Oktoberfest-Attentat: Bundesregierung und Verfassungsschutz verweigern Auskünfte

Seit über einem Jahr weigert sich das Bundesamt für Verfassungsschutz, Akten zum Bombenattentat auf das Münchener Oktoberfest vor über 35 Jahren herauszugeben.

Am 26. September 1980 starben in München beim schwersten rechtsterroristischen Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte zwölf Unbeteiligte und der Attentäter Gundolf Köhler, über 200 wurden zum Teil schwer verletzt. Schon damals verschleierten die Ermittlungs- und Geheimdienstbehörden die Hintergründe und Hintermänner des Anschlags. Obwohl Indizien und Zeugenaussagen dafür sprachen, dass staatliche Behörden und neonazistische Terrorgruppen involviert waren, legten sie sich sehr schnell auf die Einzeltäterschaft Köhlers fest. Der Generalbundesanwalt stellte die Ermittlungen schon zwei Jahre nach dem Attentat ein.

Der Initiative des Journalisten Ulrich Chaussy und des Opferanwalts Werner Dietrich war es zu verdanken, dass sich die Bundesanwaltschaft Ende 2014 gezwungen sah, das Verfahren wieder aufzunehmen. Im Februar 2015 forderte sie den Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst auf, ihre Akten über das Oktoberfest-Attentat und die damalige rechte Szene zu sichten und relevante Akten zur Verfügung zu stellen.

Die Staatsanwälte der Karlsruher Bundesanwaltschaft schickten den beiden Geheimdiensten eine lange Liste mit Suchbegriffen: Von Karlheinz Hoffmann, in dessen paramilitärischer Wehrsportgruppe der Attentäter Gundolf Köhler trainierte, bis hin zum Neonazi Heinz Lembke, der verdächtigt wurde, den Sprengstoff für das Attentat geliefert zu haben.

Doch die Staatsanwälte warten immer noch. Der BND hat inzwischen einige Akten geliefert, Namen sind darin jedoch geschwärzt. Der Verfassungsschutz, der weit mehr Dossiers über das Oktoberfestattentat, das Umfeld des Attentäters sowie die damaligen neonazistischen Organisationen besitzt, hält seine Akten immer noch unter Verschluss.

Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner hervor. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft wartet jetzt seit 15 Monaten. Der Verfassungsschutz rechtfertigt die lange Dauer damit, dass es sich um „eine sehr umfangreiche Erkenntnisanfrage“ handle. Eine Antwort des Verfassungsschutzes, so die Bunderegierung, stehe aber kurz vor dem Abschluss.

Die bisherigen Praktiken und Methoden des innerdeutschen Geheimdienstes lassen allerdings vermuten, dass er so viel Zeit braucht, um die Akten zu „frisieren“ oder gar zu vernichten. So hatte der Verfassungsschutz unmittelbar nach der Entdeckung der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU zahlreiche Akten geschreddert.

Es gibt zahlreiche Hinweise auf Verbindungen des Verfassungsschutzes zu Köhler und zur Wehrsportgruppe Hoffmann. In seinem aktualisierten Buch, „Oktoberfest – Das Attentat: Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“, beschreibt Ulrich Chaussy, wie die staatlichen Stellen nach dem Attentat nicht willens waren, Ermittlungen in der rechtsextremistischen Szene zu führen und diese sogar sabotierten. Die Durchdringung damaliger rechtsterroristischen Gruppen, insbesondere der „Wehrsportgruppe Hoffmann“, durch die Verfassungsschutzbehörden wird nach wie vor geheim gehalten. Chaussy zieht in seinem Buch mehrmals Parallelen zu den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

So wurden die Selbstbezichtigungen von zwei Mitgliedern der Wehrsportgruppe Hoffmann von den Behörden abgetan. Die Aussage von Walter Ulrich Behle, V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, „das waren wir“, sei eine „alkoholbedingte Aufschneiderei“ gewesen. Und die Aussage von Stefan Wagner, der sich dann auf der Flucht vor der Polizei selbst richtete, „ich war bei der Aktion gegen das Oktoberfest dabei“, soll falsch gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft behauptete, Wagner habe für den Tag des Anschlags ein eindeutiges Alibi gehabt, während Chaussy in seinem Buch einen hoher Beamten des BKA mit den Worten zitieret, „man habe das Alibi Stefan Wagners aus taktischen Gründen nie überprüft“.

Heinz Lembke, ein Rechtsradikaler, der riesige geheime Waffen- und Sprengstofflager angelegt hatte und im Verdacht stand, den Sprengstoff für das Attentat geliefert zu haben, wurde im Zuge der Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat nicht genauer untersucht. Er wurde erst ein Jahr nach dem Attentat festgenommen, als durch Zufall eines seiner Waffenlager entdeckt wurde. Ein Tag bevor er vor der Staatsanwaltschaft umfassend aussagen wollte, wurde er Anfang November 1981 erhängt in seiner Zelle aufgefunden. In seinen Akten steht der Sperrvermerk: „Nur zum Teil gerichtsverwertbar“, was auf eine V-Mann-Tätigkeit vermuten lässt.

Aufgrund der engen Beziehungen zwischen Verfassungsschutz und Neonazis halten die Bundesregierung und die Geheimdienste seit Jahrzehnten Hintergrundinformationen über das Oktoberfestattentat zurück. Die Bundesregierung hat sich mehrmals geweigert, Anfragen der Bundestagsfraktionen von Grünen und Linken zu beantworten. Klarnamen werden grundsätzlich geheim gehalten.

Zuletzt erklärte der parlamentarische Justizstaatssekretär Christian Lange am 7. April 2015 im Auftrag von Justizminister Heiko Maas (beide SPD) auf eine Anfrage der Grünen, die Regierung sei erneut zu dem Ergebnis gekommen, dass „Fragen zu Art und Weise der Quellenführung sowie zur V-Leute-Eigenschaft von Personen – auch wenn es sich um zeitlich weit zurückliegende Vorgänge handelt – zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste nicht beantwortet werden können“.

Der Informationsanspruch des Parlaments finde seine Grenzen „im Wohl des Bundes oder eines Landes, das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann“. Das Justizministerium stellt so die Interessen des Staates und seiner Geheimdienste höher als die Rechte des Parlaments und das Interesse der Öffentlichkeit.

Beide Fraktionen haben im Mai 2015 eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die Regierung zu zwingen, ihre Fragen zu beantworten. Eine Entscheidung steht noch aus.

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