Zehn Jahre seit Hurrikan Katrina

Diese Woche ist der zehnte Jahrestag von Hurrikan Katrina, der am 29. August 2005 auf die US-amerikanische Golfküste traf.

Die Welt beobachtete die Ereignisse vor zehn Jahren mit Entsetzen. Die Sturmflut, die Hurrikan Katrina begleitete, durchbrach die völlig unzureichenden Deiche von New Orleans und überflutete vier Fünftel der Stadt. Zehntausende Bewohner konnten dem Sturm nicht entkommen und waren in ihren Häusern gefangen; Menschen klammerten sich auf ihren Dächern fest, ohne Essen und Trinken. Tausende saßen unter schrecklichen Bedingungen im Superdome von New Orleans fest. In den Krankenhäusern, die keinen Strom mehr hatten, waren hunderte Patienten gefangen.

Mindestens 1.800 Menschen fanden in den fünf Bundesstaaten entlang der Küste, in denen der Hurrikan wütete, den Tod. Eine Million Menschen verloren ihre Wohnungen und waren gezwungen, in andere Städte in der Region umzuziehen.

Zum Jahrestag sind eine Unzahl Medienkommentare erschienen, aber kaum einer befasst sich mit der wirklichen Bedeutung dieses Ereignisses. Die Tragödie, die New Orleans und den Küstenstreifen von Florida bis Texas heimsuchte, war nicht einfach eine Naturkatastrophe, sondern ein gesellschaftliches und politisches Verbrechen.

Die Verwüstungen, die der Sturm anrichtete, enthüllten schonungslos die Realität des amerikanischen Kapitalismus: die Armut auf Dritte-Welt-Niveau, die allgegenwärtige Ungleichheit, die katastrophalen Folgen, die eine jahrzehntelange Vernachlässigung der gesellschaftlichen Infrastruktur hervorrief, die schockierende Inkompetenz des politischen Establishments und die Gleichgültigkeit, mit der die herrschende Klasse ein wichtiges Wirtschafts- und Kulturzentrum des Landes behandelte, von seiner arbeitenden Bevölkerung ganz zu schweigen.

Dass ein schwerer Hurrikan eine solche Katastrophe hervorrufen konnte, war nicht unvorhersehbar, und es wurde in der Tat vorhergesehen. Wissenschaftler hatten schon lange gewarnt, dass die Deiche von New Orleans nicht ausreichen würden, um die Stadt zu schützen, falls ein Hurrikan direkt auf sie treffen würde. Aber nichts wurde unternommen.

Es war bekannt, dass ein Deichbruch zu enormen Überflutungen führen würde. Aber es wurden keinerlei Evakuierungspläne erstellt.

Als der Sturm heraufzog, wurden die Bewohner aufgefordert, sich selbständig in Sicherheit zu bringen. Aber Tausenden fehlte jede Möglichkeit dazu. Es gab keine Vorkehrungen für öffentliche Transportmittel, medizinische Hilfe oder Notfallhilfe, um das von den Fluten verursachte menschliche Leid zu lindern.

Die Bush-Regierung reagierte auf den Hurrikan Katrina mit seltener Dummheit und Rücksichtslosigkeit. Für Kriege im Ausland und für den Aufbau eines Polizeistaats im eigenen Land im Namen der „Homeland Security“ stellten die Regierung unbegrenzte Mittel bereit. Aber was ihre Verantwortung für die Katastrophe betraf, wusch sie die Hände in Unschuld. Die Regierung verweigerte den Opfern des Hurrikans die notwendigen Hilfen. Stattdessen forderte Bush die amerikanische Bevölkerung zynisch auf, an wohltätige Organisationen zu spenden.

Es war eine Vorwegnahme der Art und Weise, wie die Regierung später auf den Bombenanschlag auf den Boston Marathon und auf die Proteste gegen Polizeigewalt reagieren sollte. Sie mobilisierte vor allem die Nationalgarde und Bundestruppen. Ausgangssperren wurden verhängt, und eine Medienkampagne verbreitete aufgebauschte Berichte über Straßenplünderer. In einem Fall erschoss die Polizei einen Einwohner, der versuchte, über die Danziger Bridge der Katastrophe zu entkommen. Die demokratische Gouverneurin von Lousiana, Kathlin Blanco, erklärte damals: „Sie haben M-16 Sturmgewehre und sie sind geladen. Diese Truppen wissen, wie man schießt und tötet und ich gehe davon aus, dass sie es tun werden.“

Was die Ereignisse vor zehn Jahren betrifft, haben Demokraten und Republikaner gleichermaßen Blut an den Händen. Seit 25 Jahren lenken Regierungen beider Parteien gesellschaftliche Mittel für Infrastruktur und Sozialprogramme in die Taschen der Wirtschafts- und Finanzaristokratie um.

Später gab es Bemühungen, die Reaktion der Regierung auf Katrina den „rassistischen Republikanern“ anzulasten. Dies ignoriert aber die Rolle von Bürgermeister Ray Nagin, einem früheren Vorstand von Cox Communications. Er verkörpert die Schicht afroamerikanischer Politiker in der Demokratischen Partei, die schon seit langem für rechte, wirtschaftsfreundliche Politik stehen. Nagin leitete die Stadtpolitik in den Jahren nach Katrina. Wegen Korruption wurde er später zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Die herrschende Klasse sah die Zerstörung von New Orleans als Chance, die Klassenbeziehungen in der Stadt neu zu ordnen und sie zu einem Modell für das ganze Land zu machen. In den zehn Jahren seit dem Hurrikan wurde praktisch das gesamte öffentliche Schulsystem abgewickelt oder profitorientierten Konzernen auf dem Silbertablett serviert. Große Wohnsiedlungen wurden dem Erdboden gleich gemacht. Das Charity-Krankenhaus, das 1736 gegründet worden war, um für Arme und Mittellose zu sorgen, wurde 2005 geschlossen, obwohl es nur geringfügige Flutschäden davongetragen hatte. Tausende Bewohner ohne Krankenversicherung wurden dadurch einer lebenswichtigen Einrichtung beraubt.

Ganze Teile von New Orleans wurden entvölkert. Zehntausende, die geflohen waren, konnten nicht zurückkehren. Die offizielle Bevölkerungszahl der Stadt brach von 455.000 auf 208.000 ein. Heute liegt sie bei 379.000. Aber in einigen, besonders von der Flut betroffenen Vierteln beträgt die Bevölkerungszahl auch heute noch kaum ein Drittel von vor zehn Jahren. Andere Stadtteile wie Tremé, das historische Zentrum des Jazz und der Arbeiterkultur, wurden systematisch gentrifiziert.

Die herrschende Klasse hat Katrina genutzt, um die soziale Konterrevolution in den USA zu verschärfen. Der Angriff auf die öffentliche Bildung und die Sozialdienste und die Privatisierung öffentlichen Eigentums wurden im Namen der „Erneuerung“ von New Orleans durchgeführt. Das gleiche Konzept kennt man inzwischen auch in Detroit, wo es unter der Fuchtel eines mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten „Notfallmanagers“ und eines Bundeskonkursgerichts durchgesetzt wird.

Drei Jahre später sollte das finanzielle Pendant zu Katrina, der Wall Street Crash von 2008, dazu führen, dass Präsident Obama Unsummen Geldes von der Arbeiterklasse auf die Reichen und Superreichen übertrug. Aus diesem Grund beinhalten die offiziellen Feierlichkeiten zum Gedenken an Hurrikan Katrina auch ein Element des Triumphs: Die herrschende Klasse klopft sich selbst auf die Schultern.

Die New York Times fasste die Stimmungslage in offiziellen Kreisen in ihrem Hauptartikel zum Jahrestag in folgende Worte: „In der Stadt, in der lange Fatalismus herrschte, sind heute Optimisten auf dem Vormarsch. Sie stehen dafür, dass ein Zustrom intelligenter Newcomer, ein Schub von Unternehmergeist und eine neue Begeisterung für ziviles Engagement der Stadt eine große Zukunft verheißen. Zumindest drängen sie das lange vorherrschende Katastrophen-Narrativ zurück.“

Die World Socialist Web Site schrieb damals zu der gesellschaftlichen Katastrophe, die Hurrikan Katrina verursachte:

„Der Hurrikan Katrina hat die furchtbare Wahrheit über das zeitgenössische Amerika ans Licht gebracht: Das Land ist von heftigen Klassengegensätzen zerrissen. Es wird von einer korrupten Plutokratie geführt, die weder Sinn für die gesellschaftliche Realität noch für öffentliche Verantwortung besitzt. Und es erachtet Millionen Menschen als überflüssig, die weder über eine soziale Absicherung verfügen, noch auf öffentliche Hilfe zählen können, wenn sie zum Opfer einer Katastrophe werden. … Die zentrale Lehre aus New Orleans lautet, dass die elementaren Erfordernisse einer Massengesellschaft nicht mit einem System zu vereinbaren sind, das alles der Bereicherung einer Finanzoligarchie unterordnet.“

Diese grundlegenden Wahrheiten gelten zehn Jahre danach umso mehr.

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