Perspektive

Fünfzehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September

Am Sonntag war der 15. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001, bei denen in den Vereinigten Staaten mehr als 2.900 Menschen ums Leben kamen. Neunzehn Anhänger von al-Qaida, fünfzehn von ihnen aus Saudi-Arabien, entführten vier Passagierflugzeuge. Auch der Gründer der Gruppierung, Osama bin Laden, stammte aus Saudi-Arabien. Zwei Flugzeuge lenkten die Selbstmordattentäter in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York, die daraufhin einstürzten. Mit einem flogen sie in das Pentagon in Washington. Das vierte stürzte auf ein freies Feld in Pennsylvania, als Passagiere den Entführern die Kontrolle über das Flugzeug entreißen wollten.

Dieser schreckliche Massenmord an tausenden Zivilisten war nicht nur kriminell, er war politisch betrachtet auch reaktionär. Er diente den Interessen des US-Imperialismus und der imperialistischen Mächte weltweit. Die herrschenden Klassen in den Vereinigten Staaten, Europa und in der ganzen Welt nutzten das Entsetzen und die Verwirrung aus, um endlosen Krieg und immer schärfere Angriffe auf demokratische Rechte zu rechtfertigen.

Der von der US-Regierung unter George W. Bush unmittelbar nach dem 11. September ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ basierte von Anfang an auf Desinformation und offenen Lügen. Die Regierung erklärte, die Vereinigten Staaten stünden in einem Kampf auf Leben und Tod gegen al-Qaida. Fünfzehn Jahre später ist al-Qaida nachweisbar ein wichtiger Verbündeter der Vereinigten Staaten bei den umfangreichen Militäroperationen der CIA, vor allem in Syrien.

Der „Krieg gegen den Terror“ wurde herangezogen, um die Angriffe auf den Irak, auf Afghanistan, Libyen, Syrien und den Jemen zu rechtfertigen, d.h. auf Länder, die nicht das Geringste mit dem 11. September zu tun hatten. Die Zahl der Toten geht in die Millionen. Die Zerstörungen in der Region sind ein wesentlicher Faktor für die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als sechzig Millionen Menschen sind heute weltweit auf der Flucht.

Fünfzehn Jahre nach dem 11. September 2001 ist klar, dass die Ereignisse dieses Tages genauso wenig die wirkliche Ursache der nachfolgenden Kriege waren wie die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo nicht die wirkliche Ursache für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs darstellte.

Die US-Regierung versucht auch gar nicht erst zu erklären, warum der „Krieg gegen den Terror“ sich in einen Konflikt mit den geostrategischen Rivalen der Vereinigten Staaten, vor allem Russland und China, verwandelt hat, der in den dritten Weltkrieg zu münden droht.

Bemerkenswert ist in Hinblick auf die Anschläge vom 11. September, dass bis heute noch keine ernsthafte und glaubwürdige Untersuchung dessen stattgefunden hat, was sich damals wirklich ereignete, obwohl die Ereignisse in den letzten fünfzehn Jahren eine so zentrale Rolle in der Außen- und Innenpolitik der Vereinigten Staaten eingenommen haben. Die US-Geheimdienste verfügten über zahlreiche Hinweise auf die drohenden Anschläge. Sie hatten viele der Täter unter aktiver Beobachtung und unterhielten bereits viele Jahre lang Beziehungen zu Osama bin Laden und seinem Netzwerk. Dieses war im Zuge des Guerilla-Krieg in Afghanistan in den 1980er Jahren entstanden, als die Mudschaheddin mit Unterstützung und unter Anleitung der CIA gegen das von der Sowjetunion gestützte Regime in Kabul kämpften.

Kein Regierungsvertreter ist jemals für dieses katastrophale Versagen der Geheimdienste zur Verantwortung gezogen worden. Nach dem Angriff auf Pearl Harbour, womit der 11. September häufig verglichen wird, wurden Admirale gefeuert, aber kein einziger Vertreter aus Militär und Geheimdiensten verlor nach den Anschlägen 2001 seinen Job. Dabei wurden die Anschläge vom 11. September von wohl bekannten Terroristen verübt – viele wurden bereits überwacht und zwei von ihnen lebten sogar in der Wohnung eines FBI-Informanten.

Innerhalb weniger Wochen nach den Anschlägen setzten die USA und ihre Verbündeten lang gehegte Pläne in die Tat um und fielen in Afghanistan unter dem Vorwand ein, dass die islamistische Taliban-Regierung bin Laden Zuflucht gewährte. Der Krieg in Afghanistan hat zig tausend Menschenleben gefordert und Millionen in Afghanistan und Nordwestpakistan zu Flüchtlingen gemacht. Er dauert heute noch an, fünf Jahre nach bin Ladens Ermordung. Der al-Qaida-Chef wurde in seiner Zufluchtsstätte in der Nähe der pakistanischen Stadt Abbottabad umgebracht – in der Nähe eines Ausbildungslagers des pakistanischen Militärs, zu dem die Vereinigten Staaten enge Verbindungen unterhalten.

In den USA selbst gerieten die Anschläge vom 11. September zum Vorwand für scharfe Einschnitte bei demokratische Rechten. Diese Angriffe auf die Demokratie des Landes sind im Kontext der wachsenden sozialen Ungleichheit und Klassengegensätze zu verstehen. Die Verabschiedung der „Autorisierung zur Anwendung militärischer Gewalt“ durch den Kongress, die die illegale Doktrin des „Präventivkriegs“ beinhaltete, gab dem Weißen Haus einen Freibrief, jeden Staat anzugreifen, der als potentielle Bedrohung der militärischen und wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Klasse in den USA betrachtet wird. Danach wurde der Patriot Act verabschiedet, der den rechtlichen Rahmen für einen Polizeistaat in Amerika schuf.

2002 führte das Weiße Haus unter Bush den „Krieg gegen den Terror“ als Rechtfertigung für die sogenannten „Extraordinary renditions“ (außerordentliche Überstellungen) und die Anwendung von Folter durch die CIA an. Gleichsam wurde damit die Einrichtung eines Konzentrationslagers in Guantánamo auf Kuba begründet, wo Gefangene auf unbestimmte Zeit, auch lebenslang, ohne Prozess festgehalten werden. Das war die logische Folge der verbrecherischen „Präventivkriege“ in aller Welt.

Die Obama-Regierung, die auf Bush folgte, rechtfertigte gleichermaßen den tödlichen Einsatz von Drohnen, mit dem auf direkten Befehl des Präsidenten tausende Menschen umgebracht wurden und werden. Unter den Regierungen Bush und Obama ist Amerika zum Überwachungsstaat geworden. Die Bevölkerung wird systematisch ausspioniert, Kommunikation und Internetnutzung weltweit mitgeschnitten.

Das Muster vom 11. September hat sich seitdem ständig wiederholt, bei Terroranschlägen in Paris, Brüssel, London oder Boston. Immer wenn al-Qaida oder Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staats (IS) die Täter waren, waren sie den Sicherheitskräften bekannt. Sie konnten aus zwei Gründen blutige Anschläge ausüben: Ihre Organisationen tanzen nach der Pfeife imperialistischer Außenpolitik, besonders in Syrien, und ihre Gräueltaten verwirren die öffentliche Meinung. So wird für Krieg mobilisiert und der Staatsapparat aufgerüstet, um die Arbeiterklasse zu unterdrücken.

Nicht Vergeltung für die Terroranschläge war das Motiv hinter der Reaktion auf den 11. September. Es ging um ein direktes Eingreifen des US-Militärs im Herzen Zentralasiens und die Vorherrschaft der USA im Nahen Osten, der ölreichsten Weltregion. Die internationalen Beziehungen sind dadurch in den letzten fünfzehn Jahren massiv destabilisiert worden und die USA haben offen mit Kriegsvorbereitungen gegen China begonnen. Washington betrachtet China als größten Rivalen in Asien. Dazu wachsen die Spannungen mit Russland, das aus amerikanischer Sicht die US-Vorherrschaft in Zentralasien und Europa bedroht.

David North schreibt im Vorwort zu seinem Buch A Quarter Century of War: The US Drive for Global Hegemony 1990–2016: „Das letzte Vierteljahrhundert von Kriegen, die von den USA ausgingen, muss als Kette zusammenhängender Ereignisse betrachtet werden. Die strategische Logik hinter dem US-amerikanischen Streben nach globaler Hegemonie reicht über die neokolonialen Operationen im Nahen Osten und Afrika weit hinaus. Die derzeitigen Regionalkriege sind Elemente einer rasch eskalierenden Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite.“

In Osteuropa rüstet sich die Nato für eine militärische Konfrontation mit Russland, ob im Baltikum, in der Ukraine, im Schwarzen Meer oder im Kaukasus. Die gleiche Medienhetze, die sich bereits gegen Saddam Hussein, Gaddafi oder Assad richtete und ihren Sturz vorbereitete, wendet sich heute gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Demokratische US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton steht an der Spitze dieser Hetzkampagne. Sie beschuldigt Putin der Cybersabotage an der amerikanischen Wahl und greift den Republikaner Donald Trump als Marionette Putins an.

In Asien rief die Obama-Regierung 2011 den „Pivot to Asia“ aus. Damit kündigte Obama die Verlagerung großer Truppenteile der amerikanischen Marine und Luftwaffe nach Ostasien an, von wo sie gegen China losschlagen können. Die US-Marine führt provokative Operationen für die „Freiheit der Schifffahrt“ durch, die sich gegen kleine Inseln unter chinesischer Kontrolle im Südchinesischen Meer richten. Gleichzeitig fördert Washington den japanischen Militarismus und droht Nordkorea.

Wer auch immer nach den Wahlen am 8. November an der Spitze der US-Regierung steht – ganz gleich ob Clinton oder Trump – wird den Militarismus weiter befeuern, die demokratischen Rechte weiter angreifen und die Sparpolitik auf Kosten der Arbeiterklasse fortsetzen. Alle imperialistischen Mächte verfolgen die gleiche Agenda. Das ist alles, was das kapitalistische System unter dem Eindruck der weltweiten Politik- und Wirtschaftskrise zu bieten hat.

Die einzige Alternative ist die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms gegen Krieg unter Führung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Diese Perspektive steht im Zentrum der IKVI-Erklärung vom 18. Februar 2016 mit dem Titel „Sozialismus und der Kampf gegen Krieg“. Wir fordern alle WSWS-Leser auf, die mit den Prinzipien dieser Erklärung übereinstimmen, sich uns anzuschließen.

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