Perspektive

Vorwahlen in den USA

Clintons Niederlagen verschärfen Krise der Demokraten

Bernie Sanders gewann am Samstag bei Wahlversammlungen der Demokratischen Partei im Bundesstaat Washington, auf Hawaii und in Alaska haushoch gegen seine Rivalin Hillary Clinton.

Das Ausmaß von Clintons Niederlagen war in allen drei Staaten außerordentlich, obwohl sie mit dem Nimbus der Spitzenkandidatin ins Rennen um die Präsidentschaftsnominierung ging. In den Wahlversammlungen in Washington, im äußersten Nordwesten des Landes, schlug Sanders Clinton mit 73 zu 27 Prozent. In Alaska war das Ergebnis 82 zu 18 Prozent, und auf Hawaii gewann Sanders die Wahlversammlungen mit 70 zu 30 Prozent.

Der Senator aus Vermont hat sechs der sieben letzten Abstimmungen der Demokratischen Partei gewonnen, darunter die am vergangenen Dienstag in Utah und Idaho. Clinton gewann am gleichen Tag lediglich in Arizona.

Die Beteiligung an den Wahlversammlungen, die in der Regel wesentlich geringer als bei Wahlen ist, näherte sich am Wochenende den Rekordzahlen von 2008 an oder übertraf sie sogar. In Washington beteiligten sich mindestens 225.000 Menschen. Ein Artikel im Atlantic schrieb zu Sanders' Erdrutschsieg: „Er hat in Washington jeden Bezirk erobert, und in Alaska gewann er in allen vierzig Bezirken mit zweistelligem Vorsprung.“

Die Abstimmungen haben die politische Krise der Demokratischen Partei vertieft. Selbst ein Sieg Clintons mit nur geringem Vorsprung über einen Kandidaten, der sich als Sozialisten bezeichnet, wäre von großer Aussagekraft. Als 1968 Senator Eugene McCarthy inmitten der wachsenden Opposition gegen den Vietnamkrieg bei den Vorwahlen in New Hampshire mit 42 Prozent zu 49 Prozent gegen Lyndon B. Johnson unterlag, wurde das fast als das Ende des amtierenden Präsidenten Johnson gesehen. Das Ergebnis trug zu Johnsons Entscheidung drei Wochen später bei, sich aus dem Präsidentschaftswahlkampf zurückzuziehen.

Es ist äußerst bemerkenswert, dass Clinton, die politische Repräsentantin des Status Quo, in so vielen Bundesstaaten nicht nur verliert, sondern vernichtend geschlagen wird. Sie erleidet in vielen Abstimmungen haushohe Niederlagen, obwohl sie schon als quasi unvermeidliche Siegerin des Nominierungsprozesses hingestellt wird. Ihre Niederlagen sind für die Aufforderungen führender Demokratischer Vertreter einschließlich Präsident Obamas, dass Sanders seinen Wahlkampf einstellen solle, ein Schlag ins Gesicht. In einem politischen System, das in irgendeiner Weise die Unzufriedenheit der Bevölkerung berücksichtigt, würde Clintons Kandidatur längst als aussichtslos gelten.

Im Gegensatz zu allem, was die Medien schreiben, ist die Hauptfrage nicht, wer die meisten Delegierten hat, sondern welche politische Dynamik sich entwickelt. Selbst wenn es Sanders nicht gelingen sollte, Clintons immer noch beträchtlichen Vorsprung bei der Zahl der Delegierten aufzuholen (v.a. die so genannten „Superdelegierten“, d.h. Parteikader, Amtsinhaber und Politiker, die nicht in Vorwahlen und auf Parteiversammlungen gewählt werden, unterstützten Clinton), kann nicht mehr verheimlicht werden, dass das Aushängeschild der Demokraten zutiefst unpopulär ist.

Der Ausgang des Nominierungsprozesses ist bei Demokraten wie Republikanern nach wie vor völlig offen. Klar ist aber, dass sich das Zwei-Parteien-System, durch das die Kapitalistenklasse in den USA seit fast 150 Jahren ihre Herrschaft ausübt, in Auflösung befindet.

Der soziale Unmut, der sich über Jahrzehnte angestaut und seit dem Börsencrash von 2008 enorm zugenommen hat, artikuliert sich immer deutlicher politisch. Die Vereinigten Staaten sind von enormer sozialer Ungleichheit geprägt. Eine Handvoll Milliardäre besitzt mehr Reichtum als die untere Hälfte der Bevölkerung. Hinzu kommen die Auswirkungen von 25 Jahren Krieg. Besonders die letzten 15 Jahre des „Kriegs gegen den Terror“ haben Spuren hinterlassen.

Diese Tatsachen dringen mehr und mehr an die politische Oberfläche. Und das Establishment reagiert schockiert. Nicholas Kristof von der New York Times machte kürzlich das bemerkenswerte Eingeständnis, er habe, wie die übrigen Medienvertreter, „das Leid amerikanischer Arbeiter weitgehend ausgeblendet“.

Kristof machte diese Bemerkung zwar im Zusammenhang mit Hinweisen auf die Unterstützung eines Teils der Arbeiter für Trump. Aber die generelle Entwicklung der amerikanischen Arbeiterklasse geht nach links, nicht nach rechts.

Die breite antikapitalistische Stimmung unter Arbeitern und vor allem von jungen Wähler, die in ihrem bewussten Leben bisher nur Krisen und Krieg erlebt haben, nimmt vorübergehend die Form von Unterstützung für Sanders an. Der Senator aus Vermont, der viel seltener in den Medien präsent ist als die anderen Hauptkandidaten, hatte vor dem letzten Wochenende bereits 1,5 Millionen Stimmen von unter 30-jährigen erhalten und damit 300.000 mehr als Clinton und Trump zusammen.

In diesen Zahlen drückt sich ein tiefer gesellschaftlicher Trend aus, der mit einer Veränderung im politischen Bewusstsein einhergeht. Eine Umfrage von YouGov fand Anfang des Jahres heraus, dass Amerikaner unter 30 den Sozialismus positiver beurteilen (43 Prozent) als den Kapitalismus (32 Prozent). Sechzehn Prozent der unter Dreißigjährigen bezeichneten sich als Sozialisten, wohingegen nur elf Prozent sich als pro-kapitalistisch definierten.

Eine andere aktuelle Umfrage ergab, dass 56,5 Prozent der 18 bis 35-Jährigen sich als Teil der „Arbeiterklasse“ betrachten. Diese Kategorie ist in der amerikanischen Politik verpönt und kommt in den Medien so gut wie nicht vor. Der Prozentsatz derjenigen, die sich als Teil der „Mittelklasse“ sehen, sank stetig – von 45,6 Prozent in 2002 auf ein Rekordtief von 34,8 Prozent in 2014.

Die offensichtliche Bereitschaft von Millionen amerikanischer Arbeiter und Jugendlichen, den Sozialismus als Alternative zum bestehenden kapitalistischen System in Betracht zu ziehen, hat im politischen Establishment einen Schock ausgelöst. Sie ist gleichzeitig eine bemerkenswerte Bestätigung des politischen Programms und der Perspektive der Socialist Equality Party (SEP). In ihrem Programm aus dem Jahr 2010 mit dem Titel „Der Zusammenbruch des Kapitalismus und der Kampf für den Sozialismus in den Vereinigten Staaten“ sah sie eine wesentliche Veränderung des politischen Bewusstseins der Arbeiterklasse voraus und erklärte:

„Letztendlich aber waren der gewaltige Wohlstand und die Macht des amerikanischen Kapitalismus die bedeutendste objektive Ursache der Unterordnung der Arbeiterklasse unter das von den Konzernen kontrollierte Zwei-Parteien-System. So lange die USA eine aufsteigende Wirtschaftsmacht waren – von den eigenen Bürgern als ‚Land der unbegrenzten Möglichkeiten‘ wahrgenommen, in dem ein ausreichender Anteil am nationalen Wohlstand verfügbar war, um den Lebensstandard zu erhöhen – waren die amerikanischen Arbeiter nicht von der Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution überzeugt.

Die Veränderung in den objektiven Bedingungen wird allerdings zu einer Veränderung in den Köpfen der amerikanischen Arbeiter führen. Die Realität des Kapitalismus wird den Arbeitern viele Gründe liefern, für einen fundamentalen und revolutionären Wandel in der wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft zu kämpfen. Die jüngeren Generationen der Werktätigen – jene, die in den 1980ern, 1990ern und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts geboren sind, wissen nicht und werden nie erfahren, was kapitalistischer ‚Wohlstand‘ ist. Sie sind die erste Generation von Amerikanern in der jüngeren Geschichte, die keinen der Elterngeneration ebenbürtigen oder gar besseren Lebensstandard erwarten kann.“

Die große Unterstützung für Sanders hat sein eigenes Lager am meisten überrascht. Sie widerspiegelt ein wachsendes revolutionäres Potential, das für den Kandidaten und für die maßvoll reformistischen Teile der Demokratischen Partei, für die er spricht, völlig inakzeptabel ist. Sanders hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, eine Volksbewegung gegen den Kapitalismus anzuführen. Von Anfang an war sein Wahlkampf als Sicherheitsventil für das politische Establishment gedacht.

Im weiteren Verlauf des Wahlkampfs werden die Gegensätze zwischen Sanders’ eigenen Zielen und den Zielen derer, die ihn unterstützen, unvermeidlich zutage treten. Sanders ist sich dieser Gefahr bewusst. Deshalb versuchte er es in Interviews am Wochenende allen Seiten recht zu machen. Auf die Frage, ob er Bedingungen für eine Unterstützung Clintons stelle, falls sie die Nominierung gewinne (z.B. für seine zentralen Programmpunkte wie „Medicare für alle“, Fünfzehn Dollar Mindestlohn oder eine kostenlose College-Ausbildung) wich Sanders aus. Er bezeichnete es als eine Fehlinterpretation, dass er gesagt habe, er werde Bedingungen stellen. Gleichzeitig vermied er es, direkt auszusprechen, dass er Clinton unterstützen werde.

Bei der Bekanntgabe seiner Nominierung im letzten Jahr hatte Sanders erklärt, er werde letztlich den Demokratischen Kandidaten unterstützen, wer immer dies auch sein möge. Im Verlauf der Vorwahlen pries er mehrmals seinen Wahlkampf als das effektivste Mittel an, die Beteiligung von Demokratischen Wählern an der Wahl im November zu erhöhen.

Sanders Wahlkampfparolen, in denen er die „Milliardärsklasse“ und das vom Geld der Wirtschaft beherrschte politische System verurteilt, beschäftigen sich nur mit einigen oberflächlichen Aspekten der amerikanischen Gesellschaft, nennen aber nicht die wirkliche Ursache für die Unzufriedenheit der Massen beim Namen: das kapitalistische System.

Die Fragen, die die Arbeiterklasse antreiben – der Kampf gegen Krieg, Ungleichheit und Zerstörung demokratischer Rechte – können nicht ohne einen entschiedenen Bruch mit der Demokratischen Partei gelöst werden. Ihre Lösung erfordert den Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines wirklich sozialistischen Programms. Die Arbeiter müssen sich weltweit zusammenschließen, um das kapitalistische System zu stürzen und es durch eine rational geplante und demokratisch kontrollierte Wirtschaft zu ersetzen. Das Ziel muss die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse, nicht des privaten Profits sein.

Die Krise des Zwei-Parteien-Systems in dieser Wahl unterstreicht die Dringlichkeit des Aufbaus der Socialist Equality Party. Sie muss in die Kämpfe der Arbeiter eingreifen und die notwendige revolutionäre Führung aufbauen.

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