Frankreich: Sarkozys Sparpolitik erfordert revolutionären sozialistischen Widerstand

Wenn am 24. Juni in Frankreich Arbeiter gegen Rentenkürzungen demonstrieren, stehen sie am Scheideweg. Immer mehr Arbeiter kommen zum Schluss, dass alte Oppositionsformen, wie die von den Gewerkschaften ausgerufenen "Aktionstage", die Kürzungspolitik der herrschenden Klasse nicht aufhalten werden.

Nachdem die Banken hunderte Milliarden Euro an Steuergeldern für Rettungsprogramme erhalten haben, nutzen sie jetzt die Panik auf den Märkten für Staatsanleihen, um weitere Maßnahmen gegen die Arbeiterklasse zu fordern. Wie das Übergreifen der Kürzungen von Griechenland nach Spanien und Portugal und von Großbritannien nach Frankreich zeigt, greifen die Banken Arbeiter in allen Ländern an und versuchen, den Lebensstandard auf ein Minimum zu drücken.

Griechenlands Vergewaltigung ist ein Warnsignal für das, was die Finanzaristokratie vorbereitet. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Giorgos Papandreou streicht Löhne und Sozialausgaben um zwanzig, dreißig und fünfzig Prozent zusammen. Arbeiter werden um Generationen zurückgeworfen. Die Gewerkschaften, die Papandreous PASOK nahe stehen, organisieren eine Welle völlig ineffektiver Streiks, die nicht das Geringste daran ändern werden.

Der Kapitalismus hat historisch versagt. Der Streit zwischen dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel über die Frage, wie das Rettungspaket finanziert werden soll, wird so erhitzt geführt, dass Sarkozy angeblich sogar schon gedroht haben soll, aus der Eurozone auszutreten. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, sagte, die Weltsituation sei seit 1939-1945 "noch nie so schwierig" gewesen, und vielleicht nicht einmal seit 1914-1918.

Trichets bemerkenswerte Erwähnung der zwei Weltkriege ist eine ernste Warnung. Arbeiter sind in Frankreich mit einer tiefen Krise konfrontiert, wie sie seit der Großen Depression nicht mehr vorkam, als im Mai-Juni 1936 nach der Wahl der Volksfrontregierung ein Generalstreik ausbrach.

Die Stimmung ist so, dass immer mehr Arbeiter einen Generalstreik in Erwägung ziehen, weil sie zu Recht der Meinung sind, dass die eintägigen Streiks der Gewerkschaften nichts bringen. Eine kürzliche Umfrage ergab, dass 58 Prozent der französischen Bevölkerung der Meinung sind, dass eintägige Gewerkschaftsproteste die Rentenkürzungen nicht verhindern werden. Auf die Frage nach dem effektivsten Mittel zur Durchsetzung sozialer Rechte nannten 67 Prozent den Generalstreik.

Das Ausbrechen von Massenstreiks wird von jedem klassenbewussten Arbeiter begrüßt. Nur entschlossenes Handeln kann den Angriff der Finanzaristokratie stoppen. Aber ein gemeinsamer Streik der gesamten Arbeiterklasse wird nur die tief liegenden politischen Probleme der arbeitenden Bevölkerung zum Vorschein bringen.

Ein Generalstreik wirft unvermeidlich die Frage der Staatsmacht auf: Wer bestimmt, was geschieht, wenn die Arbeiter an die Arbeit zurückkehren?

1920 schrieb Leo Trotzki gegen die sozialdemokratischen Gegner der Russischen Revolution, dass der Generalstreik "an und für sich die Aufgabe nicht lösen könne, denn er erschöpfe schneller die Kräfte des Proletariats als die seiner Feinde, wodurch die Arbeiter einen Tag später oder früher gezwungen würden, zu den Maschinen zurückzukehren. Der Generalstreik kann nur als Voraussetzung des Zusammenstoßes des Proletariats mit den bewaffneten Kräften der gegnerischen Seite ... eine entscheidende Bedeutung gewinnen". (Terrorismus und Kommunismus, Anti-Kautsky)

Trotzkis Bemerkungen wurden durch die Ereignisse vollkommen bestätigt. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), Maurice Thorez, tat den berüchtigten Ausspruch: "Man muss wissen, wie man einen Streik beendet, sobald die Forderungen erfüllt sind." Die KPF war darauf aus, den französischen Kapitalismus als Verbündeten des Kreml gegen Deutschland zu retten. Deswegen wies sie die Arbeiter an, nur auf Aufforderung der Gewerkschaften zu streiken, und koordinierte ihr Vorgehen im Stillen mit der Regierung. Schon bald mobilisierte die Volksfrontregierung selbst Truppen gegen streikende Arbeiter.

Vier Jahre später befanden sich die KPF und die Komintern im Bündnis mit Hitler, und die Sympathien mit den Nazis in der herrschenden Klasse beschleunigten Frankreichs Kapitulation vor Nazi-Deutschland.

Diese historischen Fragen plagen heute wieder führende Gewerkschafter und die bürgerliche "Linke", die sie aus dem Blickwinkel der herrschenden Klasse sehen. Der Vorsitzende des Europäischen Gewerkschaftsbunds John Monks berichtete über ein Treffen mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission Manuel Barroso und warnte: "Dies ist 1931", und damals sei Europa "in einer militaristischen Diktatur gelandet".

Monks erläuterte: "Ich habe vergangenen Freitag ein Gespräch mit Barroso über die Frage geführt, was für Griechenland, Spanien, Portugal und die übrigen Länder getan werden kann. Er hatte eine klare Botschaft: ’Wenn sie nicht die Sparprogramme umsetzen, dann werden diese Länder praktisch als Demokratien, wie wir sie kennen, verschwinden. Sie haben keine Wahl...’ Er hat uns regelrecht schockiert mit seiner apokalyptischen Vision von zusammenbrechenden Demokratien in Europa infolge der Staatsverschuldung."

Er schloss: "Griechenland muss sich offensichtlich umstellen. Es muss den Gürtel enger schnallen... Die Bedingungen des EU-IWF-Bailouts sind alternativlos. Griechenland hat keine Alternative. Es muss die Bedingungen erfüllen." Kurz gesagt, die soziale Opposition müsse manipuliert und gedämpft werden, damit die herrschende Klasse Maßnahmen friedlich durchsetzen könne, für die sie andernfalls eine Diktatur bräuchte. Das ist die feige Perspektive von Stiefelleckern der Finanzaristokratie.

Diese Perspektiven beherrschen die Gewerkschaften und das "linke" Establishment. CGT-Boss Bernard Thibault stellt auf einmal seine bisherige öffentliche Unterstützung für Sarkozys Kürzungen wieder in Frage. Nachdem er die letzten vier Monate damit beschäftigt war, die Details der Rentenkürzungen mit Sarkozy auszuhandeln, versicherte Thibault jetzt auf Radio RTL: "Eine Regierung stürzt nicht notwendigerweise, weil sie eines ihrer Projekte nicht durchsetzen kann." Soll heißen: Selbst wenn die Rentenkürzung verzögert werden sollte, kann Sarkozy weiter machen und es bei passender Gelegenheit noch einmal versuchen.

Auch die Sozialistische Partei, die linke Regierungspartei der französischen Bourgeoisie, hat eine Wende vollzogen. Sie behauptet, sie werde das Rentenalter wieder auf 60 Jahre senken, falls sie die Präsidentschaftswahl 2012 gewinnen sollte. Das ist die groteske Lüge einer Sozialkürzungspartei. Die Regierung der Pluralen Linken von 1997 bis 2002, bestehend aus SP, KPF und Grünen, ignorierte im Wahlkampf Forderungen von Teilen der SP, die Rentenkürzungen des konservativen Premierministers Edouard Balladur von 1993 wieder rückgängig zu machen. Im Januar dieses Jahres forderte die Vorsitzende der SP, Martine Aubry, Rentenkürzungen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre.

Die bürgerliche "Linke" und die Gewerkschaften spielen faktisch eine führende Rolle bei der Planung der Kürzungen. Dem staatlichen Beratungsgremium für die Renten, COR, gehören der SP-Abgeordnete Pascal Terrasse und Senator René Teulade, Maxime Gremetz von der KPF und Mitglieder aller großen Gewerkschaften an, darunter Jean-Christophe Le Duigou von der CGT und Jean-Louis Malys von der CFDT. Das COR arbeitete schon an den Rentenkürzungen von 2003 und 2007 mit. In seinem Bericht vom April forderte es weitere Kürzungen, um das Staatsdefizit zu verringern.

Der verrückteste Vorschlag kam von der kleinbürgerlichen NPA. Auf die Frage, ob er einen Generalstreik unterstütze, antwortete NPA-Sprecher Olivier Besancenot: "Das ist die einzige Lösung angesichts einer Oligarchie, die unglaubliche Angriffe durchsetzen will. [Der Streik letztes Jahr in] Guadaloupe ist ein Beispiel, dem man folgen sollte. Das war eine vereinte und radikale Bewegung."

Solche Behauptungen belegen nur die politische Unernsthaftigkeit der NPA. Die kleinen Geschäftsleute und örtlichen Repräsentanten, die den Streik anführten, strebten beschränkte Subventionen des Staates an. Sie unterzeichneten einen faulen Handel mit Sarkozy, um den Streik zu ersticken und zu beenden. Solche Art politischer Erdrosselung der Opposition der Arbeiter hat zu der gegenwärtigen Krise geführt - aber Besancenot hält das als ein "radikales" Beispiel hoch, dem man folgen sollte!

Die revolutionären Aufgaben der kommenden Bewegung der europäischen Arbeiterklasse machen ein solches Abkommen unmöglich. Die Unterordnung der Finanzmärkte unter die Bedürfnisse der Arbeiterklasse erfordert die Verstaatlichung der Banken und der Großindustrie unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse, d.h. die Einführung des Sozialismus. Eine Konfrontation mit der herrschenden Klasse ist unvermeidlich.

Auf der Tagesordnung stehen Massenproteste und Streiks. Sie können nur erfolgreich geführt werden, wenn Arbeiterkomitees geschaffen werden, die von den Gewerkschaften unabhängig sind. Wer verstehen will, vor welche Herausforderungen die Arbeiter stehen werden, muss die allgemeinen Streikversammlungen analysieren, die 1995 entstanden, um die Streiks und Proteste während der Eisenbahnerstreiks in Frankreich zu koordinieren.

Diese Versammlungen waren politisch von den Gewerkschaften und kleinbürgerlichen Parteien beherrscht, und es fehlte ihnen die Perspektive des Kampfs gegen die Regierung. Das führte dazu, das sie schließlich aufgelöst wurden und die Arbeiter besiegt an die Arbeit zurückkehren mussten. Für Arbeiter, die mit einer politischen Perspektive bewaffnet sind, können solche Gremien zu Zentren politischer Macht werden, die in Konkurrenz zum kapitalistischen Staat treten und ihn schließlich ersetzen - wie die Sowjets im revolutionären Russland von 1917.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, die orthodoxe trotzkistische Bewegung, fordert Arbeiter auf, sich dem Kampf für den Sozialismus anzuschließen. Wir haben mit der World Socialist Web Site ein internationales Organ geschaffen, um über die Kämpfe der Arbeiterklasse zu berichten und ihnen politische Orientierung zu geben. Wir laden sozialistisch gesinnte Arbeiter und Intellektuelle ein, die WSWS zu lesen und mit ihr Kontakt aufzunehmen, und für den Aufbau des IKVI als revolutionäre Partei des internationalen Proletariats zu kämpfen.

Siehe auch:
Frankreich: Gewerkschaftstag der CGT segnet Orientierung auf Sarkozy ab
(14. Januar 2010)
Loading