Perspektive

Planen die USA einen “Tonkin-Zwischenfall“ im Südchinesischen Meer?

US-Außenminister John Kerry nutzte seinen Besuch in Beijing am letzten Wochenende, um der chinesischen Führung ein Ultimatum zu stellen. Vorausgegangen war eine wochenlange Panikmache amerikanischer Politiker wegen Chinas Aktivitäten im Südchinesischen Meer. China solle nun damit aufhören, Land und Inseln zu beanspruchen, verkündet Kerry. Sein chinesischer Verhandlungspartner Wang Yi wies dies scharf zurück und beharrte darauf, dass China seine Souveränität und territoriale Integrität „felsenfest“ schützen werde.

Washington ist nicht bereit, in dieser Frage ein Nein zu akzeptieren. In dieser explosiven Lage muss die Frage gestellt werden: Bereiten die USA einen „Tonkin-Zwischenfall“ vor, um einen Vorwand für ein direktes militärisches Eingreifen gegen chinesische Einrichtungen und bewaffnete Verbände im Südchinesischen Meer zu schaffen? Eine derart gewagte Politik könnte einen Krieg zwischen zwei Atommächten provozieren.

Die historischen Parallelen sind erschreckend. 1964 benötigte Präsident Lyndon B. Johnson eine Rechtfertigung für Entscheidungen, die längst gefallen waren, um das militärische Eingreifen im vietnamesischen Bürgerkrieg dramatisch auszuweiten und Ziele in Nordvietnam zu bombardieren. Die Strategen im Pentagon waren zu dem Schluss gekommen, dass ihr weitgehend verhasstes Marionettenregime in Saigon allein nicht in der Lage sein würde, die von Nordvietnam unterstützte Nationale Befreiungsbewegung zu besiegen.

Schon lange zuvor im Sommer 1964 waren Vorbereitungen für das massiv verstärkte Eingreifen der USA getroffen worden. Die Vereinigten Staaten hatten zusammen mit den Südvietnamesen eine ganze Reihe von Provokationen organisiert, darunter die Installation von Sonden auf von den USA gestellten Patrouillenbooten, um die nordvietnamesischen Radarsysteme auszuspähen. Am 2. August überwachte der Zerstörer USS Maddox einen dieser Übergriffe im Golf von Tonkin, einem Teil des Südchinesischen Meers. Dabei befand er sich acht Seemeilen außerhalb der nordvietnamesischen Küste, aber innerhalb der international anerkannten Zwölfmeilenzone und provozierte einen Schusswechsel mit kleinen nordvietnamesischen Schnellbooten.

Zwei Tage später berichteten die USS Maddox und der Zerstörer C. Turner Joy, dass sie unter Feuer genommen worden seien. In Wirklichkeit hatte es keinen Angriff gegeben. Der gesamte Vorfall war bewusst konstruiert und durch ein Trommelfeuer der Medien und Lügen von offizieller Seite hochgespielt worden, um Nordvietnam als Angreifer präsentieren zu können. Die aggressive militärische Antwort der USA wurde so als defensiver Akt gerechtfertigt, um „den internationalen Frieden und die Sicherheit in Südostasien“ zu bewahren.

Der Kongress verabschiedete am 7. August 1964 mit nur zwei Gegenstimmen die Golf-von-Tonkin-Resolution. Sie schuf den quasi legalen Deckmantel für den verbrecherischen und schier endlosen Vietnamkrieg, der Millionen Todesopfer forderte, die Wirtschaft des Landes ruinierte und eine immer noch anhaltende Verwüstung hinterließ.

Heute steht noch viel mehr auf dem Spiel. Jahrzehntelang zeigten die USA wenig Interesse an den gärenden territorialen Auseinandersetzungen zwischen China und seinen Nachbarstaaten im Südchinesischen Meer. 2010 jedoch erklärte Hillary Clinton als US-Außenministerin der Obama-Regierung den gegen China gerichteten „Pivot to Asia“ und behauptete, dass die USA ein „nationales Interesse“ daran hätten, in diesen strategischen Gewässern „die Freiheit der Seefahrt“ zu sichern.

Während des letzten Jahres ließ Washington seine angebliche Neutralität in diesen maritimen Konflikten fallen. In aggressiver Weise wurde die Legitimität der Ansprüche Chinas über diverse Untiefen und Riffs in Frage gestellt. Während ähnliche Ansprüche z. B. der Philippinen und Vietnams kein Thema sind, stellten die USA die territorialen Forderungen der Chinesen im Südchinesischen Meer als aggressive Bedrohung ihrer nationalen Interessen dar. Ende März verurteilte der Kommandeur der Pazifischen Flotte der USA, Admiral Harry Harris, Chinas Vorgehen als Errichtung eines großen „Sandwalls“.

Von Worten gehen die Vereinigten Staaten jetzt zu Taten über. Im Rahmen des „Pivot to Asia“ arbeitet das Pentagon bereits an einer massiven Aufrüstung und Stärkung seiner gegen China gerichteten Bündnisse und strategischen Partnerschaften in ganz Asien. Eines der jüngsten Kriegsschiffe die USS Forth Worth hat gerade eine Woche lang eine Patrouille zur „Freiheit der Seefahrt“ im Südchinesischen Meer durchgeführt, um Chinas Präsenz dort zu prüfen und herauszufordern.

Während USS Forth Worth sich noch außerhalb der von China beanspruchten Territorialgewässer hielt, forderte US-Verteidigungsminister Ashton Carter das Pentagon auf, Pläne auszuarbeiten, um die Zwölfmeilenzone zu durchbrechen und die Souveränität Chinas in Frage zu stellen. Zweifellos sind hinter den Kulissen schon weitaus detailliertere Kriegspläne erarbeitet worden.

Bezeichnenderweise platzte der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister David Shear während einer Anhörung im Auswärtigen Ausschuss des US-Senats mit dem Titel „Schutz der amerikanischen Interessen im Ost- und Südchinesischen Meer“ mit der Mitteilung heraus, dass die USA dabei seien, B1-Bomber im Norden Australiens zu stationieren. Dadurch solle die militärische „Balance“ gegenüber China ausgeglichen werde. Auch wenn dies dementiert wurde, kreisen doch bereits atomwaffenfähige B52 Bomber um australische Luftwaffenstützpunkte.

Führende Kreise der amerikanischen Außenpolitik rufen schon nach weiteren konzertierten Aktionen im Südchinesischen Meer, um China eine Lektion zu erteilen. In der vorigen Woche sprach Bob Corker, der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des US-Senats, im Verlauf einer Anhörung wiederholt davon, dass die Obama-Regierung diesbezüglich nicht genug tue.

In der Zeitschrift National Interest lobt der Analyst Michael Mazza vom rechtsgerichteten American Enterprise Institute unter der Überschrift “Es ist Zeit, China im Südchinesischen Meer entgegenzutreten“ die Pentagon-Pläne, weitere Manöver für die „Freiheit der Seefahrt“ durchzuführen. Er schreibt: “Es ist wichtig, dass der Präsident sich entscheidet zu handeln, und dies sehr bald. Je länger er wartet, desto gefestigter werden die chinesischen Stellungen sein, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne.“

Diese Logik wird zweifellos auch weiter angewandt. Das provokative Vorgehen des US-Imperialismus in Asien und überall auf der Welt resultiert aus seiner Entschlossenheit, die eigene, immer noch außerordentliche militärische Macht einzusetzen, um seinen historischen Niedergang aufzuhalten. Vom Standpunkt Washingtons aus werden die Schwierigkeiten und die Gefahren, Beijing den US-Interessen zu unterwerfen, umso größer, je länger damit gewartet wird. Das steht hinter den Absichten, im Südchinesischen Meer eine Konfrontation zu provozieren - eine Kraftprobe ohne Rücksicht darauf, welche katastrophalen Folgen sie hätte.

Aber bei einer militärischen Konfrontation mit China muss Washington zuhause und weltweit mit verbreitetem Widerstand rechnen, den zwei Jahrzehnte Krieg in Afghanistan und im Irak erzeugt haben. Daher sollte niemand überrascht sein, wenn plötzlich ein neuer „Tonkin-Zwischenfall“ inszeniert wird, der die öffentliche Meinung dahingehend beeinflussen soll, dass sie sich hinter die aggressiven Militäroperationen der USA gegen China stellt.

Peter Symonds

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