wachsenden Streitigkeiten der europäischen Mächte sind ein wichtiger Faktor in der Destabilisierung der Europäischen Union. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass es Sarkozys Mittelmeerunion besser ergehen wird.

Siehe auch:
Eine Verfassung die nicht Verfassung heißen darf
(20. Dezember 2007)
Sarkozy bemüht sich um französisch-britische Achse
(29. März 2008)
Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich in Außen- und Wirtschaftspolitik
(14. März 2008)
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