Obamas Weißbuch über NSA-Spitzelei

Am letzten Freitag hat die Obama-Regierung ein „Weißbuch“ veröffentlicht, das ihre Telefon-Überwachungsprogramme juristisch rechtfertigen soll. Das Dokument hat den offensichtlichen Zweck, die wachsende Beunruhigung in der Öffentlichkeit um die Enthüllungen des National Security Agency (NSA)-Whistleblowers Edward Snowden zu beschwichtigen. Als das „Weißbuch“ am Freitagabend auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, bemühte sich Obama, den Polizei- und Überwachungsstaat in einem freundlicheren Licht darzustellen.

Es ist wie mit allen Argumenten, die die Regierung anführt, um ihr verfassungswidriges Vorgehen zu rechtfertigen: Vor allem kommt das „Weißbuch“ wie gewünscht zum Schluss, dass die Massenüberwachung der amerikanischen Bevölkerung legal sei. Danach arbeitet es sich rückwärts durch sämtliche Rationalisierungen hindurch, welche die Autoren sich ausdenken können. Dies erinnert an frühere Arbeiten der Anwälte des Weißen Hauses zu Drohnenmorden, Folter und unbegrenzter Haft.

In diesem Fall geht es um ein Programm, das, auf dem Patriot Act basierend, das Sammeln von „Telefonie-Metadaten“ fast aller Personen in den USA erlaubt. Dazu gehören die Daten des Anrufers, die gewählte Nummer, Datum und Zeit. Mit diesen Informationen kann die Regierung detailliert die sozialen und politischen Ansichten ihrer Untertanen feststellen. Eine solche Massenanforderung von persönlichen Daten ohne besondere Genehmigung ist eine offene Verletzung des vierten Zusatzartikels der Verfassung, der zur Bill of Rights gehört. Dieser schützt gegen „unverhältnismäßige Durchsuchungen und Beschlagnahmen“ und verbietet es, ohne streng definierte Anordnung, rein auf Grund von Wahrscheinlichkeit, Daten zu sammeln.

Die Argumente, die das Weißbuch anführt, verstoßen nicht nur gegen den Inhalt der Verfassung, sondern auch gegen ihren Geist. Ursprünglich gingen die Revolutionäre, die das Dokument verfassten, davon aus, dass der Staat eine dauerhafte Gefahr für die Freiheit der Bevölkerung darstelle. Deshalb sei „ewige Wachsamkeit“ und eine Geisteshaltung kollektiven Misstrauens notwendig. Dementsprechend richteten sie zahlreiche Mechanismen ein, um das Volk vor der Regierung zu schützen. Unter anderem schränkten sie die Befugnisse der Regierung ein, die sie ausdrücklich nannten, richteten ein System von gegenseitiger Kontrolle und Ausgleich ein und verfassten die Bill of Rights.

Die Obama-Regierung geht dagegen von einer völlig anderen Prämisse aus: Der Staat wird über die Bevölkerung und ihre unveräußerlichen Rechte (wie sie in der Unabhängigkeitserklärung genannt werden) gestellt. Seine Interessen, die allgemein in der Phrase „nationale Sicherheit“ zusammengefasst werden, stehen über den individuellen Freiheitsrechten der Bevölkerung.

Die ausgefeilten Argumente, die in dem Weißbuch propagiert werden, lassen sich auf die Aufforderung „Vertraut uns!“ reduzieren. Man soll der NSA, dem FBI, dem geheimen FISA-Gericht (Foreign Intelligence Surveillance) und dem Weißen Haus vertrauen. Das Dokument legt der amerikanischen Bevölkerung nahe, sie könne ganz beruhigt sein, dass die Exekutive und das FISA-Gericht „strenge Aufsichtsstandards“ sicherstellten, um „jeden möglich Missbrauch der Daten“, welche die NSA sammelt, zu verhindern.

Diese „Aufsicht“ wird von denselben Institutionen ausgeführt, welche die massiven Spionageprogramme selbst genehmigen und unterhalten! Das ist, als würde ein Dieb seinem Opfer raten, er könne ganz beruhigt sein, denn sein gestohlenes Eigentum sei in guten Händen.

Das Weißbuch beruft sich mehrfach auf Gesetze, Regeln und Gewaltenteilung, wie sie der Kongress und das FISA-Gericht angeblich wahrnähmen, als wären die bürgerlichen Freiheiten und das Recht auf Privatsphäre dadurch sichergestellt. Aber alle diese Schutzmechanismen sind natürlich „vertraulich“ und werden im Geheimen ausgeführt.

Wir sollen also glauben, dass jene, die diese massiven Überwachungsprogramme überwachen, tadellos und von unzweifelhafter Ehrlichkeit und Integrität seien. Das ganze Argument verstößt gegen die grundlegenden demokratischen Konzepte einer „Regierung der Gesetze, nicht der Personen“.

Gleichzeitig wurde der ranghöchste amerikanische Geheimdienstler, der Direktor des Nationalen Geheimdienstes, James Clapper, erst vor kurzem der offenen Lüge überführt. Er hatte im letzten März eine eindeutig falsche Aussage vor dem Kongress gemacht, als er über das Ausmaß befragt wurde, in dem die Regierung gewöhnliche Bürger ausspioniere. Kein einziger Vertreter der Regierung oder des Kongresses schlägt vor, dass er sanktioniert werde – geschweige denn, dass man ihn wegen Meineid und Betrug der amerikanischen Bevölkerung absetze und vor Gericht bringe.

Die Sprache des Weißbuches ist sorgfältig gewählt. Es heißt darin, es sei „wichtig“, dass die Informationen, die aus den Telefongesprächen gesammelt würden, „keine Informationen über den Inhalt dieser Gespräche umfassen. Die Regierung kann durch dieses Programm Telefongespräche weder abhören noch speichern“.

Aber auch wenn dieses Programm nicht dazu berechtigt, den Inhalt von Anrufen und Internetkommunikationen abzuhören, tun dies andere Programme der NSA, wie Snowden enthüllt hat. Tatsächlich entgeht keine einzige digitale Kommunikation dem Zugriff und den Analysen der amerikanischen Geheimdienste.

Eine Lüge folgt auf die andere: „Das Programm ist sorgfältig begrenzt“ und darf für keinen anderen Zweck als „Terrorabwehr“ verwendet werden. Aber erst letzte Woche wurde gemeldet, dass die NSA Informationen an die Drogenbehörde, die Steuerfahndung und vermutlich auch an andere Behörden weitergibt. Die Behörden haben diese geheimen Daten eingesetzt, um Verhaftungen und Anklagen durchzuführen und dies vor Gericht zu verheimlichen – eine offene Verletzung von rechtsstaatlichen Verfahren.

Das Weißbuch erinnert den Leser mehrfach daran, dass das fragliche Telefon-Überwachungsprogramm „genehmigt“ und von dem FISA-Gericht „34-mal erneuert“ worden sei. Das zeigt nur noch deutlicher den undemokratischen und verfassungswidrigen Charakter des FISA-Gerichtes und seine zentrale Rolle beim Aufbau der Grundlagen eines Polizeistaates.

Diese Einrichtung ist nur dem Namen nach ein Gericht. Sie wurde als Werkzeug entwickelt, um die Verfassung zu untergraben. Sie spricht Urteile im Geheimen und legt geheime Gesetze auf Grundlage geheimer Akten und geheimer Beweise aus, während nur eine Seite anwesend ist: die Regierung. Eine Person oder Gruppe, die ins Fadenkreuz gerät, hat kein Recht, an das „Gericht“ zu appellieren oder auch nur von seinen Entscheidungen zu erfahren.

Obamas Anwälte argumentieren stets, dass demokratische Grundrechte mit den Interessen der nationalen Sicherheit „in Einklang“ gebracht werden müssten. Das Weißbuch kommt beispielsweise zum Schluss, dass „jedes vermeintliche Eindringen in die Privatsphäre“ von der Notwendigkeit wettgemacht werde, „terroristische Verschwörungen zu vereiteln“. Diese Herangehensweise betrachtet die Verfassung als eine Ansammlung von Vorschlägen und Richtlinien, an die man sich halten kann oder auch nicht, wie es gerade passt. Wenn der „Krieg gegen Terror“ es erfordert, könne man genauso gut dagegen verstoßen. Jede Diktatur argumentiert ähnlich.

Letzten Endes richtet sich das Programm, das die Obama-Regierung verteidigt, nicht gegen Terroristen, sondern gegen die amerikanische Bevölkerung. Das Bestreben der herrschenden Klasse, alle Kommunikationen zu überwachen, zeigt eine Angst, die aus der Erkenntnis erwächst, dass ihre Politik endlosen Krieges und Austerität die Bedingungen für massive Klassenkämpfe schafft. Genau diese Kämpfe müssen, geleitet von einem unabhängigen sozialistischen Programm, die Grundlage für die Verteidigung demokratischer Rechte bilden.

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