Die International Socialist Organization und der Fall von Aleppo

Als syrische Regierungstruppen am 13. Dezember kurz vor der Eroberung von Aleppo standen, erschien ein Artikel, der mit folgendem Satz eingeleitet wurde: „Das syrische Regime und sein Verbündeter Russland sind in der letzten Phase ihres barbarischen Angriffs auf Aleppo.“

Weiter heißt es in dem Artikel: „Berichten zufolge erobern Baschar al-Assads Regime, die russische Luftwaffe und schiitische Todesschwadronen, die vom Iran unterstützt werden, mit vereinten Kräften Ost-Aleppo zurück – die letzte jener Großstädte, die in der syrischen Revolution seit 2011 befreit wurden.“

Diese Sätze hätten in der New York Times, in der Washington Post oder in jeder anderen bürgerlichen Zeitung stehen können, die als Propagandaorgane des amerikanischen Imperialismus dienen.

Doch tatsächlich wurde der Artikel von Ashley Smith verfasst und auf der Webseite der International Socialist Organization (ISO), SocialistWorker.org, veröffentlicht. Wer doch noch Zweifel daran hatte, dass diese pseudolinke Organisation für Imperialismus und Krieg eintritt, wird in Smiths Artikel eines Besseren belehrt.

Dem Tonfall und Inhalt nach reiht sich Smiths Artikel „Die Konterrevolution zerstört Aleppo“ problemlos in alle anderen anti-syrischen und anti-russischen Artikel ein, die während des Falls von Aleppo veröffentlicht wurden und die die Wut der amerikanischen herrschenden Klasse über das Scheitern ihres seit fünf Jahren andauernden Kriegs zum Regimewechsel in Syrien zum Ausdruck bringen.

In den 1950ern rief die McCarthy-Fraktion noch „Wer hat China verloren?“ Heute lautet der Ruf der herrschenden Klasse: „Wer hat Syrien verloren?“ Die ISO gibt eine eindeutige Antwort auf diese Frage: Der Feldzug zum Sturz von Assad sei bisher erfolglos geblieben, weil die „Linke“ es nicht geschafft habe, die „syrische Revolution geschlossen zu unterstützen“.

Das liegt nicht am mangelnden Einsatz von Smith und seinen Kollegen. Die ISO hat mehr als fünf Jahre lang Propaganda für den blutigen, von den USA unterstützten Stellvertreterkrieg in Syrien gemacht. In jedem Stadium des Kriegs marschierte die ISO im Gleichschritt mit den erbittertsten Befürwortern einer Intervention im amerikanischen politischen Establishments und verbreitete dessen Lügen.

Die World Socialist Web Site verteidigt weder das Vorgehen von Moskau noch das von Damaskus. Doch die Darstellung der amerikanischen Medien und des politischen Establishments, einschließlich SocialistWorker.org, ist völlig heuchlerisch, einseitig und politisch darauf ausgerichtet, die Verbrechen der USA in Syrien und dem ganzen Nahen Osten zu verteidigen.

Sowohl die großen amerikanischen Medien als auch die pseudolinke ISO liefern eine falsche Darstellung des syrischen Bürgerkriegs, laut derer „demokratische“ Kräfte einen revolutionären Kampf gegen Assad und seinen Verbündeten Russland führen. Alle Fakten, die dieser Darstellung widersprechen, werden ignoriert.

In Wahrheit wird die Seite der „Rebellen“ im syrischen Bürgerkrieg von islamistischen Milizen dominiert, die von den USA unterstützt werden. Ohne die Milliarden an Finanzmitteln, die von den USA investiert wurden, um Assad zu stürzen, würden diese Kräfte gar nicht existieren. Für Washington ist der Sturz des Assad-Regimes von großer Bedeutung, nicht nur, um seine Hegemonie über den ölreichen Nahen Osten auszudehnen, sondern auch um Russland zu isolieren, zu destabilisieren und letztlich aufzuteilen. Der US-Imperialismus sieht in Russland ein großes Hindernis für seine Vorherrschaft über Eurasien. Das Assad-Regime ist Russlands einziger arabischer Verbündeter im Nahen Osten, und in Syrien befindet sich die einzige russische Marinebasis im Mittelmeer.

Der Artikel von Smith zielt darauf ab, diese Tatsachen durch eine verlogene Darstellung des syrischen Bürgerkriegs zu vertuschen. Der Krieg sei, so Smith, ein „demokratischer Aufstand der Bevölkerung und genauso legitim wie die anderen Rebellionen gegen die Autokratien im ganzen Nahen Osten und Nordafrika, die als arabischer Frühling bekannt sind.“

Smith stellt einfach Behauptungen auf, ohne irgendetwas zu beweisen. Welche Organisationen, Statements oder Programme kann er als Träger dieser sogenannten Revolution nennen? Als Anführer dieser „demokratischen Revolution“ nennt Smith nur eine Organisation: die Freie Syrische Armee, eine von den USA unterstützte Stellvertreterarmee, die aus ehemaligen Mitgliedern von Assads eigenem Militär besteht.

Smith zitiert Joseph Daher aus dem Umfeld des pablistischen Internationalen Sekretariats, der behauptet, Aleppo wäre unter der Kontrolle der „Rebellen“ ein „Symbol der demokratischen Alternative, die Syrien sein könnte“.

Das ist gelogen. Ost-Aleppo wurde größtenteils von der al-Nusra-Front kontrolliert, einem syrischen Ableger von al-Qaida, der für zahlreiche Gräueltaten verantwortlich ist. Al-Nusra hat wahllos Zivilisten im von der Regierung kontrollierten Teil Aleppos beschossen und Gefangene gefoltert und hingerichtet, darunter auch Kinder.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte in ihrem jüngsten Bericht über die Zustände in von „Rebellen“ kontrollierten Gebieten: „Viele Zivilisten leben in konstanter Angst vor Entführungen, sollten sie bewaffnete Gruppen kritisieren oder ihren Gesetzen nicht Folge leisten.“

Weiter heißt es in dem Bericht: „In Aleppo und Idlib sind bewaffnete Gruppen frei in ihren Handlungen und werden auch nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn es zu Kriegsverbrechen und anderen Verstößen kommt, die vom internationalen Recht geächtet werden. Es gibt schockierende Beweise dafür, dass einige bewaffnete Gruppen die gleichen Foltermethoden benutzen, die auch die syrische Regierung routinemäßig anwendet.“

Smith kann nicht leugnen, dass al-Qaida-nahe Gruppen in der syrischen Opposition eine führende Rolle spielen. Also konstruiert er folgendes Narrativ: Die Dominanz der Dschihadisten unter den Assad-Gegnern sei das Ergebnis eines Komplotts von Assad selbst!

Er schreibt: „Als die Revolution Anfang 2011 begann, ließ Assad Tausende von islamistischen Gefangenen frei. Er hoffte, dass sie sich zu einem Rivalen des hauptsächlich säkularen prodemokratischen Aufstandes zusammenschließen würden.“ In Wirklichkeit hat Assad politische Gefangene als Zugeständnis an die syrische Opposition freigelassen. Die Freilassung dieser Kräfte war eine der Forderungen der anfänglichen Proteste.

Smith will in seinem Artikel vor allem die Tatsache verschleiern, dass der syrische Bürgerkrieg mit all seinen Todesopfern, Vertriebenen und dem großen Blutvergießen das Ergebnis einer US-Operation für einen Regimewechsel in Syrien ist. Er schafft es, im ersten Zweidrittel seines Artikels die USA mit keiner Silbe zu erwähnen, und nennt sie dann nur als letzte von mehreren „imperialistischen und regionalen Mächten“, die die Niederlage der „Revolution“ zu verantworten hätten.

Er zählt die Konfliktparteien auf, die für die Situation in Syrien verantwortlich seien. Dazu gehörten neben dem Assad-Regime auch der Iran, Russland, das sich „als imperiale Macht in der Region“ aufstellen wolle, und andere „regionale Mächte, darunter Saudi-Arabien, Katar und die Türkei“.

Erst dann kommt er auf die Vereinigten Staaten zu sprechen, die laut Smith „ebenfalls als konterrevolutionäre Kraft interveniert haben“.

Doch Smiths Hauptkritik an den USA und damit implizit auch an der Obama-Regierung und der CIA, die er nie namentlich erwähnt, besteht darin, dass sie bei der Bewaffnung der „Rebellen“ nicht weit genug gegangen seien. Smith beklagt sich, dass die USA den Anti-Assad-Milizen „wichtige Flugabwehrwaffen verweigert haben, die es den Rebellen ermöglicht hätten, den einzigen militärischen Vorteil des Assad-Regimes zu bewältigen: seine Luftstreitkräfte.“

Laut Smiths verzerrter Darstellung war die Unterstützung der USA für die „Rebellen“ mit Milliarden von Dollar nur eine sorgfältig konstruierte Farce, um die Tatsache zu verbergen, dass sie eigentlich die ganze Zeit „de facto mit Russland und dem syrischen Regime“ zusammengearbeitet haben. Scheinbar haben sich die USA mit Russland verschworen, um Assad zu unterstützen und an der Macht zu halten.

Der ganze Artikel strotzt nur so vor absurden Widersprüchen. Die USA seien ein konterrevolutionärer Gegner der demokratischen Opposition gegen Assad. Doch die Freie Syrische Armee, die Smith selbst als Grundpfeiler dieser angeblichen demokratischen Opposition nennt, wurde von den USA unterstützt und finanziert!

Smith erklärt: „Die USA wollten keinen Regimewechsel in Syrien. Bestenfalls wollten sie einen geordneten Übergang, um Assad zu entmachten.“

Die wohl beste Definition des Wortes „Regimewechsel“ ist ein „geordneter Übergang“, durch den ein Staatsoberhaupt „entmachtet“ wird, das die USA als Gegner ihrer Interessen betrachten. Genau das ist die Absicht von Washingtons Intervention in Syrien. Die ISO kritisiert daran nur, dass sie nicht aggressiv genug durchgeführt wurde.

Jetzt, da sich eine Niederlage der US-Operation in Syrien abzeichnet, reagiert die ISO auf das Scheitern der Versuche, Assad zu stürzen, und auf den gesamten Prestigeverlust des US-Imperialismus im Nahen Osten und der Welt mit Befremden, Wut und Enttäuschung.

Smith schreibt in unverhohlener Verbitterung: „Dieses Ergebnis hat die USA im Nahen Osten als geschwächte Macht entlarvt […]. Russlands Stellung hat sich mittlerweile verbessert, während amerikanische Regierungsvertreter kaum mehr tun konnten, als im UN-Sicherheitsrat Resolutionen für Waffenstillstände vorzuschlagen, gegen die Moskau sein Veto eingelegt hat.“

Diese Worte hätten auch aus den wütenden Berichten der zahlreichen CIA-nahen Washingtoner Denkfabriken stammen können. Smith tritt offen als Befürworter des amerikanischen Imperialismus auf. Genau wie sein ideologischer Vorgänger Max Schachtman bezeichnet Smith Russland als „Imperium“, um seine Unterstützung für den US-Imperialismus zu rechtfertigen.

Schachtmans Theorien wurden in den 1950ern im Koreakrieg in die Praxis umgesetzt. Er lehnte es ab, Nordkorea zu verteidigen und stellte sich damit faktisch auf die Seite der USA, die während des Kriegs drei Millionen Koreaner ermordeten. Schachtman vertrat die Position „Weder Washington noch Moskau“ und betonte, der Koreakrieg sei ein Krieg zwischen zwei rivalisierenden „imperialistischen“ Mächten – der UdSSR und den USA. Später unterstützte er den Krieg der USA gegen Vietnam.

Ein halbes Jahrhundert später wärmt die ISO den Antikommunismus aus dem Kalten Krieg wieder auf und kleidet ihn in „linke“ Phrasen. Statt des „Sowjetimperiums“ attackiert sie das „russische Imperium.“

Smith ist über die künftige Trump-Regierung aus dem gleichen Grund besorgt wie Teile der CIA und des Militärs, die Clinton unterstützt hatten. Sie befürchten, dass Trump in Syrien und gegen Russland nicht aggressiv genug auftreten werde. Smith schreibt: „Nach dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump wird sich die Politik der USA im Nahen Osten ändern. Trump setzt sich für ein offenes Bündnis mit Russland und Assad gegen den IS und al-Qaida ein.“

In den letzten acht Jahren haben die USA ihre Militärinterventionen auf der ganzen Welt unter dem Vorwand der Verteidigung von Menschenrechten gerechtfertigt – von dem faschistischen Putsch in der Ukraine bis hin zu den Regimewechsel-Operationen in Libyen und Syrien. Gruppen wie die ISO haben diese Pläne als „Volksrevolutionen“ dargestellt. Da die künftige Trump-Regierung weniger Wert auf „humanitäre“ Rechtfertigungen für Militärinterventionen legen wird, fürchtet Smith den Verlust seines Status’.

Er artikuliert die sozialen Interessen der wohlhabenden oberen Mittelschichten, zu denen die meisten Anhänger der ISO und andere pseudolinker Organisationen gehören. Diese soziale Schicht ist dank der Aktienblasen der 1980er, 1990er und 2000er Jahren zu Reichtum gekommen. Je mehr ihre Aktienportfolios anwuchsen, desto schneller rückte sie politisch weiter nach rechts. Heute unterstützt sie eifrig die internationalen Operationen des US-Imperialismus.

Für den Aufbau einer internationalen, sozialistischen Bewegung gegen Krieg, die sich auf die Arbeiterklasse stützt, sind ein Verständnis der rechten, proimperialistischen Politik von Gruppen wie der ISO sowie ein kompromissloser Kampf gegen sie unverzichtbar.

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