Perspektive

Obama in Berlin

Präsident Barack Obama betonte in seiner Rede in Berlin am Mittwoch, dass er der erste amerikanische Präsident sei, der auf der östlichen Seite des Brandenburger Tors spreche, im früher stalinistischen Ostberlin. Dies, erklärte Obama, symbolisiere den Triumph von „offenen Gesellschaften, die die Unverletzbarkeit des Individuums“ respektierten, über unterdrückerische politische Systeme.

Dennoch sah er sich gezwungen, ausdrücklich das von ihm geschaffene Überwachungsnetzwerk zu verteidigen, dessen massive und illegale Handlungen den Spionageapparat der Stasi weit in den Schatten stellen.

Obama griff wieder einmal zu offenen Lügen und erklärte, die Programme der National Security Agency, die die Telefondaten aller Amerikaner anfordern und die elektronischen Kommunikation mit Leuten aus aller Welt überwachen, eine rechtliche Grundlage hättenund nicht auf „die Kommunikation einfacher Menschen“ abzielen.

Das war einer der offensichtlichsten Widersprüche in einer Rede voller Banalitäten und Lügen. Obama beschwor die Ideale von „Frieden“ und „Toleranz“, während er gerade die direkte Bewaffnung islamistischer Milizen genehmigt hatte, die in Syrien sektiererische Verbrechen begehen. Er sprach von „Gerechtigkeit“, und im nächsten Atemzug von seinem Drohnen-Mordprogramm.

Er stand an der Seite von Bundeskanzlerin Merkel, die der Bevölkerung Griechenlands und vieler anderer europäischer Länder Massenarbeitslosigkeit und Armut aufzwingt, während seine eigene Regierung den Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter zerstört, und verurteilte die „Ungerechtigkeit wachsender Ungleichheit“ und „das Leid der arbeitslosen Jugendlichen.“

Diese Heuchelei entging Millionen von Menschen in Deutschland und der Welt nicht, die dem Präsidentschaftskandidaten Obama vor nicht allzu langer Zeit seine Wahlkampfparolen von „Hoffnung“ und „Wandel“ noch geglaubt hatten. Seither haben vier Jahre Krieg, Bankenrettung, Sozialabbau und endlose Angriffe auf demokratische Rechte – die eine Fortsetzung und Verschärfung der rechten Politik der Bush-Regierung sind – viel dazu getan, die Illusionen der Bevölkerung in Obama zu zerstören, die zum Zeitpunkt seiner Wahl noch herrschten.

Am Mittwoch sprach Obama vor einem ausgewählten Publikum von 4000 Menschen, dabei stand er hinter kugelsicherem Glas und zu seinem Schutz wurde Berlin praktisch unter Kriegsrecht gestellt. Als Obama vor fünf Jahren als Kandidat in Berlin sprach, versammelten sich im Tiergarten 200.000 Menschen in einer Demonstration von naivem und blindem Enthusiasmus, der „Obamamania“ genannt wurde.

Der Empfang für den Kandidaten Obama in Europa war Teil eines größeren Phänomens. Viele Menschen, vor allem Jugendliche in den USA und weltweit, wurden Opfer der massiven Marketingkampagne, mit der sich der fast unbekannte amerikanische Senator verkaufte.

Fünf Jahre später reicht es nicht aus, nur die Illusionen in Obama zu zerstören. Ernsthafte politische Lehren müssen gezogen werden, damit die Arbeiter und Jugendlichen auf künftige Entwicklungen vorbereitet sind.

Das Phänomen Obama war das Ergebnis eines Zusammenspiels aus Medienmanipulation, politischer Unerfahrenheit, Selbstbetrug und der falschen Annahme, Obama wäre durch seine afroamerikanischen Wurzeln dem Leid der arbeitenden Bevölkerung gegenüber aufgeschlossener und würde eine progressivere Politik betreiben.

Es wurde angenommen, Obamas Wahl werde den Charakter des amerikanischen Imperialismus ändern, weil er einen afrikanischstämmigen Vater hatte.

Die diversen pseudolinken Organisationen, die nicht für die Arbeiterklasse, sondern für privilegierte Schichten des Kleinbürgertums sprechen, propagierten solche bankrotten Konzepte, die das Kennzeichen der Identitätspolitik sind. Inmitten der größten Krise des amerikanischen- und des Weltkapitalismus seit den 1930ern kam Obama allen entgegen, die als „linke“ Flanke der Demokratischen Partei dienen. Die International Socialist Organization bezeichnete Obamas Wahl als „entscheidenden Wendepunkt“ und sagten einen „neuen New Deal“ voraus.

Die Propagierung solcher Illusionen spielte der herrschenden Klasse in die Hände und half ihr, Zeit zu gewinnen, um einen beispiellosen Angriff auf die sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse und eine Eskalation der militaristischen Gewalt im Nahen Osten und anderen Orten der Welt vorzubereiten. Die Einsetzung Obamas verstärkte die Kontrolle des Militär- und Geheimdienstapparates über die USA.

Obamas Rede im Juli 2008 in Berlin wurde von den Medien hochgelobt, auch von den Organen der Pseudolinken. Tatsächlich zeigte die Rede, dass trotz seiner Wahlkampfrhetorik die reaktionäre Außen- und Innenpolitik der Bush-Jahre auch unter Obama weitergehen würde.

Die World Socialist Web Site schrieb damals: „Barack Obamas Rede vor 200.000 Menschen in Berlin war ein Muster an reaktionärem Antikommunismus aus dem Kalten Krieg. Es war gleichzeitig der Versuch, dem amerikanischen imperialistischen Militarismus, dem so genannten globalen "Krieg gegen den Terror", einen neuen Rahmen zu stecken.“

„Vor dem Hintergrund einer zurechtgestutzten Geschichtsauffassung über die amerikanisch-europäischen Beziehungen der Nachkriegszeit appellierte der amerikanische Präsidentschaftskandidat an eine engere Zusammenarbeit der beiden Kontinente im Kampf gegen die "neue Gefahr" des internationalen Terrorismus. Zugleich verlangte er von den europäischen Regierungen, ihre Truppenstärke in Afghanistan zu erhöhen.“

Die Arbeiter und Jugendlichen sind heute mit beispiellosen Angriffen auf ihren Lebensstandard und ihre demokratischen Rechte konfrontiert und treten in große Kämpfe ein. Sie sollten sich fragen, was es der WSWS ermöglicht hat, den blinden Impressionismus zu vermeiden, den das Establishment, die Medien und die pseudolinken Organisationen propagierten, und den politischen Charakter und die Entwicklung Obamas richtig vorherzusagen.

Die Antwort ist, dass sie sich auf ein marxistisches Verständnis der historischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse stützt, die sie durch den Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen den Verrat des Stalinismus, der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbürokratie gesammelt hat, und ein theoretisches Verständnis für die Gesetze der Geschichte.

Eine solche Herangehensweise zeigt, dass Klassenzugehörigkeit, und nicht Hautfarbe oder sexuelle Orientierung, die treibende Kraft in der Politik ist. Obama ist genau wie alle Politiker kein frei Handelnder, dessen Politik von seinen persönlichen Attributen oder seiner individuellen Psychologie bestimmt ist, sondern der Vertreter einer herrschenden Klasse, die vor nichts halt machen wird, um ihren Reichtum und ihre Macht gegen die Arbeiterklasse zu verteidigen – eine herrschende Klasse, die außerdem über ein System herrscht, das in einer tödlichen Krise steckt.

Die grundlegende Lehre aus der Erfahrung mit Obama ist, dass eine wissenschaftliche Auswertung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ereignisse und eine revolutionäre Perspektive und Programm notwendig sind Die Arbeiterklasse muss auf Grundlage dieser Analyse den Kampf aufnehmen. Dieser Aufgabe widmen sich heute nur noch die World Socialist Web Site und die Socialist Equality Party.

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