Deutsche Politik und Medien fordern Staatsaufrüstung

Nach den schrecklichen Terroranschlägen in Brüssel rücken Politik und Medien in Deutschland weiter nach rechts. Allen voran Innenminister Thomas de Maizière trommelt unablässig für eine systematische Aufrüstung des Staatsapparats in Deutschland und Europa.

„Das Wichtigste zur Vorbeugung sind Informationen. Wir müssen die Informationen austauschen, die da sind“, erklärte er im ZDF. Es gebe in Europa immer noch „getrennte Datentöpfe der Ausländerbehörden, der Visa-Behörden, der Polizeibehörden, der Nachrichtendienste“. Diese müssten besser vernetzt werden. Es könne „nicht sein, dass Datensilos Vorbeugung verhindern“.

In den ARD-Tagesthemen wiederholte er seine Forderungen: „An den Außengrenzen des Schengenraums sind zu viele Lücken. Wir brauchen Ein- und Ausreiseregister für den Schengenraum.“ Dann fügte er hinzu: „Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten wie diesen hat Sicherheit Vorrang.“ Europa sei gemeinsam bedroht, deshalb sei jetzt auch ein gemeinsamer Kampf gegen den Terror notwendig.

Der Fraktionsvorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), plädierte für eine Neuorganisation der europäischen Sicherheitsarchitektur. „Kein Staat alleine kann diese Herausforderung lösen“, erklärte Weber am Donnerstag in der Welt. Es müsse „Schluss sein mit den nationalen Egoismen, mit Wegducken und Schuldzuweisungen“.

Die Offensive der Unionspolitiker wird von der SPD voll unterstützt. So bezeichnete der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka in der Mitteldeutschen Zeitung die „fehlende Vernetzung der Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene“ als „derzeit größte offene Flanke bei der Terrorismusabwehr, die es schleunigst zu schließen gilt“. Seine Forderung: „Wir brauchen einen besseren Datenaustausch untereinander und ein Europäisches Terrorismusabwehrzentrum.“

Der SPD-Obmann im Bundestags-Haushaltsausschuss, Johannes Kahrs, verlangte eine deutliche Aufstockung der Sicherheitskräfte. Die 3000 neuen Stellen bei der Bundespolizei könnten da nur der Anfang sein, sagte er gegenüber der Welt und bezifferte den zusätzlichen Bedarf auf 11.000 Stellen. Für eine bessere Sicherung der Grenzen würden außerdem 3000 zusätzliche Kräfte, für die Sicherheit im Luftverkehr 5000 und für den Zoll 2500 neue Sicherheitskräfte benötigt.

Die Anti-Terror-Pläne der Bundesregierung, die gestern auf einem Sondergipfel der EU-Innenminister in Brüssel diskutiert wurden, sind eine Absage an elementare rechtsstaatliche Grundsätze. Sie treten das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten mit Füßen, das nach den schrecklichen Erfahrungen der Nazi-Diktatur im deutschen Grundgesetz verankert worden war, und schaffen die Grundlagen für den Aufbau eines europäischen Polizeistaats unter deutscher Führung.

Linkspartei und Grüne unterstützen diesen Kurs. Wenn ihre Vertreter Kritik an der Regierung äußern, kommt sie in der Regel von rechts. So machte Grünen-Chef Cem Özdemir in der Neuen Osnabrücker Zeitung de Maizière mitverantwortlich für die Defizite bei der europäischen Sicherheitszusammenarbeit. Als Mitglied des Rates für Justiz und Inneres der EU hätte er einen funktionierenden Datenaustausch schon längst anschieben können. Dies müsse jetzt entschieden geschehen, schließlich handelten Terroristen und Verbrecher über alle Landesgrenzen hinweg.

Die Linken-Abgeordnete Martina Renner, die dem Innenausschuss des Bundestags angehört, beklagte sich im Deutschlandfunk, dass die Forderung nach mehr Datenaustausch „an vielen Stellen zu kurz“ greife. Oftmals werde dieser „unter Vorbehalt gestellt und das nutzt den Polizeien ganz wenig“. Notwendig sei auch „klassische Polizeiarbeit“. Wörtlich sagte sie: „Und wenn es dort mangelt an Personal und technischem Know-how […], dann muss man tatsächlich […] in Deutschland mit dem BKA darüber reden, was dort notwendig wäre, um zum Beispiel diese Aufklärungsarbeit im Vorfeld wirklich erfolgreich durchführen zu können.“

Die Behauptung, dass mit einer Aufrüstung der deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden Terroranschläge „aufgeklärt“ oder gar verhindert werden könnten, ist reine Propaganda. Laut einem Bericht der israelischen Tageszeitung Ha'aretz vom Mittwoch waren „den belgischen und anderen europäischen Geheimdiensten […] mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ nicht nur die Attentäter von Brüssel bekannt, sondern auch deren Ziele.

Im ersten Kommentar der World Socialist Web Site zu den Terroranschlägen von Brüssel hieß es: „Trotz der schrecklichen Anschläge […] ist es wichtig, dass sich die Menschen nicht von der Medienpropaganda und den durch und durch verkommenen Politikern in neue Kriege und neue Polizeistaatsmaßnahmen hetzen lassen.

Alle Erklärungen bürgerlicher Politiker gegen terroristische Gewalt sind heuchlerisch und unehrlich. Die Anschlagsserie des IS in Europa, von Charlie Hebdo und dem 13. November im letzten Jahr in Paris bis hin zu den gestrigen Bombenanschlägen in Brüssel sind nicht von den jahrzehntelangen Kriegen und militärischen Interventionen zu trennen, die große Teile des Nahen Ostens zerstört und den Rest destabilisiert haben.“

Wer die Kommentare in der bürgerlichen Presse liest, kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass die jüngsten Terroranschläge für einige Vertreter der deutschen Eliten wie gerufen kamen.

Ulf Poschardt, der stellvertretende Chefredakteur der Welt, verlangt in einem Kommentar unter dem Titel „Der Terror erfordert kompromisslose Antworten“ mit „Gelassenheit und Unerbittlichkeit“ der „Barbarei zu begegnen“. Dazu gehöre, „europaweit die Etats für innere Sicherheit zu erhöhen“. Auch Deutschland müsse „überprüfen, ob es – belastet durch die Flüchtlingskrise – über genug Polizeikräfte an Flughäfen und Bahnhöfen verfügt. Unsere Sicherheitskräfte müssen unterstützt werden, um die Sicherheit zu garantieren, die Freiheit erst möglich macht.“

Jochen Bittner, der politische Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit, verbindet in einem Gastbeitrag für die New York Times die Forderung nach innerer Aufrüstung mit rechter Hetze gegen den Islam. „Um des sozialen Friedens willen haben wir uns nach den Angriffen von 9/11 und dann Madrid und London gesagt, dass der Islam und der Islamismus nichts miteinander zu tun haben. Aber leider ist das so.“

Ein Ergebnis davon sei, dass es „zu viele Islamisten und zu wenig Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter“ gebe. Europa verfüge zwar „über eine gemeinsame europäische Währung, aber noch immer nicht über eine gemeinsame Anti-Terror-Datei“. Die „Islamisten in Westeuropa“ seien damit besser vernetzt, als „die Europäischen Institutionen, die sie jagen“. Bittners Hoffnung: Die deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Sie solle Europa aus diesem Dilemma „führen“ und „Druck ausüben, damit die Geheimdienste miteinander kooperieren“.

Dass ausgerechnet Bittner die Anschläge von Brüssel nutzt, um nach einer europaweiten Staatsaufrüstung unter „deutscher Führung“ zu rufen, verrät viel über den wirklichen Hintergrund der Kampagne. Bittner verfügt über engen Verbindungen zu außenpolitischen Thinktanks und regierungsnahen Stiftungen und tritt eine aggressive deutsche Außenpolitik ein.

Im Jahr 2013 war Bittner Mitglied der Arbeitsgruppe aus führenden deutschen, Journalisten, Akademikern, Militärs, Wirtschaftsvertretern und Politikern aller Bundestagsparteien, die unter dem Titel „Neue Macht – neue Verantwortung: Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch“ die Rückkehr des deutschen Militarismus vorbereitete.

Kurz nach der Veröffentlichung des Papiers schrieb er für die New York Times einen programmatischen Artikel mit dem Titel „Rethinking German Pacifism“ („Den deutschen Pazifismus überdenken“), der für die neue deutsche Kriegspolitik warb. Er geißelte den „zu tief verankerten Pazifismus“ der Deutschen und forderte mehr „militärische Interventionen“. Unter Bedingungen der wachsenden Opposition unter Arbeitern gegen soziale Ungleichheit und Krieg dient der Aufbau eines europäischen Polizeistaats diesem Ziel.

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