Corbyn und Cameron nutzen Mord an Cox um Anti-Brexit-Bündnis zu festigen

Der Mord an der Abgeordneten der Labour Party, Jo Cox, durch den Faschisten Thomas Mair wird von den Befürwortern des Verbleibs Großbritanniens in der Europäischen Union (EU) auf zynische Art und Weise benutzt. Die Entscheidung über Austritt oder Verbleib in der EU fällt im Referendum am Donnerstag.

Am Montag wurde Cox im Unterhaus gewürdigt. In einer beispiellosen Geste hatten sich alle Abgeordneten weiße Rosen angesteckt. Der konservative Premierminister David Cameron und der Führer der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, hielten Reden, in denen sie Cox ehrten. Obwohl es gegen die Regeln verstößt, erhoben sich am Ende der Sitzung alle Abgeordneten und applaudierten. Nach den Würdigungen verließen die Parlamentsmitglieder in Zweierreihen das Unterhaus, was der Guardian als „Prozession einer parteiübergreifenden Einheit“ beschrieb. Anschließend begaben sie sich zu einem Gottesdienst in die nahegelegene St.-Margarets-Kirche.

Corbyn und ein Großteil der Labour-Abgeordneten unterstützen Camerons Kampagne für einen Verbleib in der EU. Um jedoch sein Bündnis mit einer Regierung zu vertuschen, die brutale Angriffe gegen die Arbeiterklasse führt, erklärte Corbyn zu Beginn der Referendumskampagne, er würde nicht auf einer Bühne mit dem Tory-Premierminister auftreten. Jetzt tut er genau das. Seine Rede war tatsächlich fast identisch mit der von Cameron. Anschließend ging er mit ihm zusammen in die Kirche.

Seit dem Tod von Cox hat Corbyn nicht ein Wort über die sich häufenden Hinweise auf die faschistische Einstellung des Mörders verloren. Die Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service, CPS) hat dem Amtsgericht von Westminster am Samstag mitgeteilt, Mair habe gegenüber der Polizei erklärt, er sei ein „politischer Aktivist“.

Am Montag, vor der Sitzung des Parlaments, enthüllte die US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center (SPLC), dass Mair im Jahr 2000 an einem Treffen „bestens bekannter“ britischer Faschisten teilgenommen hatte. Zu ihnen gehörte auch „Stephen Cartwright, der dem schottischen Ableger der British National Party nahesteht“.

Dass Mair an dem Treffen teilgenommen hat, war sowohl den britischen als auch den US-amerikanischen Geheimdiensten bekannt. Das SLPC stellt fest: „Todd Blodgett, ein damaliger bezahlter Informant des FBI, der sich auch mit dem MI5 getroffen hat“, erklärte, dass Mair anwesend war. Es fügt hinzu: „Blodgett hatte auf Wunsch von William Pierce, dem damaligen Chef der Neonazi-Organisation National Alliance, geholfen, das Treffen zu organisieren“.

Im Parlament rief Corbyn dazu auf, sich nicht von dem Hass beherrschen zu lassen, der Cox getötet hat. Er verwies darauf, dass es sich dabei immer wahrscheinlicher um „einen Akt extremer politischer Gewalt gehandelt hat“.

Er fügte hinzu: „Cox' Tod war ein Angriff auf die Demokratie und unser ganzes Land ist schockiert, betrübt … und vereint im Schmerz“. Er rief zu einer „freundlicheren und sanfteren Politik“ auf. Er erklärte: „Hier geht es nicht um Parteipolitik.“ Politiker hätten eine Verantwortung dafür, dass „kein Hass angestachelt und keine Zwietracht gesät wird“.

Die wohlüberlegte Verabreichung von politischem Chloroform durch Corbyn stand im Einklang mit dem, was am Montag stattfand. Aus der überwiegenden Mehrheit der Ehrenbezeigungen hätte man nicht schließen können, dass Cox auf der Straße von einem Faschisten niedergemetzelt worden war, der ihr starkes Auftreten zugunsten einer EU-Mitgliedschaft ablehnte. Nur ein einziges Mal, in der Rede des Labour-Abgeordneten Stephen Kinnock, wurde das Wort „Ermordung“ benutzt, um den Tod von Cox zu beschreiben.

Corbyns Aufruf zu einer „freundlicheren und sanfteren Politik“ dient nur dazu, die schmutzige, ausländerfeindliche Atmosphäre zu beschönigen, die nicht nur von den Brexit-Befürwortern, sondern auch von den Brexit-Gegnern angeheizt wurde. Die Befürworter der EU-Mitgliedschaft haben auf die die Austritts-Kampagne reagiert, indem sie fortlaufend ihre eigene Dämonisierung von Einwanderern verstärkt haben.

Nach einer sehr kurzen Pause nach dem Tod von Cox machen die ausländer- und arbeiterfeindlichen Kräfte innerhalb der politischen Elite weiter wie bisher. Sie schrecken vor nichts zurück, um am Donnerstag eine Mehrheit für einen Austritt zu erreichen. Sie haben mit Rage auf den Versuch der Verbleib-Befürworter reagiert, Cox' Ermordung für eine Unterstützung des Verbleibs in der EU zu benutzen.

Bis letzte Woche hatte die Austritts-Kampagne bei Umfragen einen deutlichen Vorsprung aufgebaut. Seit dem Tod von Cox allerdings zeigen die Umfragen eine Zunahme von Stimmen für einen Verbleib; dabei liegt das Verbleib-Lager entweder gleichauf oder leicht vor dem Austritts-Lager.

Am Sonntagabend strahlte die BBC in der Sendung „Question Time” eine weitere Diskussion aus, in der Cameron Fragen aus dem Publikum beantwortete, das gleichermaßen mit Verbleib- und Austrittsbefürwortern sowie unentschiedenen Wählern besetzt war. Wieder einmal ging es fast während der gesamten Sendung um die Frage der Einwanderung, speziell um die Behauptung, die Aufnahme der Türkei in die EU werde zu einer Flut von Millionen von Menschen nach Großbritannien führen.

Der Daily Express verurteilte Cameron nach seinem Auftritt bei „Question Time” und zitierte den Chef der Austrittskampagne, der erklärte: „Man kann Cameron in der Frage der Türkei nicht trauen.“

Am Montag lautete die Überschrift des Leitartikels der Daily Mail, die den Austritt befürwortet:

„Migration – ein Thema, das einfach nicht verschwindet.“

Er erklärt, „die entscheidende Frage der Masseneinwanderung“ sei zu Recht das wichtigste Thema der Diskussion bei der Sendung „Question Time” gewesen, da „die unheilvollen Folgen unserer Politik der offenen Tür gegenüber Migranten aus der EU im Mittelpunkt“ standen.

In einem Interview mit der BBC am Montag erklärte der Führer der UK Independence Party Nigel Farage: „Das Verbleib-Lager benutzt diese furchtbaren Umstände, um zu erklären, dass die Motive eines einzigen geistesgestörten, gefährlichen Individuums dieselben sind, wie die des halben Landes, das glaubt, wir sollten die EU verlassen.“

Mit seinem Lobgesang auf eine „freundlichere, sanftere“ Politik verschleiert Corbyn bewusst, dass der Dreck, der von der Referendumskampagne aufgewühlt wird, keine Verirrung ist, sondern sich logisch aus den reaktionären Zielen der sich bekämpfenden Fraktionen der herrschenden Elite ergibt.

Für diejenigen, die das Verbleib- und das Austrittslager anführen, ist die Frage der Mitgliedschaft in der EU eine Auseinandersetzung darüber, was den strategischen Interessen des britischen Imperialismus bei seinem Handelskrieg und seinen Vorbereitungen auf einen militärischen Konflikt mit Russland am besten dient. Die Diskussion geht darum, wie auch in Zukunft brutale Kürzungen gegen die Arbeiterklasse durchgesetzt werden können und wie man am besten Einwanderer und Asylsuchende aus Großbritannien heraushält.

Auf die Ermordung von Cox mit Appellen zur nationalen Einheit zu reagieren, ist gefährlich. Der politische Mord an einer Labour-Abgeordneten durch einen geistig gestörten faschistischen Schläger ist das sicherste Anzeichen dafür, dass Großbritannien politisches Neuland betritt. Die gefährlichsten gesellschaftlichen Kräfte werden auf den Einsatz gegen die Arbeiterklasse vorbereitet. Wie ihre Reaktion in den letzten Tagen gezeigt hat, wird die Rechte die Appelle von Corbyn nicht beherzigen, sondern im Gegenteil ihre Offensive verdoppeln.

Sollte die Abstimmung zugunsten eines Verbleibs ausgehen, wird es mit Sicherheit einen Aufschrei geben, das Referendum sei „gestohlen“ und der Tod von Cox benutzt worden, um die Sorgen in der „Bevölkerung“ über die Einwanderung zu unterdrücken und das „patriotische“ Verlangen, „die Kontrolle“ von Brüssel „zurückzuerlangen“, zum Schweigen zu bringen.

Diese Ereignisse unterstreichen die entscheidende Bedeutung der Kampagne der Socialist Equality Party für einen aktiven Boykott des Referendums.

Die Arbeiterklasse, die keiner Nation zu Loyalität verpflichtet ist, und, wo immer sie lebt und welche Sprache sie spricht, mit demselben Klassenfeind konfrontiert ist, muss eine unabhängige, sozialistische Perspektive annehmen und sich weigern, irgendeine Fraktion der herrschenden Elite zu unterstützen.

Einheit mit Cameron und Corbyn oder Boris Johnson und Farage ist ein Pakt mit dem Feind. Notwendig ist die internationale Einheit der Arbeiterklasse. Im Kampf gegen Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus müssen Arbeiter und Jugendliche sich dem Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als Teil der sozialistischen Weltföderation anschließen.

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