PSG-Team sammelt Unterstützungsunterschriften in Rüsselsheim

Die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) sammelt zurzeit Unterschriften für ihre Teilnahme an der Bundestagswahl im kommenden September. Vergangenen Samstag war ein Team in Rüsselsheim südlich von Frankfurt unterwegs. Die Stadt mit rund 60.000 Einwohnern ist vom Stammsitz der Opelwerke, einer Tochter von General Motors, und dessen Entwicklung geprägt.

Ein Sprichwort hier lautet: „Wenn Opel hustet, kriegt Rüsselsheim die Grippe.“ So hat die Stadt denn die Autokrise voll zu spüren bekommen. Sie sieht sich heute durch die Verschuldung gezwungen, den Schutzschirm der Landesregierung in Anspruch zu nehmen, und die Bewohner fürchten um öffentliche Arbeitsplätze und Einrichtungen wie das Stadttheater, die Stadtbibliothek, das Schwimmbad und die Musikschule.

Opel-Hauptportal mit Denkmal des Gründers Adam Opel

Im Wohnviertel Dicker Busch II, wo das PSG-Team Unterschriften sammelt, leben zahlreiche Opel-Arbeiter mit ihren Familien, weshalb das PSG-Team gleichzeitig die aktuelle Ausgabe des Autoarbeiter-Info verteilt. Auch dieser Stadtteil ist von der Krise betroffen: Mehrere Läden, darunter die Schlecker-Filiale, sind zu, die Walter-Köbel-Sporthalle und das Stadtteilbüro von Schließung bedroht.

Die Menschen, die hier stehen bleiben, bilden ein internationales Publikum: neben hier Geborenen oder Zugezogenen aus Nordhessen und der ehemaligen DDR stammen viele aus der Türkei, aus Polen, Italien, Tunesien, Marokko, Äthiopien oder andern Ländern. Fast jeder hat einen oder mehrere Opel-Arbeiter in der Familie oder im Freundeskreis.

Viele unterschreiben für die Wahlteilnahme der Partei für Soziale Gleichheit. „Für uns hier ist es egal, ob CDU oder SPD die Wahlen gewinnt“, hört man oft. „Die vertreten alle nicht die einfachen Arbeiter.“ Auf die Schließung von Opel in Bochum angesprochen, drücken fast alle ihre Betroffenheit aus, und viele sind empört darüber, dass die IG Metall das nicht nur zulässt, sondern offensichtlich mit organisiert.

Leila

Leila findet es „wirklich hart“, dass Opel Bochum geschlossen wird. „Mehr als dreitausend Arbeiter sind davon betroffen.“ Ihr Vater, heute ein Rentner, hat dreißig Jahre bei Opel gearbeitet. Auch sie selbst war einmal für etwa ein Jahr dort beschäftigt.

Auf die Rolle der IG Metall angesprochen, sagt Leila: „Von einer Gewerkschaft würde man eigentlich erwarten, dass sie auf der Seite der Arbeiter steht. Es ist richtig, dass Leute jetzt austreten; die IG Metall hat es nicht anders verdient. Arbeiter müssten sich weltweit, über die nationalen Grenzen hinweg, zusammenschließen, um ihre Rechte zu verteidigen.“

„Ich bin aus der IG Metall ausgetreten“, sagt uns Mo, der seit zwanzig Jahren im Opel-Servicezentrum arbeitet. „Ich habe hier schon meine Lehre gemacht. Aus der Gewerkschaft bin ich ausgetreten, weil wir seit zwanzig Jahren nur Lohnverzicht üben müssen. Selbst wenn es gut läuft, kriegen wir niemals Gewinnbeteiligung. Nur die Manager profitieren, und natürlich die führenden Betriebsräte.“

Mo ist besonders sauer aufgestoßen, dass die IG Metall dafür sorgte, dass ihre eigenen Mitglieder eine Prämie erhielten, aber alle andern nicht.

Mo berichtet: „Am Band werden jetzt fast nur noch Leiharbeiter eingestellt. Die verdienen zwar nicht ganz so schlecht, wie man das jetzt von Mercedes hört: sie kriegen zwischen zwölf und fünfzehn Euro die Stunde. Diese Arbeiter haben immer nur einen Zeitvertrag über sechs Monate.“

Viele Arbeiter bestätigen, dass zahlreiche Subunternehmer die Hallen bevölkern, und jeder zahlt einen andern Tarif. So arbeiten Kollegen zu den unterschiedlichsten Bedingungen Hand in Hand.

Mo berichtet von Arbeitern, die für eine Fremdfirma in der Anlieferung arbeiten: „Sie haben sehr schlechte Löhne. Die entlassen jemanden von heute auf morgen, wenn er krank ist. Keine Gewerkschaft kümmert sich um sie.“ Er habe selbst Kollegen, die bei dieser Firma gearbeitet und wieder aufgehört hätten.

„Früher waren das alles auch Opelaner“, wirft Gunter B., ein älterer Opelarbeiter, ein. Er ist seit 37 Jahren im Werk und arbeitet in der Entwicklung. „Wir waren hier einmal 43.000 Beschäftigte bei Opel! Heute ist es noch ein Drittel davon. Das mit den Leiharbeitern fing 2000 an, als das neue Werk aufgebaut wurde, bis dahin haben wir alles selbst gemacht.“

Auf die Schließung in Bochum angesprochen, sagt Mo, dies sei eine bewusste Entscheidung gegen die Bochumer Belegschaft: „Was sie mit Bochum machen, ist wirklich hart. Die Arbeiter dort haben sich immer stur gestellt, das finde ich gut. Die gehen auf die Barrikaden, wenn was nicht in Ordnung ist, und damit haben sie Recht. Opel will die Krise auf dem Rücken dieser Kollegen lösen.“

Mo fährt fort: „In Europa kaufen die Leute keine Autos mehr, weil sie nichts mehr verdienen. In Griechenland, Zypern, Italien können die Leute keine Autos mehr kaufen. Früher wurden beispielsweise in Spanien sehr viele Opel gekauft. Aber wovon sollen die Menschen das heute noch finanzieren?“

Dagmar

Auch Dagmar hat schon bittere Erfahrungen mit Opel gemacht. Ihr Mann arbeitet seit vielen Jahren bei dem Autokonzern, früher im Drei-Schicht-Betrieb, bis er einen Herzinfarkt bekam.

„Die Opel-Arbeiter verzichten hier schon seit Jahren auf Lohnerhöhung“, sagt Dagmar. „Die tarifliche Erhöhung wird einfach mit der übertariflichen Bezahlung verrechnet, und es geht Null auf Null auf. Früher konnte man vom Opel-Lohn recht gut leben. Heute müssen Arbeiter sogar zusätzlich Sozialhilfe beantragen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Es ist wirklich traurig, wenn man von seiner Hände Arbeit seine Familie nicht mehr ernähren kann.“

Auf die Gewerkschaft ist auch Dagmar nicht gut zu sprechen. „Die IG Metall hat die Seiten gewechselt“, sagt sie. „Es ist keine Arbeitergewerkschaft mehr. Sie segnen alles ab, sagen Ja und Amen und bringen ihr eigenes Schäfchen ins Trockene. Wenn ich von den Arbeitern gewählt bin, muss ich mich doch um die Arbeiter kümmern und nicht nach der Pfeife der Unternehmer tanzen.“

So laufe das schon seit zwanzig Jahren, meint Dagmar. „Die Arbeiter müssen einfach mal alle zusammen was dagegen tun. Wenn alle Arbeiter zusammenhalten würden, käme sicher was anderes raus, als was die IG Metall gerne hätte.“

Mitglieder der wsws-Redaktion gingen der Frage nach, ob tatsächlich viele Arbeiter ihre Mitgliedschaft in der IG Metall aufkündigen. Ein Betriebsrat, der selbst nicht der IG Metall angehört, bestätigte, dass er selbst in den letzten zwei Wochen von „mehr als zehn Arbeitern“ angesprochen worden sei, die alle aus der IG Metall austreten wollten. Der Hauptgrund für die Unzufriedenheit ist offenbar die Art und Weise, wie die IG Metall mit der Direktion und mit General Motors paktiert, um den Konzern umzustrukturieren und auf dem Rücken der Arbeiter Kosten zu senken und die Produktion zu steigern.

Der Opel-Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug hat den so genannten Mastervertrag mit ausgearbeitet und durchgesetzt. Er beinhaltet die Schließung des Werks in Bochum, wo 3.800 Arbeitsplätze zerstört werden, sowie Lohnverzicht und verschärfte Arbeitsbedingungen für die Belegschaften der anderen Standorte.

Die IGM-Betriebsräte legten den Mastervertrag den Mitgliedern in allen Opel-Werken zur Abstimmung vor. Obwohl viele Vertrauensleute deutlich gesagt hatten, sie würden den Vertrag ablehnen, soll er laut IGM-Führung in Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern mit einer klaren Mehrheit angenommen worden sein. Viele Arbeiter zweifeln, ob das wirklich stimmt. Zeugen aus Rüsselsheim berichten, die IGM-Führer hätten die Urnen nach der Abstimmung an sich genommen und die Stimmzettel ohne Kontrolle durch Dritte eigenhändig ausgezählt.

Die wsws sprach auch mit einem türkischen Arbeiter, der gerade aus der IG Metall ausgetreten ist. „Ich bin einer von vielen“, sagte uns Mehmet. „Mehrere meiner Kollegen kündigen jetzt ihre IG-Metall-Mitgliedschaft.“ Die Arbeiter würden mit der Arbeitslosigkeit erpresst: „Wir sollen ständig schneller arbeiten, aber das Geld reicht hinten und vorne nicht. Wir sollen Verzicht üben, weil angeblich Verluste gemacht wurden. Aber auf die Privilegien der Herren Betriebsräte hat dies offenbar keinen Einfluss.“

So sei der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Franz, nachdem er einen wichtigen Vertrag ausgehandelt hatte, plötzlich im teuren Opel-Insignia, Sportausführung mit allen Schikanen, herumkutschiert. Opel-Arbeiter dagegen erhalten seit Jahren die tariflich ausgehandelte Lohnerhöhung immer erst ein Jahr später als die andern Metallarbeiter. So tritt ab 1. Juni 2013 die Lohnerhöhung vom letzten Jahr in Kraft, und die neu vereinbarten 3,4 Prozent treten für Opel-Arbeiter erst am 1. Mai 2014 in Kraft. Bis 2011 mussten Opel-Arbeiter ein paar Jahre lang sogar auf einen Teil des Weihnachts- und Urlaubsgelds verzichten.

Schäfer-Klug hatte ausdrücklich angekündigt, der Gesamtbetriebsrat werde keinem Lohnverzicht mehr zustimmen, falls nicht sämtliche Werke auf Dauer gesichert würden. Doch das war Augenwischerei. Nun soll Bochum schon 2014 geschlossen werden und die Arbeiter werden immer noch gezwungen, auf Lohnbestandteile dauerhaft zu verzichten.

Wie Mehmet und andere berichten, ist die Arbeit in letzter Zeit immer stressiger und damit gefährlicher geworden. Unfälle nehmen zu, obwohl die Statistiken das nicht darstellen: Kleinere Unfälle würden bewusst vertuscht, sagt der Arbeiter. Er und andere Kollegen hätten das selbst erlebt: „Man wird ins Krankenzimmer geschickt und soll warten, bis die Schicht zu Ende ist, ohne dass man zum Arzt geschickt wird. Bloß keine Fehlzeiten.“ So spart die Firma Beiträge an die Berufsgenossenschaft, die sich nach der Anzahl der Krankentage richten.

Immer mehr Kollegen, beobachtet auch Mehmet, werden gar nicht mehr fest eingestellt, sondern über Fremdfirmen, die sehr viel schlechter bezahlen. Er vermutet, dass von rund 14.000 Produktionsarbeitern „nur noch etwa die Hälfte zur Stammbelegschaft gehören. Die Neueingestellten kommen fast alle über Fremdfirmen.“

Einige von ihnen hätten nicht nur richtig schlechte Löhne, sondern arbeiteten oft auch zwei Schichten hintereinander – ohne dass es offiziell registriert werde. „Dabei ist es für uns Festangestellte schon schwierig, über die Runden zu kommen“, sagt Mehmet. Er hat sechs Kinder und braucht eine große Wohnung, für die er allein schon 1.100 Euro bezahlen muss. „Das Geld reicht oft nur bis zum zwanzigsten des Monats.“

Mehmet hat ausgerechnet, was sein Lohn vor 22 Jahren wert war, als er Anfang der 1990er Jahre bei Opel angefangen hatte – und was er heute verdient. Zum Vergleich hat er das Geld in Benzin umgerechnet. „Damals hat man für fünftausend D-Mark noch über 7.700 Liter Benzin bekommen. Heute könnte ich für meinen gesamten Lohn nur noch 1.800 Liter Benzin erhalten, das ist nicht einmal ein Viertel. Wo ist der Rest geblieben?“

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