IS bekennt sich zu Silvesteranschlag in Istanbul

Am Montag übernahm der Islamische Staat (IS) die Verantwortung für den blutigen Terroranschlag auf den Club Reina in Istanbul. Etwa 700 Menschen hatten in dem Nachtclub Silvester gefeiert, als um 1:30 Uhr in der Nacht zum 1. Januar eine einzelne mit einem Gewehr bewaffnete Person sich Zugang verschaffte, auf unbewaffnete Sicherheitsleute schoss und 39 Besucher des Lokals, darunter fünfzehn Ausländer, tötete. 65 weitere Personen wurden verletzt.

Die Polizei hatte ihre Präsenz in Istanbul in den zwei Wochen vor dem Anschlag schon stark erhöht. Der türkische Inlandsgeheimdienst MIT hatte Informationen erhalten, dass der IS Anschläge auf Nachtclubs oder Partys in Istanbul, der Hauptstadt Ankara oder anderen großen türkischen Städten plane. 147 IS-Verdächtige, darunter mindestens 63 IS-Mitglieder, wurden dem Innenministerium zufolge verhaftet. In Ankara wurden acht IS-Mitglieder festgenommen, die einen Anschlag für Silvester geplant haben sollen.

An Silvester selbst waren aufgrund des Ausnahmezustands in der Türkei 25 000 zusätzliche Polizisten im Dienst und patrouillierten in den Straßen von Istanbul, um Terroranschläge zu verhindern. Die US-Botschaft warnte vor Terroranschlägen an Silvester und empfahl amerikanischen Staatsbürgern, Silvesterfeiern an belebten Stellen zu meiden.

Erstaunlicherweise war es trotzdem einem einzelnen Bewaffneten möglich, mit einem Taxi in die Nähe des prominenten Nachtclubs zu fahren, der direkt gegenüber einer Polizeistation liegt. Der Mann ging zu dem Club hinüber, zog ein Gewehr aus der Tasche und begann, wild um sich zu schießen. Dabei tötete oder verwundete er mehr als einhundert Menschen, hauptsächlich türkische Staatsbürger und Touristen aus muslimischen Ländern.

Der IS bejubelte die schreckliche Tat und verurteilte die Türkei, weil sie mit den Vereinigten Staaten und den europäischen Mächten gegen den IS im Irak und in Syrien zusammenarbeitet. In der IS-Erklärung heißt es: „Erneut hat ein heroischer Soldat des Kalifats einen heiligen Schlag gegen den Bewahrer des Kreuzes, die Türkei, geführt und einen der berühmtesten Nachtclubs angegriffen, in dem die Christen ihren abtrünnigen Feiertag begehen.“

Und weiter: „Wir lassen die ungläubigen Türken wissen, dass das Blut der Muslime, das von ihren Luftangriffen und ihrem Artilleriebeschuss vergossen wird, als Feuer auf ihrem Gebiet niedergehen wird.“

Unmittelbar nach dem Anschlag verhängte der Radio- und Fernsehrat der Türkei (RTÜK) eine Nachrichtensperre über den Anschlag. Nach dem Täter und eventuellen Komplizen wird in der ganzen Türkei gefahndet.

Terrorismusexperten analysierten die Aufnahmen der Überwachungskameras im Nachtclub. Sie sagten, der Täter sei offenbar gut ausgebildet und sehr effizient im Umgang mit seinem Gewehr gewesen. Er habe verwundete Opfer durch Kopfschüsse geradezu hingerichtet. Der Attentäter soll sein Gewehr gesäubert und dann die Kleidung gewechselt haben, wofür er sich dreizehn Minuten lang in der Nachtclub-Küche aufhielt. Später entkam er in einem herbeigerufenen Taxi. Nach der Begutachtung der Videos geht die Polizei von der Hypothese aus, dass der Täter ein etwa 25-jähriger IS-Kämpfer sei. Er könnte aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Kirgistan oder Tadschikistan oder aus der westchinesischen Region Xinjiang stammen.

Die ersten bekanntgewordenen Umstände des Anschlags werfen ernste politische Frage auf. Wie konnte ein einzelner Schütze in unmittelbarer Nachbarschaft eines Polizeireviers ungestört mehr als fünfzehn Minuten lang Menschen niedermetzeln und dann unerkannt entkommen, noch dazu unter Bedingungen des Ausnahmezustands?

Nach dem Anschlag machten Gerüchte die Runde, denen zufolge die Einsatzkräfte in der Gegend des Nachtclubs kurz vor dem Anschlag absichtlich ausgedünnt worden seien. Das wirft die Frage auf, ob bestimmte Behörden möglicherweise vorher von der Schießerei gewusst haben.

Am Montag sah sich die amerikanische Botschaft in Ankara gezwungen, auf die Gerüchte zu reagieren. Sie ließ erklären, dass US-Stellen keinerlei Informationen besessen hätten, die auf einen IS-Angriff auf den Nachtclub Reina hingedeutet hätten: „Im Gegensatz zu Gerüchten in den sozialen Medien besaß die US-Regierung keinerlei Informationen über Drohungen gegen spezielle Einrichtungen wie dem Club Reina, und sie hat auch keine Warnungen an amerikanische Bürger herausgegeben, spezifische Einrichtungen oder Bezirke zu meiden.“

Türkische und internationale Stellen verurteilten den Anschlag. Die türkische Regierungspartei AKP versprach, den Terror „zu beenden“, und Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, der Anschlag habe das Ziel verfolgt, Chaos zu verbreiten. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) forderte eine Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen. Sie griff die islamistischen Äußerungen einiger AKP-Abgeordneter an, die alle Silvesterfeiern verurteilt hatten.

Laut dem Sprecher des Weißen Hauses, Eric Shultz, habe US-Präsident Barack Obama „sein Beileid für den Verlust unschuldigen Lebens ausgesprochen und sei Team angewiesen, den türkischen Behörden angemessene Unterstützung anzubieten und ihn selbst auf dem Laufenden zu halten“.

Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Federica Mogherini, verurteilte den Angriff auf ihrem Twitter Account. Sie schrieb: „2017 beginnt mit einem Anschlag in Istanbul. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Lieben. Wir arbeiten weiter daran, solche Tragödien zu verhindern.“

Tatsächlich sind für diese schreckliche Tat die militärische Intervention der Vereinigten Staaten und der EU im Nahen Osten verantwortlich. Auch die Zusammenarbeit der türkischen Regierung mit dem US-geführten Stellvertreterkrieg in Syrien trägt einen Teil der Verantwortung. Wenn der IS ein großes Netzwerk von Dutzenden, vielleicht Hunderten Kämpfern in der Türkei hat, dann deswegen weil die CIA und ihre europäischen und nahöstlichen Verbündeten die Türkei als Aufmarschgebiet benutzen, um islamistische Oppositionsmilizen zu bewaffnen und zu unterstützen, die auf der anderen Seite der Grenze in Syrien operieren.

Die Entscheidung der herrschenden türkischen Elite, die Türkei in ein Sprungbrett für die Bewaffnung oppositioneller Milizen zu verwandeln, die Überfälle, Terroranschläge und Kriegsverbrechen in Syrien begehen, hat für die syrische Bevölkerung schreckliche Folgen. Aber die Zerstörung und Entvölkerung Syriens beschert auch der Türkei Blutvergießen.

Der IS hat schon zahlreiche Anschläge ausgeführt, und die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung durch die Armee hat die Kurdengebiete des Landes in einen erneuten Bürgerkrieg gestürzt. Die Regierung fürchtet, dass Washington die kurdischen Nationalisten durch die Bewaffnung kurdischer Milizen in Syrien zu sehr stärken könnte.

Der IS war schon für den blutigsten Terroranschlag in der Geschichte der Türkei verantwortlich. Am 10. Oktober 2015 wurden bei einem Doppelselbstmordanschlag in Ankara auf eine Friedenskundgebung 105 Menschen getötet und mehr als fünfhundert verletzt. 2016 wurden bei sechs Terroranschlägen des IS in der Türkei 127 Menschen getötet und 320 verletzt.

Radikale Abspaltungen von der kurdischen Nationalistenbewegung wie die Kurdischen Freiheitsfalken (TAK) führten ebenfalls mehrere Terroranschläge aus, darunter Bombenanschläge im Dezember in Istanbul und Kayseri.

Beim diesjährigen Silvesteranschlag führte der IS als spezielle Begründung das Bündnis der türkischen Regierung mit Russland und dem Iran an. Damit sollen die islamistischen Oppositionsmilizen wie der IS in Syrien zerschlagen werden. Vergangene Woche hat die Türkei mit Russland und dem Iran einen Waffenstillstand für Syrien ausgehandelt, der einen großen Teil Syriens abdeckt. Aber als Vorbereitung auf die Eroberung der IS-Hauptstadt in Syrien, Rakka, setzt es seine blutigen Angriffe auf Al Bab fort. Der neue Terroranschlag auf türkischem Boden scheint dafür ein Vergeltungsschlag des IS zu sein.

Loading