Frankreich

Jean-Luc Mélenchon gründet Linkspartei

Senator Jean-Luc Mélenchon und etwa tausend Anhänger haben sich von der französischen Sozialistischen Partei abgespalten und eine neue Partei gegründet, die Parti de Gauche (PG, Linkspartei). Sie ahmen damit das Beispiel der deutschen Partei Die Linke nach. Der Linken-Führer Oskar Lafontaine war als Ehrengast auf dem Gründungskongress der Parti de Gauche am 29. November in Saint-Ouen anwesend.

Mélenchon forderte in seiner Rede auf dem Kongress die Gründung einer "Sammlungspartei" (parti creuset), in der Sozialisten, Kommunisten, Umweltschützer und Republikaner die Geschichte ihrer jeweiligen politischen Organisationen "zusammenbringen, um etwas Neues zu schaffen". Er schlug als Strategie "eine Revolution durch Wahlen" vor, die mittels einer "neuen politischen Mehrheit durch eine Linksfront" erreicht werden soll. Das Ziel dieser Linksfront sei es, die Sozialistische Partei aus ihrer Rolle als führender Partei der parlamentarischen Linken zu verdrängen. Ein Etappenziel bestehe darin, sie bei den Europawahlen 2009 zu überholen. Der Sozial-Liberalismus müsse isoliert werden, so Mélenchon.

Wie bei der deutschen Linken besteht der wirkliche Zweck der Parti de Gauche darin, eine politische Linksentwicklung der Massen zu blockieren und neue Illusionen in kapitalistische Reformen zu schüren, deren elendes Scheitern die Sozialistische Partei gerade bewiesen hat.

Die Parti de Gauche unterstützt ausdrücklich die Gewerkschaften. In seiner Rede forderte Mélenchon auf, die Gewerkschaften zu stärken, die an vorderster Front kämpfen".

Das Programm der neuen Partei wurde am Ende von Mélenchons Rede zusammengefasst. Er forderte ein soziales Auffangnetz (ein Mindesteinkommen für alle) und versprach eine Umverteilung von zehn Prozent des Reichtums von den Kapitalisten zu den Arbeitern. Ihm schwebt eine Welt vor, in der die Banken nicht etwa in gesellschaftliches Eigentum überführt sind, sondern in der die Gier der Banker irgendwie gezähmt wird, in der "die Kreativen und die Intellektuellen an der Spitze stehen und die Finanziers das Schwanzende bilden". Oder wie es Lafontaine in seiner Rede sagte: "Wir müssen den Kapitalismus zähmen."

Lafontaine und Mélenchon priesen François Mitterrand, den französischen Präsidenten von 1981 bis 1995, als Vorbild. Mélenchon erklärte: "Wir haben nicht vergessen, dass wir die Rente mit Sechzig dem Sieg des Gemeinsamen Programms [der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei] verdanken." Lafontaine glorifizierte den Kongress von Epinay, auf dem Mitterand die Führung der Sozialistischen Partei übernahm.

Lafontaine forderte "die Beteiligung der Beschäftigten am Kapital ihres Unternehmens" und befürwortete "eine Mischwirtschaft, in der private Unternehmen - bei weitem die Mehrheit - neben verstaatlichten Unternehmen existieren".

Mélenchon schlug deutliche nationalistische Töne an, als er sich für die Stärkung der europäischen Grenzen einsetzte: "Wir müssen Zollgrenzen nicht nur für das wirtschaftsliberale Europa fordern, das unter dem Motto eines absurd freien Marktes alles hereinlässt, sondern wir müssen in diesen außergewöhnlichen Zeiten auch Zollschranken gegen Sozial- und Umweltdumping fordern."

Ein linkes Sicherheitsventil

Die Entscheidung Mélenchons, die Sozialistische Partei (PS) zu verlassen, der er 31 Jahre angehört hatte, ist eine Reaktion auf die allgemeine Auflösung der offiziellen französischen parlamentarischen Linken, d.h. der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei, die ihre bisherige soziale Basis verloren hat.

Seit den 1970er Jahren war das Bündnis der Sozialistischen Partei mit der Kommunistischen Partei innerhalb oder außerhalb der Regierung und mit den Gewerkschaften, die im Großen und Ganzen unter ihrem Einfluss stehen, die wichtigste Stütze für die kapitalistische Herrschaft in Frankreich. Aber wegen ihrer beständigen Rechtsentwicklung hat sich die französische Arbeiterklasse weitgehend von ihnen abgewandt.

Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung bei den Präsidentschaftswahlen von 2002, als der SP-Kandidat Lionel Jospin von dem Faschisten Jean-Marie Le Pen auf den dritten Platz verwiesen wurde und zehn Prozent der Wähler für Kandidaten stimmten, die im Ruf stehen, Trotzkisten zu sein. Das läutete das Ende der offiziellen Linken ein, die den französischen Kapitalismus nach der Revolte von 1968 gerettet hatte.

Als 2005 das Referendum über die europäische Verfassung zur Abstimmung kam, bildete sich links von der offiziellen Sozialistischen Partei eine breite Allianz für eine Ablehnung. Daran beteiligten sich: ein Flügel der Sozialistischen Partei, die Kommunistische Partei, die pablistische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und andere politische Gruppierungen. Mehrere Fraktionen der Sozialistischen Partei, bei denen Mélenchon eine prominente Rolle spielte, setzten sich über die offizielle Parteilinie hinweg und riefen dazu auf, mit "Nein" zu stimmen. Sie traten gemeinsam mit KP-Führerin Marie George Buffet und LCR-Sprecher Olivier Besancenot auf öffentlichen Versammlungen auf.

Aber obwohl die Kampagne erfolgreich war und die Europäische Verfassung abgelehnt wurde, scheiterte der Versuch, das "Nein"-Lager zu einer neuen Partei zu sammeln, was speziell die LCR konzentriert anstrebte. Aber die Fraktionen der SP, die für ein "Nein" mobilisiert hatten, unter ihnen auch Mélenchon, versöhnten sich schnell wieder mit der Parteiführung. Und die Kommunistische Partei machte klar, dass sie ihr Bündnis mit der Sozialistischen Partei nicht gefährden werde, um nicht ihre Parlamentssitze und die Chance auf Ministerposten zu verlieren.

Infolgedessen entschloss sich die LCR selbst, eine Neue Antikapitalistische Partei aufzubauen, nachdem Olivier Besancenot bei der Präsidentschaftswahl 2007 ein beachtliches Ergebnis erzielt hatte. Dieses Projekt, das formell im Januar 2009 ins Leben gerufen werden soll, hat in den Medien große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Besancenot hat persönlich hohe Umfragewerte. Mélenchons Entscheidung, die Parti de Gauche zu gründen, ist eine Reaktion darauf.

Obwohl Besancenot und die LCR revolutionäre Politik ausdrücklich von sich weisen und sich insbesondere vom trotzkistischen Erbe klar distanzieren, zögern die herrschenden Kreise doch, der LCR zu viel Raum zuzugestehen. Frankreich wird von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen, und es wird eine weitere Radikalisierung der französischen Arbeiter und Jugendlichen befürchtet, die für ihre Militanz bekannt sind.

Während die Medien Besancenot viel Aufmerksamkeit schenken und die herrschenden Kreise ihn mit großem Respekt behandeln, gibt es doch beträchtliche Zweifel, ob die Partei, die er aufbaut, in der Lage sein wird, eine militante Bewegung von Jugendlichen und Arbeitern zu kontrollieren und in die Sackgasse zu führen. Anders als die SP und die KP hat sie keinen starken bürokratischen Apparat mit Hunderten gut bezahlten und abgebrühten Funktionären. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit weiterer linker Organisationen, um eine soziale Bewegung aus dem Gleis zu bringen.

Die Parti de Gauche ist die dritte neue linke Partei in diesem Jahr. Nachdem die LCR bekannt gegeben hatte, die Neue Antikapitalistische Partei zu gründen, zauberte die Parti des Travailleurs Pierre Lamberts (PT, Arbeiterpartei) im Juni eine Parti Ouvrier Indépendant (POI, Unabhängige Arbeiterpartei) aus dem Hut. Die neue Partei ist darauf ausgerichtet, die kommunalen Staatsbürokraten besser zu integrieren, auf die sich die PT bei den Präsidentschaftswahlen 2007 gestützt hatte. Sie hatte damals ihren Kandidaten Gerard Schivardi als den Kandidaten der 36.000 Bürgermeister ins Feld geführt.

Ein politisches Werkzeug

Jean-Luc Mélenchon selbst ist ein erfahrener Politiker. Wie viele führende Politiker der französischen Linken erhielt er seine Grundausbildung in einer der radikalen Gruppen, die sich fälschlicherweise als Trotzkisten bezeichneten.

Er wurde 1951 in Tanger in Marokko geboren und spielte in der Schülerbewegung vom Mai 1968 eine führende Rolle. Er trat der OCI Pierre Lamberts bei und war in der Studentengewerkschaft aktiv.

1971 brach die OCI ihre Verbindung zur internationalen trotzkistischen Bewegung, dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale, ab und unterstützte die Sozialistische Partei, deren Führung im gleichen Jahr von François Mitterrand übernommen wurde. Viele OCI-Mitglieder wurden verdeckt in die Sozialistische Partei geschickt, unter ihnen Lionel Jospin, der spätere Premierminister.

Mélenchon folgte ihnen 1977, nachdem er aus der OCI ausgeschlossen worden war. Seit der Zeit war er ein entschiedener Anhänger Mitterands. 1986 wurde er zum Senator gewählt. Dieses Amt bekleidet er mit einer lediglich vierjährigen Unterbrechung bis heute. In der Jospin-Regierung von 2000 bis 2002 diente er als Staatssekretär. Er war an mehreren Gruppierungen auf dem linken Flügel der SP führend beteiligt.

Mélenchon und sein Mitkämpfer Marc Dolez, ein Abgeordneter aus dem Departement Nord im hohen Norden von Frankreich, gaben ihre Entscheidung bekannt, mit der Sozialistischen Partei zu brechen und die Parti de Gauche zu gründen, kurz nachdem die Resolution Benoît Hamons für den Kongress der Sozialistischen Partei in Rennes nur neunzehn Prozent der Stimmen der Mitglieder erhalten hatte. Hamon nimmt in Anspruch, für den linken Flügel der Partei zu sprechen. 29 Prozent unterstützen die Resolution Ségolène Royals, der Präsidentschaftskandidatin von 2007, und 25 Prozent die von Martine Aubry, der Bürgermeisterin von Lille und aktuellen Parteiführerin. Royal und Aubry sind beide entschiedene Anhängerinnen der Europäischen Union.

Angesichts der Tatsache, dass Mélenchon dreißig Jahre lang jede Wende in der Parteilinie akzeptierte, ist der offizielle Grund für den Bruch offensichtlich vorgeschoben. Der wirkliche Grund ist die schnelle Desintegration der Sozialistischen Partei, die in zwei fast gleich starke Hälften zwischen den Anhängern Royals und Aubrys gespalten und von fraktionellen Feindschaften blockiert ist.

Aubry gewann die Urabstimmung der Mitgliedschaft um den Posten des Parteisekretärs im November nur mit einem hauchdünnen Vorsprung vor Ségolène Royal. Aubry wird von den Schwergewichten der Partei, wie IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Lionel Jospin und Laurent Fabius unterstützt, während sich Royal auf neue Mitglieder stützt, die von ihrem rechten Kurs angezogen und über das Internet Mitglied wurden. Royal will die SP in ein Bündnis mit der rechten Mitte führen, der MoDem (Demokratische Bewegung) von François Bayrou.

Vor dem Hintergrund der tiefen Krise der Sozialistischen Partei versucht Mélenchon, die breite Allianz der Linken wiederzubeleben, die nach dem Referendum über die Europäische Verfassung gescheitert war. Sie soll die Sozialistische Partei, bzw. Teile von ihr, und Besancenots NAP mit einbeziehen.

Unmittelbar nach der Gründung der Parti de Gauche riefen Mélenchon und Dolez "zur Bildung einer Front der linken Kräfte für die Europawahlen auf". Mélenchon erklärte, er wolle die Wahlen 2009 zum Europaparlament "zu einem Referendum über den Vertrag von Lissabon" machen. Dolez hat die Fraktion der Sozialistischen Partei in der Nationalversammlung verlassen und sich der Fraktion der Kommunistischen Partei/Grünen angeschlossen.

Die Kommunistische Partei hat positiv auf die Einladung der Parti de Gauche reagiert und selbst eine "Progressive Europäische Front" vorgeschlagen. Weil die Kommunistische Partei schon ein Wahlbündnis mit der Sozialistischen Partei und den Grünen für die Europawahl eingegangen ist, landet die Parti des Gauche wieder da, wo sie hergekommen ist - mit einem bemerkenswerten Unterschied: ihre Einladung zu einer "Front linker Kräfte" schließt ausdrücklich Besancenots NAP und Lamberts POI ein, die die Linie der Parti de Gauche zum Vertrag von Lissabon unterstützt. Die hysterisch anti-europäische POI steht in regelmäßigen Diskussionen mit der Parti de Gauche.

Siehe auch:
Sozialistische Partei Frankreichs in der Krise
(28. November 2008)
Frankreich: Alain Krivine äußert sich zur Rolle der "Neuen Antikapitalistischen Partei"
( 20. November 2008)
1968 - Generalstreik und Studentenrevolte in Frankreich
( 21. Mai 2008)
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