Wo sind die halbe Milliarde Dollar aus dem Streikfond der UAW geblieben?

In den letzten Wochen haben lokale Funktionäre der Autoarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW) Autoarbeitern in den USA empfohlen, einen Teil ihres inzwischen schon mageren Lohnes zu sparen, um sich auf einen möglichen Streik vorzubereiten, wenn der vierjährige Tarifvertrag für die 139.000 Arbeiter bei General Motors (GM), Ford und Fiat-Chrysler Mitte September ausläuft. UAW-Ortsverbände sollen begonnen haben, Lebensmittelkonserven für den Fall eines Streiks zu sammeln.

Das Wall Street Journal veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Gespräche rücken näher. UAW rüstet sich für Streik“. In dem Artikel wurde berichtet, dass Ortsverbände der Gewerkschaft in Illinois, Texas, Kansas und anderen Staaten Treffen zur „Streikbereitschaft“ durchführten, und Buttons mit der Aufschrift „Ich spare für einen Streik für einen besseren Tarifvertrag“ an die Mitglieder ausgaben. Die UAW wolle sich im August von den Mitgliedern einen Streikbeschluss holen, berichtete das Journal.

Der Aufruf der UAW an die Autoarbeiter, für einen Streik zu sparen, sollte als Beweis dafür verstanden werden, dass diese arbeiterfeindliche Organisation keine Absicht hat, einen Kampf zu führen, und dass sie bewusst an Plänen arbeitet, die Wut der Autoarbeiter zu dämpfen und zu unterdrücken. Sie hat nicht die geringste Absicht, ihren viele Millionen Dollar schweren Streikfond, der aus den Mitgliedsbeiträgen der Autoarbeiter gebildet wurde, für die Finanzierung eines Streiks zu verwenden.

Allein schon die Tatsache, dass die UAW über einen möglichen Streik spricht, zeigt dass sie wegen der Kampfbereitschaft der Arbeiter besorgt ist, die sich die verlorenen Löhne und Sozialleistungen zurückholen wollen, weil die Konzerne jetzt im Geld schwimmen. Seit dem Abschluss des laufenden Tarifvertrags vor vier Jahren haben die Unternehmen 73 Milliarden Dollar Profit gemacht.

Die UAW beäugt solche Stimmungen mit Misstrauen und Furcht. Die unternehmensfreundliche Organisation hat seit 1976 keinen nationalen Streik bei einem der drei großen amerikanischen Autogiganten mehr ausgerufen. In den letzten vier Jahrzehnten hat die UAW dagegen an der Zerstörung von hunderttausenden von Arbeitsplätzen mitgewirkt. Sie hat die einst am höchsten bezahlten Industriearbeiter in Billiglohnarbeiter verwandelt.

2007 hatte die UAW in ausgewählten General Motors-Fabriken zu einem zweitägigen Streik aufgerufen und zu einem sechsstündigen Streik in einigen Chrysler-Werken. Diese Streiks wurden von den Medien als „Operettenstreiks“ bezeichnet, weil sie reine Showveranstaltungen waren. Denn hinter den Kulissen stimmte die UAW einem Tarifvertrag zu, der einen Wendepunkt markierte. Das zweigleisige Lohnsystem wurde eingeführt, die Löhne älterer Arbeiter eingefroren. Den Konzernen wurde ermöglicht, sich der Verpflichtung für die Gesundheitsversorgung der Rentner zu entledigen. Diese wurde auf ein milliardenschweres Investmentkonstrukt übertragen, das von der UAW kontrolliert wird. 2009 stimmte die UAW im Rahmen von Obamas Umstrukturierung von GM und Chrysler einem sechsjährigen Streikverzicht zu.

Auch in der aktuellen Tarifrunde ist die UAW bereit, die Arbeitskosten „wettbewerbsfähig“ zu halten. Weil sie einen bedeutenden Aktienanteil an Autokonzernen besitzt und Sitze in den Kontrollgremien der Konzerne hält, hat sie ein direktes finanzielles Interesse daran, noch mehr Profite aus den Arbeitern herauszupressen, die sie angeblich vertritt. Die UAW ist darüber hinaus auch eng mit der Regierung Obama und der Demokratischen Partei verbunden. Daher könnte ein Streik eine breite Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Armutslöhne auslösen, die im Zentrum von Obamas Wirtschaftspolitik stehen.

Hinsichtlich einer Arbeitsniederlegung bei der diesjährigen Tarifrunde sollten sich die Autoarbeiter die Lehren aus dem Verrat des diesjährigen Streiks der Ölraffineriearbeiter durch die United Steelworkers Union (USW) zu Herzen nehmen. Obwohl die Ölarbeiter mit einigen der größten und am besten politisch vernetzten Konzerne der Welt konfrontiert waren, rief die Gewerkschaft weniger als ein Viertel der 30.000 in der USW organisierten Arbeiter des Industriezweigs in den Streik. Sie verweigerte ihnen Unterstützung aus dem 150-Millionen-Dollar-Streikfond und hungerte die Streikenden aus, bis sie einen Ausverkauf akzeptierten.

Das wirft die Frage auf: Was ist mit dem Streikfond der UAW los? In den letzten dreizehn Jahren ist der Streikfond der UAW von mehr als einer Milliarde Dollar im Jahr 2001 auf 914 Millionen Dollar im Jahr 2005 und schätzungsweise 600 Millionen Dollar im vergangenen Jahr geschrumpft. Wohin sind die fehlenden 500 Millionen Dollar verschwunden?

Letztes Jahr hob die UAW die Mitgliedsbeiträge mit der Begründung um 25 Prozent an, um den Streik-Versicherungsfond in der Vorbereitung auf einen großen Kampf gegen die Autokonzerne aufzufüllen. Aber die UAW hat nicht die Absicht, diesen Fond zur Stärkung der Kampfkraft der Autoarbeiter einzusetzen. Der Fond wurde im Gegenteil schon seit Jahren als Handkasse genutzt, um die Privilegien einer kleinen Armee von Vizepräsidenten, Organisatoren und Dienstleistungsverantwortlichen zu finanzieren, die Gehälter von über 100.000 Dollar im Jahr kassieren, zusätzlich zu den Gehältern, die sie von den Konzernen für die Leitung diverser Beratergremien als Co-Manager erhalten.

Schon 1983 berichtete die Workers League, die Vorläuferorganisation der Socialist Equality Party, dass die UAW ihre Satzung geändert habe, um Mitgliedsbeiträge aus dem Streikfond abzuzweigen, und auf die Konten der Zentrale der UAW im Solidarity House in Detroit und ihrer Ableger in den Ortsverbänden der Gewerkschaft umzuleiten. Die Zeitung der Workers League, das Bulletin, schrieb damals, dass „das Geld im Verhältnis 2:1 zwischen den örtlichen Bürokraten und der Zentrale im Solidarity House verteilt werden soll, um die Auswirkungen der schrumpfenden Mitgliedschaft zu dämpfen“. Die Weigerung der Gewerkschaftsführung, für die Verteidigung von Arbeitsplätzen zu kämpfen, hatte zu großen Mitgliederverlusten geführt.

Außerdem wurde eine Sonderbestimmung eingeführt, die die „vorläufige“ Umleitung von Geldern aus dem Streikfond dauerhaft machen sollte, sobald der Streikfond mehr als 550 Millionen Dollar betrug. „Die Bürokratie schuf sich so ein direktes Interesse an der Verhinderung von Streiks“, erklärte das Bulletin. „Neben ihrer organischen Feindschaft als Anhänger des Kapitalismus gegen jeden Kampf der Arbeiterklasse werden die Bürokraten direkt mit Cash belohnt, solange es ihnen gelingt, den Deckel auf dem Klassenkampf zu halten.“

Die Forschungen von Thomas Adams haben diese Prognose bestätigt. Adams ist Geschichtsprofessor an der Michigan State University und ehemaliges Mitglied der UAW. Er war nach 30-jähriger Tätigkeit in GMs Buick City Complex in Flint, Michigan, in den Ruhestand getreten. Adams schreibt gerade ein Buch auf der Grundlage seiner 587-seitigen Doktorarbeit mit dem bezeichnenden Titel „UAW Incorporated: The Triumph of Capital“.

Auf dem UAW Gewerkschaftstag von 1974, so Adams, sei in der Satzung festgelegt worden, dass der Streikfond ausschließlich dafür genutzt werden dürfe, streikende oder ausgesperrte Ortsverbände zu unterstützen, für Spenden an Gewerkschaften, die in ähnlichen Kämpfen stehen, oder um finanzielle Verpflichtungen oder Ausgaben zu tätigen, die aus offiziellen Streiks oder Aussperrungen herrühren. Jedoch sei die Satzung der UAW in den Jahren 1980, 1989, 1995 und 2002 ergänzt worden, „um der Gewerkschaft zusätzliche Geldmittel zu erschließen.“

Das begann 1980 mit der Umleitung von Gewinnen aus dem Streikfond. „Nicht mehr als fünfzig Prozent der Gewinne des Streikversicherungsfonds aus Zinsen und Dividenden“ wurden einem neu eingerichteten „Organisations-, Bildungs- und Kommunikationsfond“ (OEC) zur Verfügung gestellt, der vom Vorstand der UAW kontrolliert wurde. Die Umleitung der Gewinne des Streikfonds wurde 1989 von fünfzig auf 75 Prozent erhöht und 2006 wurden dem Vorstand die letzten 25 Prozent der Gewinne des Streikfonds aus Investitionen zur Verfügung gestellt.

Außerdem wurde aus dem Streikfond auch direkt Geld abgezogen. 1995 wurde die Satzung der UAW so geändert, dass die Überweisung von 50 Millionen Dollar aus dem Streikfond an den Allgemeinen Verwaltungsfond der Gewerkschaft möglich wurde, schrieb Adams. Dann wurde die Satzung 2002 so geändert, dass dem Streikfond 75 Millionen Dollar direkt zugunsten des neu eingerichteten Notfonds entzogen werden konnten, der unter der Kontrolle der Zentrale stand. Schließlich billigte der Gewerkschaftstag 2006 direkte Zahlungen von 50 bzw. 60 Millionen Dollar plus angesammelter Zinsen aus dem Streikfond für angebliche „Rekrutierungskampagnen“ bzw. für Werbung für die „Anschauungen und Prinzipien der UAW“ adressiert an ein „ausgewähltes oder nationales“ Publikum.

Die missbräuchliche Verwendung von Investitionsgewinnen und direkten Entnahmen „ermöglichten der Gewerkschaftsbürokratie ihre Positionen völlig unabhängig von der Zahl der Mitglieder in der Gewerkschaft zu finanzieren“, schreibt Adams.

Die UAW beschäftigt heute, bei 400.000 Mitgliedern, die gleiche Zahl hoch bezahlter Funktionäre (nämlich 800), wie früher, als sie noch 1,4 Millionen Mitglieder hatte. Ihrem Rechenschaftsbericht an das Arbeitsministerium von 2014 zufolge verfügt die UAW über Investitionen in Höhe von 784 Millionen Dollar. Der größte Teil davon steckt in Börsen-Portfolios an der Wall Street, wie zum Beispiel dem „Pimco Tactical Opportunistic Offshore Fund L.P.“. Der Gewerkschaftstag der UAW im letzten Jahr billigte erneut den Abzug von 25 Millionen Dollar aus dem Streikfond, um mit dem Geld „Umstrukturierungsinitiativen“ zu finanzieren.

Adams fasst die Verwandlung der UAW in ein Unternehmen zusammen. Er beschreibt die Übertragung von vielen Milliarden Dollar der Autokonzerne auf von der UAW verwaltete gemeinsame Fonds und erklärt: „Die UAW und GM haben ein zwanzigjähriges Experiment durchgeführt, in dem sie die Arbeitsbeziehungen auf der Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften und dem Management aufgebaut haben. Dadurch wurde die Gewerkschaft in einen Wurmfortsatz der Personalabteilung des Unternehmens verwandelt. An der Wende zum 21. Jahrhundert wurde die UAW von der UAW AG überschattet, einem Wirtschaftsunternehmen, das nur noch dem Namen nach eine Arbeiterorganisation war.“

Ein wirklicher Kampf der Autoarbeiter mit einem nationalen Streik, für den die breiteste Unterstützung in der Arbeiterklasse mobilisiert wird, erfordert eine Rebellion gegen dieses Milliarden-Dollar-Unternehmen und den Aufbau neuer Organisationsformen, die von der Basis kontrolliert werden und von einer internationalistischen und sozialistischen Strategie angeleitet werden.

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