Perspektive

Ausnahmezustand in Ferguson, Missouri

Der Notstand und die Ausgangssperre, die über der Arbeiterstadt Ferguson (Missouri) verhängt wurden, sind Teil einer schwerwiegenden Eskalation. Am 9. August erschoss ein weißer Polizist den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen, Michael Brown. Seither werden die Proteste, die sich daran entzünden, mit beispielloser paramilitärischer Unterdrückung beantwortet.

Am Samstag verhängte der Demokratische Gouverneur Jay Nixon den Ausnahmezustand. Seither nehmen Bereitschaftspolizisten mit schweren Waffen die Straßen ein und versprühen Tränengas. Verstärkt werden sie von gepanzerten Fahrzeugen und Militärhubschraubern. Am frühen Sonntagmorgen wurden erneut sieben Einwohner festgenommen, weil sie angeblich die Ausgangssperre von Mitternacht bis fünf Uhr morgens verletzt hatten. Eine Person wurde angeschossen und schwer verletzt.

Die Eskalation der staatlichen Unterdrückung hat das betrügerische Geschwätz über “Dialog” und “Transparenz” von Nixon und dem Polizeichef Ron Johnson schnell entlarvt. Jay Nixon hatte Johnson als Verantwortlichen für die öffentliche Sicherheit in Ferguson eingesetzt. Mit der Hilfe mehrer Demokratischer Politiker, wie Al Sharpton und Jesse Jackson, hatte Nixon in enger Zusammenarbeit mit der Obama-Regierung manövriert, um etwas Zeit zu gewinnen.

Die neuen Maßnahmen hebeln die demokratischen Rechte praktisch aus. Sie verleihen dem Gouverneur große Vollmachten und der Polizei sogar noch weitergehende Rechte. Die Behauptung wird immer unglaubwürdiger, das Vorgehen der Polizei von Ferguson Anfang der Woche sei die Einzeltat eines örtlichen Rambo-Sheriffs gewesen, der aus dem Ruder gelaufen sei.

Die Unterdrückung durch militarisierte Polizeikräfte und die Suspendierung der demokratischen Grundrechte in Ferguson sind keine Frage, die sich nur lokal stellt. Auch sind diese Ereignisse in erster Linie keine Rassenfrage, wie die Regierung und die Medien mit aller Gewalt glaubhaft machen wollen. So war Captain Johnson, ein Afroamerikaner und langjähriger Bewohner Fergusons, schnell bei der Hand, den Ausnahmezustand, die Ausgangssperre und den erneuten Einsatz gepanzerter Fahrzeuge und paramilitärischer Bereitschaftspolizisten gegen die überwiegend schwarzen Demonstranten zu unterstützen.

Die Ereignisse in Ferguson zeigen in konzentrierter Form den wirklichen Zustand der gesellschaftlichen und politischen Beziehungen in Amerika. Die Vereinigten Staaten sind von Klassenspannungen zerrissen. Arbeiter und Jugendliche sind nicht nur in Ferguson, sondern in zahllosen ähnlichen Städten im ganzen Land mit Massenarbeitslosigkeit, sinkenden Löhnen, sinkendem Lebensstandard und der Zerstörung von Sozialleistungen konfrontiert.

Gleichzeitig greift sich eine neue Aristokratie einen immer größeren Anteil am nationalen Einkommen und Vermögen. Ihr ungeheurer Reichtümer stammt im Großen und Ganzen aus parasitärer und quasi-krimineller Spekulation. Diese herrschende Elite zittert vor dem Gespenst sozialer Opposition der Arbeiterklasse und bereitet sich schon länger dagegen vor.

Seit mehreren Jahrzehnten rüstet sich die herrschende Klasse unter Demokratischen wie Republikanischen Regierungen gleichermaßen und baut einen riesigen Militär-, Polizei- und Geheimdienstapparat auf. Er repräsentiert ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen, und er ist niemandem verantwortlich. Besonders in den letzten fünfzehn Jahren wurden die Polizeikräfte im ganzen Land in paramilitärische Verbände umgewandelt, die vom Militär selbst kaum noch zu unterscheiden sind.

Das Pentagon und andere staatliche Behörden haben militärische Hardware im Wert von Milliarden Dollar an Sheriff-Departements im ganzen Land verteilt, von Kampfhubschraubern, Panzern, Flugzeugen und Drohnen bis zu Sturmgewehren, Granatwerfern, persönlicher Schutzausrüstung und Nachtsichtgeräten. Sie haben die örtlichen Polizeikräfte darin geschult, in der Arbeiterbevölkerung in den Städten den Feind zu sehen, der mit den Methoden der urbanen Kriegsführung blutig unterdrückt werden muss.

In zahllosen Studien des Militärs und der Geheimdienste sowie von Akademikern werden die Techniken der Massenunterdrückung in den Vereinigten Staaten untersucht. Ein Strategiepapier jüngeren Datums aus dem Pentagon über Urban Warfare im eigenen Land führte „radikale Einkommensungleichheit“ als die hauptsächliche „Triebkraft für Instabilität“ an.

In einem wissenschaftlichen Papier von 2006 mit dem Titel “Eine zerstörerische paramilitärische Polizeistreitmacht“ heißt es: „Die mittlerweile berüchtigte Sicherheitsfirma Blackwater [die 2009 in Xe umbenannt wurde] hat zivile Polizisten in den technischen Aspekten von Urban Warfare ausgebildet.“ Das ist die Firma, deren Söldner während der amerikanischen Besetzung des Irak Massentötungen begingen.

Die Polizei in Amerika wird darin trainiert, ihre örtliche Bevölkerung genauso als Feind zu betrachten, wie die US Truppen gedrillt wurden, die Bevölkerung von Falludscha zu behandeln. Wenn man sich die Reaktion der herrschenden Klasse auf soziale Unruhe in einer kleinen Vorstand in Missouri mit 21.000 Bewohnern betrachtet, dann kann man erahnen, was für Metropolen wie New York, Detroit, Chicago und Los Angeles vorbereitet wird.

Die Militarisierung der Polizei ist nur eine Facette des staatlichen Unterdrückungsapparats. Unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terror“ sind alle demokratischen Grundrechte ausgehöhlt worden. Der Patriot Act bereitete die Ausspähung jedes Amerikaners durch die National Security Agency, das FBI und die CIA in Zusammenarbeit mit der Staatspolizei und der örtlichen Polizei vor. Das Heimatschutzministerium stellte riesige Mittel für den Aufbau von Polizeikräften im ganzen Land bereit. Mit dem Northern Command wurde zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte ein militärisches Oberkommando für die USA geschaffen.

Obama ließ alle diese Behörden weiter ausbauen. Für sich selbst nimmt er das Recht heraus, amerikanische Bürger ohne Rechtsgrundlage zu verhaften und sogar zu töten. Er gibt zu, das auch schon getan zu haben.

Die Militarisierung Amerikas und der Aufbau eines Polizeistaats gehen Hand in Hand mit militärischer Aggression und Krieg ohne Ende. Es gibt keine eiserne Wand zwischen der Außen- und der Innenpolitik. Militarismus und kriminelles Vorgehen im Ausland bringen unvermeidlich die Zerstörung der Demokratie zu Hause mit sich. Während die amerikanische herrschende Klasse Kriege im Ausland führt, sieht sie die Vereinigten Staaten selbst als Schlachtfeld und die Arbeiterklasse als ihren Feind an.

Was die imperialistischen Kriege und die Zerstörung der Demokratie hervorbringt und antreibt, ist der Niedergang der globalen wirtschaftlichen Position des amerikanischen Kapitalismus. Der Zusammenbruch des amerikanischen und des Weltkapitalismus im Jahr 2008 hat diese Entwicklung bis heute, sechs Jahre später, ständig noch verstärkt.

Es ist auffällig, dass in der pausenlosen Berichterstattung der Medien über die Ereignisse in Ferguson die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage, die hinter der wachsenden Polizeiunterdrückung, aber auch hinter der Empörung der Bevölkerung steht, praktisch keine Erwähnung findet. Man erfährt nicht, dass jeder vierte Einwohner von St. Louis in Armut lebt. Oder dass die ständige Schließung von Autowerken, Brauereien und anderen Produktionsunternehmen dazu geführt hat, dass St. Louis seit 1950 Zweidrittel seiner Bewohner verloren hat. Oder dass 47 Prozent der männlichen Afroamerikaner im Alter von 16 bis 24 Jahren in der Metropolregion arbeitslos sind.

Die gut gestellten Kommentatoren, Anwälte, Akademiker, Prediger und Politiker, sehr oft selbst Afroamerikaner, die vor die Fernsehkameras gezerrt werden, wagen nicht, solche Fakten beim Namen zu nennen. Angesichts all dessen, was die Klassenspaltung in Amerika belegt, verfallen sie in Schockstarre. Das kapitalistische Wirtschaftssystem und die politischen Verhältnisse, die sie verteidigen, haben nichts zu bieten, das die soziale Krise lösen könnte.

Anders als in den 1960ern, als die herrschende Klasse auf die Aufstände in den Innenstädten mit bescheidenen Reformen reagierte, hat sie heute nichts anderes zu bieten als noch mehr Sparpolitik und mehr Unterdrückung.

Die Ereignisse in Ferguson müssen als Warnung verstanden werden. Die Vorbereitungen auf Diktatur sind weit fortgeschritten. Die Frage von Polizeigewalt und alle anderen Angriffe auf demokratische Rechte sind eine politische Frage, der sich die ganze Arbeiterklasse dringend stellen muss.

In der Arbeiterklasse gibt es breite Opposition gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Unterdrückung. Die Verteidigung demokratischer Rechte muss im Zusammenhang mit dem Kampf gegen imperialistischen Krieg und zur Verteidigung der sozialen Arbeiterrechte verstanden werden: für das Recht auf einen anständig bezahlten Arbeitsplatz, auf Ausbildung, Gesundheitsversorgung, auf eine Wohnung, auf Kultur und eine sichere Rente.

Polizeiunterdrückung und polizeistaatliches Ausspionieren müssen beendet werden. Dazu müssen das Heimatschutzministerium, das Northern Command, NSA, CIA und Pentagon aufgelöst werden.

Die Proteste in Ferguson sind nur ein Vorbote der sozialen Unruhen, die noch kommen. Dringend benötigt werden ein klares revolutionäres Programm und eine Führung, die diesen Kämpfen eine Richtung geben: Sie müssen in eine unabhängige politische Bewegung gegen beide großen Wirtschaftsparteien und gegen das kapitalistische Profitsystem geführt werden.

Diese Führung ist die Socialist Equality Party, die amerikanische Sektion der Vierten Internationale. Nur sie kämpft für ein internationales sozialistisches Programm gegen Krieg, soziale Ungleichheit und Diktaturvorbereitungen. Klassenbewusste Arbeiter, Jugendliche und Studenten müssen sich entscheiden, Mitglied zu werden und die Vierte Internationale aufzubauen.

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