Drei erfolgreiche Veranstaltungen zum 75. Todestag Leo Trotzkis

Über 200 Teilnehmer kamen in der vergangenen Woche zu den Veranstaltungen „75 Jahre seit der Ermordung Leo Trotzkis“ der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in Berlin, Frankfurt und Bochum. Im Zentrum der Diskussion stand die Aktualität des großen Revolutionärs angesichts der Entwicklung von Krieg und Diktatur.

Die IYSSE-Veranstaltung an der Berliner Humboldt-Universität

An der Humboldt-Universität in Berlin hatten sich fast einhundert Studierende und Arbeiter versammelt, um den Vortrag von Peter Schwarz zu verfolgen. Der Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) begann seinen Vortrag mit einer Analyse der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus.

„Die kapitalistische Gesellschaft befindet sich wieder weltweit in einer tiefen Krise. Militarismus, Nationalismus und faschistische Kräfte sind auf dem Vormarsch“, sagte Schwarz. „Die schrecklichen Terroranschläge von Paris kamen wie gerufen, um diese Agenda voranzutreiben. Führende Zeitungen – allen voran die FAZ und die Welt – reagieren mit dem Ruf nach einem autoritären Staat und einer rechten Regierung.“

Die Bevölkerung lehne diese Entwicklung ab, die Opposition finde aber keinen politischen Ausdruck und keine Perspektive. Wie am Ende der Weimarer Republik drohe eine kleine Clique eine extrem rechte Agenda durchzusetzen, wenn ihr niemand entgegentrete.

In dieser Situation sei eine Beschäftigung mit Trotzkis Leben, seiner Ermordung und vor allem seinen Schriften von großer Bedeutung.

Die Ermordung Trotzkis sei der Höhepunkt eines politischen Völkermords gewesen, erklärte Schwarz. „Der stalinistische Terror richtete sich gegen die gesamte sozialistische Kultur, die von Marxisten – gerade auch hier in Deutschland – über Jahrzehnte hinweg entwickelt worden war, die tiefe Wurzeln im Bewusstsein der Arbeiterklasse geschlagen und in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution eine enorme Blüte erfahren hatte. Ohne diese Enthauptung der sozialistischen Arbeiterbewegung hätten der Zweite Weltkrieg und der Holocaust nicht stattfinden können.“

Trotzki sei der herausragendste Vertreter dieser Generation revolutionärer Sozialisten gewesen. Er habe schon früh die Bedeutung einer internationalen Perspektive verstanden und die Theorie der Permanenten Revolution entwickelt. Gestützt darauf sei er nicht nur neben Lenin der wichtigste Führer der Oktoberrevolution, sondern auch unversöhnlicher Gegner der stalinistischen Degeneration der Sowjetunion gewesen.

Trotzki habe wie kein anderer die objektiven Triebkräfte verstanden, die den deutschen Kapitalismus in Krieg und Faschismus trieben. Um die Arbeiter wieder in einen Weltkrieg schicken zu können, mussten sämtliche Arbeiterorganisationen zerschlagen werden. „Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten“, zitierte Schwarz aus Trotzkis Schrift „Was nun?“.

Aus diesem Verständnis heraus sei Trotzki für eine Einheitsfront der Arbeiterparteien SPD und KPD gegen die Nazis eingetreten. Die KPD habe sich geweigert, die faschistische Gefahr anzuerkennen, die SPD als sozialfaschistischen Zwillingsbruder der Nazis bezeichnet und schließlich, als Hitler Kanzler wurde, keine Gegenwehr organisiert.

Als sie und die Kommunistische Internationale die Politik verteidigten, die zu dieser Katastrophe geführt hatte, habe Trotzki den Schluss gezogen, dass sie nicht mehr reformiert werden konnten und zum Aufbau der Vierten Internationale aufgerufen. „Ohne eine sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht der gesamten menschlichen Kultur eine Katastrophe. Alles hängt nunmehr vom Proletariat ab, das heißt vor allem von seiner revolutionären Vorhut. Die geschichtliche Krise der Menschheit läuft auf die Krise der revolutionären Führung hinaus“, zitierte Schwarz aus dem Gründungsdokument der Vierten Internationale.

Sven Wurm

Als zweiter Redner sprach Sven Wurm, Vertreter der IYSSE im Studierendenparlament der HU, zur Bedeutung dieser Fragen für die Arbeit der IYSSE an den Universitäten. Es sei kein Zufall, erklärte Wurm, dass die ideologische Kriegsvorbereitung an der Universität mit Angriffen auf Leo Trotzki einher gehe.

Professor Jörg Baberowski, der in seinen Schriften die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlose, sei auch federführend an den Angriffen auf Trotzki beteiligt. Er selbst habe Trotzki in etlichen Publikationen mit Stalin gleichgesetzt. Anfang 2014 habe er versucht, Robert Service durch eine Einladung an die HU zu rehabilitieren. Die Trotzki-Biografie von Service – eine Schmähschrift, die mit Fälschungen und Lügen arbeitet – sei zu diesem Zweitpunkt wissenschaftlich völlig diskreditiert gewesen.

Den Vorträgen folgte eine lebhafte Diskussion, die auch nach der Veranstaltung in kleineren Gruppen fortgesetzt wurde. Dabei spielte die gegenwärtige Kriegsentwicklung ebenso eine Rolle wie geschichtliche Fragen zum Leben und den Ideen Trotzkis.

Büchertisch in Frankfurt

Auch in Frankfurt, wo etwa 50 Arbeiter und Jugendliche an der Veranstaltung teilnahmen, entwickelte sich nach dem Beitrag von Schwarz eine rege Diskussion. Dabei stand die Frage des Aufbaus einer revolutionären Partei im Zentrum. Eine Teilnehmerin schlug vor, die Wirkung einer solchen marxistischen Partei durch Zusammenarbeit mit andern Parteien zu verstärken. Ein Student schloss sich dem an und warf die Frage auf, ob nicht die Mitarbeit in bestehenden Gewerkschaften nötig sei, „um das Vertrauen der Arbeiter in die eigene Kraft zu stärken“, wie er sagte.

Peter Schwarz betonte, dass das Vorhaben, sich möglichst rasch mit möglichst vielen Organisationen zusammenzuschließen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. „Die allererste Frage“, so Schwarz, „muss lauten: Auf welcher Grundlage bauen wir unsere Partei auf?“ Auf diese Frage habe Karl Liebknecht mit den Worten: „Erst Klarheit, dann Einheit“ geantwortet. Er fuhr fort: „Warum gibt es denn heute keine breite sozialistische Bewegung in der Arbeiterklasse? Das kann man nur verstehen, wenn man die historischen Verbrechen der Stalinisten kennt. Wir haben schon über ihre Massenmorde gesprochen, und ihre Politik führte zu wirklich historischen, verheerenden Niederlagen.“

Wer sich mit allen möglichen Bewegungen zusammenschließen wolle, um rasch größer zu werden, müsse das Beispiel von Syriza studieren, fuhr Schwarz fort. „Syriza, Podemos, Die Linke in Deutschland – es gibt überall solche Parteien, die sich aus verschiedenen Gruppen zusammensetzen, die sich teils ‚sozialistisch‘, teils ‚marxistisch‘ nennen: Im Wesentlichen sind es Parteien der gehobenen Mittelklasse. Sie haben die Klassenfragen durch Identitäts-, Gender-, Umwelt- und andere Fragen ersetzt. Es sind bürgerliche Parteien, und sobald sie an die Macht kommen, machen sie eine rechte Politik.“

Ähnlich sei es mit den Gewerkschaften. Schwarz betonte: „Wenn es in den letzten dreißig Jahren einen Faktor gegeben hat, der das Selbstvertrauen der Arbeiter zerstört hat, dann sind es die Gewerkschaften.“ Er erklärte, dass die Globalisierung der nationalen, reformistischen Politik der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften den Boden entzogen habe.

Schwarz schilderte, wie sich die Gewerkschaften in die Konzerne integriert und zu einer Betriebspolizei entwickelt haben, die jede Art sozialer Opposition unterdrücken. „Unsere Website ist voller Berichte darüber, wie die Gewerkschaften die aktuellen Kämpfe der Arbeiter ausverkaufen. In jedem Bereich, ob es die Luftfahrt, die Bahn oder die Kitas sind, begegnen die Arbeiter den Gewerkschaften heute mit Hass. Sie sehen sie nicht mehr als ihre Interessenvertreter.“

Ähnliche Fragen kamen auch am Donnerstag an der Ruhruniversität in Bochum auf, wo sich mehr als 60 Zuhörer versammelt hatten. Dort meldete sich ein Stahlarbeiter zu Wort und erklärte, dass Arbeiter in seinem Betrieb, die ihre Rechte verteidigen wollen, sofort mit der Gewerkschaftsbürokratie konfrontiert seien. Auch die Erfahrungen mit Syriza wurden von Teilnehmern aufgegriffen.

Ein Zuhörer warf die Frage auf, wie der Faschismus in Deutschland hätte verhindert werden können. Das zentrale Problem sei auch damals die Frage der Führung der Arbeiterklasse gewesen, antwortete Schwarz. SPD und KPD hätten sich geweigert, die Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf gegen die Nazis zu führen.

Auch die aktuelle Kriegsentwicklung wurde diskutiert. Als ein Student die Frage aufwarf, ob nicht China der Aggressor im Pazifik sei, stellte Schwarz unmissverständlich klar, dass die USA mit ihrem „Pivot to Asia“ gezielt einen Krieg gegen China vorbereiten, um mit ihrer militärischen Macht die wirtschaftliche Vorherrschaft in Asien zu erzwingen.

„In den USA gibt es mächtige Stimmen in herrschenden Kreisen, die diskutieren, ob man nicht so schnell wie möglich Krieg gegen China führen solle, anstatt zu warten bis China aufgerüstet habe“, erklärte Schwarz. Er erinnerte daran, dass in der deutschen Bourgeoisie ganz ähnliche Diskussionen vor dem Ersten Weltkrieg in Bezug auf Russland geführt worden waren.

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