Bundesregierung stoppt Aufklärung des NSA-Skandals

Kurz vor der USA-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die deutsche Regierung deutlich gemacht, dass sie jede weitere Nachforschung über die Spitzeltätigkeit des US-Geheimdiensts NSA verhindern will.

Während die Kanzlerin am gestrigen Freitag im Weißen Haus von US-Präsident Obama empfangen wurde, erhielt der NSA-Ausschuss des Bundestags ein Gutachten der Bundesregierung zur Befragung Edward Snowdens. Auf 27 Seiten stellt die Regierung darin unmissverständlich klar, dass sie eine Anhörung Snowdens auf deutschem Boden keinesfalls dulden werde, weil sie das „Staatswohl“ gefährde.

Wie die Süddeutsche Zeitung aus dem letzten Entwurf des Schreibens zitiert, widerspreche eine Einladung des früheren NSA-Mitarbeiters „wichtigen politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ und drohe die Beziehung zu den Vereinigten Staaten dauerhaft zu gefährden. Außerdem könnte die Kooperation der deutschen Geheimdienste mit den US-Diensten „zumindest vorübergehend“ eingeschränkt werden. Deshalb „müsse das Aufklärungsinteresse hinter das Staatswohl zurücktreten“.

Diese Stellungnahme ist beachtlich. Sie stellt die Interessen der breiten Öffentlichkeit, die bis ins kleinste Detail ausspioniert wird, hinter die Interessen des Staates. Die rechtliche Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, dem Vorwurf massenhafter Spionage nachzugehen, wird einfach beiseite gewischt. Das Prinzip des „Staatswohls“ steht, wie in einem despotischen Regime, ganz offen über Recht und Verfassung.

Es läge in den Händen von Generalbundesanwalt Harald Range, ein rechtliches Verfahren gegen US-Behörden unabhängig vom NSA-Untersuchungsausschuss anzustrengen. Doch wie die Süddeutsche berichtet, ist in Regierungskreisen seit Wochen bekannt, dass bereits an einer Einstellung des Verfahrens gearbeitet wird und Range nur noch unterzeichnen muss.

Die Stellungnahme der Bundesregierung geht aber noch weiter. Sie droht Abgeordneten, die Snowden trotzdem befragen wollen, mit strafrechtlichen Konsequenzen. Sie beruft sich dabei auf ein Gutachten einer Washingtoner Anwaltskanzlei, das die Mitglieder des Ausschusses warnt, sie machten sich mit einer Befragung Snowdens strafbar, und zwar unabhängig davon, ob diese in Moskau, Berlin oder anderswo stattfinde.

Die Befragung selbst sei eine strafbare Handlung, wenn der „Haupttäter“ – die Rede ist von Snowden – durch Abgeordnete veranlasst werde, geheime Informationen offenzulegen. Dies könne als „Diebstahl staatlichen Eigentums“ gewertet werden. Gegebenenfalls sei sogar von einer „Verschwörung“ auszugehen. Die betroffenen Parlamentarier müssten damit rechnen, bei zukünftigen Einreisen in die USA inhaftiert zu werden. Die US-Behörden seien „nicht dazu verpflichtet“, ihre Immunität als Abgeordnete anzuerkennen, zitiert Spiegel Online aus dem Gutachten.

Das ist nicht nur eine Drohungen gegen gewählte Abgeordnete, wie sie sonst nur in autoritären Diktaturen üblich ist, sondern auch ein Versuch, jeden einzuschüchtern, der sich um die Aufdeckung der Machenschaften der Geheimdienste bemüht. Die Botschaft ist unmissverständlich: wer sich den Interessen des staatlichen Sicherheitsapparats entgegenstellt, wird mit seiner ganzen Härte konfrontiert.

Mit ihrer Stellungnahme zur Anhörung von Snowden macht die Bundesregierung deutlich, dass sie im Interesse ihres strategischen Bündnisses mit den USA deren Spionagetätigkeit in Deutschland unterstützt und duldet.

Bereits nach den ersten Enthüllungen Snowdens im vergangenen Juni hatte die Bundesregierung keinerlei ernsthaftes Interesse an einer Aufklärung gezeigt. Erst als bekannt wurde, dass auch das Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Merkel abgehört wurde, äußerten einige Regierungsvertreter Empörung. Es wurden Forderungen laut, der Verfassungsschutz müsse amerikanische und andere Botschaften und Einrichtungen auf deutschem Boden observieren. Auch ein No-Spy-Abkommen, also eine Vereinbarung, sich gegenseitig nicht zu bespitzeln, wurde gefordert.

Knapp ein Jahr später ist von alledem nichts übrig geblieben. Das ohnehin wertlose No-Spy-Abkommen hat sich in Luft aufgelöst. Eine Vorlage für die Observierung amerikanischer Dienststellen liegt seit Monaten unbearbeitet im Kanzleramt, wie die Süddeutsche schreibt. Und selbst das Versprechen Barack Obamas, das Telefon der Kanzlerin nicht mehr abzuhören, ist wertlos, weil die US-Geheimdienste stattdessen ihre Gesprächspartner belauschen.

Die Bundesregierung verhindert die Aufklärung der NSA-Affäre, weil jede weitere Enthüllung ihre strategischen Interessen bedrohen würde. Stattdessen nutzt sie das Bündnis mit den USA, um ihre eigene Großmachtstellung auszubauen. Zwei Motive sind dabei ausschlaggebend.

Zum einen haben die Enthüllungen Edward Snowdens die enge Kooperation deutscher und amerikanischer Geheimdienste offengelegt. BND, MAD und Verfassungsschutz tauschen täglich Unmengen von Daten mit ihren US-Verbündeten aus. Diese Kooperation ermöglicht es ihnen auch, Einschränkungen durch die jeweilige nationale Gesetzgebung auszuhebeln. Sowohl die USA als auch Deutschland haben keinerlei Interesse daran, diese enge Zusammenarbeit in irgendeiner Weise einzuschränken.

Geradezu symbolisch steht dafür der Einzug der ersten BND-Agenten in den Neubau der Geheimdienstzentrale an der Berliner Chausseestraße vor wenigen Wochen. Im größten Bürogebäude Europas werden zukünftig 6.000 Mitarbeiter damit beschäftigt sein, in enger Kooperation mit anderen Geheimdiensten die Weltbevölkerung zu bespitzeln.

Zum anderen stünde ein Affront gegen die USA dem gemeinsamen Vorgehen in der Ukraine im Wege. In Kiew haben die Vereinigten Staaten und die EU unter deutscher Führung ein rechtes Regime an die Macht gebracht, das sich offen auf faschistische Kräfte stützt. Ihr Vorgehen ist eine gezielte Provokation gegen Russland und hat das Potential, einen nuklearen Dritten Weltkrieg auszulösen.

Diese Offensive ist Teil der neuen deutschen Außenpolitik, die erklärtermaßen zum Ziel hat, früher und entschiedener in internationale Konflikte einzugreifen, um die Interessen des deutschen Imperialismus offensiv im Weltmaßstab zu verteidigen. Wie die Bundeskanzlerin selbst auf ihrer Website angesichts ihres USA-Besuchs schreibt, arbeiten die Vereinigten Staaten und die EU „in der Ukraine-Krise sehr eng zusammen. Alle Maßnahmen wurden zwischen den Partnern abgestimmt.“

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