Die NSA hat in Deutschland freie Hand

US-Geheimdienste haben in Deutschland freie Hand und dürfen mit dem Segen und Wissen der Bundsregierung alles machen. Das geht aus einem Interview mit dem Zeithistoriker Josef Foschepoth hervor, das die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat.

Foschepoth ist Geschichtsprofessor an der Universität Freiburg und Experte für die Rolle alliierter Geheimdienste im Nachkriegsdeutschland. 2012 veröffentlichte er zu diesem Thema das Buch „Überwachtes Deutschland“.

Der Historiker hält die Empörung der Bundesregierung über die von Edward Snowden enttarnten Spitzelaktivitäten amerikanischer und britischer Geheimdienste für Heuchelei. Für einen westalliierten Geheimdienst wie die National Security Agency (NSA) gebe es in Deutschland im Prinzip keine Grenzen.

„Die NSA darf in Deutschland alles machen“, erklärt Foschepoth. „Nicht nur aufgrund der Rechtslage, sondern vor allem aufgrund der intensiven Zusammenarbeit der Dienste, die schließlich immer gewollt war und in welchen Ausmaßen auch immer politisch hingenommen wurde.“

Die rechtlichen Grundlagen für die Aktivität westlicher Dienste in Deutschland gehen laut Foschepoth bis auf das Jahr 1963 zurück. Damals verpflichteten sich Deutschland und die Alliierten in einem Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut zu engster Zusammenarbeit bei der Sammlung, dem Austausch und dem Schutz von Nachrichten. Das Abkommen wurde von geheimen Vereinbarungen und einem strikten Geheimhaltungsgebot begleitet.

1968 gaben die West-Alliierten die Überwachung zwar offiziell an Deutschland ab, behielten sich aber in einer völkerrechtlich verbindlichen geheimen Zusatznote das Recht vor, weiterhin eigene Überwachungsmaßnahmen zum Schutz ihrer Streitkräfte durchzuführen. Artikel 10 des Grundgesetzes wurde gleichzeitig derart grundlegend eingeschränkt, „dass es ein Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses nicht mehr gibt“.

„Es war der Bluff des Jahres 1968“, erklärt Foschepoth. „Truppenstatut, Verwaltungsvereinbarung und geheime Note überdauerten auch die Wiedervereinigung, sie gelten bis zum heutigen Tage weiter.“

Die Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und Willy Brandt (SPD) hätten die Sonderrechte der westlichen Geheimdienste akzeptiert, weil sie nach deutscher Souveränität strebten, und Helmut Kohl (CDU), weil er die Wiedervereinigung nicht gefährden wollte. Auch die Regierungen Schröder/Fischer und die Regierung Merkel hätten die bestehenden Regelungen nicht angefasst. „Die sitzen ja alle in einem Boot, weil sie von den US-Informationen profitieren.“

Laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung unterhält die NSA in Deutschland derzeit mindestens drei Standporte – in Darmstadt, in Wiesbaden und in Stuttgart. Was die NSA dort treibe, sei Geheimsache. Es sei aber anzunehmen, „dass die in Deutschland arbeitenden NSA-Leute in Ausspähprogramme wie ‚Prism’ eingebunden sind“.

Mit den deutschen Geheimdiensten herrsche ein reger Austausch. „In Berlin, Köln und Pullach, wo die großen deutschen In- und Auslandsgeheimdienste residieren, gehen US-Geheimdienstler ein und aus“, schreibt die Süddeutsche und vermutet, dass dies auch umgekehrt der Fall sei.

In der Bundesregierung hat sich vor allem Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die der rechten Politik der FDP seit langem als liberales Feigenblatt dient, öffentlich über die Abhöraktionen der NSA empört, obwohl sie als Bundesjustizministerin die öffentlichen und geheimen Verträge kennen muss, die es der NSA erlauben, unbehelligt in Deutschland zu spionieren.

Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich in einem Gastbeitrag für die F.A.Z. wortradikal über den „Verrat an unseren Grundwerten“ entrüstet und zum Kampf gegen den „Datenkapitalismus“ aufgerufen. Tatsächlich war es sein Parteifreund Otto Schily, der als Innenminister der Regierung Schröder wie kein anderer den Geheimdienst- und Sicherheitsapparat gestärkt und ein in der Verfassung nicht existierendes „Grundrecht auf Sicherheit“ proklamiert hat.

Während Leutheusser-Schnarrenberger die Ahnungslose und Gabriel den Radikalen mimt, versuchen andere, die Entrüstung über die Spionagetätigkeit der NSA in nationalistische Kanäle zu lenken. Am offensten tut dies Jakob Augstein in seiner regelmäßigen SpiegelOnline-Kolumne, die zynischerweise „Im Zweifel links“ heißt.

„Wollen sich die Deutschen dem Joch dieser Macht mit stiller Lust beugen, wie Heinrich Manns ‚Untertan’ sie empfand? Oder wollen sie dieser Macht eine Gegenmacht entgegensetzen?“ fragt Augstein und verweist auf einen Spiegel-Essay mit dem Titel: „Warum dieses Land endlich seine Rolle als eine der mächtigsten Nationen der Welt annehmen muss“.

Als Antwort auf überbordende Geheimdienstschnüffelei die Macht des deutschen Staates stärken! Auf diese Idee kann angesichts der Tradition von preußischem Obrigkeitsstaat, Nazi-Diktatur und der Übernahme ihres Personals durch westdeutsche Justiz und Geheimdienste nur ein bornierter, geschichtsvergessener Journalist wie Augstein kommen.

Tatsächlich richten sich die Abhörmaßnahmen der NSA und der deutschen Geheimdienste, die aufs Engste zusammenarbeiten, gegen die eigene Bevölkerung. Die einzige „Gegenmacht“, die ihnen entgegentreten kann, ist die Arbeiterklasse dies- und jenseits des Atlantiks.

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