Perspektive

Occupy-Bewegung am 1. Mai: Politik des Establishments

Am 1. Mai organisierte die Occupy-Wall-Street-Bewegung eine Reihe von Demonstrationen in mehreren amerikanischen Städten. Die Proteste blieben meistens sehr klein und sofern sie erkennbare politische Konzepte darlegten, stellten diese keine Bedrohung für die beiden Wirtschaftsparteien dar. Stattdessen kombinierte sich in ihnen die Unernsthaftigkeit anarchistischer Gruppen mit den durchgeplanten, reaktionären Inszenierungen der Gewerkschaften.

Die Demonstrationen wurden als „Generalstreik“ bezeichnet, waren aber nichts dergleichen. In Washington DC beispielsweise taten sich die Organisation Anarchist Alliance DC Network und das Occupy DC Labor Committee mit dem Gewerkschaftsbund AFL-CIO und der Amalgamated Transit Union zusammen. Sie veranstalteten „einen Nachmittag mit Spielen, Livemusik, Theater, Workshops und Picknick, gefolgt von einer Radtour, Kundgebung und Demonstration“, wie es auf der Webseite von Occupy DC hieß.

Die Sprache der Occupy-Bewegung, und die Bewegung selbst, wurden in nur sechs Monaten in das politische Establishment integriert. Was noch übrig ist, wurde in eine reine Werbekampagne für Obamas Wiederwahl verwandelt.

Dieser Prozess zeigt sich am offensten an einer Gruppe namens „99% Spring“ (Frühling der 99 Prozent), die von der Bewegung Moveon.org der Demokratischen Partei mit Unterstützung aller großen Gewerkschaften und liberalen Vereinigungen gegründet wurde. Die Führungskräfte dieser Dachorganisation kommen größtenteils aus den Kräften, die im letzten Herbst an Besetzungen teilgenommen haben.

Zu den Unterstützern von 99% Spring gehören AFL-CIO-Chef Richard Trumka; Bob King von den United Auto Workers, Randi Weingarten von der American Federation of Teachers und viele andere. Die Gruppe hat Workshops zum Thema „ziviler Ungehorsam“ organisiert, um Proteste vor Vorstandssitzungen von Unternehmen und ähnliche Aktionen vor der Wahl im November vorzubereiten.

Der „Generalstreik“ zum 1. Mai wurde von liberalen Publikationen wie der Nation, die fieberhaft für Obamas Wiederwahl werben, unterstützt. Über die Proteste wurde in den Medien allgemein wohlwollend berichtet.

Wie lässt sich dieser Prozess erklären? Als die Occupy-Proteste letzten September begannen, gewannen sie schnell großen Rückhalt. In ihren Parolen, in denen „die 99 Prozent“ dem obersten einen Prozent gegenübergestellt wurden, drückte sich der immense Hass der Bevölkerung gegenüber Ungleichheit und der Dominanz der Wall Street über die amerikanische Wirtschaft und Politik aus. Teilweise beteiligten sich bedeutende Teile der Arbeiter und Studenten an ihnen, beispielsweise als im November Studenten der University of California in Davis mit Pfefferspray besprüht wurden.

Das politische Establishment und seine diversen Hilfsorganisationen – darunter die Gewerkschaften, die liberale Presse und pseudolinke Gruppen wie die International Socialist Organization – reagierten darauf, indem sie recht offen versuchten, die Kontrolle über die Proteste zu erlangen, ihre Sprache anzupassen, sie von jeglichem oppositionellen Inhalt zu befreien und mit der politischen Unterstützung für die Demokratische Partei kompatibel zu machen.

Die Perspektive der Organisatoren der Occupy-Proteste machte es allerdings leicht, sie zu diesem Zweck zu missbrauchen. Die Forderungen „Keine Politik“ und „keine Führung“, die von den dominanten Elementen der Occupy-Gruppen endlos verbreitet wurden, machten sie durchaus mit der Politik des Establishments von Demokratischer Partei und Gewerkschaftsapparat vereinbar. Was wirklich gemeint war, war: Keine unabhängige Politik und keine unabhängige Führung.

Die soziale und politische Perspektive der Hauptverantwortlichen der Proteste zeigte sich schnell. Trotz der radikalen Phrasen steckte hinter den Protesten letztlich nur die Unzufriedenheit über die Verteilung des Reichtums am oberen Ende der Gesellschaft, jedoch kein Kampf für die radikale Umorganisierung der Wirtschaft als Ganzes. Der Slogan „99 Prozent“ wies darauf hin, da er die tiefe Spaltung zwischen der großen Mehrheit der Bevölkerung, d.h. der Arbeiterklasse, und den privilegierteren Teilen der oberen Mittelschicht überdeckte, den oberen zehn oder fünf Prozent.

Die Politik der Occupy-Veranstalter ist geprägt von einer tiefen Feindseligkeit gegenüber der Arbeiterklasse, der sie die Schuld an ihrer eigenen Unterdrückung geben. Das einzige, was sie alle sicher nicht sehen wollen, ist eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse.

Diese Erfahrung birgt wichtige Lehren. Viele, die anfangs von den Occupy-Protesten angetan waren, weil sie eine Möglichkeit suchten, gegen Ungleichheit und die Vorherrschaft der Wirtschafts- und Finanzelite zu kämpfen, fanden sie aber nicht. Jetzt stehen sie vor der Tatsache, dass eine echte Oppositionsbewegung auf einer völlig anderen Grundlage entwickelt werden muss: Durch die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System.

Die Degeneration der Occupy-Bewegung findet in einer Lage statt, in der sich die wirtschaftliche und soziale Krise der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung verschärft. Der äußerst schwache „Aufschwung“, von dem die große Mehrheit in keiner Weise profitiert, weicht einem neuen Abschwung.

Die herrschende Klasse führt einen drastischen Angriff auf die grundlegendsten Rechte der Arbeiterklasse. Egal wer die Wahl im November gewinnt, Obama oder Romney, er wird die Angriffe auf das Gesundheitswesen und andere Sozialprogramme verschärfen. Gleichzeitig planen die politischen Vertreter der Wirtschafts- und Finanzelite neue Angriffskriege und Angriffe auf die grundlegendsten demokratischen Rechte.

Gegen diesen Angriff muss die Arbeiterklasse ihre eigene unabhängige Führung und ihr eigenes Programm entwickeln. Sie braucht nicht die selbstzufriedene und konformistische Politik der Occupy-Bewegung, sondern das Programm des revolutionären Sozialismus. Das geht davon aus, dass die Arbeiterklasse ihre Interessen nur verteidigen kann, wenn sie in den Vereinigten Staaten und weltweit die Macht übernimmt und die Gesellschaft rationell und demokratisch organisiert. Das Prinzip muss sein, dass soziale Bedürfnisse wichtiger sind als private Profite.

Die einzige Organisation, die für dieses Programm kämpft, ist die Socialist Equality Party. Dazu tritt sie bei der Wahl 2012 an. Wir rufen alle Arbeiter und Jugendlichen, die einen Weg vorwärts suchen, dazu auf, unseren Wahlkampf zu unterstützen und den Kampf für den Sozialismus aufzunehmen.

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