Die Zeitung The Nation und Obamas Wahlkampf

Wenige Wochen vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl am 6. November verstärkt das Magazin Nation seine Kampagne für Obamas Wiederwahl.

Vor vier Jahren feierte die Nation, dieses Flaggschiff linksliberaler Symphatisanten der Demokratischen Partei, die Wahl Obamas als Wende, welche die rechte Meinungsmehrheit in der amerikanischen Politik beenden werde. „Täuscht euch nicht“, schrieb die Redakteurin Katrina vanden Heuvel im August 2008, nachdem Obama zum Präsidentschaftskandidaten nominiert worden war, „seine Wahl wird eine neue Ära der Reformen einläuten“.

Als die Nation in der Wahl 2008 für Obama die Werbetrommel rührte, fand dieser mit seinem Appell an „Hoffnung“ und „Wandel“ noch einigen Anklang in der Bevölkerung, vor allem unter jungen Menschen. Darin spiegelte sich ein tiefer Hass auf die Politik der Bush-Regierung und die Vorstellung, ein Afroamerikaner habe mehr Verständnis für die Nöte der arbeitenden Bevölkerung. Die Demokraten und ihre „linken“ Unterstützer wie die Nation behaupteten damals, Obamas Wahlsieg werde die amerikanische Politik grundlegend verändern.

Jetzt, vier Jahre später, sind diese Illusionen zerplatzt. Der echte Rückhalt in der Bevölkerung ist durch die Politik der Obama-Regierung selbst größtenteils verschwunden. Damit müssen sich Obamas angeblich „linke“ Unterstützer konfrontieren, auch wenn sie selbst seine Wiederwahl noch genauso entschieden unterstützen. Dadurch bekommen ihre Argumente etwas Verlogenes und in sich Widersprüchliches.

Die Ausgabe der Nation vom 22. Oktober, die zehn Artikel von verschiedenen Nation-Autoren und „linken“ Aktivisten enthält, ist der Aufgabe gewidmet, zugunsten von Obamas Wiederwahl zu argumentieren. Der Hauptartikel von Deepak Bhargava trägt die Überschrift „Warum Obama?“ Bhargava ist leitender Direktor des Center for Community Change, einer Organisation „zur Gemeinschaftsbildung“ mit engen Beziehungen zur Demokratischen Partei.

Die Argumente der Nation für Obamas Wiederwahl folgen in etwa dem folgenden Muster: Es stimmt, Obama hat ein paar „enttäuschende“ Dinge getan, aber sie werden von positiven und „progressiven“ Dingen wettgemacht. Allen Bedenken zum Trotz ist es notwendig, „sich ohne Ambivalenz in dieser Wahl zu engagieren“, schreibt Bhargava, denn „eine Niederlage wäre für die progressiven Ziele und die progressive Bewegung katastrophal.“

Wirtschaftliche und soziale Verwüstungen, Bankenrettungen, die Ausweitung von Kriegen, Polizeistaatsmaßnahmen, umfassende Angriffe auf Lehrer, Autoarbeiter und Arbeiter im Allgemeinen – dies alles fassen die Nation und ihre Autoren unter die beschönigende Kategorie „Enttäuschungen“.

Bhargava räumt beispielsweise ein, der Regierung sei es nicht gelungen, „die Wall Street für den Zusammenbruch der Wirtschaft zur Verantwortung zu ziehen“, während sie gleichzeitig für die „Millionen von Hausbesitzern, denen die Zwangsräumung droht, nichts unternommen“ habe.

Robert Boursage, der einen Artikel in derselben Ausgabe schreibt, gibt zu, dass sich die Regierung „mitten in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit, wachsender Armut und sinkender Löhne (...) der Sparpolitik zugewandt hat. [Obama] hat sich früh dem ‚Konsens der Eliten‘ zum Thema Sparen angeschlossen und gezeigt, dass er bereit ist, die Sozial- und Krankenversicherungen Social Security, Medicare und Medicaid ‚als Verhandlungsmasse‘ zu sehen.“

Über die Angriffe der Regierung auf die Bill of Rights (Amerikas Freiheitsurkunde) schreibt Bhargava, Obama habe es „nicht geschafft (...) die Aushöhlung der Bürgerrechte im Krieg gegen den Terror rückgängig zu machen“. Zu diesem „Versagen“ gehöre auch, dass er die Politik der Inlandsspionage der Bush-Regierung fortgesetzt habe, Guantanamo Bay weiter bestehen lasse und es ablehne, die Verantwortlichen für Folter strafrechtlich zu verfolgen.

Bhargava spielt das Ausmaß der Angriffe Obamas auf die demokratischen Rechte herunter; er bezeichnet sie als Tatenlosigkeit, obwohl die derzeitige Regierung in Wirklichkeit die Polizeibefugnisse, die Bush bereits erweiterte, noch einmal ausgeweitet hat.

Darunter fällt auch Obamas Anspruch auf „das Recht“ des Präsidenten, jede beliebige Person, selbst amerikanische Staatsbürger, ohne gerichtliches Verfahren ermorden zu lassen. Die Nation geht auf Stimmenfang für einen Mann, der wöchentlich Konferenzen abhält, auf denen er persönlich Drohnen-Anschläge anordnet, obwohl er weiß, dass dabei unschuldige Männer, Frauen und Kinder sterben werden.

Was sind die angeblichen „Errungenschaften“, auf die sich die Nation beruft? Sie lassen sich in zwei Hauptkategorien einteilen: Rechte Politik, die als „Reform“ daherkommt, und symbolische Maßnahmen, die das linksliberale Milieu zufriedenstellen und sein Bedürfnis nach Lebensstil- und Identitäts-Politik bedienen.

Die wichtigste „Errungenschaft“ ist Obamas Gesundheitsreform, die laut Bhargava „35 Millionen Menschen mit einer Krankenversicherung versorgen wird“. Tatsächlich verlangt Obamas Gesundheitsreform von den Menschen, Privatversicherungen abzuschließen, andernfalls droht ihnen eine Geldstrafe. Damit wird die Position der Versicherungskonzerne gestärkt. Der Hauptzweck dieser Maßnahmen ist es, die Kosten des Gesundheitswesens für Regierung und private Konzerne zu senken.

Die Autoren der Nation schreiben nichts von den hunderten Milliarden Dollar, die im Rahmen von Obamas Plan bei Medicare gekürzt werden, oder von der Kampagne der Demokraten gegen angeblich „unnötige“ Untersuchungen und Behandlungen. Auch verschweigen sie die Pläne beider Parteien, nach der Wahl Billionen Dollar bei den Ausgaben im Inland zu kürzen, unter anderem durch tiefe Einschnitte bei Medicare, Medicaid und Social Security.

Die zweite Kategorie von „Errungenschaften“ besteht aus Vergünstigungen der Regierung für ihre kleinbürgerlichen „linken“ Unterstützer, wobei jede einzelne Wählerschicht, aus dem dieses politische Milieu besteht, bedient wird.

Mehrere Artikel berufen sich auf das, was Bhargava als Obamas „Aktion zum Schutz von über einer Million jugendlicher Immigranten vor der Abschiebung“ bezeichnet. Dieses Manöver ist aber völlig zynisch, denn es zwingt junge illegale Immigranten, strenge Auswahlkriterien zu erfüllen und sich beim Ministerium für Heimatschutz zu melden, in der Hoffnung, eine zweijährige Schonfrist vor der Abschiebung zu erhalten. Viele setzen sich und ihre Familien gerade damit einer möglichen Strafverfolgung aus.

In ihrer Verteidigung Obamas versteigt sich die Nation zu absurden Widersprüchen. Laut Bhargava verteidige Obama jugendliche Einwanderer, sorge aber gleichzeitig für einen „alarmierenden Anstieg der Abschiebungen“. Die Regierung habe angeblich bedeutende „Finanzreformen“ durchgeführt, obwohl sie es nicht geschafft habe, „die Wall Street für den Zusammenbruch der Wirtschaft zur Verantwortung zu ziehen“.

Dann wäre da noch Obamas Aufhebung der Diskriminierung von Homosexuellen im Militär. Er machte Schluss mit der Politik, bekannt unter dem Namen „Don’t ask, don’t tell“ (Frage nicht, sage nichts), die es bisher bekennenden Schwulen verbot, im Militär zu dienen. Gelobt wird auch Obamas ausdrückliche Unterstützung gleichgeschlechtlicher Ehen, obwohl diese Reformen die Regierung nichts gekostet haben.

Diese Maßnahmen sind vollkommen mit den Interessen der Finanzaristokratie vereinbar. Insofern es um demokratische Fragen geht, versucht die Nation kein einziges Mal zu erklären, wie demokratische Rechte von einer Partei verteidigt werden können, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Interessen der Wirtschaftselite zu dienen, die den Lebensstandard der breiten Masse senkt und ein schwindelerregendes Ausmaß an sozialer Ungleichheit aufrechterhält.

Wie im Jahr 2008 stützt sich Obamas Wiederwahl in erster Linie auf die Tatsache, dass er Afroamerikaner ist. Für die Demokraten in den Vereinigten Staaten ist die Hautfarbe seit Jahrzehnten ein wichtiges Kriterium. Die Tatsache, dass der Präsident schwarz ist, wurde als Höhepunkt des sozialen Fortschritts bejubelt, auch wenn gleichzeitig die große Mehrheit der Afroamerikaner unter verheerender Armut und Arbeitslosigkeit leiden.

Ein besonders plumpes Beispiel für diese rassenpolitische Kampagne liefert Bill Fletcher, ein ehemaliger Assistent von AFL-CIO-Präsident John Sweeney und Mitbegründer von „Progressive für Obama“. Er schreibt: „In der Wahl 2012 geht es nicht um Obama und Obamas Bilanz“, sondern darum, den Republikanern, die sich auf „Rassisten und die Ängstlichen im weißen Amerika“ stützen, etwas entgegenzusetzen. Diese Rassisten „hassen nicht nur die Vorstellung, dass ein Afroamerikaner als Präsident einer sogenannten weißen Republik fungiert; sie haben entsetzliche Angst davor, dass sich die Bevölkerungsstatistik im Land zugunsten der Farbigen ändert.“

Dieser Rückgriff auf Rassenpolitik soll jeden Widerstand gegen Obama – vor allem aus der Arbeiterklasse – als rassistisch deklassieren.

Auffallend ist, dass in keinem Artikel der Nation versucht wird, die Militärpolitik einer ernsthaften Analyse zu unterziehen. Man findet höchstens Anspielungen darauf, dass die Regierung angeblich den Irakkrieg „beende“. Der Grund dafür ist, dass die Nation und die sozialen Kräfte, die sie repräsentiert, die Ausweitung des Kriegs durch die Regierung in vollem Umfang unterstützen, wozu auch der Überfall auf Libyen und das gegenwärtige Schüren des Bürgerkriegs in Syrien gehört.

Keiner der Autoren erwähnt die Pläne für einen Militärschlag gegen den Iran, die jetzt schon anlaufen. Sie sind nicht davon abhängig, wer gewählt werden wird. Ein solcher Krieg könnte sich schnell zu einem Konflikt mit China und Russland ausweiten, doch die Nation würde auch dann noch eine Möglichkeit finden, ihn zu unterstützen.

Alle Argumente, Spitzfindigkeiten und Lügen der Nation laufen darauf hinaus, es sei notwendig, Obama zu unterstützen, um die Errungenschaften der „Progressiven“ zu verteidigen. Ein Autor erklärt: „Ein Sieg der Republikaner raubt uns den Sauerstoff, den die progressive Bewegung braucht, um tiefere und umfangreichere Wurzeln zu entwickeln.“

Was ist diese „progressive Bewegung“? Es geht dabei tatsächlich um soziale Interessen, aber diese haben nichts mit der Arbeiterklasse zu tun.

Die Nation spricht für die obere Mittelschicht, der es unter Obama ziemlich gut ging: Teile der Gewerkschaftsbürokratie, fest angestellte Professoren der Eliteuniversitäten, gut bezahlte Journalisten aus dem Dunstkreis des politischen Establishments und den Ideenfabriken der Demokratischen Partei, bessergestellte Teile der Minderheiten. Obama hat ihnen „Raum“ gegeben und ihre Dienste angefordert, um die Arbeiterklasse zu kontrollieren und die politische Ordnung aufrecht zu erhalten.

Sie fürchten Romneys Wahlsieg, aber nicht wegen seines brutalen, arbeiterfeindlichen Programms, das Obama teilt, sondern sie machen sich Sorgen um ihre eigenen Positionen und Privilegien, die mit dem Schicksal der Demokratischen Partei verbunden sind. Letzten Endes ist die arbeiterfeindliche und militaristische Politik der Obama-Regierung keineswegs eine Enttäuschung. Die Autoren der Nation machen sich mehr Sorgen über die Gefahr einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse als über Lohnsenkungen, Arbeitslosigkeit und Angriffe auf Bildung und Gesundheitswesen.

Die obere Mittelschicht, für welche die Nation spricht, reagiert empfindlich auf die Möglichkeit einer Bewegung von unten, die sich außerhalb der Demokratischen Partei entwickeln würde. Sie würde ihre eigene Stellung bedrohen. Ihre sozialen Probleme und ihre Opposition gegen die Republikaner spiegeln ihre Unzufriedenheit damit wider, wie der Reichtum innerhalb der obersten zehn Prozent verteilt wird, und nicht um die Tatsache, dass der Lebensstandard der unteren sechzig Prozent gesenkt wird. Eine wirklich demokratische Alternative zum Zweiparteiensystem – das heißt eine sozialistische Alternative – kommt für sie nicht in Frage.

Die Wahlen, dieser undemokratische und in hohem Maße manipulierte Wettkampf zwischen zwei rechten Vertretern der amerikanischen Finanzoligarchie, lässt den Arbeitern und Jugendlichen keine echte Wahl. Aber es geht nicht, wie die Nation es formulieren würde, um die Wahl des „kleineren Übels“. Es geht darum, eine sozialistische Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System zu entwickeln, denn es ist unfähig, die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen. Es geht um den Kampf gegen das politische Establishment, das dieses System verteidigt, und zu dem auch die Nation mit ihrem Umfeld gehört.

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