Fiat-Werk im polnischen Tychy vor dem Aus

Der italienische Autobauer Fiat streicht in seinem Werk im polnischen Tychy 1.450 von 4.900 Stellen. Im größten europäischen Werk des Fiat-Konzerns, das als eines der modernsten und produktivsten gilt, fällt damit jeder dritte Arbeitsplatz weg. Dem Werk, in dem unter anderem der Fiat 500 gebaut wird, droht auf absehbare Zeit die Schließung.

Fiat ist einer der größten Arbeitgeber in Schlesien, einer Region, in der seit zwei Jahrzehnten eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Die Schließung des Werks würde die Arbeitslosenzahlen noch einmal deutlich erhöhen. In den Zulieferbetrieben stehen 40.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Der Arbeitsplatzabbau steht im Zusammenhang mit den Plänen der Konzernleitung, die Produktion des Fiat Panda aus Polen abzuziehen und ins italienische Pomigliano d'Arco zu verlagern. „Die Auswahl der abzubauenden Mitarbeiter geschieht auf Grundlage einer komplexen Bewertung ihrer Arbeitsleistung“, erklärte der Sprecher des Betriebs Boguslaw Cieslar. Fiat begründete diese Maßnahme mit Überkapazitäten, die aus dem Zusammenbruch des europäischen Automarkts in den letzten vier Jahren entstanden seien.

Im Januar teilte der Verband der europäischen Autokonzerne ACEA mit, dass die Branche im Jahr 2012 8,2 Prozent weniger Autos als im Vorjahr verkaufen konnte. Die Zahl der Neuwagen sank damit auf den niedrigsten Stand seit 1995. Allein im Dezember des vergangenen Jahres wurden in Europa 16,3 Prozent weniger Autos neu zugelassen als noch im Dezember 2011. In Spanien und Italien konnte beinahe jeder vierte Wagen nicht verkauft werden; in Griechenland brachen die Verkaufszahlen 2012 sogar um 40 Prozent ein.

Der Absatz des Werks in Tychy ist von 600.000 Autos im Jahr 2009 innerhalb von drei Jahren auf 350.000 geschrumpft. Für das laufende Jahr rechnet Fiat nur noch mit einer Produktion von 250.000 Autos. Statt der üblichen drei Schichten arbeiten die Beschäftigten mittlerweile nur noch im Zweischichtbetrieb. Die Produktion des Ford Ka, der die gleiche Plattform wie der Fiat 500 hat und ebenfalls in Tychy gebaut wird, soll nach Rumänien verlegt werden. Wie in vielen anderen europäischen Betrieben kündigt sich im Werk eine Schließung auf Raten an.

Die Gewerkschaft Solidarnosc hat mit Fiat eine Vereinbarung über den Abbau von 1.450 Stellen unterschrieben. Sie bezeichnet das als „Erfolg“, weil das Unternehmen anfangs den Abbau von 1.500 Stellen gefordert hatte. Die Gewerkschaft begründete ihre Zustimmung zu der Vereinbarung damit, dass von einem Job bei Fiat etwa vier Jobs in den Zulieferbetrieben abhängen.

Bei Johnson Controls, einem der Zulieferer des Werks, führte Solidarnosc ebenfalls Gespräche über den dort geplanten Stellenabbau. Auch dort akzeptierte sie den Abbau und erklärte, sie wolle die Zahl der Entlassungen in Grenzen halten und höhere Abfindungen aushandeln.

Die Arbeiter in Tychy wurden in den letzten Jahren immer wieder zu Einschnitten gedrängt. Die Geschäftsleitung hat ihnen Prämien gekürzt; wenn die Produktion heruntergefahren wurde, mussten sie Urlaub nehmen. In Interviews geben sie an, dass sie mit der Fabrik das Gefühl eines „Arbeitslagers“ verbinden.

Die Produktionsanlage in Tychy wurde Anfang der 1970er Jahre vom staatlichen Unternehmen Fabryka Samochodów Małolitrażowych (FSM, „Fabrik für Fahrzeuge mit kleinem Hubraum“) gegründet. Seit 1980 wurde dort auch der Polski Fiat 126 in Lizenz hergestellt.

Mit der einsetzenden Privatisierungswelle nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes kam 1992 auch das Werk in Tychy in die Hände eines privaten Unternehmens, der Firma Fiat Auto Poland. Der Standort Tychy war für Fiat vor allem aufgrund der Verfügbarkeit von billigen Arbeitskräften und seiner Lage in der Sonderwirtschaftszone Kattowitz attraktiv, die als faktisch exterritoriales Gebiet kaum Steuern erhebt.

Gegen die Privatisierung und die damit verbundene erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen regte sich 1992 der Widerstand der Beschäftigten. Die Arbeiter bestreikten das Werk und hielten es mehrere Wochen lang besetzt. Der Widerstand entglitt der Kontrolle der Solidarnosc. Kleinere und radikaler auftretende Gewerkschaften wie Solidarnosc 80 übernahmen die Kontrolle und erklärten den Streik nach einigen Zugeständnissen an die Beschäftigten für beendet. Fiat setzte die Privatisierung gegen den Willen der Beschäftigten durch. Tausende Arbeiter wurden in der Folgezeit entlassen.

Eine Gruppe von Funktionären der Solidarnosc 80 gründete nach dem Streik 1992 die syndikalistische Gewerkschaft August '80, um nach eigenen Angaben gegen die Privatisierung und die Restauration des Kapitalismus in Polen zu kämpfen. Sie ist auch heute noch bei Fiat in Tychy aktiv.

August '80 arbeitete in ihrer Geschichte mehrmals mit rechtsextremen Parteien wie der „Konföderation des unabhängigen Polen“ und der französischen Nationalen Front zusammen und vertrat offen nationalistische Standpunkte. 2001 ging aus ihr die pseudolinke Polnische Partei der Arbeit hervor. August '80 ist bis heute eng mit ihr verbunden. Die Aufgabe von August '80 besteht nach wie vor darin, der wachsenden Empörung der Arbeiter gewerkschaftliche Ketten anzulegen und sie ins Fahrwasser von Solidarnosc zurückzuführen.

„Wir konnten damals die Privatisierung des Unternehmens nicht verhindern“, kommentierte Krysztof Mordasiewicz das Jahr 1992 im vergangenen Dezember. Mordasiewicz ist neben Franciszek Gierot einer der führenden Sprecher von August '80. Es sei aber gelungen, den Gesundheitsdienst des Betriebes und ein Erholungszentrum für die Beschäftigten zu retten.

Als 2010 Gerüchte auftauchten, die Geschäftsleitung plane, die Produktion des Fiat Panda aus Polen nach Italien zu holen, beschränkte sich August '80 auf einen Appell an den damaligen polnischen Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak und warnte ihn vor den Plänen der Geschäftsleitung.

Die italienischen Gewerkschaften im italienischen Pomigliano und die Fiat-Konzernspitze haben ihrerseits die polnischen Arbeitsbedingungen als Hebel eingesetzt, um die italienischen Arbeiter zu Zugeständnissen zu zwingen. Die Gewerkschaften haben die über Jahrzehnte erkämpften sozialen Errungenschaften der Arbeiter verkauft, um die Gunst Fiats zu gewinnen und den Blick der Geschäftsleitung nach Italien zu lenken. Mit ihrer nationalistischen Perspektive haben sie immer wieder sowohl die Fiat-Arbeiter als auch die Beschäftigten der Fiat-Tochter Chrysler gegeneinander ausgespielt.

Die Wut der Arbeiter auf die Gewerkschaften, die die Angriffe der Geschäftsleitung gegen die Arbeiter durchsetzen, ist entsprechend groß. Die Arbeiter wissen, dass auch die jüngsten Verhandlungen mit Fiat über den Stellenabbau in Tychy ein abgekartetes Spiel waren und lediglich Symbolcharakter hatten.

Franciszek Gierot von August '80 meint, die Arbeiter könnten mit den jetzt beschlossenen Angriffen noch zufrieden sein. Die Gewerkschaft habe in den letzten drei Jahren schon viel erreicht. Das ist richtig. Die Lohnkürzungen und der tausendfache Stellen- und Sozialabbau gehen auf ihr Konto.

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