Perspektive

Der 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Am Dienstag fand in Auschwitz eine öffentliche Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 statt. Der Name des Nazi-Todeslagers in Südpolen steht stellvertretend für die größten Verbrechen und Schrecken des 20. Jahrhunderts, und ist Synonym für die Barbarei des Kapitalismus in ihrer extremsten Form.

Zwischen Anfang 1942 und Ende 1944 brachten Güterwaggons Juden aus allen von den Nazis besetzten Ländern Europas ins Lager Auschwitz, über dessen Eingangstor der berüchtigte Spruch prangte: „Arbeit macht frei“. Mehr als 1,1 Millionen Menschen fanden in Auschwitz den gewaltsamen Tod, Hunderttausende davon wurden direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern vernichtet, andere starben den Hungertod, an physischer Erschöpfung, Krankheit oder grauenvollen medizinischen Experimenten durch Ärzte wie Josef Mengele, der von den Häftlingen den Beinamen „Engel des Todes“ erhielt.

90 Prozent der im Lager Getöteten waren Juden; außerdem waren 150.000 Polen, darunter auch politische Gefangene, 23.000 Roma und Sinti, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene, sowie Angehörige anderer nationaler Minderheiten, der Zeugen Jehovas und Homosexuelle interniert und wurden dort umgebracht.

Die vom Nazi-Regime angestrebte „Endlösung der Judenfrage“ war Teil eines größeren „Generalplans Ost“, der die Dezimierung der Bevölkerung Osteuropas und der Sowjetunion um etwa 30 Millionen Menschen durch Hungertod und Massendeportationen vorsah. Zu dem Plan gehörten die Zerstörung von Städten und die Übergabe von Land an die deutschen Kolonialherren. Gegen Ende des Krieges hatte die Sowjetunion 14 Prozent ihrer Bevölkerung, etwa 27 Millionen, und Polen etwa 5.8 Millionen bzw. 16 Prozent seiner Bevölkerung verloren.

Auschwitz und alle damit verbundenen Verbrechen der Nazis wurden von einem Regime begangen, das durch die Unterstützung der herrschenden kapitalistischen Klasse Deutschlands an die Macht gelangt war, mit dem Ziel, die sozialistische Arbeiterbewegung des Landes zu zerschlagen und die Krise des deutschen Kapitalismus durch militärische Aggression und Eroberungen zu überwinden.

An der Gedenkveranstaltung zur Befreiung von Auschwitz nahmen dieses Jahr nur einige Hundert der schwindenden Zahl von Überlebenden des Todeslagers teil. Die meisten sind über neunzig Jahre alt. Viele von ihnen richteten Appelle von großer Dringlichkeit und Schärfe an die Anwesenden, im Bewusstsein, dass sie beim nächsten offiziellen Gedenktag wohl nicht mehr teilnehmen werden.

„Die Leute vergessen, was Auschwitz war, und das macht mir Angst, weil ich weiß, dass das zur Hölle auf Erden führt“, sagte Roman Kent, 85. Er schloss seine Bemerkungen mit dem Satz: „Wir wollen nicht, dass unsere Vergangenheit zur Zukunft unserer Kinder wird.“

Seine Worte erzeugten eine starke Wirkung, weil die Gedenkfeiern von der aktuellen Gefahr eines neuen Weltkriegs und drohenden historischen Verbrechen überschattet waren. Schrecken dieser Art werden durch Geschichtsfälschungen bewusst vorbereitet. Das kam klar zum Vorschein in dem gezielten Versuch, den Gedenktag für das Schüren antirussischer Stimmungen in Europa und als Werbung für den US-geführten „Krieg gegen den Terror“ zu missbrauchen.

Am Vortag des Ereignisses gab sich die polnische Regierung größte Mühe, die Regierung von Wladimir Putin zu brüskieren, während sie andererseits den Führer des von der Nato gestützten Regimes in der Ukraine, Präsident Petro Poroschenko, als Ehrengast einlud. Auf die Frage eines polnischen Radiosenders, ob Warschaus Haltung gegenüber Putin nicht kleinkariert sei, antwortete Außenminister Grzegorz Schetyna, die Anwesenheit des russischen Präsidenten sei überflüssig, weil Auschwitz von der „Ersten Ukrainischen Front und Ukrainern“ befreit worden sei.

Wer nur ein wenig mit der Geschichte von Auschwitz vertraut ist, weiß, dass das Lager von einer Einheit der sowjetischen Roten Armee befreit wurde. Bei der Befreiung des Lagers und der nahe gelegenen Stadt Auschwitz starben mehr als 200 sowjetische Soldaten. Die sogenannte „Ukrainische Front“ wurde nicht wegen der Nationalität ihrer Soldaten so genannt, sondern weil sie dort zuvor die deutschen Besatzer zurückgeschlagen hatte.

Diese groteske Geschichtsfälschung liegt auf einer Linie mit der Behauptung, die der ukrainische Premierminister Arsenij Jazenjuk im deutschen Fernsehen machte, als er die „sowjetische Invasion der Ukraine und Deutschlands“ im Zweiten Weltkrieg verurteilte.

Das aktuelle Regime in der Ukraine, das als Ehrengast zu der Gedenkfeier geladen war, kam vor etwa einem Jahr durch einen von Berlin und Washington orchestrierten Putsch an die Macht, bei dem die faschistischen Banden von Swoboda und dem Rechten Sektor, die die historische Rolle von Hitlers SS und der am Holocaust beteiligten ukrainischen faschistischen Einheiten verehren, die führende Rolle spielten.

Unter den Staatsführern, die an der Zeremonie teilnahmen, war auch Frankreichs Präsident François Hollande, der nach dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo Marine le Pen in den Präsidentenpalast eingeladen hatte. Ihre Partei, der Front National, ist die politische Erbin der französischen Nazi-Kollaborateure des Vichy-Regimes. Diese Geste Hollandes markierte einen weiteren Versuch der europäischen Regierungen, den Faschismus zu legitimieren und zu rehabilitieren.

Anwesend war auch Bundespräsident Joachim Gauck, der an führender Stelle die Wiederbelebung des deutschen Militarismus und die Rückkehr zu imperialistischer Großmachtpolitik propagiert, die zu den beiden verheerenden Weltkriegen führten.

Bei diesen Entwicklungen spielen die Geschichtsrevisionen führender deutscher Akademiker, die die maßgebliche Verantwortung Deutschlands für die beiden letzten Weltkriege herunterspielen und sogar die Verbrechen des Dritten Reiches relativieren, eine wichtige Rolle. Der Hauptvertreter dieser Tendenz inder deutschen Geschichtsschreibung ist Ernst Nolte, der als großer Historiker gefeiert wird. Und im Februar 2014 äußerte sich der in Berlin an der Humboldt Universität lehrende Historiker Jörg Baberowski in einem SPIEGEL-Interview so: „Hitler war kein Psychopath, und er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung gesprochen wurde.“

Während die Medien ausgiebig über Putins Abwesenheit bei der Gedenkveranstaltung am Dienstag schrieben, schenkten sie der Tatsache, dass Präsident Obama den relativ unbekannten Finanzminister Jack Lew als Vertreter der US-Regierung entsandte, wenig Aufmerksamkeit. Obama und führende Militärs und Geheimdienstler flogen derweil nach Saudi-Arabien, um die Kriegspläne für den Nahen Osten mit dem Monarchen-Regime nach dem Tod des saudischen Königs Abdullah zu diskutieren.

Der Weltkapitalismus befindet sich heute, wie zu der Zeit, in der sich der Aufstieg des Faschismus in Europa vollzog und zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte, wieder in einer tiefen und systemischen Krise, die die rivalisierenden kapitalistischen Mächte antreibt, ihr Heil in militaristischer Aggression nach außen und der Zerstörung der demokratischen Rechte der Arbeiterklasse im Inneren zu suchen.

Siebzig Jahre nach der Befreiung des Lagers steht Auschwitz nicht als abstraktes Symbol für das Potential des Menschen zum „Bösen“, sondern als düstere und eindringliche Warnung vor den Verbrechen und Katastrophen, in die der krisengeplagte Kapitalismus die Menschheit zu stürzen droht.

Erneut hat die Weltarbeiterklasse nur die Wahl zwischen Sozialismus oder Barbarei. Ein nuklearer dritter Weltkrieg würde aber selbst die Verbrechen der Nazis weit in den Schatten stellen.

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