Tarifeinigung im öffentlichen Dienst: Angestellte Lehrer erneut ausverkauft

Nach vier Verhandlungsrunden und mehreren Warnstreiks haben am Samstag in Potsdam die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), der Deutsche Beamtenbund (DBB Beamtenbund und Tarifunion) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) einen Tarifvertrag für die rund 800.000 Beschäftigten der Länder abgeschlossen, für Angestellte in Ämtern und Behörden, Straßenwärter, Feuerwehrleute, Polizisten, Krankenschwestern und Lehrer.

Der Abschluss zementiert ungleiche Löhne für gleiche Arbeit – in Ost und West und vor allem zwischen verbeamteten und angestellten Lehrern.

Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 24 Monaten. Rückwirkend zum 1. März 2015 erhalten die Beschäftigten 2,1 Prozent und im März 2016 noch einmal 2,3 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 75 Euro. Die Auszubildenden bekommen in diesem und im nächsten Jahr jeweils 30 Euro monatlich mehr und einen Tag mehr Urlaub.

Diese minimalen Erhöhungen werden nicht nur durch die Inflation, sondern auch noch durch die Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge zur Zusatz-Altersversorgung reduziert. Die Beschäftigten müssen künftig Zusatzbeiträge zahlen, auch nach Ablauf des Tarifvertrags Ende 2016. Im Westen steigt der Beitrag in diesem Jahr von 1,41 auf 1,61 Prozent vom Gehalt. Im nächsten Jahr kommen weitere 0,3 Prozent und 2017 0,4 Prozent hinzu.

In Ostdeutschland müssen die Beschäftigten noch mehr zahlen. Hier liegt der Beitrag aktuell schon bei 2 Prozent und steigt in den nächsten drei Jahren um jeweils 0,75 Prozentpunkte. 2017 liegt er also bei 4,25 Prozent. Die ungleichen Löhne in Ost und West sind damit auf alle Zeiten festgeschrieben – zumindest wenn es nach den Gewerkschaftsfunktionären und den Landesregierungen geht. Da hilft den ostdeutschen Beschäftigten auch nicht das Versprechen, ihr Weihnachtsgeld werde – in fünf Jahren! – an das im Westen angeglichen.

Ursprünglich hatte Verdi 5,5 Prozent Lohnerhöhung für 12 Monate, mindestens aber 175 Euro monatlich gefordert. Kürzungen bei der Altersvorsorge, wie sie die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) verlangten, hatten Verdi, DBB und GEW abgelehnt.

Dennoch lobten der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske (Grüne) und der zweite DBB-Vorsitzende Willi Russ die Vereinbarung. Bsirske nannte das Ergebnis „unterm Strich akzeptabel“.

TdL-Verhandlungsführer Jens Bullerjahn (SPD) zeigte sich genauso zufrieden. Der Finanzminister von Sachsen-Anhalt nannte den Abschluss „in dem Kontext vernünftig und verantwortungsvoll“.

Der „Kontext“ ist, dass Bund, Länder und Gemeinden 2014 mit 18 Milliarden Euro den höchsten Überschuss im Staatshaushalt seit 14 Jahren erwirtschaftet haben. Alle Länderregierungen waren sich einig, dass die Angestellten im öffentlichen Dienst nicht davon profitieren sollen.

Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst sind immer ein abgekartetes Spiel. Die Gewerkschaftsfunktionäre stehen den öffentlichen Arbeitgebern näher, als den Beschäftigten, die sie angeblich vertreten. Nicht selten gehören sie denselben Parteien an und wechseln von den Gewerkschaftszentralen in hochrangige öffentliche Ämter und zurück. So war Bsirske Personaldezernent der Stadt Hannover, bevor er im Jahr 2000 an die Spitze von Verdi wechselte.

Sein Gegenüber in den Verhandlungen, der sächsische Finanzminister Bullerjahn, ist nicht nur Mitglied der SPD, der auch zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre angehören, er ist auch selbst Mitglied der Gewerkschaft IGBCE, wie er kürzlich in einem Interview mit einer Regionalzeitung unterstrich.

Erneuter Ausverkauf der angestellten Lehrer

Besonders krass und ungerecht sind die ungleichen Löhne bei den Lehrern. Die rund 200.000 angestellten Lehrer erhalten wesentlich niedrigere Gehälter als ihre verbeamteten Kollegen, bei bedeutend schlechteren Arbeitsbedingungen. Die GEW gibt den durchschnittlichen Gehaltsunterschied mit monatlich 320 Euro an. Aber selbst unter den angestellten Lehrern gibt es große Unterschiede. In Ostdeutschland sind sie in der Regel um ein oder zwei Gehaltsgruppen niedriger eingestuft als im Westen.

Die meisten Länder nutzen zudem auch noch Zeitverträge, um die Lehrer nur für die tatsächliche Unterrichtszeit einzustellen. In den Ferienzeiten gelten sie dann als arbeitslos, auch wenn sie in diesen Zeiten Unterricht vor- und nachbereiten müssen.

Die angestellten Lehrer kämpfen seit Jahren dafür, gleich behandelt zu werden. Sie sind besonders kampfbereit und werden in den Tarifverhandlungen seit Jahren zu Zehntausenden zu Warnstreiks aufgerufen. Und sie werden seit Jahren regelmäßig ausverkauft.

Die GEW, die die angestellten Lehrer vertritt, forderte im Rahmen der Lehrkräfte-Entgeltordnung (L-EGO) eine so genannte Paralleltabelle: Angestellte, die in der vergleichbaren Tätigkeit als Beamte die Besoldungsgruppe A12 hätten, sollen künftig die E12 erhalten, statt wie bisher oft die E11. A11 soll E11 entsprechen, usw.

Doch die Länderregierungen wollten zunächst nichts dergleichen anbieten, zum Schluss verkauften sie eine monatliche Zulage von 30 Euro für einzelne Lehrergruppen ab August 2016 als „Einstieg in die Paralleltabelle“. Auf einen konkreten Zeitpunkte, wann dieser „Einstieg“ abgeschlossen sei, wollten sie sich nicht festlegen. Da der Vorschlag der TdL zu den Lehrergehältern eine Laufzeit bis 2018 aufwies, hätten die Lehrer dies für die nächsten vier Jahre akzeptieren müssen.

Die (GEW) lehnte diesen Vorschlag als einzige der beteiligten Gewerkschaften ab. Der Vereinbarung zum Entgelt-Tarif und zu den steigenden Beiträgen zur Altersversorgung stimmte die GEW-Bundestarifkommission dagegen zu. Diese Ergebnisse seien „annehmbar“.

Bsirske trat den Lehrern gegenüber offen feindlich auf. Auf die Frage nach neuen Lehrerstreiks entgegnete der Verdi-Vorsitzende, er werde die Lehrer nicht unterstützen. Streiken müssten sie alleine. Sie hätten den „Kompromiss“ abgelehnt, also müssten sie „auch die Konsequenzen tragen“.

Der Beamtenverband DBB fiel den angestellten Lehrern ebenfalls in den Rücken. Der stellvertretende Vorsitzende der DBB-Bundestarifkommission, Jens Weichelt, sagte dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR): „Wir waren es leid, wieder ohne Ergebnis zurückzufahren“.

Die 200.000 angestellten Lehrer sind einmal mehr im Regen stehen gelassen worden. Um ihre Forderung nach gleichem Lohn durchzusetzen, müssten sie in jedem einzelnen Land streiken. Es ist zu bezweifeln, dass die GEW diesmal – anders als in den letzten Tarifrunden – zu Streiks aufruft. „Die GEW muss nun strategisch beraten, wie sie in Zukunft an die Sache rangeht“, schreibt sie auf ihrer Website.

Ihre Ablehnung des Ergebnisses bei der Lehrkräfte-Bezahlung ist nicht prinzipieller Art. Die GEW unterscheidet sich nur in Nuancen von Verdi oder dem DBB und hat einen ähnlichen Ausverkauf in früheren Tarifrunden immer mitgetragen. Sie steht aber unter einem größeren Druck ihrer Mitgliedschaft. Eine vollständige Annahme des Tarifergebnisses hätte eine massive Austrittswelle und damit versiegende Einkommensquelle bedeutet.

Dass die GEW dies fürchtete, zeigt sich auf ihrer Website. Sofort am Tag nach der Einigung antwortete die GEW dort auf Fragen wie: „Warum sind wir überhaupt auf die Straße gegangen?“ und „Sind wir angestellte Lehrkräfte durch die GEW überhaupt noch ausreichend vertreten?“

Ihre Antworten sind kläglich und zeugen von Feindschaft gegenüber den eigenen Mitgliedern. So versucht sie es als Erfolg zu verkaufen, dass „das Thema L-EGO in den Tarifverhandlungen oben auf der Agenda“ stand und „auch in der medialen Berichterstattung der Tarifrunde“, neben der Zusatzversorgung, „die Hauptrolle“ spielte. Dies sei „einzig und allein einer starken GEW zu verdanken“. Aber leider … usw.

Man könnte dieses Bankrotteingeständnis für bemitleidenswert halten, wenn nicht die Arbeits- und Lebensbedingungen von 200.000 Lehrern, weiteren Hunderttausenden Beschäftigten und ihrer Familien betroffen wären.

Die Wut über das aktuelle Ergebnis ist unter Gewerkschaftsmitgliedern wieder groß. Auf der GEW-Website schreibt eines: „Ich bin von meiner bisherigen Gewerkschaft Lehrer-NRW bitter enttäuscht. Ich werde austreten, sobald das Streikgeld für die beiden Tage auf meinem Konto ist.“ Und auch im Verdi-Mitglieder-Blog schreibt ein Mitglied, das seit über 30 Jahren der Gewerkschaft angehört: „Ich frage mich ernsthaft, ob Verdi noch mein Vertrauen verdient.“

Die GEW reagiert darauf, indem sie nicht Verdi, den DBB und schon gar nicht sich selbst für diesen Bankrott verantwortlich macht – sondern die Mitglieder. Der von „vielen zehntausenden streikenden Mitgliedern in den vergangenen Wochen aufgebaute gehörige Druck“ sei „offensichtlich immer noch nicht groß genug“ gewesen. Es gelte, weiterzumachen und einen langen Atem zu beweisen. „Die GEW und damit ihre sich entwickelnde Durchsetzungsfähigkeit durch Austritte zu schwächen, ist ein falscher Schritt.“

In den nächsten Wochen werden die Gewerkschaftsmitglieder über die Annahme des Verhandlungsergebnisses abstimmen. Die WSWS ruft alle Verdi- und GEW-Mitglieder auf, den Ausverkauf der Gewerkschaft zurückzuweisen und mit „Nein“ zu stimmen.

Vor zwei Jahren, als die GEW und die anderen Gewerkschaften einen ähnlichen Ausverkauf organisierten, schrieben wir: „Da die Gewerkschaften längst zu einem festen Bestandteil dieser Ordnung geworden sind, taugen sie nicht zur Gegenwehr. Ihre Funktionäre leben davon, den Widerstand der Beschäftigten aufzufangen und abzuwürgen. Proteste und Arbeitsniederlegungen verkommen zu rein symbolischen Ritualen bzw. dienen nur als Kulisse, hinter der weitere Verschlechterungen ausgehandelt werden.

Notwendig sind ein Bruch mit den alten Organisationen und eine grundlegende Neuorientierung, die der Tiefe und dem Ausmaß der heutigen gesellschaftlichen Krise gerecht wird. Eine solche Politik darf sich nicht auf Reformen beschränken, sondern muss sich die Abschaffung des Kapitalismus’ zum Ziel setzen.“

Diese Worte sind heute aktueller denn je zuvor.

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