Perspektive

US-Wahlen 2016: Die amerikanische Demokratie in Trümmern

Seit der letzten Präsidentschaftsdebatte vom Mittwoch erregen sich die US-Medien über Äußerungen des republikanischen Kandidaten Donald Trump, er werde möglicherweise das Ergebnis der Wahlen vom 8. November nicht akzeptieren.

Als Trump vom Moderator der Sendung, Chris Wallace von Fox News, gefragt wurde, ob er „auf jeden Fall das Ergebnis dieser Wahlen akzeptieren“ werde, antwortete Trump, er werde sich „das dann anschauen“ und „werde es spannend machen“. Am Donnerstag nahm Trump seine Äußerungen teilweise zurück, als er erklärte, er würde „ein deutliches Ergebnis akzeptieren“. Dennoch argumentierte er, Clinton „ist die korrupteste und verlogenste Person, die sich jemals um das Präsidentenamt beworben hat“. Deshalb, so fügte er hinzu, behalte er sich das Recht vor, „im Falle eines fragwürdigen Ergebnisses dieses anzufechten oder eine Anfechtungsklage zu erheben“.

Trumps Äußerungen bei der Diskussion stimmen mit seinen früheren Erklärungen überein, dass die Wahlen von den Medien zugunsten von Clinton manipuliert würden. Außerdem hatte er mit deutlich rassistischem Beiklang behauptet, Millionen von Amerikanern, insbesondere in den städtischen Ballungszentren, würden illegal abstimmen. Sein Aufruf zielt auf Bedingungen ab, die sich nach den Wahlen entwickeln werden. Er versucht die soziale Wut und Feindseligkeit gegenüber dem gesamten politischen System in eine extrem rechte Richtung zu lenken.

Von den Medien und dem überwiegenden Teil des politischen Establishments wurde Trump durchgängig verurteilt, weil er die Reinheit der amerikanischen Demokratie beschmutzt habe. Die Washington Post verkündete, „den Willen des Wählers zu respektieren hat seit dem Ende des Bürgerkriegs eine friedliche Machtübergabe ermöglicht, um die die ganze Welt dieses Land beneidet“. Die New York Times fügte hinzu, Trump sei von der „Beleidigung der Intelligenz der amerikanischen Wähler zur Beleidigung der amerikanischen Demokratie selbst“ übergegangen.

Der republikanische Senator und frühere Präsidentschaftskandidat John McCain erklärte in einer Stellungnahme, den Sieger bei Wahlen anzuerkennen sei „ein Akt des Respekts gegenüber dem Willen des amerikanischen Volkes, ein Respekt, der die erste Pflicht eines jeden amerikanischen Führers ist“. Und Vizepräsident Joe Biden erklärte in einer Rede von Donnerstag mit scheinheiliger Empörung: „Wenn man demokratische Wahlen anzweifelt, wenn man behauptet, eine demokratische Wahl sei manipuliert, dann greift man den Kern der Überzeugung an, dass wir ein demokratisches System besitzen.“

Die Äußerungen der Redaktionsleitungen und führender Politiker sind voller Heuchelei. Sie bringen außerdem eine Nervosität ans Licht, deren Gründe weit über die Kommentare von Mr. Trump hinausreichen. Die politischen Vertreter der herrschenden Klasse eilen herbei, um ein politisches System zu verteidigen, das von breiten Teilen der Bevölkerung als illegitim angesehen wird.

Vom historischen Standpunkt aus muss man zunächst einmal feststellen, dass bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts jede Wahl in den Vereinigten Staaten insofern „manipuliert“ war, als große Teile der Bevölkerung von der Wahl ausgeschlossen waren. Frauen erhielten das Wahlrecht erst 1920. Der systematische Entzug des Wahlrechts für Afroamerikaner im Süden durch Kopfsteuern, Rassentrennung á la Jim Crow und andere Maßnahmen wurde erst Mitte der 1960er-Jahre beendet – ein Nebeneffekt der großen sozialen Kämpfe dieser Zeit. Und erst 1981 wurde die Altersgrenze für das Wahlrecht von 21 auf 18 gesenkt. Bis dahin konnten junge Männer zum Militärdienst eingezogen werden und in Kriegen kämpfen und sterben – auf Anordnung eines Oberbefehlshabers, den sie selbst gar nicht wählen konnten

In den letzten vier Jahrzehnten sind die demokratischen Herrschaftsformen unter systematischen Beschuss geraten, parallel zu einer extremen Zunahme sozialer Ungleichheit. Ein Wendepunkt war die Kampagne zur Amtsenthebung von Bill Clinton wegen eines Sexskandals im Jahr 1999. Dem folgte die gestohlene Wahl im Jahr 2000. Wenn die Wahlen von 2000 in der gegenwärtigen Diskussion über Trumps Bemerkungen überhaupt erwähnt werden, dann nur, um Al Gores „Respekt vor dem Verfahren“ zu loben, als er die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs akzeptierte, den Wahlsieg an George W. Bush zu übergeben.

Tatsächlich hat die Fünf-zu-vier-Entscheidung des höchsten Gerichts des Landes, mit der die Neuauszählung der Stimmen in Florida gestoppt wurde, eine Person zum Präsidenten gemacht, der das Votum der Bevölkerung verloren hatte und, wenn alle Stimmzettel ordentlich ausgezählt worden wären, auch die Wahl verloren hätte. In einer Entscheidung, die letztlich zum Hohn auf die Demokratie wurde, entschied der Oberste Gerichtshof, das amerikanische Volk habe kein verfassungsmäßiges Recht, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu wählen. Der Diebstahl der Wahlen von 2000 geschah nicht im Hinterzimmer eines Bezirksgerichts, sondern durch das höchste Gericht des Landes.

Anfang Dezember 2000, noch vor der Entscheidung in der Sache Bush gegen Gore, stellte der Chefredakteur der WSWS, David North, fest, die Entscheidung enthülle „wie weit die amerikanische herrschende Klasse beim Bruch mit den traditionellen bürgerlich-demokratischen und verfassungsmäßigen Normen zu gehen bereit ist“. Letztendlich stieß das unverhohlen politische Vorgehen des Obersten Gerichtshofs auf keinen ernsthaften Widerstand der Demokratischen Partei oder von Gore, genauso wenig wie seitens der Medien und des gesamten politischen Establishments. Wie die WSWS damals schrieb, zeigte das Ergebnis „das Fehlen jedweder bedeutenden Unterstützung innerhalb der herrschenden Elite für eine demokratische, richterliche Anerkennung der Präsidentschaftswahlen“.

Die herrschende Klasse hat im Verlauf der vergangenen anderthalb Jahrzehnte durch ihre Taten ihre Verachtung für die Demokratie bewiesen. Den Anschlägen vom 11. September folgten unter Bush und dann unter Obama eine ganze Reihe von antidemokratischen Maßnahmen, die mit dem „Kampf gegen den Terror“ gerechtfertigt wurden. Dazu gehörten: der sogenannte „Patriot Act“; massenhafte Überwachung ohne richterlichen Beschluss; unbefristete Haft ohne Gerichtsverfahren; Folter und „außerordentliche Überstellungen“; Drohnenattentate, auch auf US-Bürger; die Schaffung des Heimatschutzministeriums und des Nordamerika-Kommandos; eine Militärgerichtsbarkeit, die den zunehmenden Einsatz des Militärs im Inland befehligt. Dieser Liste muss man noch die militarisierten Polizeikräfte hinzufügen, die pro Jahr mehr als 1.000 Amerikaner töten.

Was das Wahlverfahren angeht, so haben Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs den „Voting Rights Act“ ausgehöhlt, und er hat Gesetze der einzelnen Bundesstaaten gebilligt, die Lichtbildausweise und andere Einschränkungen fordern, mit denen Arme, Senioren und Minderheiten vom Wählen abgehalten werden sollen. Etwa sechs Millionen Bürger (jeder 40. Wahlberichtigte) werden wegen strafrechtlicher Verurteilung von der Wahl ausgeschlossen. Die Entscheidung Citizens United von 2010 hat die Beschränkungen für Großunternehmen bei der Finanzierung von Kandidaten und ihren politischen Aktionskomitees aufgehoben. Man schätzt, dass für die Wahlen von 2016 mehr als 7 Milliarden Dollar gespendet wurden, alles in allem das Doppelte der Spendensumme von 2012.

Es wird alles getan um zu verhindern, dass Unabhängige und Kandidaten von Drittparteien auf den Wahlzetteln erscheinen; dazu gehört auch die Vorgabe, dass sie Zehntausende oder sogar Hunderttausende Unterschriften sammeln müssen. Viele Staaten werden noch nicht einmal die Stimmen für die per Hand auf dem Stimmzettel eingetragenen Kandidaten zählen. In der Zwischenzeit sorgen die Medien dafür, dass die offizielle „Diskussion“ auf den engen Rahmen beschränkt bleibt, der für die herrschende Klasse akzeptabel ist.

Die „amerikanische Demokratie“ ist eine leere Hülse, beherrscht von zwei Parteien, die von der Finanzoligarchie und dem Militär kontrolliert werden. Die Erfahrung mit der Regierung Obama, die mit dem Versprechen von „glaubwürdiger Veränderung“ an die Macht gekommen ist, hat Millionen von Menschen vor allem gezeigt, dass ihre Stimme keinen Einfluss auf die Politik der herrschenden Klasse hat.

Der langwierige Niedergang der amerikanischen Demokratie gipfelte in den Wahlen von 2016, einem Wettbewerb zwischen einem Millionärsspross der Clinton-Dynastie und einem Milliardär, Immobilienspekulanten und Reality-TV-Star.

Trump selbst ist das Produkt eines kranken sozialen und politischen Systems, der rechtmäßige Erbe des „Kriegs gegen den Terror“. Was Clinton angeht, so ist sie nur ein anderer Ausdruck derselben Krankheit. Sie führt ihre Wahlkampagne auf der Grundlage derselben Skandalgeschichten, die die Republikaner gegen ihren Ehemann benutzt haben, kombiniert mit Verleumdungen wie zu Zeiten McCarthys, die eine lange, üble Geschichte haben.

Die Standardantwort der Demokraten auf jede Frage in Bezug auf die durchgesickerten E-Mails, die Clintons Verbindungen zur Wall Street offenlegen, besteht darin, das Thema zu wechseln und die völlig unbewiesene Behauptung vorzubringen, das alles sei das Werk des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Trump hat erklärt, dass er die Wahlen möglicherweise nicht als rechtmäßig akzeptieren wird, und wenn Clinton verliert, werden die Demokraten erklären, das sei das Ergebnis der russischen Einmischung in die Wahlen.

Die grundlegenden Themen werden hinter dem ganzen verfaulten Verfahren vertuscht oder ignoriert. Die Realität der amerikanischen „Demokratie“ kann vielleicht in der Tatsache zusammengefasst werden, dass das amerikanische Militär drei Wochen vor dem 8. November eine massive militärische Eskalation im Nahen Osten gestartet hat und es keinerlei bedeutsame Diskussion über deren Folgen gibt – und das im Verlauf von Wahlen, die angeblich das wichtigste Mittel sind, mit dem die Bevölkerung die Politik beeinflussen kann.

Die Krise der Demokratie ist ein Produkt des Niedergangs des amerikanischen Kapitalismus, unter der Herrschaft einer herrschenden Klasse, die entschlossen ist, eine Politik von Krieg im Ausland und Austerität im Inland zu verfolgen – eine Politik, die immer größere Angriffe auf demokratische Herrschaftsformen erfordert. Was auch immer am 8. November passieren wird, dadurch wird nichts gelöst werden. Es werden einzig die Voraussetzungen für eine langwierige politische Krise geschaffen, die nur durch das unabhängige Eingreifen der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms gelöst werden kann.

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