Perspektive

Amerikanisch-chinesische Spannungen

Zerreißprobe für australische Regierung

Der Sieg der australischen Premierministerin Julia Gillard am letzten Montag über den Ex-Premier und ehemaligen Außenminister Kevin Rudd hat die Krise der australischen Regierung nicht gelöst. Auch nach dieser Führungsentscheidung steht die australische Labor Party vor einer Zerreißprobe.

In den Medien wird das tiefe Zerwürfnis allerdings heruntergespielt. So hieß es in einem Leitartikel vom Samstag, es gehe „nicht um Politik oder nationale Interessen, [… sondern] um kleinere Streitereien der Vergangenheit, bei denen Rachegefühle, der Wunsch nach Vergeltung und persönliche Differenzen eine Rolle spielen“.

In anderen Worten: Das Gift, das die Anhänger von Gillard und Rudd in ihrem beispiellosen Kampf um die Führung gegeneinander verspritzen, soll nichts mit grundlegenden politischen Differenzen zu tun haben.

Soeben implodiert die Labor Party, die älteste Partei des Landes, auf die sich die australische herrschende Klasse in allen großen Krisen des letzten Jahrhunderts verlassen konnte, – und der Grund soll alleine der übermäßige Ehrgeiz zweier Individuen sein.

Diese Präsentation der Ereignisse ist einfach unsinnig.

Auch liegen die Ursachen des Konflikts nicht in erster Linie im Bereich der Innenpolitik. Sowohl Rudd als auch Gillard haben sich zu den Sparmaßnahmen verpflichtet, die das Finanzkapital fordert, und bieten sich dem Big Business als das beste Instrument zur Durchsetzung der verlangten Angriffe auf die Arbeiterklasse an.

Die Zersplitterung der Labor Party hat vielmehr mit den mächtigen geopolitischen Rivalitäten um die wachsende Konfrontation zwischen der Obama-Regierung und China zu tun. Die australische herrschende Klasse ist in ihren Sog hineingezogen worden und wird nun knallhart konfrontiert mit ihrer gewichtigen wirtschaftlichen Abhängigkeit von China einerseits und der geostrategischen Abhängigkeit von ihrem Militärbündnis mit den USA andererseits.

Rudd wurde im Juni 2010 in einem innerparteilichen Nacht-und-Nebel-Putsch von einer Handvoll Fraktionsführer mit engen Bindungen an die USA als Premierminister abgesetzt. Damals stand Obama noch am Anfang seines außenpolitischen Schwenks weg vom Nahen Osten, hin zu einem aggressiven diplomatischen und strategischen Eingreifen in Asien mit dem Ziel, Chinas wachsenden Einfluss zu unterbinden.

Bei ihrer Neuorientierung sah die Obama-Regierung in Rudd ein Hindernis. Dies nicht etwa, weil er in irgendeiner Weise das amerikanisch-australische Bündnis gefährdet hätte. Eine von WikiLeaks veröffentlichte Depesche zeigte im Gegenteil, dass Rudd sich selbst als „brutalen Realisten“ beschrieb, der klar erkenne, dass ein Krieg zwischen den USA und China absolut im Rahmen des Möglichen sei.

Vielmehr schlug Rudd vor, ein regionales Forum zu schaffen, durch das die wirtschaftlichen und strategischen Interessen der USA und Chinas mithilfe geschickter Verhandlungen und diplomatischer Gipfel miteinander in Einklang gebracht werden könnten. Dies kam Obama ungelegen, weil seine Absichten nicht auf Entspannung, sondern auf eine Erhöhung des Drucks auf China in der gesamten indopazifischen Region abzielten.

Knapp zwei Jahre später haben sich die Spannungen zwischen den USA und China dramatisch verschärft. Gillard hat ihren Wert unter Beweis gestellt, indem sie jede einzelne Initiative Obamas sklavisch unterstützt hat. Sie kündigte im letzten November an, dass das US-Militär, einschließlich der US-Marines, Zugang zu australischen Militärstützpunkten im Norden und im Westen des Landes erhalten würde. Diese Basen sind in der Nähe wichtiger Schiffsrouten gelegen, durch die China Zugang zu Energie und Rohstoffen aus dem Nahen Osten und aus Afrika erhält.

Als Außenminister hat Rudd sich den USA tausendfach gefügt, auch als die Nato in Libyen eingriff. Er tritt jedoch bis heute auf internationalen Foren für eine Pax Pacifica ein und forderte vor der Asiatischen Gesellschaft in Washington im Januar einen „Frieden, der letztendlich in den Prinzipien gemeinsamer Sicherheit ankert und die Realität der Macht der USA und Chinas anerkennt“.

Diese politische Kluft beschränkt sich nicht auf die gegenwärtige Führung der Labor Party oder Australiens. Der ehemalige Labor-Premierminister Paul Keating und der ehemalige Oppositionsführer der liberalen Partei, Malcolm Turnbull, haben sich im vergangenen November angesichts von Obamas Konfrontationskurs gegenüber China besorgt geäußert.

Keating hat Bob Hawke 1991 zum Teil deshalb als Labor-Führer gestürzt, um sich stärker Asien zuzuwenden. Turnbull, der 2009 als Führer der Liberalen abgesetzt wurde, verkörpert die außenpolitische Zerrissenheit in den Reihen der Opposition.

Vor einem ähnlichen Dilemma steht das politische Establishment der USA, Europas und weltweit, wo mächtige wirtschaftliche und finanzielle Interessen stark von Investitionen in China abhängen. Der Autogigant General Motors zum Beispiel würde schnell in die roten Zahlen rutschen, wenn seine äußerst gewinnbringenden Aktivitäten in China spürbar beeinträchtigt würden.

Im Verlauf des letzten Jahrzehnts sind die Exporte aus den USA nach China um 468 Prozent angestiegen, und es wird erwartet, dass der Handel zwischen den beiden Ländern dieses Jahr eine halbe Billion Dollar erreicht.

Rudd steht deshalb mit seinen Ansichten nicht allein. Der ehemalige amerikanische nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski schrieb auf den letzten Seiten seines neuen Buches „Strategic Vision“: „Eine aktive amerikanische Rolle in Asien ist von entscheidender Bedeutung. Nicht nur um die Stabilität in der Region aufrechtzuerhalten, sondern mehr noch um Verhältnisse zu schaffen, unter denen die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sich friedlich und kooperativ entwickeln und schließlich zu einer weitreichenden politischen und wirtschaftlichen globalen Partnerschaft führen.“

Ein anderes Schwergewicht der US-amerikanischen Außenpolitik, Henry Kissinger, der 1972 entscheidenden Anteil an der amerikanisch-chinesischen Annäherung hatte, hat auch zu erneuter Kooperation aufgerufen und Angst vor einer Konfrontation ausgedrückt. In seinem Buch „On China“, das letztes Jahr veröffentlicht wurde, warnte er davor, dass ein Kalter Krieg mit China „den Fortschritt auf beiden Seiten des Pazifik für eine Generation aufhalten würde“ und „Auseinandersetzungen in die Innenpolitik aller Regionen hineintragen würde“.

Bezeichnenderweise saß Kissinger einer Sitzung des hochrangig besetzten Münchener Sicherheitskonferenz zu Beginn dieses Monats vor, auf der Rudd seine Forderung nach einer Pax Pacifica wiederholte, die Chinas „legitimen Anspruch auf nationale Souveränität“, wie auch das „anhaltende strategische Engagement der USA“, miteinander in Einklang bringen würde. Er appellierte insbesondere an die europäischen Mächte, ihre „gemeinsamen Stimmen in der Sicherheits- und Außenpolitik zu erheben, (…) um dazu beizutragen, dass ein Gefühl gemeinsamer Sicherheit in ganz Asien entsteht“.

Diese Appelle an die Kompromissbereitschaft und die Vernunft stehen in scharfem Gegensatz zu den eskalierenden geopolitischen Spannungen, die vor allem durch den historischen Niedergang des US-Kapitalismus angetrieben werden. Bei dem Versuch, ihre globale Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, haben die USA in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihre überwältigende militärische Macht eingesetzt, um eine ganze Reihe krimineller Kriege im Nahen Osten, auf dem Balkan und in Zentralasien zu führen, mit denen sie ihre Konkurrenten untergraben wollten.

Angesichts des rapiden wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas steuert die Obama-Regierung jetzt in unverantwortlicher Weise in der gesamten asiatischen Region auf eine Konfrontation mit dem potenziellen globalen Rivalen zu.

Rasch zeigen sich die Bruchlinien neuer Konflikte. Sie werden die Menschheit, so lange der Kapitalismus existiert, in einen neuen und katastrophalen Weltkrieg stürzen. Niemals zuvor war die Weltwirtschaft so eng ineinander verwoben. Doch diese enge Verknüpfung hat die Konflikte und Widersprüche im überkommenen Nationalstaatensystem nur zusätzlich verschärft.

Es ist kein Zufall, dass die tiefen Spannungen in Australien eine besonders explosive Form annehmen. Kein anderes Land auf der Welt ist so sehr von China als Exportmarkt für seine Waren (Eisenerz, Kohle und Mineralien) abhängig und verlässt sich gleichzeitig so sehr auf die Stärke des US-Imperialismus als Garanten der eigenen strategischen Interessen.

Keines dieser Probleme kann öffentlich diskutiert werden, denn genau das würde das Dilemma nur verschlimmern und die Arbeiterklasse auf die Gefahren aufmerksam machen, die ihr drohen.

Weit davon entfernt, ein persönliches Zerwürfnis dazustellen, muss die politische Krise in Australien Arbeitern und Jugendlichen in aller Welt als Warnung vor der wachsenden Kriegsgefahr dienen. Es zeigt die Notwendigkeit, die Arbeiterklasse international zum Sturz des kapitalistischen Systems zusammenzuschließen und Arbeiterregierungen auf der Grundlage des Programms des sozialistischen Internationalismus zu errichten.

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