Massive Polizeieinsätze in Frankreich

Dieser Artikel wurde vor den dramatischen Ereignissen am Freitag geschrieben. Am Nachmittag stürmten französische Sicherheitskräfte die Druckerei in Dammartin nordöstlich von Paris, wo sich die beiden Hauptverdächtigen des Angriffs auf Charlie Hebdo verschanzt hatten. Gleichzeitig griff die Polizei einen jüdischen Supermarkt im Osten der Hauptstadt an, in dem ein etwaiger Komplize der Attentäter Geiseln genommen hatte. Bei der Operation wurden die drei mutmaßlichen Terroristen und vier Geiseln getötet.

Seit dem Massaker in den Redaktionsräumen des satirischen Wochenmagazins Charlie Hebdo am Mittwoch organisiert der französische Staat eine Beispiellose Mobilisierung von Polizei und Militär. In Paris und ganz Nordfrankreich sind Zehntausende Polizisten und Soldaten im Einsatz.

Französische Polizeisprecher erklärten Donnerstagabend, dass sie den beiden Islamisten auf der Spur seien, die als Attentäter für das Massaker verantwortlich gemacht werden. Maskierte und schwer bewaffnete taktische Polizeieinheiten, vergleichbar mit den amerikanischen SWAT-Teams, wurden im Forst von Retz eingesetzt, einem 132 Quadratkilometer großen Waldstück östlich von Villers-Cotterêts bei Reims.

Einer der beiden Verdächtigen, Said Kouachi, 34, lebte früher in Reims. Sein Bruder Cherif, 32, lebte in Paris, wo der Angriff am Mittwochvormittag um zehn Uhr stattfand. Beide sind französische Staatsbürger algerischer Abstammung. Der jüngere hat schon eine dreijährige Gefängnisstrafe abgesessen, weil er 2005 versucht hatte, im Irak am Kampf gegen die amerikanischen Truppen teilzunehmen.

Zum Hintergrund der beiden Verdächtigen gab es sofort zahlreiche Fragen. Wie am Donnerstag in amerikanischen Medien berichtet wurde, stehen sie in den Vereinigten Staaten auf „No-Fly“-Listen und werden außerdem von der französischen Polizei beobachtet.

Die Polizei führte in dem Dorf Corcy, nur wenige Kilometer von der Tankstelle entfernt, bei der ein Tankwart die Brüder gesehen haben soll, Hausdurchsuchungen durch. Auch das nahegelegene Dorf Longpont wurde durchsucht, und die Bewohner beider Ortschaften wurden aufgefordert, am Tag und in der Nacht in ihren Häusern zu bleiben.

Die Polizei behauptete, ein dritter Mann habe als Fahrer des Fluchtautos am Überfall teilgenommen, doch man wisse nicht, wer er sei. Hamyd Mourad, 18, der anfänglich als Verdächtiger genannt wurde, stellte sich in dem Städtchen Charleville-Mézières, 230 Km nördlich von Paris nahe der belgischen Grenze, der Polizei. Es ist allerdings keineswegs gesagt, dass er der verdächtigte Komplize sei. Seine Schulfreunde haben auf Twitter eine Kampagne gestartet, wo sie seine Unschuld beteuern, weil er zur fraglichen Zeit in der Schule gewesen sei.

Bis jetzt sind neun Personen in Gewahrsam, die befragt werden sollen, erklärte Innenminister Bernard Cazeneuve. Die meisten von ihnen sind Freunde und Bekannte der beiden Flüchtigen. Keiner dieser Personen wird eine Beteiligung an dem blutigen Angriff vorgeworfen.

Das Innenministerium gab einige Details der enormen Polizeimobilisierung bekannt, die Präsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls als Teil des Terroralarms angeordnet haben.

Mehr als tausend Soldaten sind mobilisiert worden und unterstützen die über 35.000 Polizisten und Bereitschaftspolizisten. Außerdem sind 50.000 zivile Beschäftigte von Polizei und Militär mobilisiert worden, was die Gesamtzahl auf über 86.000 bringt.

Im Rahmen der Großfahndung nach dem Charlie Hebdo Massaker haben die französischen Behörden zum ersten Mal ein erst Ende 2013 verabschiedetes Überwachungsgesetz aktiviert, dessen Ausführungsbestimmungen erst kurz vor Weihnachten 2014 erlassen wurden. Es gibt der Polizei das Recht, den Telefon- und Internetverkehr in Echtzeit ohne juristische Kontrolle zu überwachen.

Das beinhaltet auch die Verpflichtung von Internet- und Telekommunikationsprovidern, der Polizei Bewegungsdaten von Mobilfunknutzern und Internetadressen zu übergeben und Details über die Internetnutzung von beobachteten Personen zur Verfügung zu stellen.

Ex-Premierminister Alain Juppé gab der aggressiven Stimmung in den obersten Kreisen der herrschenden Elite Frankreichs mit den Worten Ausdruck: „Wir befinden uns in einer neuen Art Krieg. Er geht von dem Chaos im Nahen Osten aus, aber er wird hier von Einzeltätern und von organisierten Gruppen geführt.“

Die Londoner Times äußerte sich besorgt, dass die politische Krise in Frankreich der neofaschistischen Nationalen Front von Marine Le Pen nützen werde. Unter der Überschrift, „Establishment fürchtet, Le Pen werde aus Frankreichs neuem Krieg als Sieger hervorgehen“, führt das Blatt aus: „Einige neue Kämpfer des gewalttätigen Islamismus haben vielleicht schon in Syrien gekämpft, aber ihre Wurzeln liegen in den Trabantenstädten von Paris und anderer Großstädte, wo ihre Eltern und Großeltern in den letzten Jahrzehnten gelandet sind.“

Der Angriff auf Charlie Hebdo ist die Chance, die bürgerliche Politik nach rechts zu drücken und die staatliche Unterdrückung deutlich zu verschärfen. Das ist nicht nur in Frankreich der Fall, sondern in ganz Europa und weltweit. Das meinte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve, als er eine internationale Konferenz mit seinen Amtskollegen aus Europa und den Vereinigten Staaten ankündigte, um den Kampf gegen den Terrorismus zu koordinieren.

Cazeneuve erklärte: “Ich habe die Initiative ergriffen und meine Kollegen der am meisten betroffenen Länder in Europa und meinen amerikanischen Kollegen Eric Holder für Sonntag nach Paris eingeladen.“ Die anderen Länder „zeigen sich solidarisch mit Frankreich“, aber es werde auch „darum gehen, Ideen auszutauschen, wie der Terrorbedrohung begegnet werden kann, was nur auf der Ebene der Europäischen Union und darüber hinaus geschehen kann“.

Ein Sprecher Holders sagte, das Treffen werde sich darauf konzentrieren, „den Kampf gegen die terroristische Bedrohung, ausländische Kämpfer und gewalttätigen Extremismus zu führen“. Holders ist ein besonders enthusiastischer Befürworter von Präsident Obamas Politik, verdächtige „Terroristen” präventiv zu ermorden.

Republikanische Senatoren nutzten den Angriff von Paris als Vorwand, alle Beschränkungen von Massenüberwachung in den Vereinigten Staaten abzulehnen. Senator Lindsay Graham aus South Carolina sagte dem National Journal „Damit stellt man meiner Meinung nach die Infrastruktur unserer nationalen Sicherheit, die solche Angriffe verhindern soll, in Frage.“

Senator Bob Corker aus Tennessee, der neue Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses, forderte, das Parlament dürfe die Geheimdienste nicht an die Kandare nehmen. „Für mich ist es natürlich wichtig, dass der Kongress seine Kontrollfunktion ausübt“, sagte er. „Aber angesichts solcher Ereignisse ist es noch wichtiger, dass wir der NSA keine Fesseln anlegen, wenn es darum geht, die Informationen rechtzeitig zu sammeln, um solche Taten verhindern zu können.“

Dem schloss sich das Wall Street Journal an, dessen Leitartikel vom Donnerstag unter der Überschrift „Islamistischer Terror in Paris“ forderte, der Angriff müsse das Signal sein, die Überwachung im Inland in Europa und Amerika zu verstärken.

“Es wird noch viele Versuche geben, Massenmorde zu begehen, und die Behörden in den USA und Europa müssen das Recht haben, potentielle Verschwörer zu überwachen und zu verhören, um sie stoppen zu können“, schrieb das Journal. „Das mag Liberale und Libertäre zwar stören, aber (…) besser wir sammeln jetzt Metadaten und überwachen einige Leute, als dass wir mit Forderungen in der Öffentlichkeit nach Massenverhaftungen oder Ausweisungen von Muslimen konfrontiert werden, wenn eine Katastrophe eingetreten ist.“

Die Zeitung argumentierte: “Gewalttätiger Islam ist keine Reaktion auf Armut oder die Politik des Westens im Nahen Osten. Er ist eine ideologische Herausforderung der westlichen Zivilisation und Prinzipien, darunter der freien Presse und des religiösen Pluralismus.“

Das ist eine bemerkenswerte Verfälschung, wenn man bedenkt, dass der Hauptverdächtige für den Angriff am Mittwoch schon früher in den Irak zu reisen versuchte, um sich dem Widerstand gegen die amerikanische Invasion und Besetzung des vorwiegend muslimischen Landes anzuschließen, und dass er die Misshandlung von Gefangenen in Abu Ghraib als Motivation dafür anführte.

Außerdem ereignete sich der Angriff nur einen Tag, nachdem das französische Verteidigungsministerium angekündigt hatte, den einzigen Flugzeugträger des Landes, die Charles de Gaulle, in den persischen Golf zu verlegen, um die imperialistische Intervention gegen den Islamischen Staat im Irak und in Syrien zu unterstützen.

Loading